laut.de-Kritik

Sogar Chris Martin half beim Albumcomeback nach 14 Jahren.

Review von

Es erscheint wie eine kleine Sensation, mit der wohl schon fast keiner mehr rechnete. Zu lange beschränkten sich die raren Lebenszeichen von Sparta auf eine Handvoll neuer Songs und sehr sporadische Auftritte. 14 Jahre nach ihrem letzten, überaus erfolgreichen Werk "Threes" veröffentlichen die Texaner nun ihr viertes Album "Trust The River". Und anstatt einfach den altgedienten Mix aus Emo-/Post-Hardcore und Alternative-Rock zu reaktivieren, verwebt Hauptsongwriter und Ex-At The Drive-In-Gitarrist Jim Ward seine Wurzeln anno 2020 in ungewohnter Weise mit ruhigen, zum Teil folkigen Klängen. Für Sparta öffnet er damit völlig neue Wege.

Nach Wards Burnout 2008 und dem Hauptaugenmerk auf seine Akustiksoloalben sowie das Country-Americana-Projekt Sleepercar eine durchaus mutige Entscheidung, mit der nicht jeder Fan des alten Sounds konform gehen wird. Doch manchmal muss man eben Grenzen überwinden, um neue Freiheit zu erlangen. Besonders dann, wenn das Ergebnis so frisch, unverbraucht spontan und im Fluss klingt, wie das in nur drei Tagen mit Alt-Basser Matt Miller und Schlagzeuger Cully Symington (Okkervil River, Cursive) im Sonic Ranch-Studio bei El Paso live eingespielte "Trust The River". Einzig Leadgitarrist Gabe Gonzalez fügte seine Parts nachträglich bei. David Garza saß hinter den Reglern.

Dass Sparta sich auf dem vierten Longplayer in ein anderes Klanggewand hüllen, ließ sich bereits im November 2017 anhand der gestreamten Standalone-Single "Graveyard Luck" erahnen. Für die Band der erste neue Song nach zehn Jahren Stille. Statt Post-Hardcore gibt es in der lediglich zweiminütigen Nummer ein deutlich punkiges Grundgerüst mit straighter Gitarrenarbeit, galoppierenden Drums, treibendem Bass und einem äußerst eingängigen Refrain.

Fünf Monate später veröffentlicht die Band im Zuge der Ankündigung einer US-Tour das ebenfalls nur zweiminütige "Cat Scream", in dem sich Ward mit dem zentralen Vers "I come from a land of liars" auch wieder politisch äußert. "Als dieser Song, wie eine Peitsche von aufgeladenen Emotionen, aus mir herausbrach, wusste ich sofort, dass er zur Sparta-Familie gehörte" Erneut liefern die Texaner einen straighten Rocker samt durchgedrücktem Gaspedal und Mosh-Garantie.

In "Believe", der ersten Vorab-Single zum Album, gehen Sparta dann deutlich ruhiger zu Werke und zeigen Nähe zu Folkrock à la Bruce Springsteen oder The Gaslight Anthem. Ursprünglich schrieb Ward die Nummer vor über zehn Jahren für Sleepercar, wusste sie aber erst jetzt für Sparta adäquat zu beenden. Als Gastgitarrist spielt Carlos Arévalo von der L.A.-stämmgien Latino-Band Chicano Batman mit. Auch wenn diese Soundmischung erst mal ungewohnt und enorm überraschend klingt, besitzt "Believe" vor allem im kurzen Refrain jede Menge Ohrwurmpotential.

"Trust The River" lebt vollständig von Wards Texten, seinem geschicktem Händchen, alle Einflüsse idiosynkratisch zu kanalisieren und diese mit einem untrüglichen Gespür für griffige, sofort packende Melodien zu kombinieren. Egal ob im stampfenden "Class Blue", dem von Jimmy Eat World-Frontmann Jim Adkins inspirierten "Miracle", dem von Basser Matt Miller geschriebenen und von Ward mit einem Text über die gesellschaftliche Leere nach der geplatzten Immobilienblase versehenen, leicht poppigen "Empty Houses" oder dem lebendigen, etwas an frühe Holy Holy erinnernde "Turquoise Dream" mit seinem mitreißenden Refrain. Die Songs knallen einfach und stehen Sparta gut zu Gesicht – vorausgesetzt, man löst sich vom starren Schubladendenken.

"Trust The River" besticht aber nicht nur mit einprägsamen Rockern, sondern auch mit richtig schönen Downtempo-Balladen, die man in dieser Form von Sparta bisher so nicht kannte. Das trifft nicht nur auf das melancholische, von einem wirkmächtig schlichten Klavierlauf getragene "Dead End Signs" zu, in dem Ward mit hervorragender Stimmführung von den Einbahnstraßen im Leben singt. Auch das grandios sinistre "Spirit Away" entpuppt sich schon bei den ersten Tönen als absolutes Highlight.

In der bedrückend kafkaesken Schauerballade erzählt Ward die Geschichte eines Irren, der eine Frau gefangen hält. Konsequent, dass der Track diesen polaren Gegensatz der Protagonisten auch musikalisch transportiert und dem sehr dunklen, an Madrugada-Sänger Sivert Høyem erinnernden Gesang Wards die glockenhelle Stimme von Gastsängerin Nicole Fargo gegenüberstellt. Der Clou am Text von "Spirit Away": Ward bat Fargo, ihre Textabschnitte aus weiblicher Perspektive auf das männlich ausgelöste Martyrium selbst zu verfassen. Dadurch transportiert der Track eine unglaublich dichte und spannungsgeladene Atmosphäre. Nicht zuletzt wegen dieses Duetts drängen sich Verweise an Nick Caves und Kylie Minogues "Where The Wild Roses Grow" regelrecht auf.

Dass Ward Sparta heutzutage "nicht mehr so sehr als Band, sondern eher als ein Kollektiv" sieht, manifestiert sich vielleicht am besten im würdigen und gemütlich groovenden Finale "No One Can Be Nowhere". Zusätzlich zu den stimmungsvollen, von Produzent Garza improvisierten Mellotronklängen enthält die Nummer zum Abschluss noch eine faustdicke Überraschung.

Coldplay-Sänger Chris Martin besorgte für "No One Can Be Nowhere" nicht nur das Arrangement, sondern steuert ganz nebenbei auch noch die verträumten Sounds des Fender Rhodes bei. Ward selbst durchlebt im Text ein Bad aus bitterer, retrospektiver Selbsterkenntnis, die für ihn erst den Ausschlag dazu gab, sich auf das Wesentliche zu fokussieren und positiv nach vorne zu blicken. Das zeigt sich vor allem zu Ende des Tracks, wenn Ward in bester stimmlicher Verfassung befreit immer wieder den Liedtitel "No one can be nowhere" fast wie früher schreit. Niemand muss in Nostalgie schwelgen, wenn die Gegenwart derart frisch klingt.

Sparta gelingt mit "Trust The River" ein großartiges Album mit schönen, sofort ins Ohr gehenden Melodien. Dennoch: Alle, die eine Platte im Stile des alten Sounds vor 14 Jahren erwarten, könnten enttäuscht sein. Wer sich aber vom selbsterschaffenen Konstrukt strikter Erwartungshaltungen lösen kann, der wird ein schnörkelloses, direktes Album voller köstlicher Momente entdecken. Zwar hätte die Platte durchaus etwas länger als nur 33 Minuten dauern können. Aber sollten wir nicht alle gerade aus den heutigen Zeiten lernen, dass Qualität manchmal eben doch wichtiger ist als Quantität?

Trackliste

  1. 1. Class Blue
  2. 2. Cat Scream
  3. 3. Turquoise Dream
  4. 4. Spirit Away
  5. 5. Believe
  6. 6. Graveyard Luck
  7. 7. Dead End Signs
  8. 8. Miracle
  9. 9. Empty Houses
  10. 10. No One Can Be Nowhere

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4 Kommentare mit 7 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Das "Sogar Chris Martin half mit..." sollte normalerweise eine Einleitung zu einer 2/5-Review sein. Ich bin also nicht sicher, ob die Rezension nicht ironisch ist.

    • Vor 4 Jahren

      Ironie. ganz dünnes eis. lol

    • Vor 4 Jahren

      Unsicherheit über Ironie ist bei laut.de niemals schlimm. Hier gibt es einige, die sich sehr gut auskennen :).

    • Vor 4 Jahren

      Man munkelt ja, es gebe wirklich Menschen, die Chris Martin nicht für ein Geschwür am Arsch der Musik halten. In der Regel schreiben sie auch derart vor sich hin, daß sie einfach ein wenig einfach wirken. Da kann ich wirklich kaum noch ausmachen, ob ich nicht gerade die TITANIC lese.

    • Vor 4 Jahren

      jetzt nimm diesen moment und potenziere ihn. dann bekommst du ungefähr einen eindruck, wie es sich anfühlte, als der tag kam, da die realität ungefähr zu dem wurde, was bei southpark vor 14 jahren karikiert worden ist.

    • Vor 4 Jahren

      Ist mir auch schon aufgefallen. South Park lag und liegt in so vielem richtig, daß es schon unheimlich ist. Die Realität ist mittlerweile schon so kontrafaktisch bis albern, daß die Serie nicht nur bezeichnenderweise unverstanden bis unbeliebt ist, sondern ihr bewährtes Mittel der Übertreibung sich im Grunde schon erübrigt hat.

    • Vor 4 Jahren

      ...was die beiden Macher ja vor ca. 2 Jahren selbst schon ähnlich formuliert haben.

  • Vor 4 Jahren

    Nach dem Hören der Vorabstücke war ich mächtig enttäuscht darüber, was Ward und seine Mitstreiter da abliefern, das klang alles eher uninspiriert und lahm, zudem kam Wards Stimme sehr dünn rüber. Die Vorabsongs gewinnen allerdings im Albumkontext doch an Stärke und ein paar Highlights (bspw. der Opener), haben Sparta sich bis zur Veröffentlichung aufgehoben. Ist also doch nicht so schlimm geworden, wie zunächst befürchtet. 3/5 ist allemal drin. Mal gucken, wohin meine Tendenz nach den nächsten Durchläufen geht.

  • Vor 4 Jahren

    Ich mag es, bei einer Band nach 14 Jahren mal wieder reinzuhören und zwischendrin nix Grundlegendes verpasst zu haben, auch wenn die Rezi ja eine unerwartete Entwicklung der Band beschreibt. Ein Album wie "Threes" in 2020 zu bringen könnte aber auch kaum anachronistischer wirken... Werde am Wochenende einen Satz Ohren riskieren!