laut.de-Kritik

Die Töne locken, die Worte quälen.

Review von

Mit "Poesie: Friedrichs Geschichte" verlassen Samsas Traum die gewohnte Fabelwelt. Alexander Kaschte hat es satt, lediglich den Märchenonkel für eine überwiegend eskapistische Schwarze Szene zu spielen. Stattdessen nimmt er sich Deutschlands finstersten Kapitels an und macht ein Konzeptalbum über die ebenso menschenverachtende wie mordende Praxis der nationalsozialistischen Rassenhygiene-Ideologie.

"Erzählt wird die Geschichte Friedrichs, die Geschichte eines in der Zeit des Nationalsozialismus aufwachsenden Jungen, dessen große Leidenschaft das Schreiben von Gedichten ist. Von seinem Umfeld als verhaltensgestört, von den Ärzten als schizophren eingestuft, ereilt ihn das Schicksal unzähliger anderer behinderter und psychisch kranker Menschen - sein Leben wird im Namen der Euthanasie in der NS-Tötungsanstalt Hadamar auf schrecklichste Weise beendet."

In der Tat gelingt Kaschte damit genau jenes Album, das von ihm bislang kaum zu erwarten stand. Die Idee und das Anliegen der Aufklärung sind hierbei durchaus aller Ehren wert. Keine leichte Aufgabe, als Rezensent den rechten Ton zu treffen. So hätte ich niemals gedacht, dass ausgerechnet ein Werk von Samsas Traum mich mehr spaltet als Hunderte andere besprochene CDs. Hin- und hergerissen zwischen tiefem, anerkennendem Respekt und einem nicht minder starken Gefühl der Abscheu, des Sich-an-den-Kopf-Fassens kann es keine einfache Antwort geben.

Denn während es relativ leicht fällt, Täter und tödlichen Totalitarismus bloßzustellen und entweder anzuprangern (Pink Floyds "Animals" oder "The Wall") oder zu verspotten (Laibachs "Iron Sky"), fordert die Beschäftigung mit den Opfern und den Mechanismen des Grauens weitaus mehr. Für letzteres liefern Literatur (etwa Giordanos "Die Bertinis") wie Film (zum Beispiel Spielbergs "Schindlers Liste") gelungene Beispiele, die gleichwohl nur deshalb funktionieren, weil sie den schmalen Grat zwischen detailgenauer Dokumentation und popkulturell notwendiger Reduktion als Symbolsprache in Perfektion beherrschten.

Derlei Unterfangen ist in der Musik bislang kaum gelungen. Außer Goreckis berührender Sinfonie Nr. 3, der "Sinfonie Der Klagelieder", fällt einem auch nach langem Überlegen kein Tonträger ein, der in dieser speziellen Perspektive funktioniert hätte. Alexander Kaschte, ohnehin bekannt für seinen glühenden Ehrgeiz und die Sehnsucht nach künstlerischer Anerkennung, zeigt sich dem Vorhaben überraschend gewachsen. Musikalisch und textlich wächst er über weite Strecken erstmals deutlich über sich und den eigenen bisherigen Katalog hinaus.

Die Klänge speisen sich vorwiegend aus teils modernen, teils gut abgehangenen Rock-Arrangements und neoklassischen Tupfern. Den Gesang legt er bewusst stakkatohaft an. Rhythmen, Dynamik und Melodien gehen dabei Hand in Hand wie noch nie und bilden eine mehr als passable Einheit, deren Sog man sich nur schwer entziehen kann. Auch die Vereinigung des Schroffen mit dem malerisch Eingängigen gelang noch nie so souverän wie auf diesem Songzyklus.

Schon in der Einleitung "Es Ist Der Tod (Instrumental)" hebt er die Gegensätze, den Widerstreit von Gut und Böse adäquat hervor. Im Vordergrund ein marschierender Stiefeltreter-Rhythmus, dazwischen ein lyrisches, zwischen Tragik und Romantik pendelndes Pianothema.

Auch textlich erlaubt sich Kaschte keine Schnitzer, wie man sie aus früheren Tagen kennt. Es ist ob der Detailfülle offensichtlich, wie gut er sich thematisch eingearbeitet hat. Dabei nutzt er gelegentlich eine dem Abzählreim ähnelnde Form, deren Kindlichkeit er mit dem schonungslosen Realismus seiner dokumentarischen Direktheit hinwegspült. Die Töne locken, die Worte quälen. Zurück bleiben Schaudern, Trauer und Zorn. Spätestens das anrührenden "Fingerkränze" bewegt: Wer das nicht spürt, der hat kein Herz.

So weit, so gut. Bis hierhin müsste man die Höchstwertung samt Kniefall auspacken. Doch so einfach ist die Sache nicht. Kaschtes Klinge erweist sich als zweischneidig. Ausgerechnet diese endlich präsentierten und gebotenen Stärken verkörpern auch die große Schwäche des Albums. Im Gegensatz zu Büchern oder Filmen sind Rockalben konzeptionell vor allem darauf angelegt, immer und immer wieder gehört zu werden.

Die melodische Catchyness, die Hooks, die Sounds: Sie alle ziehen dem Horror seinen Stachel und degradieren Zeilen und Inhalt im Verlauf zum Stadionrock-Epos zum Mitsingen, Mitklatschen, Tanzen und Feuerzeugschwenk. Damit wertet Kaschte alles Gebotene ungewollt zu einer Art trivialem "KZ-Musical" Marke "Rocky Horror Nazi-Show" ab.

Möchte man diesem Ladidah-Effekt entgehen und den Opfern ihre Würde lassen, so darf man diese Platte letzten Endes wohl nur ein einziges Mal hören. Nichts wäre furchtbarer und kontraproduktiver als Teenies, die mit Playern bewaffnet im Bus singen: "Der Hitler wird euch suchen. Wer will gute Asche machen, der muss haben sieben Sachen: Feuer und Gas ..." Doch dieses eine Mal hofft der Kritiker, mit seiner Skepsis nicht Recht zu behalten.

Trackliste

  1. 1. Es Ist Der Tod (Instrumental)
  2. 2. Sauber
  3. 3. Und Ich Schrieb Gedichte
  4. 4. Der Mönchberg (Heinrichs Gedicht)
  5. 5. Wir Fahren In Den Himmel (Und Ich Kotze Angst)
  6. 6. Fingerkränze
  7. 7. Richard, Warum Zitterst Du
  8. 8. Im Keller Wohnt Der Krieg
  9. 9. Gorgass
  10. 10. Leiche 10 000
  11. 11. Es Tut Uns Leid
  12. 12. Was Weißt Du Schon Von Mir (Mein Name Ist Friedrich)

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