5. November 2008

"Ich labere alle tot!"

Interview geführt von

Reamonn laufen gerade mit ihrem fünften Album "Reamonn" auf, ohne Anzeichen von Müdigkeit zu zeigen.Wir treffen Sänger Rea im Berliner Universal-Gebäude. Er ist ein Entertainer durch und durch, der gerne und viel erzählt, u.a. spricht er von der schwierigsten Platte bisher, für die noch mal alle Register gezogen wurden. Aus dem Stehgreif packt er kleine passende Geschichten aus und holt in seinem unverwechselbaren Denglisch weit aus.

Wie laufen die Vorbereitungen für euer kommendes Album?

Die Vorbereitungen sind schon gelaufen. Alles ist im Kasten. Nach zwei Jahren Vorarbeit wurde es auch endlich Zeit. Also das war eine harte Platte. Wir haben uns sehr hohe Ziele gesetzt, und die Aussage des Executive Produzenten war halt: "Nur Singles!" Da lacht man zuerst, und dann merkst du, dass sie das ernst meinen. Und dann versuchst du, das zu erreichen, nimmst eine komplette Platte auf und hast zwei Lieder, die dahin gehen, wohin du willst, merkst aber, dass die restlichen zwölf nicht dazu passen. Dann musst du die noch mal neu machen. So in der Art haben wir die Platte gemacht. Das war so Pyramiden-artig aufgebaut, immer Stück für Stück.

Warum waren die Erwartungen denn so hoch?

Ich glaube, du darfst nicht auf dem Arsch sitzen und denken, du hast es geschafft. Niemals denken, dass du aus dem Nichts das Beste machen kannst. Das muss immer dein Ziel sein, auf jeden Fall. Jeder in der Band wollte das auch unbedingt schaffen. Beim Songwriting war nie Ruhe. Nie "ja die ist gut, und jetzt die nächste", sondern "aber ist die gut?" Und dann ins Studio mit Produzenten, die alle Weltklasse sind. Da hat man gemerkt, dass die auch wahnsinnig hohe Ansprüche haben.

Irgendwann stehst du dann da und merkst, dass du nicht einfach zurückziehen kannst. Bei manchem Platten hat man gemerkt, wer führt, und den dann führen lassen. Diesmal hat man gemerkt, dass wir führen. Dass die Verantwortung bei uns liegt. Und damit waren wir aggressiv. Wir haben gekämpft, auch miteinander. Innerlich wollten wir einfach die Wahnsinns-Platte machen. Und da bin ich sehr stolz darauf, dass es so ist.

Das ist die erste Platte, bei der ich nicht das Gefühl habe, dass ich sie verkaufen muss. Ich meine, das will man sowieso nicht, seine eigene Ware verkaufen, weil man meint, das ist irgendwie billig. Aber diese Platte spricht für sich selbst. Ich glaube, wenn man auf Play drückt, dann spricht sie für sich. Da bin ich sehr gespannt, alleine durch die erste Single "Trough The Eyes Of A Child" merkt man, dass die Leute die Musik umarmen.

Jeder kann sagen was er will, dass er denkt, Erfolg ist nicht wichtig oder was auch immer. Mir ist er wahnsinnig wichtig! Weil Erfolg heißt, dass die Leute die Musik lieben. Und das will ich. Ich bin nicht jemand, der im Schlafzimmer alleine Musik schreibt, und sagt, er will nicht eine Platte für die Welt aufnehmen. Dann lieber nicht! Ich bin jemand, der gerne Musik in die Welt rausbringt. Wir lieben es live zu spielen.

Ihr seid ja inzwischen schon eine Weile dabei, das ist euer fünftes Album. Ist es da nicht schwer, sich immer wieder neu zu motivieren?

Ja! Es ist nicht so, dass man aufsteht und sagt, ich hab total Bock. Du musst dich verbessern! Du musst dir selber in die Quere kommen und nichts als Gegeben hinnehmen. Da gibt es einen Martial Art, von dem mir ein Freund erzählt hat. Ich weiß den Namen nicht mehr. Aber in der ersten Trainingsstunde werden die Schüler an die Wand gestellt und gehen in die Hocke. Und dann werden Nägel vor sie gestellt, ungefähr in 1 Meter Entfernung, sie müssen da drüber springen. Alle schaffen es natürlich, manche knapp, aber 1,10 Meter sind alle irgendwie gesprungen. Alle sind froh, aber dann werden ihnen die Augen verbunden und die Nägel noch einen halben Meter weiter gezogen. Manche Schüler machen schon Witze, schreien auf, als hätten sie es nicht geschafft. Aber dann springen sie alle. Und alle schaffen es.

Nur weil du denkst, du kommst nicht so weit. Aber wenn du dich wirklich unter Druck setzt, dann schaffst du es auch. Dafür gibt es Produzenten, Platten und auch das Publikum. Die wollen halt dein Bestes haben, und das Nächste muss noch besser sein.

"Amerika? Zuerst kommen unsere Fans!"

Ihr habt ursprünglich auch ein Lied zusammen mit Nelly Furtado aufgenommen. Wie kam es dazu?

Nelly ist mit uns befreundet. Aber das Lied mit ihr haben wir nicht fertig geschrieben, das ist nicht auf der Platte drauf. Vielleicht bringen wir noch eine DVD oder so etwas raus. Wir haben uns kennengelernt, weil sie "All Good Things" als Duett machen wollten. Chris Martin (Sänger von Coldplay, Anm.d. Red.) hat es geschrieben, der konnte es nicht machen, weil er mit seiner eigenen Platte beschäftigt war, und da wurde ich gefragt. Wir haben uns getroffen, ich habe es eingesungen, und ihr hat es dann gefallen.

Es ist alles sehr beeinflusst, was sie macht, da entscheidet nicht nur sie, sondern ihr ganzer Stab! Das ist echt ihr Reich, eine Wahnsinns-Musikerin. Wir waren in so einer Halle im Studio, und du sitzt halt da und du schaust nur zu. Du vergisst, dass du mitschreiben solltest, das ist so gut. Echt eine geniale Frau. Und ich hab sie einfach frech gefragt, ob wir eine gemeinsame Europa-Tour machen wollen. Da hat sie ok gesagt, lass uns das machen. Wir haben eine super Tour miteinander gemacht und dann haben wir uns ins Canada wieder getroffen.

Es ist eigentlich keine Überraschung, dass sich Musiker gut verstehen. Durch Nelly habe ich auch Timbaland kennengelernt. Das ist auch jemand, den man nicht so schnell zu sprechen kriegt. Der steht halt eher im Hintergrund, und ich labere alle tot. Der ist echt ein cooler Typ, ich hab erwartet, dass es drei Minuten dauert, aber nach einer Stunde standen wir immer noch da. Über den Inhalt von Musik, "I'm Mister Musicman and that's what I wonna do, so let's get out and let's do this and let's do that." Das macht sehr viel Spaß und das ist es, was ich als Luxus des Erfolgs sehe. Leute kennenzulernen.

Ich habe gehört, dass ihr nach Amerika wollt?

Wir wollen die Platte auf jeden Fall in Amerika veröffentlichen, das wird auch nächstes Jahr gemacht, aber lass uns das abwarten. Unsere Fans müssen erst mal Priorität haben. Der klassische Fehler von vielen Leuten ist es, zu vergessen, was man hat, auf der Suche nach etwas anderem. Unser Weg ist erst mal, die Platte zu machen und sie den Fans zu geben, die uns jahrelang unterstützt haben. Und dann mal schauen, was danach in Amerika passiert. Wie ich vorher schon sagte. Die CD wird in die Anlage gelegt und dann Play gedrückt. Das ist der entscheidende Faktor, nicht ob wir es wollen.

Aber sie verkauft sich ja nicht von selber, oder?

Ja, du brauchst natürlich die gleiche Infrastruktur wie hier. Und die ist auf jeden Fall da, wir würden mit Interscope veröffentlichen. Wir würden auf jeden Fall auch da spielen und dann mal schauen, was passiert. Manche Leute verkaufen das als das größte Ding aller Zeiten. Wir sind jetzt schon so oft da gewesen, ich bin gespannt. Wir warten ab. Und wenn es gut wird, bist du der Erste, der es erfährt! (Gelächter)

"Wir wollten mal sehen, wie Obama drauf ist"

Warum bist du eigentlich damals nach Deutschland gekommen?

Wegen der Musik. Das war für mich eine ganz klare Entscheidung. Ich war hier oft auf Tour mit einer irischen Kapelle und habe gemerkt wie das Publikum ist, und wie es auf Musik reagiert. Auch auf meine Musik und ich wollte es versuchen. Ich glaube halt, als Musiker musst du ein Teil deines Lebens aufgeben, wenn du das wirklich machen willst. Du kannst nicht auf der Couch sitzen und warten, bis die Welt auf dich zukommt. Du musst da rausgehen, dich hinstellen und ständig Musik spielen. Die Leute überzeugen. Das wusste ich damals. Und ich wusste, wenn ich das wirklich will, dann muss ich alles dafür geben. Ich glaube kein Musiker sagt, dass er zufällig erfolgreich geworden ist. Da steckt schon viel Arbeit dahinter.

Anfang September habt ihr in einem 120-Einwohner-Dorf in Bayern gespielt, die diesen Auftritt im Radio gewonnen haben. In Walkersbach. Wie war das?

Das war ein Erlebnis. Wir haben echt gedacht "Where the fuck are we" und "what are we doing here?" Bayern 3 kennen wir schon seit Jahren. Auch Walter und Edi, denen wir die ersten Demos zugeschickt haben. Die fördern seit Jahren gute Musik. So wie viele Radiosender, die wir kennen, das ist sind Beziehungen, die wirken. Ich meine, wenn du scheiß Musik hinschickst, dann spielen sie das einfach nicht. Es ist nicht so, dass wir irgendeinen Vorteil hätten. Gott sei dank hatten wir bisher immer gute Musik, die sie interessiert hat.

Walter-bach,… Wal… Walkersbach, ich war erst mal vorsichtig, wie man das ausspricht, bis ich erfahren hab, dass es nur 150 Einwohner gibt, da war ich ein bisschen entspannter. Ich fand es genial. Ich komme vom Dorf und weiß, wie es ist, wenn so was bei uns stattfindet. Bei uns ist es das 'Harvest-Festival', so ähnlich wie Oktoberfest. Dass die Landarbeiter ihre Ernte feiern. Das war für die paar Tausend Leute die größte Feier im ganzen Jahr.

Ich glaube, die waren ein bisschen überwältigt. Das waren 15.000 Menschen, die auf einmal kamen, es gab keine Parkplätze mehr, das Ding war rammelvoll. Da waren wir stolz darauf. Das Publikum war tierisch. Ich meine, das sagt jede Band, aber unsere Fans sind die Besten! Die lieben es, die können das genießen, die haben keine Hemmungen. Wenn du auf unser Konzert kommst, dann siehst du einfach, wie Leute Musik genießen.

Und außerdem ist Obama bei euch Mitglied, seit ihr an der Siegessäule in Berlin vor seiner Rede gespielt habt?

Ja stimmt, der spielt Saxophon bei uns. (Gelächter) Ich weiß auf jeden Fall, dass er mehr ein Dr. Dre-Fan ist als alles andere. Das hat er immer auf dem iPod. Ich fand es extrem cool, ihn kennenzulernen. Das war eine Bedingung von uns. Wenn wir da spielen, dann wollen wir ihn treffen. Wir wollten nicht puppenweise aufgestellt werden.

Das hat was gebracht, ich wollte einfach schauen, wie der Typ drauf ist, das geht uns ja allen so, wenn du ihn nur im Fernseher siehst. Wie ist er wirklich? In den zwanzig Minuten haben wir natürlich nicht Lebensgeschichten und Handynummern ausgetauscht, aber wir haben ihm einen von den fünf Ringen als Bandmitglied übergeben, und er hat es gerne angenommen und gerne gezeigt. Er bringt ein bisschen Hoffnung hinein in das Chaos, das wir gerade erleben. Ob er die Rettung sein wird oder nicht, das weiß ich nicht, aber man muss anfangen.

Würdest du ihn also wählen, wenn du könntest?

Auf jeden Fall. Aber nicht, weil ich McCain schlecht finde, sondern weil ich McCains Vizepräsidentin so schlecht finde. Sarah Palin. Und die Chancen stehen 50:50, dass sie Präsidentin würde, wenn er gewählt wird. Eigentlich muss ein Präsident zwei Perioden machen, um etwas zu bewegen. Weil man baut in den ersten vier Jahren etwas auf, und muss es in den zweiten vier Jahren durchziehen. Das ist auf jeden Fall das richtige Konzept finde ich. Aber wenn Bush in den ersten vier Jahren alles abbaut, dann zeigt das eigentlich den Grund, warum es nur vier Jahre sein sollten. Ich hoffe, Amerika ist jetzt bereit für den Wandel, den ersten schwarzen Präsidenten zu haben. Das wird ein Moment für die Welt sein.

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