laut.de-Kritik

Ambitionierte Prettyboy-Sadness.

Review von

In der neuen deutschen Rappergeneration ist das große Album-Statement in den Hintergrund getreten. Wenn man den Algorithmus mit Streaming-gerechten Häppchen füttern und die Modus Mio-Playlist möglichst effizient befüttern will, dann paust man die Ami-Trends bestenfalls im Paar-Wochen-Takt ab. Mit Sero geht nun jemand, der Ami-Trends gegenüber ganz und gar nicht verschlossen ist, doch die ambitionierte Route: "Regen" will das emotionale Quasi-Konzeptalbum über Einsamkeit, gebrochene Herzen und mieses Wetter sein. Auch wenn das Projekt nicht fehlerfrei gerät, ehrt ihn allein der Mut.

Aber warum denn auch nicht? Sero hat das Handwerkszeug. Gesegnet mit einer pergamentrauen, grollenden Stimme und einem technisch blitzsauberem Flow hat er alle Fäden in der Hand, Geschichten zu erzählen. Vor allem, wenn er Stammproduzenten Alexis Troy ein paar seiner besten Beats entlockt, Juice WRLD-Emo-Trap mit gelegentlichen Anflügen von Reggaeton und Dancehall.

Dort liegt auch die große Stärke von "Regen": Musikalisch birgt die Platte bockstarke Momente, die aus der klassischen Höchstens-Drei-Minuten-Formel für Trap-Banger ein Mosaik aus Eindrücken aus dem Leben Seros bastelt. "Regen Im Sommer" zum Beispiel bläst Trübsal auf musikalisches Himmelgrau, gegen Ende klopft er mit "Angel's Share" und "Fliegen" noch einmal amtliches Melodrama heraus, dem er klanglich voll und ganz gerecht wird. In den besten Momenten klingt Sero hungrig, ausgezehrt und leidend über eine atmosphärisch dichte Produktionspalette.

Nur krankt "Regen" an dem Versuch, menschlich authentische Leidensgeschichten zu schreiben bei passagenweise sehr eindimensionalen Texten. Eine offensichtlich technische Schwäche ist die irritierende Wiederholung von Bildern und Motiven. Es mag sein Ding sein, sich den Regenmacher zu nennen, aber wenn es über vierzehn Tracks gefühlt auf jedem Part gleich zwei mal zu kübeln anfängt, ist der Effekt auch irgendwann dahin.

Selbiges gilt für die Mitternacht, das gebrochene Herz, die Tränen und die Kippen, die er sogar öfter als ein Samra raucht. All das sind ohnehin schon eher platte Sprachbilder, wenn er sie dann wieder und wieder in den Boden rammt, haftet den Nummern öfter ein unnötig klischeehaftes Bild an. Aber auch abseits seines Hangs zur purple prose ist da etwas in der Inszenierung, an dem man sich reiben kann: Sero findet sich in seiner raubeinigen Männertraurigkeit einfach ein bisschen zu sexy.

Beziehungs-Rap ist cool, auch Text über das gegenseitige Ausbleiben von Gefühlen kann spannend und vielschichtig sein. Über "Regen" bekommen wir oft mitgeteilt, wie sehr Seros Angebetete ihn vermissen, wie heiß sie ihn finden muss und wie sie kaum ohne ihn leben kann. Er selbst fühlt zwar auch Schmerz, konkretisiert den aber kaum über Phrasen hinweg. Stattdessen gibt es viele Popkultur-Referenzen, von Johnny Cash über Billie Eilish bis Kids See Ghosts. Ein einfacher Weg, die eigenen Gedanken nicht genauer ausdrücken zu müssen.

Auf "Regen Im Sommer" schafft er es das eine Mal, diesen Elefanten im Raum sinnvoll und authentisch zu adressieren: "Am liebsten mag ich an dir, dass du so tust, als ob du mich verstehst", rappt er da, ganz nah an der Zeile "Eigentlich steht es mir ganz gut, wenn ich falle". Es ist eine ehrliche Einsicht in die Dynamik von Selbstmitleid, die aber auf anderen Songs nicht ganz so intendiert klingt. Oft lässt das Zusammenspiel aus Melodrama und Phrasen Sero ungewollt wehleidig wirken, es wird offensichtlich, dass er sich schwer damit tut, sich Menschen zu öffnen. Aber gleichzeitig der Frau auf "Wegen Dir" unterschieben, dass das ihre Schuld sei und dann später jammern, nicht verstanden zu werden – das klingt einfach ein bisschen, als suche er das Problem an der falschen Stelle.

Die ganze zweite Hälfte scheint die Sadness ein bisschen zur Ästhetik verkommen zu lassen, denn auf jede Line, in der er sich selbst beseufzt, scheint eine Line darüber zu folgen, was für ein geiler Macker er eigentlich ist. Da dankt man es "Still Bloaond Freestyle", dem Mann endlich mal einen Outlet für die aufgestaute Selbstbeweihräucherung zu geben. Wenn er sich geil findet, nur zu, er möge ein paar mehr solcher Flex-Songs schreiben und sich einmal beherzt und mit Muße einen blasen, das Resultat ist dank Skill und Charisma ja auch mehr als hörbar. Aber dass diese Representer immer wieder ihre Wege in Tracks über Melancholie und Einsamkeit finden, macht es schwerer, sich mit ihnen als Protagonisten zu identifizieren.

Zum Glück geht "Regen" dank den letzten Beiden Tracks mit einem Knaller raus. "Angel's Share" und "Fliegen" zeigen den Rapper in seinem stärksten Element, verbissen, gedankenzerfressen und fokussiert. Generell muss man dem Projekt lassen, die Atmosphäre durch die Bank zu halten, was nicht zuletzt auch Seros konsequent starken Vocals zu verdanken ist. Die Produktion wird dank kurzer Spielzeit und mehrerer Interludes nicht langweilig. Sero liefert musikalisch ein ambitioniertes und konzeptuelles Album ab. Würde er auch textlich öfter aus den komfortablen Phrasen heraus kommen, könnte das nächste Projekt tatsächlich groß werden.

Trackliste

  1. 1. November
  2. 2. Lana Del Rey
  3. 3. Vermisst
  4. 4. Regen Im Sommer
  5. 5. Wegen Dir
  6. 6. Im Dunkeln
  7. 7. Weirdo
  8. 8. Ocean Eyes
  9. 9. 3 Am
  10. 10. Still Bloaond Freestyle
  11. 11. Rage
  12. 12. Untergehen
  13. 13. Angel's Share
  14. 14. Fliegen (feat. Almila)

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4 Kommentare

  • Vor 3 Jahren

    Generischer Name aber Topalbum, super Typ und Alexis Troys Beats sind Zucker

    "Wegen Dir" ganz weit vorne für mich dieses Jahr. Alles überragende Produktion und Stimmung.

    Das "Freestyle" ist herrlich locker, verspielt in Ton und Vortrag und sorgt so für einen hellen Moment in mancher Trübnis des Albums.

    Gefällt mir super. Passt auch zur Jahreszeit

  • Vor 3 Jahren

    Alexis ist ein Profi, und dennoch nicht zu routiniert wie viele seiner Kollegen.

    Gutes Ding.

  • Vor 2 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 2 Jahren

    Toller Artikel, habe das Album heute Morgen das erste Mal gehört und mir genau das gedacht, was ihr da schreibt. Das soll nach viel mehr klingen, als es letztlich ist und geht schnell in eine komische Richtung des Selbstmittleids. Auch die immer wieder kehrenden Stilmittel "Regen", "Nacht", "Rauchen", "Mond" klingen irgendwie so als ob der Mann einfach ansonsten nicht genug zu sagen hat. Der Newcomer "Araneo" hat zeitgleich fernab jedes medialen Supports mit "in balance" ein weitaus stärkeres Debütalbum hingelegt als Sero.