laut.de-Kritik

Hier wirkt selbst Frauenverachtung juvenil und hilflos.

Review von

Ich habe sehr lebhafte Erinnerungen an meine frühe Mittelstufenzeit. Ein paar ganz gute, aber vor allem ziemlich üble Erinnerungen. Präpubertäre Gespräche mit meinen Geschlechtsgenossen zwischen gehäuftem Testosteronaufkommen und der Entdeckung von YouPorn sorgten unter den dreizehnjährigen Idioten der deutschen Provinz für viele alberne Lügen, schlecht imitiertes Macho-Gewäsch und fragwürdige Frauenbilder. Kurzum: Es muss damals geklungen haben wie auf dem aktuellen Seyed-Album.

Dieser macht nämlich schon früh klar: "Ich fahre gerade den übelsten Amirap-Starfilm, Bitch, Suck that dick!" ("Intro"). Das manifestiert sich aber nicht in authentischer Coolness, musikalischem Gespür oder guten Lines, sondern schlichtweg darin, dass Seyed über zwanzig Titel ununterbrochen versucht, den Hörern einzureden, er habe ein vergleichbares Charisma und einen entsprechenden Erfolg bei Frauen.

Doch während seine offensichtlichen Vorbilder dies allein mit ihrer Attitüde selbstverständlich werden lassen, stellt sich Seyed mit seinen Schilderungen von Sexualität so hilflos und juvenil an, dass einem schlecht werden könnte. Und es ist nicht einmal nur die Tatsache, dass "Cold Summer" von "Prince of Persia" bis "Macho" wirklich absolut nichts liefert, außer sinnentleerter, pointenloser und erbärmlicher Frauenverachtung, es ist viel mehr noch die Tatsache, wie unbeholfen er sich dabei anstellt.

Vielleicht lebt Seyed ja in irgendeiner Form das Leben, das er darstellt, und vielleicht hat er eine Menge sexuelle Erfahrungen gemacht. Doch Track für Track, Part für Part dekonstruiert sich sein angebliches Game durch ein Gefühl von Unsicherheit mehr und mehr. Denn egal wie oft er über Sex oder ihn anhimmelnde Frauen spricht, überzeugende oder authentisch klingende Details fallen ihm nicht ein. Seyed klingt wie ein Dreizehnjähriger, der sich ein Sexualleben zusammenfantasiert – während alles, was er zu diesem Thema weiß, aus Rapvideos oder von YouPorn stammt.

Die einzigen Ausbrüche aus diesem thematischen Einheitsbrei, diesem punchlinelosen Punchlinerap, bilden die Titel "Hinter braunen Augen", der obligatorische Mama-Song (ihr wisst, wie er klingt, ich weiß, wie er klingt – und wir hätten ihn dafür auch alle nicht hören müssen. Es ist der selbe Mama-Song wie jeder andere Mama-Song auf einem deutschen Straßenrap-Album der letzten zwanzig Jahre) und "Forever", der Seyeds Sexismus mit einem weiblichen Gegenspieler ausrüstet. Die arme Dame darf ihm aber nicht die Leviten lesen, sondern ergattert sich den Paycheck, indem sie den chauvinistischen Tiraden des Protagonisten hilflose, verzweifelte und uneigenständige Bekundungen der Verliebtheit entgegenwinselt. Ein Track wie der Allmachtsfiebertraum eines grenzdebilen "Mitten im Leben"-Darstellers.

Die thematische Monotonie zwischen Fremdscham und Aversion wird auch von der musikalischen Komponente nicht im Geringsten ausgebügelt. Zwar nicht aufdringlich schlecht, dafür zumindest aufdringlich lieblos und uninteressant: Ich bin mir bei so ziemlich jedem der Beats sicher, sie in genau dieser Version schon einmal auf irgendeinem anderen Straßenrap-Album unter irgendeinem Fillertrack gehört zu haben. Und auch wenn sie ganz kompetent ausproduziert wurden, macht das auch nicht mehr her als zwanzig Stationen ganz kompetent ausproduzierter, gähnender Langeweile.

Zwar deutlich souveräner als noch auf dem Vorgänger wird auch aus Seyeds Rapstil kein musikalisches Powerhouse. Sein gelangweiltes, melodisches Hauchen klänge zwar sehr gerne nach A$AP Rocky, die Betonung liegt hier allerdings leider zu 95% auf gelangweilt und bestenfalls zu 5% auf melodisch. Unsichere Stimmfacetten, krautiges Englisch und das zwischenzeitliche Holpern unterstreichen noch mehr, was dieses Album sowieso offensichtlich macht: Seyed ist einfach nicht die Persönlichkeit, die er sich zu sein einbildet.

Seine Versuche, als unwiderstehlicher Player dazustehen, enden als peinliche, juvenile und zutiefst frauenverachtende Belanglosigkeiten. Punchline-Gehversuche fühlen sich hölzern, unintuitiv und schlecht performt an.

Doch halt: Er braucht sich deswegen keine Gedanken zu machen. Denn wenn es gerade nicht gegen die Frauen geht, macht er unmissverständlich klar, dass die Neider alle unrecht haben, die ihm den Erfolg nicht gönnen. Geradezu symptomatisch, dass auf eine volle Stunde Laufzeit zwar bestimmt zwei Dutzend mal die ominösen Hater und Neider (also ich) adressiert werden, Seyed aber keinerlei Rechtfertigung oder Grund findet, warum ihm dieser Erfolg denn nun gegönnt werden sollte. Hier scheint statt tatsächlichem Frust über nicht anerkanntes Talent viel mehr ein schlechtes Gewissen wegen der eigenen Unfähigkeit zu sprechen. Und wenn man sich "Cold Summer" so anhört, gibt das auch perfekten Sinn: Für dieses Album sollte er sich wirklich schämen.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Prince of Persia
  3. 3. Sean Combs
  4. 4. Jet Ski
  5. 5. On Fire feat. Kollegah
  6. 6. Pump it
  7. 7. Cold Summer
  8. 8. Boomshakalaka
  9. 9. Bubble Butt
  10. 10. 10/10
  11. 11. Streetsmart
  12. 12. Böse
  13. 13. Everyday
  14. 14. Harem
  15. 15. Hinter braunen Augen
  16. 16. Crazy (feat. Blaxx)
  17. 17. Lowrida
  18. 18. Moment Of Truth (feat. Kollegah)
  19. 19. Forever
  20. 20. Macho

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17 Kommentare mit 28 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Eine menge Leute freuen sich ja auf jedes neue seyed Album, auf das es in den reviews Spott und Hohn regne. Ob Kolle da ne Marktlücke wittert???

  • Vor 6 Jahren

    Bei dem kriegt Sommerloch eine ganz neue Bedeutung.

  • Vor 6 Jahren

    Mal abseits des hier üblichen, springerfinanzierten Feministenzwangs ist das Teil hier schlichtweg nicht gut

    Seyed kann einfach alleine kein Album tragen, da fehlen Esprit, Vielfalt und Brisanz. Seine betont lässige Vortragsweise gallopiert desöfteren ins Nichtschwimmerbecken. Auch können die sich Selfmade, Alpha oder sonstwas nennen: sie haben einfach ein Beatproblem

    Wenn der interessanteste Part das Intro ist, weiß man wie die Reise weitergeht. Deutlich schwächer als das ohnehin schon kritisierte Debut bietet dieses Album eigentlich nur eines: konzentrierte Belanglosigkeit in Überlänge