23. November 2001

"Da geht sogar mir der Sarkasmus flöten"

Interview geführt von

Für seinen Zynismus und seinen fiesen schottischen Akzent ist Ricky Warwick ja bekannt. Dass man ihm, wenn am selben Abend mit Liverpool und Arsenal zwei englische Mannschaften die Champions League bestreiten, die Informationen beim Telefon-Interview beinahe aus der Nase ziehen muss, war zu befürchten.

Wo zur Hölle bist du denn, dass ich dich anrufen muss und nicht du mich?

Ich bin bei mir zu Hause in Glasgow und zieh mir die Champions League rein. Spielt heut nicht auch 'ne deutsche Mannschaft?

Ja, Dortmund gegen Kiev.

Wie steht's?

0:0. Aber lass uns etwas über deine neue Platte reden. Wie würdest du "Psycho-Narco" selber beschreiben??

Wild, roh, intensiv, direkt, heavy, melodisch,... such dir was aus, ich denke, alles passt irgendwie. Mit Begriffen wie Metal, Punk oder Rock Musik bin ich nicht so sehr glücklich, da man dich damit einfach zu sehr festlegen will. Ich denke, wir haben einfach eine gesunde Mischung aus allem abgeliefert.

Ich habe so das Gefühl, dass ihr euch mit jeder Scheibe mehr und mehr zum Punk hin bewegt. Man muss sich ja nur mal euer neues Cover anschauen.

Mit dem Cover hast du natürlich recht, aber ich denke, dass Metal und Punk einfach so nahe beieinander liegen, dass die Übergänge oft fließend sind. Nimm doch nur Motörhead oder Exploited, die beide die Grenzen mehr als einmal überschritten haben und das immer wieder tun. Oder auch Slayer, ich war immer der Meinung, dass der Unterschied zwischen diesen beiden Stilen sehr klein ist. Ich bin mit Motörhead und AC/DC aufgewachsen, aber genauso mit den Ramones, The Clash, Anti-Nowhere-League und Exploited. Das sind einfach meine Einflüsse, von daher kann man kaum erwarten, dass ich mich an einen Stil klammere.

Meiner Meinung nach werden eure Songs irgendwie direkter, ihr konzentriert euch mehr auf den Kern der Songs und lasst überflüssigen Schnickschnack, auch mal Melodien, einfach weg. Wie siehst du das?

Ich würde eigentlich behaupten, dass "Psycho-Narco" unser melodischstes Album bisher geworden ist. Aber das ist auch etwas, was ich an dem Album so toll finde, dass ich lauter unterschiedliche Reaktionen darauf bekomme. Es ist sehr direkt geworden, da hast du recht, die Songs sind relativ kurz und alles, was nicht notwendig ist wurde weggelassen, aber ich bin mit vielen Melodien auf dem Album sehr glücklich.

Wie wichtig ist die mentale Komponente von Punk für dich?

Das wiegt schon schwer. Diese Einstellung, dass es keine Grenzen gibt, keine Regeln, die dich in deinem Schaffen eingrenzen. Wenn du an etwas glaubst und dich darum bemühst, kannst du es auch erreichen. Das ist schon wichtig. Man kann alles ausprobieren, solange man niemandem damit schadet.

Viele deiner Lyrics sind ja verdammt sarkastisch. Hast du einen Favoriten auf der Scheibe?

Ja, "Waiting For Earthquakes" mag ich sehr gern. Aber auch "Galvanized" liegt mir sehr am Herzen, weil er sehr gut meine Erfahrungen widerspiegelt, wie ich aufgewachsen bin.

Wie siehst du denn die gegenwärtige politische Situation?

Da geht sogar mir der Sarkasmus flöten. Es ist einfach unglaublich was da am 11. September passiert ist. Das ist so crazy und fucked up. Aber das ist einfach genau die Richtung, in die wir uns schon lange bewegen. Ich bin mir auch ganz und gar nicht sicher, ob es jemals wieder besser wird.

Bist du denn der Meinung, dass die Bombardierung von Afghanistan der richtige Weg ist?

Ich weiß nicht, ob es den überhaupt gibt. Die Situation war für mich von Anfang an so unglaublich und absurd. Einen Terroranschlag aber mit Krieg zu vergelten, halte ich nicht unbedingt für sinnvoll, wenngleich ich der Meinung bin, dass irgendwie reagiert werden musste. Man musste einfach etwas unternehmen. Dieser Bekloppte (Bin Laden) darf natürlich auf keinen Fall so weiter machen können.

Wie stehst du zu Tony Blairs Reaktionen. Die Briten waren ja die ersten, die nach den Amis Truppen geschickt haben.

Wir hatten ja eigentlich gar keine anderen Wahl, als Truppen zu schicken. Schließlich sind wir an unsere Aussagen und Verträge gebunden. Und, wie ich schon sagte, welche Alternative, außer Truppen, hat man in solch einem Fall? Es ist doch mal wieder diese verdammte Religion. Ich hasse Religion über alles. Die verursacht nur Ärger, Leid und Krieg. Das hat sie schon immer und wird es immer wieder tun.

Was mich bei aller Solidarität gegenüber Amerika aber beinahe schon wieder zum Lachen gebracht hat, waren die Spendenaufrufe für New York. Alles was recht ist, aber ich glaube kaum, dass man in New York auf deutsche Spendengelder angewiesen ist.

Das ist schon wahr, ich denke das muss man aber eher als Möglichkeit verstehen, seine Solidarität auszudrücken. Das Absurdeste für mich, war bisher, dass sie erst mal wie die Irren Bomben abgeworfen haben und dann mit dem nächsten Flugzeug Nahrungsmittel. Hey, wie kommst du dir denn da vor? Zuerst bomben sie die Scheiße aus dem Land, danach gibt's Erdnuss-Butter-Sandwichs. Das ist doch schon beinahe sarkastisch.

Wie lenkst du dich ab und wie sieht dein Leben eigentlich jenseits von The Almighty aus?

Ich schreibe sehr viel und nehme das dann auf Demos auf. Ich lese auch sehr viel, schaue fern oder spiele Fußball.

Ich finde deine Lyrics immer wieder faszinierend. Hast du eigentlich mal daran gedacht, dich an einem Buch zu versuchen?

Nicht wirklich, da ich denke, dass es wesentlich schwieriger ist ein gutes Buch zu schreiben, als gute Lyrics. Das traue ich mir noch nicht zu. Wenn ich aber das richtige Thema gefunden habe, schließe ich nichts aus. Sag niemals nie. Vielleicht schreib ich ja auch mal so etwas wie eine Kolumne für ne Zeitung. Im Augenblick reicht es mir aber mit meinen Texten. Warten wir einfach meine Memoiren ab.

Bist du eigentlich glücklich mit dem, was du mit The Almighty erreicht hast?

Ich denke schon. Es ist zwar nicht alles super, aber allein die Tatsache, dass wir seit zwölf Jahren ständig weitermachen können, ist für mich schon viel wert. Wir haben viele interessante Leute getroffen, mit vielen coolen Bands gespielt und viel von der Welt gesehen. Wir konnten viel herum reisen und haben auch noch etwas Geld damit verdient. Ich bin eigentlich glücklich.

Was ist eigentlich mit Floyd passiert?

Er hat mit uns die Gigs bis Weihnachten letzten Jahres zusammen gespielt und sagte dann, dass er keine Lust mehr aufs Touren habe. Er hatte einfach genug und hat sich aus dem Musik-Business total zurückgezogen. Ich denke er wollte sein Leben von Grund auf ändern und etwas ganz anderes machen. Wir sind nach wie vor gute Freunde und treffen uns häufig. Er arbeitet jetzt mit Computern. Es ist ziemlich schade, aber wir respektieren seine Entscheidung.

Ich hab mal gehört, dass Nicko McBrain von Iron Maiden ein großer Fan von euch ist? Habt ihr persönlichen Kontakt zu denen?

Ja, Nicko ist ein witziger Kerl. Wir treffen uns ab und zu und trinken ein Bier. Wie steht's eigentlich gerade?

Immer noch 0:0. Und bei euch?

Liverpool führt 1:0 und bei Arsenal steht's immer noch 0:0.

Dortmund schaukelt sich auch nur gegenseitig die Eier. Seid ihr übrigens alle Newcastle Fans, oder wie hab ich das Booklet zu verstehen?

Nick und Gav leben in Newcastle und sind Fans von Newcastle United. Ich stehe natürlich auf die Glasgow Rangers.

Warum hattet ihr euch eigentlich vor ein paar Jahren aufgelöst?

Wir waren einfach ziemlich ausgebrannt und hatten jede Menge Probleme, mit dem Label, mit uns selbst. Irgendwann waren wir vom Business und uns selbst so angepisst, dass wir beschlossen, es besser sein zu lassen. Sechs Monate später war mir dann aber klar, dass mir was Wichtiges fehlte. Stumpy und ich waren immer noch gute Freunde und so haben wir dann wieder angefangen zu jammen und der Spaß war wieder da. Deswegen sind wir wieder zurück.

War eine verdammt gute Idee von euch.

Danke, der Meinung bin ich auch!

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