28. April 2003

"Unser Video ist nicht so prickelnd ..."

Interview geführt von

Im Gegenteil. Sinch sind eine dieser Bands, in der sich die Mitglieder schon seit Ewigkeiten kennen und erst irgendwann anfangen, zusammen Musik zu machen. Auskunft über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunftspläne sowie die "Ocular Noise Machine" gibt Sänger Jamie im LAUT-Interview:

Hey Jamie, alles klar bei dir?

Ganz gut so weit, ich hab zwar noch einen kräftigen Jetlag, aber das wird sich schon noch geben.

Warst du schon mal in Deutschland, oder ist das dein erster Besuch in der alten Welt?

Das ist das erste Mal, dass ich hier bin und es gefällt mir hier ziemlich gut. All zuviel konnte ich bisher zwar noch nicht sehen, aber mein erster Eindruck ist durchaus positiv.

Freut mich zu hören. Dann lass mich gleich mal mit der ersten Frage los legen, die ihr wahrscheinlich ständig hört: Was ist eine Ocular Noise Machine?

Das ist eine Maschine, die von meinem besten Kumpel Jay entwickelt wurde. Er war auf einer Kunstschule und hat dieses Ding selbst entworfen und konstruiert. Dieses Ding spielt live Videosequenzen und auch Geräusche oder Soundfiles ab und hat in etwa die Form einer Gitarre. Auf dem Hals sind unzählige Knöpfe, die alle mit bestimmten Files belegt sind und von Jay live dann abgerufen werden. Auf dem Corpus sind dann die ganzen Effekte, die er auf die Videos anwendet. Bei unseren Konzerten stehen immer einige Fernseher auf der Bühne rum und eine Videoleinwand hängt im Hintergrund, worauf dann die Videosequenzen gezeigt werden. Das ganze wird dann natürlich mit der Musik abgestimmt und komplettiert uns live.

Dann ist es also kein Musikinstrument?

Nein, eigentlich nicht. Es ist eher ein "Visual Instrument." Zwischen den Songs spielt er auch Audio Samples aber im Grunde genommen ist es eine Maschine die live Midi Files abspielt und unseren Sound visuell unterstreicht.

Und das Ding hat Jay selbst erfunden?

Ja, er hat ein Patent darauf und man kann ihn wohl als so etwas wie einen verrückten Professor bezeichnen. Er schließt sich manchmal monatelang in seinem Labor ein und grillt sich dabei selber und irgendwann kommt dabei dann eben so was wie die Ocular Noise Machine raus. (lacht) Das Ding hat zwar immer wieder seine Macken, aber er schafft es immer wieder, alles zu reparieren. Es ist schon interessant, ihm dabei zuzusehen, wie er das Ding bedient und repariert.

Wie wichtig ist diese Ocular Noise Machine für die Band Sinch?

Na ja, die Band gibt es jetzt seit acht Jahren und Jay und die ONM sind erst seit einem Jahr dabei. Aber innerhalb dieses Jahres sind beide sehr wichtig geworden. Es ist sehr inspirierend, seinen Sachen zuzusehen während du einen Auftritt hast und er gibt der Band einfach einen anderen Aspekt. Wir haben die Möglichkeit unsere eigenen Videoideen live um zusetzten und das mach schon was her. Es fügt unseren Shows einfach noch eine andere Dimension bei.

In eine ähnliche Richtung zielt auch meine nächste Frage. In der Labelinfo werdet ihr so zitiert, dass ihr mit eurer Musik sozusagen den Soundtrack zu den Filmen abliefert, die in euren Köpfen ablaufen. Ist das also eure Art, das auch visuell umzusetzen?

Ja absolut, das ist definitiv ein Schritt in diese Richtung. Wir versuchen immer wieder neue Elemente in unsere Live-Show zu integrieren, da wir prinzipiell nie zufrieden sind. So gelingt es uns, einige unsere Videoideen und die Gedanken hinter unseren Texten rüber zu bringen.

Ist das Video zu der Single "Something More" dann in etwa das, was ihr euch vorgestellt habt?

Nicht wirklich, denn wir hatten auf das Skript keinen Einfluss. Wir haben zwar versucht unserer Ideen darin einzubringen, aber das hat leider nicht geklappt. Ich finde das Video auch nicht sonderlich prickelnd, da es sich von den meisten andern Videos nicht sonderlich unterscheidet. Es ging wohl einfach nur darum, so viel Airplay wie möglich zu erhalten.

Und wie sieht es für die nächste Single "Tabula Rasa" aus?

Da ist das was anderes, denn dieses Video wurde auch von Jay entworfen und von einem Kumpel von ihm gefilmt. Wir habe praktisch nichts dafür gezahlt und es zeigt uns bei einem Live-Konzert und viele Impressionen der ONM. Das repräsentiert uns natürlich hundertmal besser, als irgendetwas anderes.

Habt ihr auch schon mal darüber nachgedacht, einen Soundtrack für einen echten Film zu schreiben?

Das war eigentlich genau der Grund, warum ich angefangen habe, Musik zu machen. Unser Gitarrist Tony wollte schon immer mal Soundtracks für Videospiele schreiben. Obwohl wir ja eigentlich Rock-Musik machen, hör ich auch viel elektronische Musik und arbeite auch damit, denn das kann man ganz alleine tun und braucht niemanden anderen dazu. Aber einen Soundtrack zu einem Film zu schreiben, das wäre natürlich unser Traum.

Was für eine Art Film müsste das denn sein?

Einige unserer Favoriten sind eher die dunklen, depressiven Filme wie "Requiem For A Dream", "Fight Club", "Twelve Monkeys" oder "Seven". Vor allem der Soundtrack zu "Fight Club" hat mich sehr beeindruckt und inspiriert. Das ist auch eine meiner Lieblings-CDs, denn wenn du den Film kennst, laufen die Szenen vor deinem inneren Auge jedes mal wieder ab, sobald du die CD einlegst. Die Musik folgt einfach den Bildern und umgekehrt, was für mich schon eine große Kunst ist.

Was sind denn so deine Einflüsse, was Bands angeht?

Ich steh sehr auf Sachen wie Beck, David Bowie, Tool, Aphex Twins und Björk. The Strokes und Coldplay find ich auch ganz gut. Refused und John Coltraine sollte man auch nicht vergessen. Das ist bei mir sehr variabel.

Ich hab jetzt von ein paar Leuten schon gehört, dass sie euer Sound etwas an Staind oder Linkin Park erinnert. Wo denkst du, dass der Unterschied zwischen euch und solchen so genannten NuMetal Bands liegt?

Kann ich nicht genau sagen, vielleicht ist da ja auch kein so großer Unterscheid. Es ist einfach Rock in allen seinen Variationen. Im Grunde genommen wird doch alles nur auf die ein oder andere Art wiederholt und somit wirst du gelegentlich mit Bands verglichen, die du dir noch nie angehört hast.

Das hat sich wohl vor allem auf die Emotionen in eurer Musik bezogen.

Ok, von daher kann ich das nachvollziehen, denn was ich von Staind bisher gehört habe, ist wirklich sehr emotional. Aber das trifft doch auf viele Bands heut zutage zu. Wenn man einfach ehrliche Musik macht und nicht versucht, irgendwelchen Schemata verkrampft zu folgen, dann ist Musik nun mal emotional und wenn du Glück hast, kannst du das auch auf CD einfangen. Bei uns ging es im Studio auch sehr emotional zu. Wir waren während des 11. Septembers im Studio, weit weg von daheim und das war schon eine seltsame Situation.

Du hast vorhin mal angesprochen, dass ihr eher auf dunkle Filme und Musik steht. Ich habe den Eindruck, dass eure Texte auch alle sehr düster sind. Siehst du das auch so?

Ich denke, wir haben immer noch einen Funken Hoffnung gewahrt. Gerade die Single "Something More" verbildlicht doch die Hoffnung, dass noch etwas mehr, etwas Besseres bereit steht. Bei ein paar Texten mag das nicht so offensichtlich sein, denn manchmal siehst du einfach keine Hoffnung mehr. Das kann aber am nächsten Tag schon ganz anders sein. Ich versuche grundsätzlich eher für den Moment zu leben und mich nicht mit der Vergangenheit aufzuhalten, denn daran lässt sich nichts mehr ändern. Du kannst nur daraus lernen. Das und meine Musik hat mir sehr geholfen, mit meinen Dämonen zurecht zu kommen. Aber du hast schon Recht, es sind auch ein paar sehr depressive Sachen dabei (lacht). Ich ziehe einfach mein Resumé und sehe zu, was dabei heraus kommt. Es sind einfach sehr persönliche und emotionale Texte. Ich bin einfach nicht der Typ, der sich hinsetzt und darüber schreibt, was er für einen tollen Tag hatte. Das überlass ich den ganzen MTV-Affen. Wenn es mir schlecht geht, dann muss ich das irgendwie rauslassen und das geht gut mit meinen Texten. Es passiert also, dass ich einige Texte innerhalb von wenigen Minuten zu Papier bringe und sie dann exakt so verwenden kann.

Hast du einen Lieblingssong auf dem Album?

Nicht wirklich. Der Song der mir beiden Auftritten am meisten Spaß macht, ist "The Silent Aquiescence Of Millions". Es macht sehr viel Spaß, den Leuten und auch den anderen Jungs aus der Band dabei zu zusehen, wie sie vor der Bühne und darauf dazu abgehen .

Ich steh ziemlich auf "433 (Hypothetical Situation)". Sehr seltsamer Titel.

Der Text handelt von Abhängigkeit. Ich werde hier jetzt nicht ins Detail gehen, da das sehr persönlich ist, aber es geht natürlich um Problem mit Drogen. Ich hab den Text mitten in der Nacht geschrieben. Ich bin aufgewacht und sah auf die Ihr und es war eben drei Minuten nach halb fünf. So hat der Song seinen Titel bekommen. Es hatte vermutlich was mit Entzugserscheinungen zu tun, denn ich konnte einfach nicht mehr schlafen, ich hatte schreckliche Alpträume, war schweißnass und habeinfach angefangen zu schreiben.

Und der Zusatztitel?

Es geht einfach um den Entzug. Du weißt, dass du aufhören musst und du willst es auch und spielst im Kopf aber doch immer wieder mit dem Gedanken, wieder etwas zu nehmen. Der ganze Prozess des Aufhörens ist so etwas wie eine hypothetische Situation. Es ist ganz schon abstrakt, das erklären zu wollen.

Kämpfst du also immer noch damit?

Ja, denn eigentlich hört dieser Kampf nie auf. Sogar wenn alles gut läuft, ist es doch irgendwie nicht in Ordnung, weil du immer wieder Gefahr läufst, in diese Scheiße zurück zufallen. Ich denke jeder hat so seine schlechten Angewohnheiten, die er immer mal wieder ablegen will, aber selbst wenn es dir gelingt, ist es ein ständiger Kampf.

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