9. März 2009

Die Sehnsucht nach dem Absoluten

Interview geführt von

Arme Anja Plaschg, was musste die 18-Jährige nicht schon alles an Vorschusslorbeeren schultern: Sie sei das neue österreichische "Wunderkind", eine "Pop-Sensation". Zudem wird sie immer wieder mit Nico verglichen, der großen Velvet Underground-Sängerin. Dabei hat Plaschg alias Soap&Skin bisher nur eine EP (auf der sie auch Nico covert) veröffentlicht.Am 13. März folgt endlich das Debütalbum "Lovetune For Vacuum" mit düsteren Klangperlen zwischen Klassik und Elektronik. Plaschg, die seit ihrem siebten Lebensjahr Klavier spielt, stammt aus einem Dorf in der Steiermark, lebt inzwischen in Wien und schickt sich an von dort, wenn nicht die Welt, so doch zumindest Deutschland zu erobern. Was aber geht vor in dieser fragilen Ausnahmeerscheinung?

Laut.de trifft Soap & Skin im Hamburger Büro des Plattenlabels PIAS. Plaschg ist ganz in schwarz gewandet, so wie man das von ihren Auftritten kennt. Nur der Ring mit der grünen Computerplatine fällt aus dem Rahmen (siehe News zur Premiere des Missy Magazines). Große Löcher zieren ihre Strümpfe, immer wieder zieht Anja an einer selbstgedrehten Zigarette. Was nun folgt, ist alles andere als leicht: Frau Plaschg lässt sich viel, sehr viel Zeit bei der Beantwortung der Fragen. Dazwischen: beklemmendes Schweigen. Sie spricht extrem leise und gedämpft, so als würde sie sich jedes Wort mit letzter Kraft entringen.

Hast du eine Idee, wie es kommt, dass eine so junge Frau so traurige und melancholische Musik macht?

Schon, aber ... (langes Schweigen und verlegenes Lachen)

Schwierige Frage?

Na ja, wenn man glücklich ist, muss man ja nichts machen. Es wäre doch dumm, sich einem Glück nicht hinzugeben. Und wenn nicht, dann ...

Du meinst, wenn es einem eh gut geht, braucht man keine Musik dazu?

Glück ist das eine, aber ich glaube der andere Bereich ist viel komplexer.

Auf deinem Album finden sich Titel wie "Extinguish Me" oder "Brother Of Sleep". Woher rührt deine Faszination für die düstere Seite?

Ich kann nur versuchen, als Anja Plaschg intellektuell darüber zu reflektieren, weil für Soap&Skin ist das in einer Phase des Schaffens total unmöglich.

Du unterscheidest zwischen Anja Plaschg und Soap&Skin?

Damit wollte ich bloß sagen, dass Soap&Skin bestimmt nicht fähig ist, über all das zu reflektieren.

Du hast mal davon gesprochen, du hättest eine Art Monster erschaffen. Etwas worüber du keine Kontrolle hast?

Hmm. Ja, schon ...

Macht dir das manchmal Angst?

Natürlich, aber ...

Das bist ja immer noch du, die das erschaffen hat.

Ich hab mehr das Gefühl, dass ich ein Gefäß bin. Und zur Frage, woher das kommt: Ich sehne mich nach dem Absoluten in der Musik und ich fühle eine Ahnung davon. Und der Tod steht nun mal am Schluss, neben dem alles klein wird. Man kann ihn zwar nicht sehen, aber er ist immer da. Also, man kann ihn schon sehen, aber es kann niemand von ihm erzählen. Das ist alles wundervoll.

Hast du denn schon Erfahrungen gemacht mit dem Tod?

Na ja, schon. Aber darüber spreche ich nicht.

Verarbeitest du in deinen Stücken explizit deine Kindheit? Du singst ja auch: "When I was a child ..."?

Hmm ... Ja, so wortwörtlich genommen wäre das zu banal (lange Pause). Was war noch mal die Frage?

Es gibt nicht wenige Menschen, die das Ende ihre Kindheit mit melancholischen Gefühlen sehen. Ist das bei dir ähnlich?

Ich arbeite nicht so sehr mit dem Zurückblicken, eher mit dem Unterbewusstsein. Es geht um Schnitte und Einprägungen. Man entscheidet schon als Kind so unermesslich viel.

Vom allgegenwärtigen Tod

Gibt es auch äußere Einflüsse, etwa Bücher oder Filme?

Nein, wenn dann sind das Erfahrungen.

Zum Beispiel?

Das Stück "The Sun" entspringt einer Erfahrung mit einem Fahrradunfall.

... den du hattest?

Ja.

Bei Fahrradunfall muss ich an Nico denken. (Nico starb 1988 nach einem Fahrradunfall auf Ibiza, Anmerk. d. Red.)

Du kennst meine EP, wo "Janitor Of Lunacy" (ein Nico-Song, Anmerk. d. Red.) drauf ist?

Ja. Bist du mittlerweile der ganzen Nico-Vergleiche überdrüssig? Ist sie wirklich jemand, zu dem du aufblickst?

Es ist schwierig, gegenüber den Medien zu benennen, was das ist. Denn sie ist gewiss kein Vorbild für mich. Und ich sehe auch meine Musik gar nicht so nah an ihrer. Aber trotzdem geht mir das, was sie gemacht hat, persönlich sehr nahe. Und ich kenn' sonst keine Musik, wo das ähnlich ist.

Ist es nur die Musik oder auch ihre Biografie? Sie war ja eine recht ambivalente Person. Die Musik einerseits, dann die Heroinsucht ...

Viele Dinge, die sie gesagt hat, scheinen mir einleuchtend. Zum Beispiel: "Ich bin zu schüchtern, um Schauspielerin zu sein". Das Zitat kennst du sicher. Auch ihre Beschreibungen, woher sie die Musik holt. So ganz Underground, ganz von unten (lacht).

Hättest du sie gern mal getroffen?

Ich hab mit James Young aus ihrer letzten Band The Faction gesprochen und der sagte zu mir, dass Nico mich wohl nicht gemocht hätte, weil sie so eifersüchtig war und keine jüngeren Frauen mochte. Das kann ich verstehen.

Noch mal zu dem Zitat, dass Nico zu schüchtern gewesen sei zum Schauspielern. Würdest du dich selbst als schüchtern bezeichnen? Bei deinen Auftritten machst du teils durchaus einen verängstigten Eindruck, obwohl du dort auch sehr expressiv sein kannst.

Schüchtern würde ich nicht sagen.

Kann man das irgendwie in Worte fassen, was du bei Konzerten empfindest?

Ich bin völlig für mich und will alles geben. Und das Publikum ist einfach da. Es ist irre, quasi ein jahrelang aufgebautes Werk kompakt in eine Stunde zu fassen. Es sind dann die Pausen zwischen den Liedern, wo ich einfach dasitze und das Publikum eine Art Fangnetz sein kann. Jedes Konzert ist anders. Es kann auch völlig weit weg von mir sein oder mir egal. Manchmal kann mich ein kleiner Laut oder eine Beeinflussung von außen aus der Fassung bringen.

Aber du leidest nicht auf der Bühne?

(sofort) Nein!

Weil du mal gesagt hast, Kunst und Musik hätten für dich etwas Masochistisches.

Das ist ja so ein Schwachsinn.

Hast du das nicht gesagt?

Doch, ich hab's mal gesagt.

Brauchst du um Stücke zu schreiben einen bestimmten Kontext, eine bestimmte Atmosphäre?

Bist jetzt hat's nur bei mir Zuhause funktioniert. Ich habe auch fast alle Stücke dort aufgenommen.

Du hast mal gesagt, dass du vom Punk beeinflusst bist. Meinst du damit die Radikalität deiner Musik?

Ich kann das selbst überhaupt nicht definieren, wo sich der Punk bei mir niederschlägt.

Welche Punk-Bands hast du denn gehört?

Sex Pistols, The Clash. Aber ich könnte auch sagen, ich bin von der Kelly Family beeinflusst oder von den Spice Girls.

Aber dann würdest du lügen?

Nein, natürlich hab ich das gehört als Kind. Ich war irrsinnig fanatisch nach der Kelly Family. Aber das ist nicht nennenswert. Klassik, Techno, elektronische und experimentelle Musik waren viel wichtiger.

Apropos Klassik: Beim Hören deiner Klaviersoli musste ich an Sonaten von Beethoven denken.

Ja, Beethoven habe ich viel gespielt.

Fanatisch nach der Kelly Family

Gibt es bestimmte Szenen, etwa Gothic-Fans, die mit deiner Musik besonders viel anfangen können?

Das bekomme ich nur sehr marginal mit bei den Konzerten. Ich glaube aber, dass das Publikum etwas Besonderes ist, ganz jung und auch ganz alt. Und dazwischen ein paar Gothics.

Auf deiner MySpace-Seite gibt es höchst überschwängliche, ehrfurchtsvolle Reaktionen und Liebesbekundungen. Liest du das oder ist dir das unangenehm?

Ich distanzier' mich davon.

Inwiefern?

(überlegt) Es wäre aufwühlend, wenn ich es an mich heranließe.

Stimmt es, dass du selbst in New York schon von MySpace-Fans erkannt wurdest?

Ja.

Freut dich so was?

Zu diesem Zeitpunkt war das noch sehr skurril. Mittlerweile ist das anders.

Geht dir das manchmal alles zu schnell?

Es ging alles zu schnell. Aber das war bestimmt auch gut, weil ich so gar nicht alles mitkriegen konnte, und ich mir dadurch meinen Zugang zum Musikmachen bewahrt hab.

Ich kann mir vorstellen, dass wenn man so was liest wie "Wunderkind des österreichischen Pop" ...

Österreichischer Pop, was ist das? (lacht)

Gibt es in Österreich Künstler, mit denen du gerne verglichen wirst?

Es gibt eine Szene, aber mit der habe ich nichts zu tun. Da bin ich froh.

Nicht einmal mit Künstlerinnen wie Gustav?

Der Gustav-Vergleich war von Anfang an grotesk.

Was bedeutet dir Erfolg, etwa wenn du dich auf einem Titelblatt siehst?

Ich bin einfach grundsätzlich von überhaupt nichts ausgegangen und hatte keine Intention. Deswegen fällt es mir schwer, das zu beantworten. Ich will von meiner Kunst leben, ganz einfach. Ob das nun ein kommerzieller Erfolg ist oder nicht.

Malst du noch? Du warst bei Daniel Richter, dem deutschen Maler, in der Klasse.

Seit einem Jahr bin ich nicht mehr dort. Das Kunststudium war im Grunde nur eine Zwischenlösung, um mir einen Raum zu schaffen, der Musik nachzugehen. Es war mir recht schnell klar, dass die Bildende Kunst nicht meine Richtung ist.

Hat Daniel Richter, der selber mit Musik zu tun und auch ein Label besitzt, dich unterstützt?

Er hat mich unterstützt und meine Musik an DJ Koze weitergegeben.

Gab es schon viele Anfragen von großen Plattenfirmen?

Ja, aber das ist überhaupt kein Thema für mich.

Weil?

Weil da keine meiner Vorstellungen durchgehen würde und ich alles selbst bestimmen möchte. Ich bin nicht naiv, es gibt schon ekelhafte Ecken.

Kontrolle ist dir wichtig?

Ich habe in allen Bereichen zu kämpfen mit der Angst vor Kontrolllosigkeit.

Gibt es eine Art Plan, wo du in fünf Jahren sein möchtest? Oder denkst du darüber gar nicht nach?

Gar nicht.

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