laut.de-Kritik

Grime auf Deutsch: Nicht mehr, nicht weniger.

Review von

"Auf Grime" war eine der programmatischsten EPs der Deutschrap-Geschichte. Da stand "Auf Grime" drauf – und drin war Sylabil Spill auf Grime. So logisch wie offensichtlich. "Drauf Sein" setzt nun den Windmühlenkampf für die Etablierung des Londoner Subgenres in der deutschen Landschaft konsequent fort: Mit ein bisschen mehr musikalischer Finesse und ein paar Ideen mehr im Handgepäck leistet Spill weiterhin Übersetzungsarbeit.

Dabei krankt die neue EP genau wie ihr Vorgänger an der eher konstruierten Identität des Sounds. Spill verbindet mit dem britischen Subgenre kulturell wenig, der Kontaktpunkt besteht anscheinend lediglich aus musikalischem Respekt und einer gewissen Expertise. Das ist genug, um einen starken Schlag an Songs zu veröffentlichen, aber reicht erneut nicht, um ein Argument für die Notwendigkeit deutscher Grime-Musik zu liefern.

Vielleicht adaptiert Spill London fast ein wenig zu gut. Immerhin hört man selten so aggressive, durchschlagende Vocal-Lines wie im Chorus des abgebrühten "Muss Nix", das Frustration und Energie des Genres erschütternd potent treffen. Auch Single "Baki" sorgt mit Bässen zwischen Drum and Bass und Jungle für ein authentisches Hörerlebnis. Fühlt sich eben an, als hätte Wiley für ein paar B-Seiten deutsch gelernt.

Im Vergleich zu "Auf Grime" unterfüttert Spill den Sound aber zumindest sporadisch mit realer Substanz. Zwar achtet ein Track wie "Erklär Den Das" mit Lines wie "Meine Welt schmerzt – Verletzung" nicht zwangsweise auf lyrisches Feingefühl, fängt Soziolekt und Gefühl der Straße aber glaubhaft ein und sorgt mit den fast Major Lazer-esken Vocalchops im Instrumental für einen poppigen Höhepunkt der Platte. Durch die klare Annäherung an die britische EDM-Szene fällt dieser Tapetenwechsel aber kein Stück aus dem Konzept.

Qualitativ halten sich die übrigen Tracks auf einem soliden Level, hinterlassen aber auch keinen besonders bleibenden Eindruck. Der Titeltrack "Drauf Sein" ist mit Warp-Bässen und Synth-Hörnern wie eine gut gespielte Staple-Collage. Outro "Lauf" fällt mit schwermütiger Delivery und melancholischen Samples etwas heraus, gerät aber durch etwas zu formelhafte Produktion nicht bissig genug.

"Drauf Sein" ist so etwas wie das astreine griechische Restaurant in der deutschen Nachbarschaft, in dem man Pita-Gyros und Metaxa fast wie vor Ort serviert bekommt. Nur, dass im Internet-Zeitalter dem interessierten Genre-Hörer sowieso die Möglichkeit offen steht, sich nach Belieben in eine Taverne in Olympia zu setzen. So handwerklich hervorragend, so emotional glaubhaft die kurze EP auch sein mag, bleibt die deutsche Sprache im Grunde das einzige Pro-Argument, um sie den offensichtlichen Vorbildern in Großbritannien vorzuziehen.

Eine interessante Singularität in der hiesigen Szene also, die hoffentlich auch ein paar Hörer auf die lebhafte Szene auf der Insel aufmerksam macht. Im großen Ganzen der Dinge wird "Drauf Sein" aber eher ein klangliches Fundament für Spills weitere Arbeit im Grime-Genre darstellen. Denn jetzt, wo er bewiesen hat, dass er den Klang einwandfrei adaptieren kann, wird es Zeit für den spannendsten Schritt: Ein wirkliches Album, auf dem er Grime mit seiner eigenen musikalischen Identität vermengt und anreichert. Dann könnte er wirklich eine Zäsur in der Deutschrap-Landschaft setzen.

Trackliste

  1. 1. Drauf Sein
  2. 2. Baki
  3. 3. Muss Nix
  4. 4. Erklär Den Das
  5. 5. Lauf

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Sylabil Spill

"Er ist intelligent, exzellent, wortgewandt. Du nicht." So definiert sich Sylabil Spill selbst. Der gebürtige Kongolese, Jahrgang 1983, kommt 1991 nach …

4 Kommentare