laut.de-Kritik

Und es gibt doch noch intaktes Gen-Material!

Review von

Gegen Micky Finns Bongos ist diese DVD ein Paukenschlag. Denn sie kommt äußerst unerwartet: gut 33 Jahre gammelten die Masterbänder in einem Archiv vor sich hin, um zwischenzeitlich einmal - es war Anfang der 90er Jahre - in Form von recht dürftig zusammengeschraubten VHS-Kassetten an das Licht der Öffentlichkeit zu gelangen. Danach ging der T-Rexchenschlaf bis heute weiter.

Dank der weit fortgeschrittenen Technologien ist es heute möglich, aus dem Uralt-Material eine hochstehende Produktion zu zaubern. Bei dieser Arbeit hätte selbst Heinrich Schliemann vor Spannung gebebt, denn die Tapes befanden sich angeblich in einem Zustand, der es gerade noch gestattete, sie nach manueller und chemischer Vorarbeit mit allergrößter Vorsicht in die Bandmaschine zu fädeln. Man hatte gerade drei Versuche, dann waren die Grenzen der alten Cellulose erreicht und das Rohmaterial ein Fall für den Container. Die Klebestellen der Filmstreifen zogen bereits Fäden und die Beschichtung löste sich vom Trägermaterial. In akribischer Handarbeit konnten schließlich dennoch über sechs Stunden T. Rex, live in Wembley, Interviews, Behind the Scenes, Outtakes und vieles mehr gerettet werden und stehen uns nun in bester remasterter Qualität auf DVD zur Verfügung. Dies mutet an, als hätte man intaktes Genmaterial vom Tyrannosaurus Rex gefunden, um es zu neuem Leben zu erwecken.

Ursprünglich war das Material für einen der damals durchaus üblichen Musikfilme gedacht, um dann im Kino oder TV gezeigt zu werden. Federführend beim Projekt: Ringo Starr, der nach der Auflösung der Beatles (1970) zwar nicht gerade arbeitslos war, jedoch Zeit für neue Projekte hatte. Die Tonspuren produzierte Tony Visconti, ein treuer Weggefährte Marc Bolans. Er war nun auch bei der digitalen Aufbereitung der Tapes wieder mit am Start und äußert sich detailliert zur Arbeit an Bandmaschine und Workstation.

Die Doppel-DVD ist so gesehen nicht nur für T. Rex-Liebhaber oder Glamourrock-Fans der frühen 70er ein hammergeiles Zeitdokument, sondern zeigt jedem Technikfreak exemplarisch, welch handwerklicher und Pro-Tool Aufwand nötig ist, um aus Sondermüll eine exzellente Produktion zu machen.

Nun, was bekommt der Fan rein musikalisch-inhaltlich geboten? Ich sage nur - Wunderbares! Geht man davon aus, dass der typische T. Rex-Anhänger eine persönliche Affinität zu den frühen 70ern besitzt, hält diese DVD eine Zeitreise der speziellen Art bereit: dank raffinierter Hightech-Bearbeitung erreicht das Material beinahe die Qualität heutiger Livemitschnitte. Leckere Sache, das. Und eine äußerst seltene Gelegenheit, so extrem viel Stoff in remasterter - nein: top restaurierter - Qualität genießen zu dürfen.

Die eigentliche Überraschung nach 33 Jahren ist aber eine ganz andere: Irgendwie hatte man T. Rex als Teenieband und Glamour-Rocker in Erinnerung. Doch schon beim Studio-Track "Tutti Frutti" reibt man sich Augen und Ohren. Das ist ja fantastischer Rock'n'Roll in Reinkultur! Bei dieser Nummer drischt Elton John, der zu der Zeit noch fast 'Normalo' war, auf dem Piano rum, als wollte er es glatt zerlegen, und Ringo Starr kloppt wacker in die Drums. Dazu Bolans leicht affektierte Vocals - was für eine schräge Mischung.

Schnitt. Wir sind in Wembley 'live' dabei. Frenetische Fans (zu 95% Mädchen) gehen volle Kanne ab. Doch, da fliegen keine Plüschtiere oder Schlüpfer auf die Bühne - da wird wild gerockt, geschüttelt und gebangt. Lebensgefühl 70er, da ging doch was. Das waren Anarchisten auf der Bühne! Man sagte nicht "Fuck Your Mother", sondern "Scheiß auf die Spießer." Und: 'Krieg' zwischen Wrangler und Levis. Während Mama daheim brav Pril-Blumen auf Kacheln und Kühlschrank klebte, gingen die Teens auf Pirsch nach neuen Ufern. Und zu denen gehörten zweifellos auch Marc Bolan und T. Rex, nachdem die Beatles fast Geschichte waren.

Zu Nummern wie "Hot Love", Jeepster" oder "Baby Strange" drehen die Fans sichtlich ab, besonders beim Abendkonzert in Wembley, als Marc Bolan und Crew wirklich alle Register ziehen. Mickys Bongos glühen irgendwann fast rot, als die Glanznummer "Get It On" fantastische zehn Minuten gestreckt wird. Marc wechselt mehrfach die Gitarren - fast wundert man sich, dass er à la Jimi Hendrix keine davon anzündet, nachdem er dazu übergeht, die Saiten mit einem Tambourin zu schlagen, ja zu quälen, statt per Hand.

Jedoch, alles hat ein Ende: Am 16. September 1977 endet Marc Bolans Leben mit 29 Jahren im Londoner Stadtteil Barnes, Golders Green: der violette Austin Mini 1275 'Clubman', den seine Freundin Gloria Jones steuert, zerschellt auf der Heimfahrt von einer Party an einem Straßenbaum. Marc ist sofort tot, der Austin hat ausgerollt, T. Rex endgültig ausgerockt und die besagten Bänder von Ringo verschwinden im Archiv in schnöden Metalldosen und fangen an zu rosten. Bis 2005 - "Hello Marc, Micky, Steve und Bill. Da seid ihr ja wieder! Let's rock again!"

Trackliste

DVD 1

  1. 1. Jeepster
  2. 2. Baby Strange
  3. 3. Tutti Frutti
  4. 4. Children Of The Revolution
  5. 5. Spaceball Ricochet
  6. 6. Telegram Sam
  7. 7. Cosmic Dancer
  8. 8. The Slider
  9. 9. Hot Love
  10. 10. Get It On
  11. 11. Chariot Choogle
  12. 12. The Wembley Evening Concert 1972

DVD 2

  1. 1. Wembley Matinee Concert 1972
  2. 2. Entire Extra Concert
  3. 3. Cosmic Rock - When T.Rex Ruled The World
  4. 4. Interviews (Tony Visconti, Bob Harris etc.)
  5. 5. Re-Born To Boogie - Restoration Doco
  6. 6. The Restoration Process
  7. 7. Outtakes
  8. 8. 'The Eater of Cars' - Airfield Outtakes
  9. 9. Tea Party Outtakes
  10. 10. Apple Studio Sessions

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