laut.de-Kritik

Ein Underdog-Film mit Herz, Bombast und Beatles-Einfluss.

Review von

Es zeichnet sich schon eine ganze Weile ab, dass das Genre des alternativen Hip Hops gerade eine ganz neue Generation von Rappern hervorbringt. Eine Generation, die queerer, diverser und irgendwie schräger ist als die bisherigen. Schaut man auf Künstler wie Brockhampton, Jaden Smith oder Rex Orange County, spürt man eine Verschiebung der Einflüsse weg von Outkast oder The Pharcyde hin zu Kanye West und Tyler The Creator.

Auch im Fall von Rich Brian, dem ehemals als Rich Chigga bekannten Meme-Rapper indonesischer Herkunft, zeichnete sich bei seinem letzten Projekt "Amen" schon ab, dass er in diese Kerbe schlagen könnte. Wie sehr er das mit dem Nachfolgewerk tatsächlich tun würde, hat aber wohl niemand geahnt. Vor allem hat wirklich niemand geahnt, wie gut "The Sailor" werden würde.

Der Einstieg haut den Hörer frontal um. Anders kann man nicht formulieren, wie brillant, atmosphärisch und klanglich hochambitioniert er mit den ersten fünf Titeln in dieses Projekt prescht. Der eröffnende Titeltrack beginnt mit einem hungrigen, verzerrten Verse, bevor das Instrumental mit einem singenden Brian in ein orchestrales, cineastisches Epos implodiert und ein kurzes, prägnantes Spoken Word-Piece über dessen Selbsteinschätzung postuliert.

Es ist prägnant für Rapper seiner Generation, dass sie mit ihrem Größenwahn nicht hinter dem Berg halten. Ähnlich wie ein Jaden Smith, schneidert sich Brian hier jedes Konzept auf die Brust, das ihm auch nur halbwegs in den Sinn kommt. Das geht von der Frage nach dem Sinn des Lebens auf opulenter Chamber Pop-Produktion bis hin zu Sex-Jams mit RZA-Feature.

Das macht die Einflüsse so viel spaßiger und interessanter. Während ein Jaden eigentlich nur versucht, der nächste Kanye oder Travis Scott zu sein, lässt sich Rich Brian hier nicht nur von "Late Registration" inspirieren, sondern auch unsubtil Spuren von Tame Impala bis hin zu den gottverdammten Beatles ins Album durchsickern.

So zitiert er auf "Yellow" in der Line "Life looks so easy, all you gotta to do is close your eyes" klar ein Sentiment von "Strawberry Fields Forever" und nimmt mit "Drive Safe" einen Song auf, der im zarten, zerbrechlichen Gesang so nah am Wohlwollen und an der Hippie-Magie der Fab Four stattfindet, dass man sich tatsächlich für einen Moment fragt, ob man hier überhaupt noch ein Rapalbum hört. Das stellen dann aber energetische Banger wie "Slow Down Turbo", "100 Degrees" oder "Rapapapa" mehr als klar.

Zum angesprochenen Größenwahn gehört nicht nur, musikalisch zu tun und zu zitieren, was man will. Es bedeutet auch, auszusprechen, was man will. Wenn Brian dann beschließt, mehr als nur einmal über sein Sexleben rappen zu wollen, dann soll es eben so sein. Es ist verständlich, sich von diesen Schilderungen etwas aus dem Konzept bringen zu lassen, aber es hat etwas wunderbar Skandalöses, dass ausgerechnet Rich Brian sich dieses müdeste aller müden Topoi so aneignet.

Genau wie Kanye im pinken Polo damals Sex aus der Perspektive untypischer Männlichkeit neu gedacht hat, gibt sich auch Brian absolut unapologetisch darin, als ein 1,60 Meter großer Teenager ohne einen Hauch Ironie mit seinem Sexleben anzugeben. Die Absurdität seines neu gefundenen Ruhms und die Freude über dieses Leben schwingen darin genauso mit wie sein Widerwille, sich an den ihm zugewiesenen Platz zu begeben. Dass er nicht die Person ist, der man solche Inhalte in unserer Gesellschaft sonst zugestehen würde, macht diese Momente nur rebellischer.

Aber genau das beschreibt "The Sailor" insgesamt sehr treffend: Es ist rebellisch, was Brian hier tut, was er sich herausnimmt, und in keinem Moment kulminiert diese Rebellion treffender und triumphaler als auf "Kids", einer Single, auf der Bekon und Frank Dukes ihm einen so imposanten und epochalen Boobap-Beat vorsetzen, dass er die Blechbläser-Samples wie in einer Ehrenrunde zum Siegertreppchen reitet.

Dass ausgerechnet das Rücken an Rücken mit dem melancholischen, unsicheren und doch unglaublich wohlwollenden "Drive Safe" steht, auf der er darüber rappt, wie er eine Frau nervös darum bittet, doch vorsichtig zu fahren und auf sich aufzupassen, zeichnet ein interessantes Bild von Brians Charakter. So sehr er den Erfolg und dieses neue Leben auch zu genießen scheint, bleibt er im Kern ein süßer und unscheinbarer junger Mann, der sich in seiner Kindheit in Indonesien Englisch anhand von Macklemore-Alben beigebracht hat. Er ist schmächtig, schüchtern und albern, und trotzdem trägt er den Bombast dieser Platte so würdevoll und siegessicher, dass es beinahe absurd wirkt.

Könnte es dementsprechend einen Protagonisten geben, dem man diesen Ruhm mehr gönnen würde als Brian? "The Sailor" ist ein Album, das die meiste Zeit über mehr abbeißt, als sich kauen lässt. Trotzdem wird dieser jugendliche Hochmut zum magischen Moment, der all diese absurden Experimente von orchestralen Interludes, Sex-Jams über Psychedelic Rock und Blues-Gesang funktionieren lässt.

Geschenkt, dass sein Rap teilweise der Produktion etwas hinterherhinkt und das vereinzelte Lines zwischendurch zu albern für ihr eigenes Gut sind. "The Sailor" ist ein Triumph für jemanden, der in der herkömmlichen Musikindustrie nicht triumphiert hätte. Es ist der unglaublich befriedigende Ausgang eines echten, klassischen Underdog-Films. Dass Rich Brian sich so schnell und so gekonnt vom Rap-Meme Rich Chigga zum Teil einer genreweit relevanten Welle entwickelt hat, ist beeindruckend. Es hätte sicher niemand gedacht, dass er das Potenzial, das man ihm vielleicht einst vage attestiert hat, in gerade einmal zwei Jahren schon mit vollen Händen ausschöpfen würde.

Trackliste

  1. 1. The Sailor
  2. 2. Rapapapa feat. RZA
  3. 3. Yellow feat. Bekon
  4. 4. Kids
  5. 5. Drive Safe
  6. 6. Confetti
  7. 7. Vacant
  8. 8. No Worries
  9. 9. 100 Degrees
  10. 10. Slow Down Turbo
  11. 11. Curious
  12. 12. Where Does The Time Go feat. Joji

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2 Kommentare

  • Vor 4 Jahren

    "Vor allem hat wirklich niemand geahnt, wie gut 'The Sailor' werden würde."
    Also ich finde, allein schon "Yellow" hat blicken lassen, wie verflixt gut dieses Album werden wird...

  • Vor 4 Jahren

    Ähnlich wie bei YBN und einigen anderen Newcomern, habe ich auch Brian in die Trash-Schublade gesteckt. Album ist aber überraschend gut, auch wenn Brian ein durchschnittlicher Rapper ist. Die Beats sind dafür umso besser. So hätte mal ein Nas Album klingen sollen.