28. Januar 2011

"Ich habe mich arrangiert"

Interview geführt von

Bei der Wahl des Hotels hat das Label kein wirklich glückliches Händchen, denn wenige Meter weiter ist die Stadt gerade damit beschäftigt, einen Gully auszupumpen.Der Fäkalgeruch breitet sich bis in die Lobby und den Speisesaal des Hotels aus. Nasenklammern sind leider keine zur Hand, also hängt man den Riechkolben so weit wie möglich in die Tasse Kaffee und wartet, dass es losgeht.

Glücklicherweise ist der Geruch nach menschlichen Ausscheidungen nicht bis ins Interviewzimmer von Mike Ness vorgedrungen, und so sitzt mir ein entspannter, höflicher, in seinem grauen Pullover und mit gewohnter Schiebermütze bekleideter Mike Ness gegenüber, der fast schon ein wenig bieder wirkt. Von einem Rock Rebel erwartet man eigentlich was anderes, aber gut.

Mike, du bist quasi gerade erst von der letzten US-Tour wieder zurück. Habt ihr da bereits die ersten neuen Songs gespielt?

Ja, den ein oder anderen. Wir waren sieben Wochen am Stück unterwegs, das war stellenweise ganz schön harte Arbeit. Ein paar Songs haben wir schon mal vorgestellt, aber ich wollte noch nicht zu viel vom neuen Album offenbaren. Die Veröffentlichung in den USA und Europa ist beinahe zeitgleich, also müssen auch die Fans bei uns daheim noch ein wenig warten.

Das Cover hat ja beinahe Lollipop-Charakter. Das macht so einen fröhlichen Eindruck und wenn man sich dann "California (Hustle and Flow)" anhört, fühlt man sich in dem Eindruck zusätzlich bestätigt.

Ja, findest du? Ich denke eigentlich, dass das Cover eher was anderes ausdrückt. Die Aufnahme ist aus der Dust Bowl Area, und fröhlich ist nicht unbedingt das Wort, das diese Gegend und die Lebensumstände dort beschreibt. Aber ich verstehe, wenn der Schriftzug den Eindruck erweckt. Wir wollten das Ganze ein wenig im Stile eines Magazins oder Buchs halten. Im Zusammenhang mit dem Titel des Albums "Nursery Rhymes" (zu Deutsch: Kinderlieder) ist der Schriftzug entsprechend gestaltet und von daher auch ein wenig fröhlich, das stimmt schon. Aber "California" empfindest du als fröhlich? Hm, ich würde ihn als ein wenig anders bezeichnen, als was man von uns gewohnt ist, aber nicht wirklich als fröhlich. Hat er dich denn fröhlich gemacht?

Ich fühl mich jedenfalls jedes Mal richtig gut, wenn ich den Song höre, ja.

Ok, dann kann ich das so stehen lassen (lacht). Freut mich zu hören. Meine Einflüsse kommen von Bands und Künstlern wie den Ramones, Rolling Stones, Hank Williams oder Johnny Cash. Aber all diese Musiker haben so viele, unterschiedliche Seiten und Aspekte in ihrer Musik. Und denen kann man sich von mehreren Seiten aus nähern. Wir wollen heutzutage einfach wie eine gute, amerikanische Rock'n'Roll Band klingen. Ich könnte jederzeit eine Punk Scheibe aufnehmen und entsprechende Songs schreiben, aber wenn ich eine Platte mache, dann möchte ich den Leuten damit zeigen, was ich über die Jahre gemacht und gelernt habe. Wir sehen uns im Grunde immer noch als eine Punk Band und unsere Wurzeln sind auch nach wie vor tief im Punk vergraben. Aber ich bin damals mit Bands wie den Beatles oder den Stones aufgewachsen, lange bevor ich die Sex Pistols oder The Clash gehört habe und das kommt einfach irgendwann wieder zurück.

Ich mag mich vielleicht irren, aber das ist doch das erste Mal, dass du mit weiblichen Backing Vocals arbeitest. Wie kam es dazu?

Geplant war das eigentlich nicht. Ich hab den Song geschrieben und als wir ihn aufgenommen hatten, haben wir die Sachen zuerst selber versucht einzusingen, aber das hat irgendwie nicht wirklich gut geklungen. Ich wollte das dann mit ein paar Mädels machen, und das hat den Song echt auf ein ganz neues Level gehoben. Also haben wir das Ganze auch gleich noch bei "Can't Take It With You" versucht und es hat ebenfalls fantastisch funktioniert. Die Idee war also eher spontan und wir haben es einfach ausprobiert. Manchmal ist es wirklich so einfach. Man probiert etwas aus und auf einmal hat man etwas Großartiges geschaffen.

Der Pressezettel vom Album spricht in Zusammenhang mit "California" von einen Tribut an die Rolling Stones. Ich persönlich fühle mich allerdings eher an Bruce Springsteen erinnert.

Das eine schließt das andere ja nicht aus (lacht).

Da hast du wohl recht. Mit Springsteen hast du in den letzten Jahren ja auch schon ein paar Mal gemeinsam auf der Bühne gestanden. Wie gut kennt ihr euch denn inzwischen.

Naja, wir hängen nicht dauernd zusammen rum oder telefonieren ständig, aber ich habe ihm noch vor meinem Abflug nach Deutschland eine Kopie von "Hard Times And Nursery Rhymes" geschickt und ich bin wirklich gespannt, was er dazu sagt. Er war einer der ersten, der eine fertige CD bekommen hat, einfach weil ich ihn als Musiker und Mensch sehr bewundere und er ein ausgesprochener Fan von Social Distortion ist. Einen wie The Boss als Fan und somit mit im Team zu haben, ist einfach großartig. Wir haben ein paar Mal zusammen gespielt und es war mir jedes Mal eine große Ehre.

Dann wäre doch eigentlich der nächste, naheliegende Schritt, mit ihm zusammen einen Song oder vielleicht sogar ein Album aufzunehmen. Habt ihr da noch nie drüber gesprochen?

Nicht wirklich. Aber ich würde das keineswegs ausschließen. Von mir aus können wir da jederzeit mit loslegen (lacht). Ein Akustikalbum mit ihm zusammen könnte ich mir sehr gut vorstellen. Als ich mit der Mike Ness Band unterwegs war, hat er das letzte Mal ein paar Songs mit uns gespielt. Bruce und ich haben uns zusammen mit den akustischen Gitarren bei uns im Bus aufgewärmt und – ich habe wirklich noch nie so was Tolles gehört, wie unsere Stimmen zusammen. Wir harmonieren stimmlich einfach perfekt zusammen und ich hoffe wirklich, dass wir mal etwas gemeinsam aufnehmen. Ich bin mittlerweile ein Riesen-Fan von ihm, obwohl ich mich erst die letzten fünf Jahre wirklich mit seiner Musik beschäftigt habe.

Echt? Du hast dich also quasi erst mit seiner Musik beschäftigt, als du gehört hast, dass er ein Fan von Social Distortion ist?

(Schmunzelt) Ja, schon, erzähl ihm das nicht.

"Ich wollte angeben"

In die Verlegenheit werd ich wohl nie kommen. Warum hast du "Hard Times And Nursery Rhmes" eigentlich selber produziert? Ist das nicht zusätzlich ein Haufen Arbeit?

Das schon, aber ich hab in Zukunft auch vor andere Bands zu produzieren und da bietet es sich natürlich an, erst mal bei der eigenen Band zu experimentieren und Erfahrungen zu sammeln. Außerdem, jetzt,da ich das selber in der Hand halte, hab ich mich gefragt, warum ich das nicht schon vor Jahren gemacht habe. Nicht, dass ich die Arbeit mit den ehemaligen Produzenten schlecht machen will, ganz im Gegenteil. Schließlich hab ich da viel gelernt, aber wenn man selber alles in der Hand hat und alles überwachen und bearbeiten kann, dann hat man zwar mehr Verantwortung, aber auch alle Freiheiten, zu tun was man will. Ich kann mich jetzt voll und ganz auf Details und Kleinigkeiten konzentrieren und die so lange bearbeiten, bis ich damit vollkommen zufrieden bin.

Hat das für dich ebenfalls einen kreativen Aspekt? Ich persönlich hasse diesen Teil der Aufnahmen ganz besonders, weil man seine Songs immer und immer wieder anhören muss, bis alles wirklich stimmt. Das macht mich immer wahnsinnig.

Nein, mich überhaupt nicht. Ich mag das sogar sehr, denn es gibt mir die Möglichkeit alles zu ändern, was mir nicht gefällt. Es gibt immer wieder Songs, die ich eingesungen habe und nach einiger Zeit höre ich mir die wieder an und denke mir: Das kannst du besser! Und dann fang ich eben noch mal an und meistens wird es dann auch besser. Ich kann selber entscheiden, wie viel Arbeit und Zeit ich in einen Song und ein Album investiere und das bietet deutlich mehr Freiheiten. Die Songs auf der Scheibe sind ja auch weitgehend von mir. Ein paar Sachen habe ich mit meine Gitarristen Johnny Wickersham ausgearbeitet, doch das meiste ist von mir.

Triffst du eine Vorauswahl, was du für Social Distortion und was du für deine Soloband an Songs verwendest?

Ja klar, aber nicht von vorne herein, sondern das kristallisiert sich irgendwann während des Songwritings heraus, ob eine Nummer bei Social Distortion funktioniert, oder eher was für die Mike Ness Band ist. Das klappt allerdings nicht immer so leicht und stellenweise bin ich mir wirklich nicht sicher, für welche Band ich einen bestimmten Song verwenden soll, weil er in beiden Kontexten funktionieren würde. Aber meistens ist die Sache relativ schnell klar.

Verlässt du dich dann komplett auf deine eigene Intuition, oder ziehst du auch mal den Rest der Band, die Familie oder komplett Außenstehende zur Hilfe?

Wenn ich mir wirklich unsicher bin, frag ich natürlich auch andere um Rat. Letztendlich ist es aber dann meine Entscheidung, was mit den einzelnen Songs passiert.

Du hast dir ja 2006 beim Skaten das Handgelenk gebrochen. Stehst du nach wie vor auf dem Brett?

Ja, allerdings nicht mehr auf der Straße (lacht). Ich surfe sehr gern, da fällt man weicher. Als ich mir das Handgelenk gebrochen habe, wollte ich ein bisschen angeben und hab ein paar Tricks versucht, die irgendwie nach hinten losgegangen sind. Ohne Helm und ähnlichen Schutz sollte man einfach keine Berge runter brettern. Vor allem in einem gewissen Alter nicht mehr.

Auf eurer MySpace-Page hab ich gesehen, dass du PETA unterstützt. Leider konnte ich mir das dazugehörende Video nicht anschauen, wegen dem Ländercode. Um was ging es denn da?

Ach, die haben mich einfach ein wenig interviewt. Ich bin auch Vegetarier seit elf Jahren. Damit hat das Ganze eigentlich angefangen. Nach und nach habe ich mir immer mehr Gedanken über meine Art zu leben und den Umgang mit Tieren gemacht und so bin ich schließlich auch bei Organisationen wie Greenpeace oder PETA gelandet. Ich bin der Meinung, dass es eben nicht ausreicht, wenn man einfach nur für sich nach bestimmten Richtlinien lebt. Wenn man wirklich was erreichen will, auch bei anderen Menschen, dann muss man Greenpeace oder PETA auch aktiv unterstützen. Ich bin mittlerweile in einer Position, in der ich als Vorbild agieren kann. In der die Leute sehen, was ich mache und sich vielleicht dann selber ihre Gedanken über sowas machen. Was aber nicht bedeutet, dass ich deswegen ein großes Fass aufmache. Ich will den Leuten nichts predigen oder vorschreiben. Es geht eher darum, ein Beispiel zu geben. Wenn man mich darauf anspricht, rede ich gern darüber, aber ich bringe das Thema nicht selber auf den Tisch.

Auch was die Texte auf dem neuen Album angeht hältst du dich in Sachen Politik und Sozialkritik ziemlich zurück.

Ja, das stimmt. Ich habe durchaus versucht, mich auch in der Beziehung wieder als Texter zu versuchen, aber irgendwie ist es mir nicht wirklich gelungen. Irgendwie blieb alles zu sehr an der Oberfläche, nichts mit wirklichen Tiefgang oder einer echten Message. Dann lass ich es eben lieber sein und schreibe über andere Dinge.

Ist das das Bush-Syndrom, mit dem auch Al Jourgensen von Ministry zu kämpfen hat? Kann man nur glaubhaft über politische und soziale Missstände schreiben, wenn ein Bush oder ein anderer Republikaner an der Macht ist?

Ja, vermutlich ist das so (lacht). Ich bin es gewohnt über eigene Erfahrungen zu schreiben und für Politik oder ähnliches habe ich mich nie sonderlich interessiert. Deswegen habe ich auch weitgehend über die inneren Dämonen geschrieben, die mich und vermutlich jeden Menschen beschäftigen und gegen die wir ankämpfen.

Was du hier sagst und die Art und Weise wie du mir gegenüber sitzt, wirkt sehr abgeklärt und in sich ruhend. Wie lässt sich das denn mit dem Zitat auf der Black Kat Customs-Page (Klamottenlabel von Mike) unter einen Hut bringen? Da heißt es: "Ich habe Black Cat aus denselben Gründen gegründet, wie die Band – ich hasste alles andere."

Ist doch ein schönes Zitat (grinst). Du hast schon recht, ich bin nicht mehr der wütende, hasserfüllte Jugendliche, der ich mal war. Ich habe mich mit gewissen Dingen abgefunden oder arrangiert. Entsprechend gelassener kann ich heute mit vielen Dingen und Situationen umgehen. Wut ist durchaus ein Gefühl, dass man haben darf und das man sich vielleicht auch bewahren sollte. Allerdings sehe ich keinen Sinn mehr darin, als wütender Mensch durchs Leben zu gehen. Man verpasst einfach zu viel und macht sich und sein Umfeld auf Dauer nur kaputt. Es gibt natürlich immer noch einige Dinge, die mich wütend machen, aber ich will mich auf keinen Fall von meiner Wut auffressen lassen.

Wenn man einen Song wie "Still Alive" betrachtet, ist das dann so was wie ein Resümee?

Hm, in gewisser Weise schon. In dem Song reflektiere ich die Zeit, die vergangen ist, seit ich die Band gestartet habe und wie mir alle möglichen Leute erzählen wollten, dass ich das auf Dauer nicht durchhalten kann und dass ich eh alles falsch angehe und so weiter. Ich habe allen letztendlich das Gegenteil bewiesen und ich bin nicht nur immer noch da, ich bin auch in einem angenehmen Rahmen erfolgreich mit dem, was ich tue.

Und dein Sohn scheint in deine Fußstapfen treten zu wollen. Ich hab gelesen, dass er auch live schon mal mit dir gespielt hat.

Das ist richtig. Er ist auf dem besten Weg auch Musiker zu werden. Wir hatten ein paar sehr raue Jahre, in denen nicht alles glatt lief. Er ist jetzt 18 und mir sehr ähnlich. Im positiven wie im negativen Sinne. Das ist toll, aber manchmal auch ein wenig beängstigend. Aber mittlerweile ist er auf einem guten Weg. Ich unterstütze ihn, wo ich kann, aber ich werde ihn zu nichts drängen. Er muss das von sich aus wollen. Für mich ist die Musik eigentlich alles, was ich habe. Von daher ist es für mich persönlich kein Problem, fokussiert zu bleiben, auch als es früher noch deutlich härter war. Ich unterstütze ihn gern, aber er muss das auch selber wollen. Ich werde ihn zu nichts drängen. Aber ist auf einem guten Weg und ich bin zuversichtlich. Das war nicht immer so, denn ich habe mir lange Zeit wirklich Sorgen gemacht, dass er in ähnliche Situationen gerät, wie ich früher. Wie gesagt, wir hatten ein paar schwierige Jahre und ich hab den Song "Writing On The Wall" für ihn geschrieben. Ich glaube und hoffe, dass er aus dem Gröbsten raus ist.

Da mich deine Promoterin gerade dezente auf die abgelaufene Zeit hinweist, möchte ich dich noch um einen Buchtipp bitten. Was liest du denn gerade und ist das empfehlenswert?

Oh ja, ich lese gerade "The History Of The United States" von Howard Zinn. Im Wesentlichen schreibt er darüber, dass Geschichte maßgeblich von den Siegern geschrieben wird. Das geht von der Zeit, als Kolumbus in Amerika gelandet ist, bis heute. Es dreht sich um das Thema Wahrheit und wie sie ausgelegt wird. Ein sehr faszinierendes Buch, wenn du mich fragst.

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