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Datum: 23. April 2009
Location: Haus der Kunst
München
Alle Termine ohne Gewähr

Review

laut.de-Kritik

Die New Yorker Noiserock-Legenden trafen auf Gerhard Richter.

Review von Thomas Klaus

Die Mutter aller Indiebands - live im Münchner Haus der Kunst zu Ehren Gerhard Richters. Verstärkt durch Ex-Pavement-Bassist Mark Ibold zollten Kim Gordon, Thurston Moore, Lee Ranaldo und Steve Shelley dem einflussreichen deutschen Maler im Rahmen der Ausstellung "Abstrakte Bilder" (noch bis zum 17. Mai) musikalisch Tribut.

Und man darf sagen, hier begegneten sich Ausnahme-Künstler auf Augenhöhe: Die dissonanten Gitarrenflächen der New Yorker Noiserock-Heroen trafen auf die abstrakten Farbschichten Richters. Es gäbe wohl kaum ein passenderes Setting für ein Sonic Youth-Konzert. Schon vor der Bandgründung 1981 waren die einzelnen Mitglieder tief in der avantgardistischen Kunstszene verwurzelt.

Wie sich Bassistin Kim Gordon erinnert, flossen für sie "Musik und Kunst irgendwie aus derselben Energie" - und sind im Kontext des innovativen Indierock-Ensembles seit jeher untrennbar miteinander verbunden. Von Beginn an arbeiteten Sonic Youth interdisziplinär mit zeitgenössischen bildenden Künstlern, Fotografen, Modedesignern, Filmemachern und Schriftstellern wie Richard Kern, Lydia Lunch, Mike Kelley, Sofia Copolla oder Raimond Pettibon zusammen.

Das Cover des wegweisenden Albums "Daydream Nation" wurde zu einer Art Pop-Ikone: Auch wer Gerhard Richters Werk nicht kennt, dürfte dank Sonic Youth und jenem Postpunk-Meilenstein von (1988) zumindest sein Gemälde "Kerze" kennen, das vergangenes Jahr bei einer Kunstauktion in London für schlappe 10,5 Millionen Euro verkauft wurde. Das Motiv der brennenden Kerze bildete die perfekte Antithese zum versperrt krachigen und hektischen Sound. "Uns gefiel es, ein Cover zu haben, das nicht nach Punk aussieht, wo das Äußere nicht mit dem Inneren übereinstimmt – wie ein trojanisches Pferd", so Kim Gordon.

An diesem Abend in München passt dann auch (fast) alles zusammen. In ehrfurchtsvoller Stille bahnen sich die circa 1.000 Fans nach und nach den Weg an den Ausstellungsräumen vorbei zum Westflügel des Museums. Kein Sicherheitspersonal, keine eingehenden Leibesvisitationen – hier scheint eine Band ihren Fans noch zu vertrauen. Das Gros des Ü-30-Publikums dürfte seine wilden Tage auch längst hinter sich haben – den schrammeligen Radau überlässt man lieber den ebenfalls leicht in die Jahre gekommenen Protagonisten auf der Bühne.

Zu Dosenbier der obersten Preiskategorie wird noch gerätselt, was sie wohl spielen werden. Etwa die komplette "Daydream Nation"? Das neue, am 5. Juni erscheinende Album "The Eternal"? Doch improvisierte Noise-Orgien oder gar ein ein Hit-Potpourri? Passend zur laufenden Sonic Youth-Ausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf entscheidet sich die Band trotz ungebrochener Kreativität für eine Retrospektive. In viel zu kurzen und für lärmerprobte Ohren etwas zu leise abgemischten 60 Minuten spielt sich das Quintett mit Leib und Seele quer durch die beachtliche Diskographie.

So schaffen es "Bull In The Heather" (vom Album "Experimental Jet Set, Trash And No Star", 1994) und eine groovelastige, dezent entschleunigte Version von "100%" ("Dirty", 1992) in die Setlist. "Daydream Nation" ist mit "'Cross The Breeze" und "Hey Joni" ebenso vertreten wie der letzte Paukenschlag "Rather Ripped" (2006). Neben "Jams Run Free" schließt dessen Perle "Pink Steam" das reguläre Programm in einem furiosen Finale ab, bevor "Expressway To Yr. Skull" ("Evol", 1986) eine grandios ausufernde Zugabe garantiert.

Thurston Moore lässt es sich zu guter Letzt natürlich nicht nehmen, in guter alter Tradition Gitarrenhals auf Speaker-Kante treffen zu lassen. Das gepflegte Feedback gehört schließlich zu Sonic Youth wie Siegfried zu Roy. Der begeisterte Applaus des verzückten Publikums bestätigt zudem die Songauswahl – dazu wird vielerorts Ausdruckstanz der abenteuerlichsten Sorte geboten. Offenbar haben einige der Anwesenden verdammt lange darauf warten müssen, die Helden ihrer Jugend einmal live erleben zu dürfen und nehmen jeden verstimmten Ton breit grinsend in aufrichtiger Dankbarkeit entgegen.

Apropos Jugend – der Zahn der Zeit scheint in gewisser Weise einen Bogen um die Bandmitglieder gemacht zu haben: Wenn sich Lee Ranaldo das silbrig schimmernde Haupthaar färben würde, käme kein rosarot bebrillter Fan auf den Gedanken, dass hier Independent-Legenden jenseits der 50 am Werk sind - zumindest nicht aus 15 Meter Sicherheitsabstand. Wenn sich Moore und Ranaldo für jeden Track eine andere übelst zugerichtete Sechssaitige aus dem Gitarrenbataillon umhängen und diese mit Drumsticks zu bearbeiten, Kim Gorden entrückt die Arme kreisen lässt und Steve Shelley seinen Toms die Sporen gibt, sieht das immer noch so vital, juvenil und anarchisch schön aus wie im Tourfilm "1991: The Year Punk Broke". Gut, dass sich manche Dinge nicht ändern.

Artistinfo

LAUT.DE-PORTRÄT Sonic Youth

New York anno 1981: Punk is dead, New Wave ist angesagt. Thurston Moore und seine Freundin (und spätere Ehegattin) Kim Gordon schließen sich mit Lee …