4. Juni 2014

"Die Menschen haben einen beschissenen Geschmack"

Interview geführt von

Rainer Von Vielen auf ein Genre festlegen zu wollen, gleicht ungefähr dem Versuch, einem Mann wie Lou Reed das Singen beizubiegen. Es geht zwar, bringen tut es trotzdem nichts, weil sie ohnehin gleich wieder alles über den Haufen schmeißen.

Wir trafen Gitarrist Mitsch Oko (Michi) sowie Frontmann Rainer in München und sprachen über rote Fäden, Gebete im Internet und - na klar - Überwachung. Ganz einig sind sich die beiden zwar nicht immer, eines wissen sie jedoch sicher: Genau das macht Rainer Von Vielen aus.

Seit dem letzten Interview mit uns vor vier Jahren habt ihr viel erlebt. Eine Tour durch Russland, ihr habt ein Theaterstück geschrieben ... Aber hat sich generell für die Band etwas geändert?

Michi: Nicht so viel. Rainer Von Vielen spielen immer noch sehr viele Livekonzerte und das macht uns nach wie vor Spaß. Das ist die wichtigste Nachricht. Und du hast es ja gerade angedeutet. Wir hatten die große Ehre, am Staatstheater Hannover "Mythen Der Freiheit" zu schreiben. Es war das erste Mal, dass wir so eine Arbeit mit der Band machen durften. Unser aktuelles Album "Erden" beinhaltet auch quasi alle Songs, die in diesem Bühnenstück auftauchen.

Rainer: Was sich aber in der Zwischenzeit bei uns getan hat – durch das Theaterstück und die intensive Arbeit daran – ist, dass wir einen ganz neuen Ansatz für Musik gefunden haben. Zum Beispiel machen wir inzwischen viel mit mehrstimmigem Gesang, was wir vorher überhaupt nicht hatten. Wir hatten die Möglichkeit, Sachen auszuprobieren und zu entwickeln. Unser Spektrum hat sich deutlich erweitert.

Michi: Wir haben uns auch verstärkt mit dem im Theater heimischen dramaturgischen Moment befasst. Wir setzen jetzt die ein oder andere Ansage bewusster ein und integrieren leichte dramaturgische Tendenzen in unser Set, so dass Rainer zum Beispiel mal eine kleine Pseudopredigt hält. So steht auf der einen Seite die Rock'n'Roll-Show – Hitze, Schweiß, verschüttete Bierflaschen, Dreck, Pogo, Tanz und was weiß ich alles – und auf der anderen die "Hochkultur" mit bestuhltem Publikumsraum und höherer, textlastigerer Aufmerksamkeit. Das ist schon eine feine Sache und sehr spannend. In Hannover stehen sogar noch ein paar Shows aus und für 2015 haben wir ein Engagement im Theater in Basel.

Habt ihr also versucht, mit dem neuen Material nicht nur alte Anhänger, sondern auch eine neue Zielgruppe, Theaterpublikum, zu erreichen?

Rainer: So kann man das nicht sagen. Wir haben eher geschaut, dass es beim Schreiben nicht zu theatralisch wird. Wir wollten, dass jeder Song zugänglich bleibt, auch wenn man das Theaterstück nicht kennt. Es sollte auf jeden Fall nachvollziehbar zu unserem bisherigen Weg passen.

Michi: Das Schreiben ist ja kein rationaler Prozess. Wir sagen nicht: "Das wird dir jetzt nicht gefallen, also machen wir es nicht". Sonst würde sich unsere Musik ganz anders anhören, wäre nicht so wild zusammengesetzt aus verschiedensten Stilen. Primär muss es uns gefallen. So handhaben wir es sonst, haben es also auch hier auf diese Weise gemacht. Natürlich hoffen wir, eine gewisse Schnittmenge mit dem Geschmack anderer Leute besteht.

Und wie sieht es bei den Texten aus? Habt ihr euch darin vom Theater beeinflussen lassen?

Rainer: Teilweise ja.

Michi: Im Theater haben wir viel gelesen, viel gesprochen und es gab natürlich unterschiedlichste Einflüsse. Wir haben das ja aus dem Nichts heraus geschrieben. Es war schließlich keine Neuvertonung von Goethes "Faust". Wir haben überlegt, welche Themen interessant sind und sind so auf "Mythen Der Freiheit" gekommen. Wir haben Sekundärliteratur herangezogen, in der Gruppe diskutiert und versucht, Aspekte des Themas "Freiheit" auszuleuchten.

Wie ist eigentlich generell das Verhältnis von Text und Musik bei Rainer Von Vielen?

Rainer: Uns ist auf jeden Fall wichtig, dass der Text verständlich und nachvollziehbar ist. Bei mir persönlich stand der Text am Anfang; bevor ich überhaupt Musik gemacht hab', habe ich schon geschrieben und getextet. Meine früheren Stücke hatten eine sehr hohe Textfülle. Damals stand er ganz klar im Vordergrund. In der Band geht es natürlich um das Zusammenspiel von allen Komponenten. Sprache ist genauso Musik wie Instrumente, nur eben eine andere Ebene. Deshalb kann man auch gar nicht mehr sagen, was wichtiger ist. Es ist das Zusammenspiel von allem, was das Gefühl in der Musik erzeugt.

Michi: Die Symbiose, ja. Man muss auch erwähnen, dass der letzte Textschliff im Grunde ausschließlich von Rainer kommt. Manchmal stellt er zwar Themen zur Disposition und wenn uns was nicht gefällt, wird auch abgelehnt. Aber prinzipiell bedingt eine Sache die andere. Eine allein kann bei Rainer Von Vielen nicht überleben. Wir machen keine reine Vokalmusik und keine Musik, die nur ohne Texte möglich ist, sondern es gibt beide Dinge.

Eure Texte geben, finde ich, relativ viel Interpretationsspielraum. Ist das Absicht?

Rainer: Das ist Absicht. Ich bin immer auf der Suche nach "allgemeingültigen Wahrheiten", um Texte zu verfassen, die man nicht unbedingt erklären muss, sondern in die sich jeder soweit hinein versetzen kann, um sich darin wiederzufinden.

Letztes Jahr gabs ein Großereignis, das eigentlich recht gut in euer Themenspektrum passt: der NSA-Skandal. Hat dieser euch direkt beeinflusst?

Michi: Gar nicht. Dass die NSA so viel überwacht, ist ja nicht wirklich überraschend. Viele Leute haben ja so getan: "Ui! Tatsächlich?". Wenn du im Internet bist, kann jeder auf der ganzen Welt nachvollziehen, was du gerade machst. Wie wir über unsere Smartphoneaktivitäten et cetera bis ins Detail ausgeleuchtet werden können, ist jedem von uns absolut klar.

Rainer: Ich habe spontan ein Gedicht dazu verfasst und auf unserer Seite veröffentlicht. Es kam zwar nicht überraschend, aber solche Sachen inspirieren uns schon. Das aktuelle Weltgeschehen nehmen wir natürlich auf und diskutieren darüber. Wir sind eine interessierte und auch politische Band. Es wird über viele Dinge gesprochen, die nicht mit der Musik zu tun haben.

Michi: Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass dieser NSA-Skandal für mich kein Skandal ist, weil mir das zuvor schon klar war. Ob NSA, CIA oder Pupsmichan-Organisation – das ist ja egal. Das Thema Überwachung hatten wir schon ganz am Anfang mit dabei. "Sandbürger" ist ein Beispiel.

Rainer, anfangs warst du Hauptsongwriter und mehr oder weniger solo unterwegs. Nach und nach seid ihr dann mehr zur Band zusammengewachsen. Haben sich dadurch Texte und auch die Musik stark verändert?

Rainer: Na klar. In einer Band bringt natürlich jeder sein eigenes Ding mit. Sehr viele Songs entstehen auch auf Basis eines Riffs von Michi. Dann bastle ich zuhause ein bisschen am Groove und im Proberaum arbeiten wir es gemeinsam aus.

Hat sich dadurch auch dein persönlicher Songwriting-Stil verändert? Oder schreibst du immer noch mehr oder weniger dasselbe, nur dass du es dann eben an die anderen weiterleitest?

Rainer: Inzwischen schreibe ich explizit für den Bandkontext. Früher habe ich Sachen produziert, bei denen ich vorher schon wusste, wie sie später einmal klingen sollen. Jetzt mache ich meistens nur "Layouts", um sie dann mit der Band umzusetzen.

Michi: Wir machen seit 2005 zusammen Musik. Natürlich musst du in so einem engen Zusammenleben von vier Leuten dein Ego runterschrauben. Nicht nur beim Songwriting. Es gibt eine klare Zweiteilung zwischen Rainers Künstlernamen "Rainer Von Vielen" und der Band "Rainer Von Vielen". Der Bandsound ist im Prinzip ein Konsens aus den unterschiedlichen Musikgeschmäckern der beteiligten Personen. Wenn ich alleine ein Projekt startet würde – ohne Rainer, ohne Dan, ohne Niko – würde sich das Resultat auf jeden Fall anders anhören. Manchmal muss man eben auch zurückstecken. Man lernt, wann es nach fünf Wochen im Tourbus besser ist, seine Schnauze zu halten, statt seine Meinung zu sagen. Sonst gibt es eh bloß Streit. Rainer Von Vielen wird so zu etwas Eigenständigem, unabhängig von den einzelnen Personen.

"Unsere Struktur wird uns nie ficken"

Vor kurzem sagten uns Jamaram im Interview, dass immer mehr Bands aussterben – weil zum Beispiel andere Dinge wichtiger werden. Ihr seid nach über zehn Jahre immer noch mit dabei. Warum glaubt ihr, ist das so?

Rainer: Dafür gibt es viele Gründe. Eine ist sicherlich, dass wir eine gewisse Struktur haben. Mitsch Oko macht Booking und hat somit die Organisation im Griff. Alles greift ineinander, wir können flexibel auf Veränderungen in der Band reagieren. Wir sind unabhängig von äußeren Einflüssen, nicht angewiesen auf Label oder Vertrieb, was wir zwar haben, aber auch selbst bewerkstelligen könnten, wenn wir wollen. Diese Unabhängigkeit war von Anfang an unser Ziel und hat dazu geführt, dass wir nicht irgendwann abgesägt wurden oder uns die Bürokratie gefressen hat.

Michi: Wir machen ja nicht Musik, weil wir Erfolg haben wollen, sondern weil wir Musik machen müssen. Weil es unser Ding ist. Manche Leute sagen: "Hey, da können wir ein paar Groupies abziehen und jede Menge Koks rotzen!". So ist es bei uns nicht. Wir machen Musik um der Musik willen. Zu Beginn gabs für uns zwei Möglichkeiten. Den schnelleren, risikoreichen Weg einschlagen oder den schwierigeren und langwierigeren Weg gehen, der dafür ein stabileres Fundament und gesundes Wachstumsvermögen besitzt. Also entweder leiht man sich Geld bei der Bank und pumpt das rein, muss aber bis zu einem gewissen Zeitpunkt das Geld wieder zurückgezahlt haben. Relativ realistisch für ein Band-Start-up wäre beispielsweise, dass ich mir 250.000 Euro hole und der Volksbank sage: "Ich zahle euch das in dreieinhalb Jahren zurück." Nichts anderes ist es, wenn man zu einer großen Plattenfirma geht. Das haben wir jedoch von vornherein abgelehnt, weil es die Band killen würde. Es würde einfach nicht funktionieren, da man einen festen Zeitpunkt vorgegeben hat, an dem die Kohle zurückgezahlt sein muss. Deswegen sind wir den langsamen Weg gegangen, der aber nachhaltig ist. Wir sind autark geblieben, schaffen es, viele Dinge abzufedern, die eine Band in den 80ern einfach nicht bewerkstelligt hätte. Rainer macht viel Produktion und Grafik, Dan macht viel im Internet – Homepage und den ganze Shit – ich mach die Organisation…

Rainer: Jeder von uns hat die Möglichkeit, zuhause aufzunehmen, kann das Zeug in die Dropbox legen. So sind die klassischen Strukturen einer Albumproduktion ein bisschen aufgelöst. Denn eine Produktion ist natürlich auch ganz schön teuer.

Michi: Unsere Struktur wird uns nie ficken. Klar, wir müssen immer viel spielen, um zu überleben, weil wir seit 2005 nichts anderes mehr machen. Aber alles befördert sich eben gegenseitig. Viel spielen heißt automatisch, mehr Leute zu erreichen und so wächst alles kontinuierlich weiter. Und keiner sagt: "Hey, jetzt ist Stichtag – wir brauchen all unser Geld wieder!". Deswegen sind wir auch relativ unabhängig von finanziellem, kapitalistischem Erfolg.

Ihr macht das also hauptberuflich. Kann man Rainer Von Vielen dann gewissermaßen als kleines, selbstständiges Unternehmen bezeichnen? Quasi wie eine Baufirma, nur in einem anderen Bereich?

Michi: Ja, genau. Wir haben zwei angemeldete Firmen. Zum einen meine Firma Ebenso Musik, ein Einzelhandelsunternehmen. Zum anderen die Rainer Von Vielen & Kauz GbR, die offizielle Bezeichnung der Band Rainer Von Vielen und Teilnehmer des normalen wirtschaftlichen Lebens, unser Gesicht für das kapitalistische System.

Man sagt generell, Musiker sei ein eher 'unnormaler' Job. Das alles hört sich aber eigentlich ganz geregelt an ...

Rainer: Er läuft halt antizyklisch zu den Jobs vieler anderer Leute. Wir sind fast nur am Wochenende unterwegs - Donnerstag, Freitag, Samstag – Sonntag ist meistens Heimfahrt. Das ist natürlich ein krasser Kontrast. Wir haben unsere Freizeit unter der Woche, während die anderen arbeiten.

Michi: Das ist nicht ganz richtig, wir schaffen ja unter der Woche auch.

Rainer: Ja, aber wir sind zuhause, während alle anderen weg sind.

Michi: Montag ist unser Sonntag, der Musikersonntag. Wir arbeiten, wenn andere Leute feiern. Das kapieren viele nicht. Und es ist auf jeden Fall ein harter Job. Viele Leute denken immer: "Hahaha, ihr kommt da hin und dann lecken euch alle den Arsch und ihr werdet hofiert". Nein, so ist das nicht. Du musst dich hochspielen, was oft hart ist. Deshalb ist es auch wichtig, dass die Musik, das Auf-der-Bühne-spielen nach wie vor Spaß macht. Klar gibts auch Konzerte, bei denen mal irgendwas nicht gescheit funktioniert oder man schlecht drauf ist, aber in 90 bis 95 Prozent aller Fälle ist es tatsächlich so, dass es richtig Spaß macht.

Ihr kommt aus dem Allgäu, also aus Bayern. Eine andere bayerische Band startet richtig durch: LaBrassBanda. Ich finde, vom Gesamteindruck kann man euch ein wenig vergleichen, zumindest geht es mir so.

Michi: LaBrassBanda ist auf jeden Fall eine Band, die wir sehr gut finden. Aber es gibt einen großen Unterschied. Sie fahren immer die eine Schiene – was ich jetzt keinesfalls wertend meine, sondern einfach feststelle. Bei uns sind auch immer dieselben Akteure beteiligt, aber ich glaube, dass bei uns die Einflüsse sehr viel unterschiedlicher sind. Klar sind die Songs von LaBrassBanda auch unterschiedlich, aber sie haben immer bayerischen Gesang, immer die Bläser, deren Harmonien im allgemeinen immer recht alpenländisch inspiriert sind – sie haben einen klaren roten Faden, der bei uns eben fehlt. Das kann man je nach Geschmack gut oder schlecht finden.

Ist also euer roter Faden, es nicht nach dem Roter-Faden-Prinzip zu machen?

Michi: Ja, gewissermaßen schon. Aber ich möchte noch mal sagen: LaBrassBanda sind wirklich gut. Oft spült es so viel Scheiße nach oben in die Charts, aber die finde ich echt cool.

Auf eurem aktuellen Album "Erden" findet sich das Stück "Der Große Bla", in dem ihr gewissermaßen Religionen bzw. das Glauben an etwas thematisiert. Im Grunde hat doch jeder einen solchen 'Großen Bla' oder? Jeder glaubt an irgendetwas. Was wäre denn eurer?

Michi: Also praktisch unser Gott ...

Rainer: Unser Irrglaube ...

Michi: Bei mir wäre es das Gefühl. Gott ist ja ein sehr menschlicher Begriff. Und wenn man diesen als die Zuspitzung aller guten und konstruktiven Dinge auf der Welt versteht, dann glaube ich auch an Gott. Aber ich glaube nicht an einen Gott institutionalisierter Organisationen jedweder Art – auch wenn es der Buddhismus ist, den wir Deutsche so sehr lieben.

Rainer: Also für mich ist das Stück mehr eine Medien- als eine Religionskritik. Medienkritik in einer religiösen Form, die Medien als Heiligtum. Meine Texte stammen meistens aus einem persönlichen Konflikt. Von daher kann ich vielleicht auch sagen, dass mein Großer Bla tatsächlich das Medium bzw. die Medien sind. Mein Laptop, das Internet, der eBay-Account et cetera.

Michi: Ich glaube, da können wir für alle in der Band reden. Das Wichtigste im Backstagebereich ist immer der Internet-Code.

Rainer: Ja! Jeder sitzt vor seinem kleinen Altar und versinkt in seinen Gebeten, in der Hoffnung sich darüber ein Glücksgefühl durch zum Beispiel eine Information zu angeln. Was im Endeffekt nichts großartig anderes ist, als das, was man in einer Religion versucht.

Im Cover spiegelt sich das ja teilweise auch wider. Bezieht sich dieses eigentlich nur auf einen bestimmten Song oder habt ihr versucht, darin mehrere unterzubringen?

Michi: So kann man das nicht sagen, weil wir da mittlerweile einen neuen Ansatz haben. Früher haben wir zuerst den Künstler geholt und zu ihm gesagt: "Hey, wir haben die und die Texte, die und die Ideen, mach daraus ein Cover!. Jetzt scannen wir weltweit alles und kaufen das dann ein.

Rainer: Wir suchen nach Artwork, das allen in der Band gefällt, bei dem alle sagen: "Geil, das passt zum Album". Das "Erden"-Artwork stammt von einer Künstlerin aus der Ukraine. Wir haben sie einfach angeschrieben. Sie hat sich total gefreut, dass wir uns für ihre Sachen interessieren und wir freuen uns, dass wir das Bild verwenden dürfen. Du findest entsprechende Albumelemente genau auf diesem Bild. Der Fernseher, das Medium, der Große Bla ...
Michi: …Vergänglichkeit…

Rainer: ... Tod und Leben, symbolisiert durch den Schmetterling ...

Michi: ... Religion, Auferstehung ...

Rainer: Von daher passt das total super. Und grafisch fanden wirs total ansprechend.

Michi: Die Entscheidung passierte nicht rational, sondern allein aus Bauchgefühl. Wir gehen da nicht ran und sagen: "Hey, das passt zu der und der Thematik, zu diesem Text". Sowas liest sich dann eher im Nachhinein.

Habt ihr schon Pläne für ein nächstes Album?

Michi: Ja, auf jeden Fall. Der kreative Prozess hört ja nicht auf. Ich liebe diese Tage, an denen ich einfach mal nichts im Büro mache, sondern mich den ganzen Tag in meinem Musikzimmer verschanze. Dann sitze ich da, spiele Gitarre und freu mich wie die Sau. Gestern hab ich das zum Beispiel gemacht und hatte drei klasse Songideen. Die nehme ich dann gleich auf und schicke sie Rainer. Der bastelt dann daran rum, so dass ich mich auf neue Instrumentierung freuen kann, die ich nicht drauf habe, weil ich einfach eine Saitenschlampe bin. Das ist einfach etwas Tolles! Gerade arbeiten wir beide auch an der Vertonung des nächsten Konstanzer "Tatort" und sammeln dafür Themen und Ideen.

Für "Tatort" habt ihr dann aber wahrscheinlich eine andere stilistische Ausrichtung oder?

Michi: Ja, ja. Das wird Filmmusik. Eine wichtige Aufgabe im Leben ist, sein Ego in vielen Sachen zu reduzieren. Das ist beim Film sehr einfach, weil wir dort ja gar nicht versuchen, uns selbst zu verwirklichen, sondern den Film unterstützen wollen. Wir gehen da natürlich nicht so ran und sagen: "Hey, da muss jetzt noch ein Gitarrensolo rein".

"Dö dödö dödööö dödö"

Vor kurzem habe ich mit einer Band gesprochen, die meinte Gigs und Studio sind zwei komplett verschiedene Bereiche für sie. Wie ist das bei euch?

Rainer: Rein technisch gesehen sind es schon zwei verschiedene Paar Stiefel. Aber zumindest beim aktuellen Album haben wir versucht, diese möglichst aneinander anzugleichen und im Studio die Live-Energie rüberzubringen.

Michi: Wir arbeiten intensiv daran, den Unterschied zwischen den zwei Sachen zu verwischen. Nur bedingen sie sich ja irgendwie gegenseitig. Das ist prinzipiell genauso, wie du die Musik nicht von den Texten trennen kannst und umgekehrt.

Rainer: Selbstverständlich nutzen wir alle Möglichkeiten, die uns das Studio bietet. Zusätzliche Instrumente aufnehmen, Doppeln, Soundeffekte ... Da stehen wir schon drauf. Nur soll es nicht das Lebendige verlieren, was ein Livekonzert ausmacht.

Michi: Ich habe dazu eine sehr faschistoide Meinung. Meine ideale Plattenaufnahme wäre, einen Liveauftritt ohne Schneiderei, eins zu eins als Studioalbumrelease zu veröffentlichen. Wenn alle damit zufrieden wären. Zufriedener als mit etwas, woran man rumschneidet. Nur ist das nicht wirklich möglich. Es beschneidet natürlich auch die Möglichkeiten eines Studios, wo du dir mal eben eine mongolische Pferdekopfgitarre dazuholen kannst.

Was hältst du davon, Rainer?

Rainer: Naja, ein Livealbum haben wir ja schon gemacht. Ich stehe schon auf die Frickelei und Schrauberei, deswegen träume ich davon jetzt nicht. Ich mag allgemein Liveaufnahmen nicht so gern, sondern stehe schon auf Studioaufnahmen, wo dann nicht die Location als Raum mit drauf ist.

Michi: Ich habe großen Respekt vor den alten Musikern, die in den 20ern, 30ern, 40ern aufgenommen haben und nur einen Take hatten. Der musste sitzen. Vor den technischen Fähigkeiten dieser Leute muss man seinen Hut ziehen. Es gibt Schlagzeuger, die verspielen sich einfach nicht. Das geht durch wie ein Uhrwerk: tak tak tak. Als es noch keine Computer gab, war der Mensch mehr Computer. (lacht) Was das musikalische angeht ...

Glaubst du, die heutige Technik ist deshalb vielleicht eher schlecht?

Michi: Nein.

Rainer: Sie bietet neue Möglichkeiten, aber man muss diese auch im Griff haben, denn sie können einem leicht über den Kopf wachsen. Man hat einfach zu viel davon. Die Kunst besteht jetzt mehr in der Reduktion. Früher musste man immer das Neueste haben, um Dinge umsetzen zu können, jetzt hat man alle Möglichkeiten und muss vorher viel mehr Konzept im Kopf haben. Damit man genau weiß, was man nutzen will, um sich später nicht zu verzetteln. Der Fokus hat sich ein bisschen verschoben.

Michi: Komplett. Es geht nach wie vor um Ideen. Die Stoßrichtung der Ideen hat sich jedoch verschoben. Die Digitalisierung hat alles verändert. Früher hat es genügt, ein tolles Album aufzunehmen. Heute geht es bei den Chartartists oft mehr um Verkaufscoups, dass du einen tollen Vertriebsweg wählst, dass Samsung deine Platte umsonst rausbringt, weil du der Mann von Beyoncé bist und lauter solche Sachen. Man muss lernen, mit der Herausforderung, die die Digitalisierung mit sich bringt, kreativ umzugehen. Nicht nörgeln, dass die Verkaufszahlen wegbrechen, sondern sich darüber freuen, dass man gestern Abend eine Riffidee hatte, die jetzt schon beim Sänger auf dem Computer liegt und der wiederum daran rumschrauben kann, ohne gleich an die Abbey Road zu fahren. Nur braucht man nach wie vor Ideen. Du kannst zum Beispiel ein Video sehr billig produzieren, brauchst aber eine gute Idee dafür. Genauso kannst du 120 Millionen ausgeben – wenn die Idee scheiße ist, wird auch das Video scheiße sein.

Man sagt ja immer, im Alter wird man weiser. Gibt es vielleicht Songs oder Texte, die ihr mittlerweile bereut oder die ihr deshalb nicht mehr performen wollt?

Rainer: Es gibt Songs, auf die wir keinen Bock mehr haben, aber das liegt meistens daran, dass wir sie schon so oft gespielt haben. Eigentlich existiert kein Lied, bei dem ich wünsche, es nie geschrieben zu haben. Es gibt Stücke, die ich nicht mehr spielen möchte, weil sie aus einem anderen Lebenszyklus stammen, der jetzt für mich keine Relevanz mehr hat. Aber das sind alles Entwicklungsschritte, die damals ihren Rechtfertigungsgrund hatten.

Michi: Manche Songs mag ich mehr als andere, aber ich sage bei keinem: "Oh Mann, sind wir Vollidioten". Am 28. Juni feiert unser Jugendhaus, in dem wir damals sozialisiert wurden, 40-jähriges Jubiläum. Dort wird es Reunion-Konzerte von den Bands geben, in denen wir als Jugendliche gejammt haben. In dem Zeug gibt es immer wieder peinliche Stellen, die man heute auf keinen Fall wiederholen würde, aber das ist eigentlich eher schön. Wenn ich an die Zeit zurück denke, kann ich eher darüber lachen, als dass ich mich dafür schäme. Meine Band geht so in Richtung Funk-Punk, Rainer spielt Faith No More-lastigen Crossover. Gewissermaßen hat uns das ja auch zu dem gemacht, was wir heute sind. Deswegen ist das alles in Ordnung. Auch wenn ab und zu das ein oder andere Lustige dabei ist. (lacht)

Zum Beispiel?

Michi: Naja, meine Band heißt Frantic und in einem Song geht der Refrain so: "I got frantic, i got frantic!". Und dazu Background-Vocals (mit hoher, heiserer Stimme): "I got frantic, i got frantic!". Da ist alles noch funk-punkig, doch plötzlich kommt dann dieser Techno-Breakdown: „Dö dödö dödööö dödö“. Wenn man das heutzutage hört, ist das fucking lustig. Richtig hart. Zum Schreien.

Letzte Frage: Was würdet ihr euch selbst fragen?

Rainer: Hm, welche Frage wurde denn noch nicht gestellt? Wie heißen die anderen Bandmitglieder? (lacht) Das ist Niko Lai am Schlagzeug und Dan le Tard am Bass.

Michi: Ich will fragen, warum Rainer Von Vielen noch nicht in den Top Ten waren. Und ich würde antworten: "Weil die Menschen so einen beschissenen Geschmack haben".

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