laut.de-Kritik

Can't buy a thrill? Steely can!

Review von

Steely Dan zählen vermutlich zu den ungewöhnlichsten Bands der Musikgeschichte. Benannt nach dem eisernen Dildo aus William S. Burroughs Roman Naked Lunch passte die Gruppe um die beiden Gründer Donald Fagen und Walter Becker nie so richtig ins Muster der 70er-Jahre. Zur Blütezeit des klassischen Rock-Sounds mixten sie Pop, Jazz, Rock und Latin-Rhythmen. Anstelle von Hippie-Lyrics texteten sie mit viel Zynismus und Ironie. Und im Gegensatz zu anderen Bands aus der Zeit waren Steely Dan auch nie für ihre elektrisierenden Live-Auftritte bekannt.

Nein, die meiste Zeit verbrachten Fagen und Becker im Studio, Popstars wollten sie nie sein. Das zeichnete sich bereits früh in ihrer Karriere ab. Die beiden trafen sich erstmals Ende der 60er-Jahre am Bard College in New York. Als sie den Produzenten Gary Katz kennenlernten und dieser sie als Songwriter engagierte, wurde schnell klar, dass ihre Musik zu komplex und zu wenig poppig für die anderen Künstler bei ABC-Records war. Daraus entstand das Projekt Steely Dan, ergänzt durch die Gitarristen Denny Dias und Jeff 'Skunk' Baxter, Schlagzeuger Jim Hodder und Sänger David Palmer. Ihr Debüt gab die neue Formation 1972 mit "Can't Buy A Thrill".

Aufmerksamkeit bekam das Album zu Beginn hauptsächlich dank des Auftaktsongs "Do It Again", dem ersten Hit der Band. Trotz der Länge von fast sechs Minuten und dem Bossa Nova-ähnlichen Rhythmus, ohne jegliche Art von Bridge und mit einem schrillen Orgel-Solo erreichte "Do It Again" 1973 Platz sechs der US-Billboard-Charts und wurde später von bekannten Künstlern wie Waylon Jennings und Falco gecovert.

Der Song erzählt die Story eines von Gewalt, Frauen und Geld angetriebenen Protagonisten, gefangen im Dasein als Gewohnheitstier, verdammt, immer wieder die gleichen Fehler zu machen. Es ist ein großartiges Beispiel für die Songtexte von Fagen und Becker, die sich zwischen düsteren, ausgeklügelten Storylines, viel Humor und Sarkasmus, aber immer auch einer Prise Philosophie und den Grundsatzfragen des Lebens bewegen – auf eine meist völlig skurrile Art und Weise.

Die Worte zu Leben erweckte als Leadsänger meist Fagen (der ursprünglich übrigens gar nicht Frontmann werden wollte). Auf drei Tracks von "Can't Buy A Thrill" übernahmen andere die Main Vocals: Jim Hodder auf "Midnite Cruiser" und David Plamer auf "Brooklyn (Owes The Charmer Under Me)" und nicht zuletzt auf "Dirty Work".

Letzterer Song hat dank TikTok letztes Jahr erst eine Renaissance erlebt. Gemeinsam mit "Reelin' In The Years" und "Change Of The Guard" zählt "Dirty Work" zu den etwas klassischeren Pop-Rock-Songs, die den perfekten Kontrast zu den meist komplexen und jazzigen Tracks bilden. Das sanfte Clavinet packt einen einfach, und Jerome Richardsons Saxophon-Solo ist "perfekt untertrieben", wie es Steely Dan-Biograf Brian Sweet passend beschrieb.

Trotz variierender Leadsänger ist auf allen zehn Songs von "Can't Buy A Thrill" der typische Steely Dan-Sound unverkennbar. Grund dafür dürfte hauptsächlich der unbremsbare Perfektionismus von Fagen und Becker sein, der sie ausmachte wie kaum eine andere Gruppe. Ihr langjähriger Partner und Recording Engineer Roger Nichols beschrieb: "Sie hatten nie die Einstellung 'Es ist schon spät, das ist gut genug' oder 'Niemand sonst wird es merken'. Alles musste so perfekt sein, wie es technisch und menschlich möglich war."

Dieser Perfektionismus ist auch an den vielen Session-Musikern zu sehen, mit denen Fagen und Becker zusammenarbeiteten – ein weiteres Markenzeichen ihrer Musik. Ein gutes Beispiel dafür ist Elliott Randalls geniales Gitarren-Solo auf "Reelin' In The Years", das sogar Led Zeppelins Jimmy Page zu seinen absoluten Lieblings-Solos zählen soll. Um den Hang zur Unverbesserlichkeit deutlich zu machen: Donald Fagen selbst bezeichnete den Song im Rolling Stone 2009 als "dumm, aber effektiv".

Allgemein hat man den Eindruck, dass Fagen und Becker nicht nur musikalisch auf einer Wellenlänge waren, sondern auch durch ihren ähnlich strangen Humor ein perfect match. Inspiriert von einer klaren Vorstellung und doch unendlich variabel, mal mit lässigen, Percussion-getriebenen Tracks wie "Only A Fool Would Say That", mal mit dem jazzy Vibe auf unnachahmlichen Tracks wie "Fire In The Hole".

So genial sie musikalisch harmonierten – Cover-Artworks waren nie ihre große Stärke. Eher fällt es einem schwer, sich zu entscheiden, welches der Plattencover über die Jahre das unansehnlichste ist. Fagen und Becker haben selbst eine klare Antwort: auf den Liner Notes der Neuauflage vom 1976er-Album "The Royal Scam" bezeichnen sie die eigene Platte als "das hässlichste Album-Cover der Siebziger (mit Ausnahme vielleicht von Can't Buy A Thrill)." Das Artwork von "Can't Buy A Thrill" wurde im Spanien unter Francisco Franco übrigens verboten und durch ein Bandfoto ersetzt – wenn ein wahnsinniger Diktator dein Cover nicht leiden kann, dann musst du auf jeden Fall irgendwas richtig gemacht haben.

Richtig gemacht haben Steely Dan auf "Can't Buy A Thrill" sowieso einiges. Nicht umsonst fuhr die Platte in den USA Platin-Status ein, nicht umsonst führt der Rolling Stone sie in der Liste der 500 besten Alben aller Zeiten auf Platz 240. Hervorheben muss ich noch das versteckte Highlight und meinen persönlichen Lieblingstrack "Kings". Die unglaublich coolen Percussions, die ausbalancierten Harmonien und der fesselnde Groove verdeutlichen genau den Sound, der Donald Fagen und Walter Becker zu wahren "Kings" machte. Beckers Tod 2017 setzte dem dynamischen Duo ein Ende, ihre Musik hat sie längst unsterblich gemacht. Raise up your glass – to Steely Dan.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Do It Again
  2. 2. Dirty Work
  3. 3. Kings
  4. 4. Midnite Cruiser
  5. 5. Only A Fool Would Say That
  6. 6. Reelin' In The Years
  7. 7. Fire In The Hole
  8. 8. Brooklyn (Owes The Charmer Under Me)
  9. 9. Change Of The Guard
  10. 10. Turn That Heartbeat Over Again

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7 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 9 Monaten

    Absolutes Meisterwerk. Sehe persönlich aber „Gaucho" und „Aja" eher als Meilenstein an.

  • Vor 9 Monaten

    Die späteren, vermeintlich "eindeutigeren" Meilensteine wie Aja und Co. finde ich verglichen zum Debüt etwas "zu perfekt" und makellos. Von daher ist "Can't Buy A Thrill", rein subjektiv aus meiner Sicht, eine hervorragende Wahl.

  • Vor 9 Monaten

    So ziemlich sie weißeste Band, die es jemals gab. Der Flair einer gepflegten Hochzeitsband ist null mein Geschmack, aber irgendwas scheint Leuten daran zu gefallen, und für ihre Zeit sind die Produktionen ziemlich stark.

    • Vor 9 Monaten

      Also ich weiß nicht, nach welchem metric man das beurteilen kann aber die Aussage ist imo schon deswegen Quatsch, weil der legendäre Sessiondrummer Bernard Purdie den Sound der Band mitgeprägt und mit seinem "Purdie Shuffle" einen der legendärsten Grooves der Pop und Rockmusik geschaffen hat, der vor allem untrennbar mit den Steely Dan-Songs "Home at Last" und "Babylon Sisters" verbunden ist. Und Purdie ist nachweislich nicht weiß.
      Für weißeste Band versuch mal so was wie Train oder Weezer.