laut.de-Kritik

Eindringlich, nachdenklich und kämpferisch.

Review von

Musikalisch knüpft die Sängerin der Carolina Chocolate Drops dort an, wo sie mit ihrem schönen Solodebüt "Tomorrow Is My Turn" (2015) aufhörte: Ihre kräftige, warme Stimme wird nach wie vor von Banjo, Gitarren, Kontrabass, Geige, Schlagzeug und Klavier, gelegentlich auch Bläser oder Sprechgesang begleitet. Doch hat sich die Stimmung gewandelt.

"I've got a body dark and strong / I was young but not for long / You took me to bed a little girl / Left me in a woman's world" singt sie im Opener. Eine Frau, der offenbar Gewalt angetan wurde und die sich nun fragt, was sie mit dem Kind machen soll, das an ihrer Brust liegt. "You can take my body, you can take my bones / You can take my blood but not my soul", gibt sie sich im Refrain kämpferisch.

Ließ sich Giddens 2015 auf dem Vorgänger in Los Angeles von T Bone Burnett produzieren, begab sie sich diesmal nach Breaux Bridge, Louisiana, eine kleine Ortschaft im tiefen Süden der USA. Das Album entstand mit dem Multi-Instrumentalisten Dirk Powell, der sich ein Studio in einem Raum eingerichtet hat, dessen Vertäfelung noch von der Zeit vor dem Sezessionskrieg stammt. Jener Konflikt, der die USA zwischen 1861 und 1865 fast gespalten hätte und den der Norden führte, um die Abschaffung der Sklaverei im Süden durchzusetzen. Der Norden gewann, die Rassentrennung blieb.

So stellt sich Giddens in "Julie" ein Gespräch zwischen einer Sklavin und ihrer Besitzerin vor. Die Soldaten des Nordens stehen vor der Tür, die Besitzerin fordert die Sklavin auf, nicht mit ihnen zu gehen. "Julie, O Julie, don't leave here / Leave us who love you and all you hold dear", sagt die eine. "Mistress, O Mistress, don't you cry / The price of staying here is too high / Mistress, O Mistress, I wish you well / But in leaving here, I'm leaving hell", antwortet die andere.

Die Geschichte der Erzählerin in "Come Love Come" ist noch expliziter. Mit vier verliert sie ihre Mutter, die sich dem weißen Herrn verweigert und dafür umgebracht wird. Der aufmüpfige Vater wird verkauft, als sie 12 ist. Mit 16 heiratet sie ihre große Liebe, mit 18 flieht sie mit den Soldaten des Nordens, endlich frei. Nun wartet sie auf ihren Mann, der in den Wirren des Kriegs verschollen ist.

Eindrücklich interpretiert Giddens Richard Fariñas "Birmingham Sunday". 1965 sang er es mit seiner Frau Mimi Baez, Joans Schwester, um einen Anschlag des Ku Klux Klan zu verurteilen. Der rassistische, gewalttätige Geheimbund hatte 1963 in der Ortschaft in Alabama bei einem Gottesdienst eine Bombe gezündet, die das Leben vier schwarzer Mädchen gekostet hatte. "The Sunday has come and the Sunday has gone / And we can't do much more than to sing you a song / Sing it so loudly, you better sing along", so die letzten Zeilen. Dass Giddens das Stück als soulige Klavierballade interpretiert, erhöht die Eindringlichkeit noch.

Natürlich gibt es auch schwächere Momente. "The Angels Laid Him Away" der Blues-Legende Mississippi John Hurt handelt zwar von einer Beerdigung, hört sich mit gezupfter Gitarre und fröhlicher Stimme aber wie ein Kinderlied an. Das rhythmische "Hey Bébé" fällt mit Trompeteneinlage fast schon tanzbar aus, wie auch "The Love We Almost Had", das Giddens mit dem Songwriter Bhi Bhiman schrieb, und das instrumentale "Following The North Star".

Doch sind es eher die weiteren nachdenklichen Stücke, die in Erinnerung bleiben. Neben "We Could Fly" vor allem "Baby Boy", auf dem auch Giddens Schwester Lalenja Harrington und die Cellistin Leyla McCalla, die schon für Carolina Chocolate Drops spielte, zu hören sind.

Lediglich das funkige "Better Get It Right The First Time" passt nicht so richtig zur Sammlung. Giddens beweist damit erneut, wie anpassungsfähig ihre Stimme ist. Ob Nina Simone oder Aretha Franklin - alles ist möglich. Das ist nicht neu. Neu ist allerdings, dass Giddens die meisten Stücke auf diesem Album selbst geschrieben hat. Klang das einzige eigene Lied auf ihrem Debüt, "City Of Angels", noch ziemlich hölzern, hat sie seitdem große Fortschritte gemacht.

Der Titeltrack stammt dennoch nicht aus ihrer Feder. "The whole wide world is wonderin' / What's wrong with the United States / Yes, we want peace / If it can be found / We're marching the freedom highway / And we're not gonna turn around", sangen die Staple Singers 1965. So überzeugt, wie Giddens und Bhi Bhiman das abschließende Stück interpretieren, scheinen sie tatsächlich daran zu glauben.

Trackliste

  1. 1. At The Purchaser's Option
  2. 2. The Angels Laid Him Away
  3. 3. Julie
  4. 4. Birmingham Sunday
  5. 5. Better Get It Right the First Time
  6. 6. We Could Fly
  7. 7. Hey Bébé
  8. 8. Come Love Come
  9. 9. The Love We Almost Had
  10. 10. Baby Boy
  11. 11. Following The North Star
  12. 12. Freedom Highway

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