laut.de-Kritik

Album Nummer 16 deutet nur an, was möglich gewesen wäre.

Review von

"Als Ex-Popstar habe ich einen klaren Grundsatz. Alle guten Dinge, die ich gemacht habe, sind lange her und liegen in der Vergangenheit. Das ist unglaublich befreiend." sagt Hugh Grant in der Musikkomödie "Music & Lyrics". Der Satz klingt wie maßgeschneidert für die Simple Minds im Allgemeinen und Frontman Jim Kerr im Besonderen.

Im großen Pathos-Dreieck der Sangesdrillinge Bono, Wayne Hussey (The Mission) und Kerr hat der Schotte mittlerweile klar den kürzeren Relevanz-Strohalm abbekommen. Für ihn reichte es weder zur Szene-Ikone noch zum Ersatz-Jesus. So richtig viel wird sich daran mit Studioalbum Nummer 16, "Big Music", wohl nicht ändern.

Wie so oft in den letzten Jahren ist die aktuelle Platte der Simple Minds gar nicht mal übel. Gemessen an eigenen Meisterwerken wie dem großartigen Doppelalbum "Sons And Fascination / Sister Feelings Call" von 1981 oder ihrem popkulturellen Dauerbrenner "Once Upon A Time" (1985) haut einen indes längst nicht jeder neue Track vom Stuhl. Dafür bieten die Highlander zwischendurch zu viel kompositorisches Lowland von der angerockten Popstange.

Der erste Eindruck ist erstmal super. Genau wie beim Vorgänger "Graffiti Soul" schicken sie als Opener (dort das famose "Moscow Underground") gleich ihr bestes Song-Pferd ins Rennen. Das schicke Lied heißt "Blindfolded", schleicht sich sofort ins Herz und sollte besonders bei Freunden von Kerrs Jam & Spoon-Kollabo "Cynical Heart" Anklang finden.

Auch die Produktion ist absolut gelungen. Tastenschieber Steve Osborne (unter anderem New Orders "Get Ready" und Peter Gabriels "Growing Up") macht einen hervorragenden Job. Ein bisschen Elektro mit dezenten Beats hier, ein paar Reminiszenzen an frühe Postpunkwurzeln dort, und dabei stets Kerrs noch immer tadellosen Gesang im Blick. Ohne jede stimmliche Schwachstelle fließen Jims Vocals wie das Wachs in einer Lavalampe durch die zwölf Lieder.

Das Ergebnis funktioniert im intimen Rahmen des Wohnzimmers genau so wie im großen Stadionkontext ("Concrete And Cherry Blossom", "Let The Day Begin"). Das ist handwerklich schon recht beeindruckend. Allerdings nicht so imposant, dass man darüber die songwriterischen Schwächen manch gepimpter Tracks vergäße. Auch die schönste Geschenkverpackung täuscht nicht gänzlich darüber hinweg, welch lahmen Ladidah-Zweitaufguss früherer Glanzhymnen die Hälfte der Stücke bietet. "Human" oder "Blood Diamonds" etwa gehen allerhöchstens als netter Reißbrett-Pop ohne die so charakteristische ehemalige Tiefe durch.

Mit "Imagination" und "Kill Or Cure" schlagen die Simple Minds einmal mehr eine ästhetische Brücke ins Lager der U2-Fans. Das steht ihnen zu, hat die seit 36 Jahren bestehende Band das Genre des melodramatischen Ergriffenheits-Rock doch zeitgleich miterfunden. Bei "Honest Town" erinnert die Phrasierung der Strophen hingegen mitunter in wenig an die Strickart Bryan Ferrys.

Zum Ende gibt es mit "Spirited Away" noch einmal eine Melodie, die ähnlich zündet wie der Opener. Wie ein Dompteur führt Kerr den Song in der Manege herum und entfacht den sanften Hauch des alten Charismas. So deuten die Simple Minds auf "Big Music" erneut nur gelegentlich an, zu welchen Großtaten sie fähig wären.

Trackliste

  1. 1. Blindfolded
  2. 2. Midnight Walking
  3. 3. Honest Town
  4. 4. Big Music
  5. 5. Human
  6. 6. Blood Diamonds
  7. 7. Let The Day Begin
  8. 8. Concrete And Cherry Blossom
  9. 9. Imagination
  10. 10. Kill Or Cure
  11. 11. Broken Glass Park
  12. 12. Spirited Away

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2 Kommentare

  • Vor 9 Jahren

    Kann dem Kommentar nur zustimmen. Sicher kein schlechtes Album, aber nicht so gut wie ich nach den Vorabeindrückeninsgeheim gehofft habe. Da war das Kerr-Soloalbum noch spannender.
    3 Punkte gehen in Ordnung.

    P.S. Ich persönlich finde ja New Gold Dream das Referenzalbum.

  • Vor 8 Monaten

    Das Album fängt mit dem besten Simple Minds Song an, den die Simple Minds seit Mitte der 80s geschrieben haben. Blindfolded ist als hätte die Band 3 Tage lang das eigene 81er Album Sister feelings call gehört und mit modernen Mitten diesen Track produziert. Das ist für einen Fan der frühen Phase mehr als angenehm überraschend, zeigt es doch dass die Band es immer noch kann. Leider war das auch schon der Höhepunkt, ein weiterer noch interessanter Track folgt direkt dahinter. Midnight Walking ist mehr dance-orientiert, sehr eingängig, modern und überrascht genauso, weil die Band hier zeigt wie moderne Simple Minds klingen kann, wenn alle Aspekte eines Tracks gut sind. Leider driftet das Album danach von Lied zu Lied immer mehr in diese PopRock-Schablone ab, in der man diese Band sofort erkennt und der Überraschungsfaktor geht Richtung null. Am Ende bleiben 2 überragende Tracks für die Playlist, über den Rest breite ich den Mantel des Vergessens aus.