22. November 2002

"Außerdem war er Polizist ..."

Interview geführt von

Jetzt München. Das Atomic Cafe ist ausverkauft. LAUT wagte sich zu einem Gespräch mit den zwei Songwritern der Band vor, die derzeit mit ihrem Debutalbum "Up The Bracket" Furore macht: Pete Doherty und Carl Barât. Trotz Warnung des Plattenfirmen-Abgesandten: "Die sind oft ein bisschen daneben, aber naja ... trotzdem viel Spaß, Michel." Der Mann behielt Recht.

Ihr seid zum ersten Mal in Deutschland auf Tour. Wie seid ihr bisher empfangen worden?

Pete: Gut.

Stille.

Habt ihr Unterschiede zu euren Gigs in England bemerkt?

Pete: Nein.

Vor mir sitzen sie nun, Pete und Carl. Der eine trägt eine zerrissene schwarze Lederjacke, der andere einen tarnfarbenen Army-Parka. Ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster mit der Behauptung, dass sich beide gerade Spannenderes vorstellen könnten, als irgendwelchen Fremden über ihre Vergangenheit Auskunft zu geben. Pete steht kurz auf, um sich im spärlich beleuchteten Raum mit einer Sonnenbrille zu bekleiden, und setzt sich anschließend wieder zu uns. Sein Kollege Carl isst in Zeitlupe an einem Sandwich und achtet peinlichst darauf, mich nicht anzusehen.

Ist die Reaktion in Berlin denn die gleiche wie in London?

Pete: Die Reaktionen auf unsere Shows sind auch in England sehr unterschiedlich, das ändert sich von einer Nacht zur nächsten. Deshalb ist jedes Konzert anders. Verschiedene Clubs, verschiedene Städte, verschiedene Leute. Jung und alt. Journalisten und Trinker. Das sind eben die Freuden des Live-Spielens: du weißt nie, was als nächstes passieren wird.

Euer Debutalbum "Up The Bracket" hat allgemein euphorische Reaktionen und Vergleiche zu legendären englischen Bands wie The Jam oder The Clash hervorgerufen. Ist das nicht eine große Last?

Pete: Ich habe damit kein Problem, so lange die Leute das was sie schreiben auch so meinen. Verstehst du? Wenn sie es nur so dahersagen, ist das etwas anderes. Aber wenn es tatsächlich Leute gibt, die glauben, dass wir Songs geschrieben haben, die an The Jam oder The Smiths herankommen ... also, wenn Leute zu mir kämen um mir das zu sagen, dann wüsste ich nicht, was ich antworten soll. Ich müsste nachdenken. Aber ich hoffe,
sie denken es wirklich, denn ich denke es auch. Wir leben nun mal in unseren Songs wie in einem Kokon.

Ist euch wichtig, was über eure Musik geschrieben wird?

Pete: Wir sind die jungen Gläubigen, verstehst du? Wir sind auf eine Art unschuldig und wir sind stolz auf das, was wir tun. Wir wären nicht auf Tour und wir würden auch sonst nichts tun, was wir nicht tun wollten. Reviews zu lesen ist keine Motivation, man kommt ab und an dazu. Wir haben schon vor Jahren Reviews über uns gelesen, als wir noch vor drei Leuten spielten. Aber die meisten Sachen, die geschrieben werden, sehe ich nicht als Reviews an. Vielleicht bin ich nur langweilig, aber es ist doch sehr selten, dass wirklich über die Songs geschrieben wird. Darüber, was jemand fühlt, wenn er sie hört. Oder über Ideen in einem Song. Darüber lese ich nie etwas. Manchmal glaube ich wirklich, dass man vor 20, 30 Jahren zuletzt versucht hat, das auszudrücken, was Songs in einem bewegt haben. Ich weiß auch nicht. Aber unsere Songs sind sehr persönlich und wenn die Antwort darauf dann irgend so ein klinisches Klischee ist, dann ist das ... sehr schade.

Was bedeutet es euch, Platten auf Rough Trade zu veröffentlichen?

Stille. Carl schaut auf den Flur und scheint die Frage bereits wieder vergessen zu haben, vorausgesetzt er hört überhaupt zu. Pete spielt an seiner Sonnenbrille herum. Es vergehen sehr lange Sekunden.

Pete: Es ist eine Familie.
Carl (in ein Stück Brotrinde auf seinem Teller murmelnd): Es sind Außenseiter, die aus Liebe arbeiten.

Eure erste Single "What A Waster" produzierte Ex-Suede-Gitarrist Bernard Butler, beim Nachfolger "Up The Bracket" war bereits Ex-Clash-Gitarrist Mick Jones im Studio. Könnt ihr das im Nachhinein selbst glauben?

Sie schauen mich an (sogar Carl) und sagen nichts. Heute ist entweder nicht ihr Tag oder vor allem nicht meiner. Carl findet außerdem, mit seinem gerade geäußerten Satz genug zur Thematik beigetragen zu haben und widmet sich einem neuen Sandwich.

Pete: Vielleicht lief das alles so, weil wir einige der besten und simpelsten Popsongs seit Jahren geschrieben haben. Und noch immer schreiben. Unsere Songs sind schlicht und scheinen gleichzeitig eine solche Qualität zu haben, dass sich Leute von ihnen angezogen fühlen. Das könnte ein Grund dafür sein. Ich kriege zum Beispiel diesen verdammten Song "Up The Bracket" nicht aus dem Kopf. Nie. Ich hatte schon Alpträume wegen ihm.
Es ist der unglaublichste Song, den ich je gehört habe. Doch davon mal abgesehen, bin ich gerade sehr müde. (grinst)

Von der Arbeit mit Mick Jones, der letztlich euer ganzes Album produzierte, müsst ihr trotzdem noch erzählen. War es eine einfache Sache, mit ihm zu arbeiten?

Pete: So würde ich es jetzt zwar nicht beschreiben, aber es lief ziemlich gut mit ihm. Es gab wenig Kommunikationsprobleme. Er hat die Songs sofort verstanden.

Carl: Es war nur schwierig, den richtigen Take zu finden.

Er hat euch also angetrieben?

Carl: Er musste uns nicht antreiben. Wir haben ihn angetrieben.

Pete grinst, Carl verzieht keine Miene. Ich erhole mich kurz von Carls Kommunikationsoffensive und fahre fort.

Habt ihr Jones von Anfang an für das Album verpflichten wollen?

Pete: Er kam ursprünglich nur für die Single, aber in der selben Woche wollten wir noch andere Songs aufnehmen. Also fragten wir ihn, ob er vielleicht länger bleiben wolle.

Ward ihr denn mit Bernard Butlers Arbeit bei "What A Waster" im Nachhinein unzufrieden?

Pete: Oh nein, wir sind sehr stolz auf die Arbeit mit ihm. Aber er macht eben sein eigenes Zeug. Und er hatte nicht die Zeit, es liegen zu lassen. (Pause) Außerdem hat er sich mit unserem Manager etwas überworfen. Es begann mit einem Food-Fight und dann wurde es sehr eklig. Am Schluss wurde er von einem Kürbis getroffen und sein Auge war schwarz.

Da wir gerade zu den Anekdoten kommen: es heißt, ihr hattet in England Probleme mit eurem Soundmann und dem Tour-Manager. Der erste ging freiwillig, der zweite wurde von euch gefeuert.

Pete: So ist es wohl.

Atemlose Stille.

Was ist denn so schwierig daran, mit euch zu touren?

Pete: Nichts, auf Tour zu sein macht großen Spaß.

Mich beschleicht das dringliche Gefühl, dass hier ein Thema angesprochen wird, über das lieber geschwiegen werden sollte. Auch der umgängliche Pete wirkt plötzlich leicht genervt.

Diese Anekdote ist also frei erfunden?

Pete: Nein, sie stimmt schon. Du hast die Fakten richtig wiedergegeben. Und nun gibt es nichts weiter dazu zu sagen.

Dann könnt ihr wohl auch nicht nachvollziehen, dass euer Ex-Tourmanager gesagt haben soll, im Vergleich zu den Libertines sind die Strokes auf Tournee Pussycats.

Pete: Doch. Er sagte das, weil er auch schon mit den Strokes getourt ist.

Carl steht auf und verlässt den Raum. Auch eine Antwort. Pete schaut feindselig. Aber gut, wenn der Austausch von Interna nicht erwünscht ist, lassen wir das eben. Das Interview erkläre ich jetzt mal spontan für beendet. Doch kaum will ich den Minidisc ausschalten, kommt plötzlich noch eine Wortmeldung. Eher hätte ich erwartet, dass Carl wieder ins Zimmer kommt und mich seinem Baseballschläger vorstellt.

Pete: Außerdem war er Polizist und das wussten wir nicht.

Nachtrag: Der Auftritt der Libertines geriet dann zum 50-minütigen Garage Rock-Inferno, für das es keine Worte gibt. Wer wenig redet, hat mehr zu sagen, so scheint es. Die auf der Setlist vermerkten zwei Zugaben wurden jedoch nicht gespielt, was vielleicht ausnahmsweise mal am Atomic-Publikum lag, das einen Rock-Nachschub vor allem durch Telepathie zu erlangen hoffte. Großer Moshpit-Sport.

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