laut.de-Kritik

Essen-Vögeln-Leute töten-Vögeln-Leute töten-Vögeln-Essen-Essen-Essen.

Review von

Wir müssen verlernen, den Begriff Young Thug-Klon negativ zu verstehen. Zwischen 2015 und 2020 schwärmten so viele Young Thug-Klone auf den Markt, dass sie gut und gerne als eigenes Subgenre durchgehen. Zitieren diese Rapper aber sonst Sound, Adlibs oder Produktion von Vater Thugger, tritt Atlanta-MC SahBabii ein anderes Erbe an: Seit seinem Durchbruchs-Hit "Pull Up Wit Ah Stick" trägt er die lyrische Fackel von "Slime Season 1"-Thug. Nicht nur das. Er entwickelt Thugs Lyrik weiter: "Barnacles" zeigt einen Sonderling in aller Pracht. Seine Stimme klingt nach Lobotomie, seine Beats vereinen Xanax-Überdosis mit Ghibli-Film und SahBabii selbst wirkt wie einer der weirdesten Menschen überhaupt.

Wenn er auf den ätherischen Trap-Songs rappt, entsteht vor dem inneren Auge eine Szenerie: 5 Uhr Morgens, ein Studio auf der Südseite von Atlanta. Snickers-Papiere und DVD-Hüllen, halbgedrehte Filterblätter und ein Cartoon auf dem Bildschirm. SahBabii steht in der Booth, so fertig, dass er automatisiert weiter rappt, während sein Kopf in den REM-Schlaf driftet. Seine Gedanken fransen ineinander aus. Er ist müde. Er ist hungrig. Er ist horny. Er artikuliert erst das eine, dann das andere. Auf fast jedem Song beginnt er, eine Essens-Metapher sexuell zu drehen, bis er sie irgendwann aufgibt und einfach nur noch über Essen rappt.

Beispiele gefällig? Ich habe Zahllose: "They throwin' salt, we made a lot of pretzels, ooh/ I got cheese and sticks, don't make a n*gga spill your marinara/" "Eat it like a Philly cheese (Philly)/ This money go stretch like it's really cheese/" "And we makin' a pizza, go juice the tomato/ I was takin' they butter with a big ass potato/". Es klingt, als würde er seinen Gedanken auf der Mindmap mit irgendeinem Rap-Klischee beginnen, dann aber in das nächstbeste körperliche Gelüst abdriften, das sein Unterbewusstsein ausspuckt. Der Denkprozess lautet dann Essen-Vögeln-Leute töten-Vögeln-Essen-Leute töten-Leute töten-Essen-Essen-Essen. Relateable.

Man könnte es intuitives Schreiben nennen, man könnte es die viel beschworene dadaistische Seite der Trapmusik nennen. Ich für meinen Teil könnte die ganze Review damit verbringen, diesen Kerl zu zitieren und hätte das Gefühl, meine Arbeit erfüllt zu haben. Habe ich schon seine Punchlines erwähnt? "I got seven cars with eleven bitches – 7/11", "Ayy, racist diamonds/ I'm talkin' racist, Ronald Reagan diamonds/", "She smellin' me like a pack of bacon". Manchmal wird es dem normalsterblichen Verstand auch schlicht unmöglich, den Zusammenhang seiner Aussagen herzustellen: "Slurp it like soup/ Fuck her, I'm Scooby-Doo, yeah/ Scooby-Scooby-Scooby-Doo/".

"Barnacles" klingt, als würde man dem einen Stoner-Freund zuhören, der breit einen witzigen Spruch nach dem anderen vom Stapel lässt. Aber der Text macht nur die halbe Miete, denn der Effekt und die Delivery kommt erst aufgrund der musikalische Machart des Projekts zustande. Da erinnert SahBabii am ehesten an Lucki oder Gunna, die beide ebenfalls die minimale Delivery der gemurmelten Vocals gemeistert haben. "Barnacles" klingt nach Trance, besonders die Songs "7/11" und "Purple Umbrella" bestechen mit wunderschönen, psychedelischen Klanglandschaften, die irgendwo zwischen Wheezy, Pi'erre Bourne und Clams Casino einzuordnen sind. Manchmal Ambient, manchmal Noise, zwischendurch lullen Echolote und digitale Verzerrung Anime-Soundtracks ein. Im Vergleich zu anderen Trap-MCs klingt SahBabiis Welt fröhlicher, fast alle Melodien spielen Dur, die Klangfarben klingen weit und offen. Der Trip, den er aufbereitet, ist aller Gewalt zum Trotz, mitnichten ein Horrortrip. Es fühlt sich eher wie Träumen zwischen Tiefschlaf und Aufwachen an. Als hätte man Nujabes-Beats in LSD-triefende Trap-Monturen gepackt.

So ähnlich wie die Lil B-Groteske, nur eine Stufe weitergedacht. Trap-Surrealismus. "Barnacles" klingt als Album durch die Bank erbaulich, einlullend, psychedelisch. Die Klänge, die Samples und Sounddesigns sind so schön, auch SahBabiis Flow darin ist makellos, er skatet und schwebt wahlweise wie ein erleuchteter Buddha durch die Beat-Kalaidoskope. Und dann rappt er den absurdesten Scheiß, den man seit den frühen Tagen von Young Thug je gehört hat. Ist es für jeden? Ganz sicher nicht. Aber für die Nische ist "Barnacles" ein magischer Moment.

Trackliste

  1. 1. Barnacles
  2. 2. Ready To Eat
  3. 3. Giraffes & Elephants
  4. 4. Racist
  5. 5. Pregnant
  6. 6. 100 Round Drum
  7. 7. Poppin Shit
  8. 8. Double Dick
  9. 9. Purple Umbrella
  10. 10. House Party (feat. T3)
  11. 11. Trapezoid
  12. 12. Geico
  13. 13. Tongue Demon
  14. 14. Soulja Slim
  15. 15. 711
  16. 16. Hey Mr.

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