laut.de-Kritik

Die Schweden klingen nicht wie andere Bands, sondern umgekehrt.

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Ende 2021 in Stockholm. Zwei Männer stehen mit Pipi in den Augen vor einer Bühne. Nach den Entbehrungen der Corona-Pandemie endlich wieder ein Konzert, wie schön. Der wahre Grund für die Freudentränen ist allerdings: auf dieser Bühne stehen Schwedenrock-Legende und Hansdampf in allen Gassen Nicke Andersson und die Hellacopters. Nach der Auflösung, dem letzten (Cover-) Album "Head Off" und 14 Jahren Pause hatte man ein Comeback der Band, die in den 90ern den Schwedenrock-Hype anführte, kaum noch für möglich gehalten.

Auf "Eyes Of Oblivion" kehrt Gründungsmitglied Dregen für den 2017 verstorbenen Robert Dahlqvist zurück an die Gitarre, ansonsten ändert sich an der Besetzung nichts, genauso wenig wie am klassischen Rezept der Hellacopters. Den Opener, die Vorab-Single "Reap A Hurricane", kochen sie genau nach der bewährten Machart. Mit breitbeinigen Gitarren, einem Killer-Riff und einer eingängigen Hook erinnert der Song an die Klassiker der 2000er-Jahre, die die Schweden in den Mainstream hievte. Dass Nicke Andersson als Songwriter im internationalen Vergleich sträflich unterschätzt wird, wissen Hellacopters-Fans schon lange. Einen weiteren Beweis tritt "Can It Wait" an. Die Nummer kommt ruhiger und erwachsener daher, ohne an Intensität einzubüßen. Immer wieder findet sich Platz für ein kleines Gitarrensolo oder Riff, während Kenny Håkansson (Bass) und Robert Eriksson (Drums) das solide Fundament für die Spielfreude der Kollegen bauen.

Ein echtes Bond-Theme passend zum eigentlich perfekten Filmtitel gelingt ihnen mit "So Sorry I Could Die": In gemächlichem Tempo rollt der Song voran, ausgestattet mit theatralischem Pathos eine der eher ungewöhnlichen Nummern. Die Experimente sind aber schnell vorbei, mit dem Titeltrack "Eyes Of Oblivion" servieren Nicke und seine Jungs einen klassischen Rocker, wie nur sie ihn hinbekommen. In anderen Rock-Reviews sucht man an dieser Stelle gerne einen Vergleich zu anderen Künstlern, doch hier spielt das Original. Die Hellacopters klingen nicht wie andere Bands, sondern umgekehrt. Verlernt haben sie in den letzten 14 Jahren offensichtlich nichts. Ihre Wurzeln im Punk und Rock'n'Roll kehren die fünf auf "A Plow And A Doctor" nach vorne. Wie kaum ein anderer integriert Anders Lindström sein Klavierspiel auf coole Art und Weise in die mächtige Gitarrenwelt seiner Mitstreiter.

"Positively Not Knowing" ist ein klassischer Uptempo-Rocker mit melancholischem Unterton, der sich nahtlos in den Katalog der Truppe einfügt. Andersson, wenngleich noch nie der beeindruckendste Sänger, beweist einmal mehr seine Wandlungsfähigkeit. Das Niveau der Platte ist hoch, da fällt auch ein schwächerer Song wie "Tin Foil Soldier", der irgendwo zwischen Queen und 80s-Hardrock vor sich hin schwingt, nicht ins Gewicht. Vor allem, weil die Copters auf "Beguiled" direkt wieder zur Kernkompetenz zurückkehren: Saftige Riffs mit eingängigen Melodien zu großen Songs zu entwickeln. "The Pressure's On" versprüht eine eher geheimnisvolle Stimmung. Mit seinem 80s-Blues-Vibe ist die Nummer ein weiterer Beweis für das Balladen-Händchen der Schweden.

Mit der Schlussnummer "Try Me Tonight" lässt es das Quintett nochmal ehrlich und ursprünglich krachen. Ab in die Power-Stellung und Abfahrt! Nach zehn Stücken und einer guten halben Stunde ist einer der meisterwarteten Späße der Rock-Gemeinde dann auch schon vorbei. Als Fan hat man ja oft ein bisschen Angst vor den Comebacks seiner Lieblingsbands nach langer Auszeit. "Eyes Of Oblivion" macht aber richtig Spaß und ist ein eindeutiges Hellacopters-Album geworden. Ob es Klassiker à la "Toys And Flavors" oder "No Song Unheard" hervorbringt, wird die Zeit zeigen. Für den Moment präsentieren sich Nicke Andersson und seine Mannen in einer Form, als wären sie nie weg gewesen.

Trackliste

  1. 1. Reap A Hurricane
  2. 2. Can It Wait
  3. 3. So Sorry I Could Die
  4. 4. Eyes Of Oblivion
  5. 5. A Plow And A Doctor
  6. 6. Positively Not Knowing
  7. 7. Tin Foil Soldier
  8. 8. Beguiled
  9. 9. The Pressure's On
  10. 10. Try Me Tonight

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7 Kommentare

  • Vor 2 Jahren

    Kleine Anmerkung: Kenny ist schon länger nicht mehr dabei, seit einiger Zeit übernimmt Dolf de Borst live den Bass. Auf dem Album hat Nicke ihn eingespielt. Laut Nicke steht das Angebot, dass Dolf fest einsteigt, der zögert aber noch, da er ja eigentlich schon mit den Datsuns unterwegs ist und sein Dasein als 'hired gun' bei den Hellacopters genießt.

  • Vor 2 Jahren

    Mir taugts. Klingt wie KISS heute klingen sollten.

  • Vor 2 Jahren

    Vinyl ist gestern pünktlich zum Release angekommen und macht einen sehr hochwertigen Eindruck. Erster Höreindruck auch super. Mehr zum reinhören, als früher, aber ist nach jetzigem Eindruck kein Mist dabei. Geht alles gut rein!