29. Januar 2020

"Keiner wird depressiv, nur weil er meine Musik hört"

Interview geführt von

Zur "einzigen Neujahrstradition, die zählt" erhob Die Welt seine jährlich wiederkehrenden "Statusberichte". "Mit negativer Musik erntest du mehr emotionale Reaktionen", glaubt Private Paul, und erzählt von Enttäuschung und Resignation, aber auch von Fankontakten, Verantwortung, Fließbandarbeit als Inspirationsquelle und Freestyle-Battles als Schreibtraining.

Aus dem finstersten Keller in den Kulturteil der Welt: Private Paul hat es geschafft. Dennis Sand, bisher als Haus- und Hofschreiber und Biograf von SpongeBozz aka Sun Diego in Erscheinung getreten, widmete dem vielleicht traurigsten Rapper im Hamburger Untergrund einen Artikel, der seine jährlich zu Silvester wiederkehrenden, in aller Regel höchst unfrohen "Statusberichte" würdigt. Dass das kein Grund zur ungetrübten Freude ist, zeigt sich im Gespräch.

Glückwunsch! Wie fühlt es sich an, "die einzige Neujahrstradition, die wirklich zählt", zu sein?

Ich hab' keine Ahnung, wie es dazu gekommen ist. Ich hab' damit niemals gerechnet. Ich war sehr überrascht. Ich hab' mich natürlich auch sehr gefreut.

Du hast den Kollegen nicht aktiv bemustert?

Nein! Ich hatte den gar nicht auf dem Schirm. Dunkel, im Hinterkopf, hatte ich den Namen schon mal irgendwo wahrgenommen. Ich hab' ein bisschen recherchiert und gesehen, was der so gemacht hat. Dann wusste ich natürlich, dass ich den Namen in diesem Zusammenhang schon mal gehört hatte. Ich hab' mit dem aber nie Kontakt gehabt, ich hab' ihm nichts geschickt, ich hab' nicht mal gewusst, wer er ist. Um so krasser hab' ich mich natürlich gewundert und auch gefreut, dass plötzlich aus dem Nichts - wohlgemerkt am 1. Januar sogar! - in der Welt ein Artikel über mich steht. Das hat sich irgendwie sehr surreal angefühlt.

Kann ich mir vorstellen. Ich sag' das seit Jahren immer wieder, ich weiß. Aber deinen diesjährigen "Statusbericht" fand ich noch deprimierender als sonst. Wie empfindest du das selbst?

(Lacht) Das fand ich auch, ja. Ich versuch' ja immer, den vorigen zu übertreffen. Auch, wenn ich weiß, dass du eigentlich lieber was Positives hören willst. Aber du bist da ziemlich allein. Ja, es hat sich halt so ergeben, jetzt. Mir hat lange Zeit ein Thema gefehlt, zu dem man tatsächlich was Hörenswertes erzählen konnte. Das hat sich dann zum Ende des Jahres mit diesen beiden Themen mehr oder weniger von selber erledigt. Ich hab' auch vor Release, beim Schreiben, gedacht, es ist irgendwie ... ich weiß nicht ... es ist anders als die bisherigen. Ich weiß nicht, ob das funktioniert. Ob das überhaupt jemand hören will? Im Endeffekt ist es ja nur Gejammer darüber, dass keinen mein Album interessiert und dass meine Katze gestorben ist. Dass es jetzt dann doch besser funktioniert hat als alle Statusberichte vorher - außer dem ersten, natürlich - das hat mich jetzt auch überrascht. Es ist sowieso jedes Jahr wieder aufs Neue überraschend, wie krass das ankommt.

Wenn du sagst, es habe "besser funktioniert", machst du das an Klickzahlen fest?

Ja, klar. Ich hab' ja sonst keinen Maßstab. Ich seh' nur an der Geschwindigkeit, mit der sich die Klickzahlen entwickeln, dass das wohl sehr gut ankommen muss.

Wenn die Leute das anklicken, wissen sie ja aber noch nicht, worum es geht. Die Themen kennen sie ja erst, nachdem sie es schon angeklickt haben.

Das stimmt natürlich, klar. Aber wenn du das in Relation setzt zu den Klickzahlen von meinem Album oder auch zu den vergangenen Statusberichten, geh' ich mal davon aus, dass ein Track, der gut ankommt, positive Resonanz erzeugt. Dass der sich schneller verbreitet. Dass dann auch mal jemand seinem Kollegen sagt: "Ey, hör' dir das mal an, das ist krass", als wenn es einfach nur so ein Standard-Track wäre. Ja, gut, hab' ich gehört, und damit hat sichs erledigt. Dass die Zahlen jetzt deutlich schneller angestiegen sind, heißt - das ist für mich die einzige Art, das zu interpretieren - dass dieser virale Effekt dadurch gegeben ist, weil es eben gut ist. Den gibts natürlich auch, wenn etwas schlecht ist. Aber die Daumen und die Kommentare lassen mich vermuten, dass es gut ist.

In erster Linie sprechen aus dem "Statusbericht 2019" Resignation und Enttäuschung, vor allem darüber, künstlerisch auf den "Statusbericht" reduziert zu werden. Da schlägt der Welt-Artikel doch wieder genau in diese Kerbe.

Hmm. Eigentlich ja. Auf den ersten Blick, natürlich, ja. Weil das der Aufhänger ist. Aber interessanterweise, was mich auch nochmal extra überrascht hat, geht dieser Welt-Artikel deutlich tiefer. Das ist sogar umfangreicher, als in den meisten Rap-Medien über mich berichtet wird. Das kam noch dazu: Da hab' ich überhaupt nicht mehr gewusst, was jetzt passiert, wo er plötzlich 'ne Abhandlung über mein Schaffen da reingeschrieben hat. Ich dachte: Hä? Wie kann das denn sein?

Das las sich jedenfalls so, als ob der Kollege Sand schon länger verfolgt, was du machst. Das war auf keinen Fall neu für ihn.

Klar. Aber trotzdem! Dass der nicht von null da rangekommen ist, das hab' ich schon erwartet. Aber dass das überhaupt für Leute interessant ist ... Ich hab' die Erwartungshaltung, dass ein Journalist, der eine Meinung zu mir hat, die auch schon mal irgendwo geschrieben haben sollte. Das ist wahrscheinlich 'ne falsche Vorstellung, aber so war das bisher eigentlich. Weil ich bisher auch nur mit Journalisten aus dem Rap-Medien-Umfeld zu tun gehabt habe, die ich auch meistens persönlich irgendwo schon mal getroffen hab' und gefragt: Kannste mal irgendwas schreiben? Wo man eben schon gewusst hat, dass die Leute einen auf dem Schirm haben. Oder eben nicht. Dass jetzt aber plötzlich irgendwer von der Welt kommt und meine Diskografie scheinbar gut kennt, damit hab' ich nicht gerechnet.

Du beklagst die mangelnde Beachtung, die dein Album "DSEPR" gefunden hat. Kaum Reviews, es taucht in keinem Jahresrückblick auf. Woran, glaubst du, lag das?

Ich weiß es nicht. Ich hab' jetzt nochmal versucht, zu resümieren, ob ich irgendwas falsch gemacht hab' oder so. Aber ich hab' alles so gemacht wie immer, wie bei allen anderen Releases vorher. Die haben allerdings alle jeweils mehrere, fünf oder sechs Reviews gekriegt, sind in irgendwelchen Magazinen besprochen oder erwähnt worden, und die hab' ich auch öfter mal auf irgendwelchen Jahres-Bestenlisten gesehen. Ich dachte, der Name Private Paul dürfte jetzt zumindest schon ein Begriff sein. Wenn ich da ein Album hinschicke, 'nen Pressetext dazu ... Die Videos hab' ich auch überall hingeschickt, aber irgendwie ... ich weiß nicht. Ich hab' teilweise das Gefühl gehabt, als ob meine Mails im Spamfilter hängen geblieben sind. Ob das einfach niemand gesehen hat? So ist es mir vorgekommen. Weil auch keine Antwort auf irgendwas kam, es ist einfach so im Nichts verpufft. Woran es liegt, weiß ich nicht.

Ich bin überzeugt, dass es zumindest teilweise an dem wahnsinnig ungeschickten Erscheinungstermin in der Adventszeit lag. Jede Redaktion ist im Dezember mit Jahresrückblickerei beschäftigt (dafür kam es halt einfach zu spät), und der Rest der Welt mit Weihnachtsvorbereitungen ... vielleicht wäre sinnvoll gewesen, es bis Januar zurückzuhalten.

Hmm, hab' ich auch überlegt. Aber ich hab' im letzten Statusbericht gesagt: Dieses Jahr kommt das Album, versprochen. Also musste das dieses Jahr noch kommen.

Versprechen halten geht dir also über Kommerz-strategische Gedanken?

Natürlich. Das war schon wirklich der Hauptgrund dafür, dass es auf jeden Fall noch in dem Jahr kommen musste. Und dazu kam halt, dass es der 13.12. war, außerdem Freitag, der 13. Es kann eigentlich kein besseres Datum geben, um ein Album zu veröffentlichen. Abgesehen davon, dass es halt Dezember ist.

Aus verkaufsstrategischen Gründen auf das schöne Datum zu verzichten und sechs Wochen später zu veröffentlichen: Wäre das schon eine Art des Sich-Verbiegen-Müssens für dich?

Ja.

Echt? Okay.

Sooo dramatisch ist es jetzt nicht. Ich hab' nur einfach nicht mit der Tragweite gerechnet, die dieses Datum offensichtlich hat. Ich dachte, Dezember ist im Endeffekt halt auch nur ein Monat im Jahr. Mir war nicht bewusst, dass da halt wirklich überhaupt nichts mehr geht, in den ganzen Redaktionen, und dass alles, das in der Zeit passiert, halt einfach in den Müll fliegt, außer die Triple-A-Releases. Ja, da gibts wohl schon noch Kapazitäten.

Welche Zugeständnisse würdest du denn machen, um dein Zeug vielleicht etwas erfolgreicher an den Mann zu bringen?

Es ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass ich ein Releasedatum verschiebe. So dramatisch ist das, wie gesagt, nicht. Aber dieses Versprechen, das ich da gegeben habe, war für mich jetzt tatsächlich der Hauptgrund dafür, dass ich gesagt habe: Das muss auf jeden Fall dieses Jahr noch kommen. Wenn das nicht gewesen wäre, hätte man auch gut darüber reden können. Wenn ich vorher mit dir geredet hätte, und du hättest mir gesagt: "Hör' mal zu: Erfahrungsgemäß ist im Dezember überhaupt nichts zu holen, mach das lieber im Januar" ... wer weiß?

Versprechen einhalten, das ehrt dich aber natürlich. Was an deiner Musik seit Jahren positiv hervorgehoben wird, ist die schonungslose Ehrlichkeit. Legst du darauf bewusst Wert oder "passiert" das einfach so?

Würde mal sagen: erst das eine, dann das andere. Ich leg' schon Wert drauf, nicht einfach irgendwas zu erzählen. Es fühlt sich für mich auch falsch an, was zu erzählen, wo ich nicht komplett dahinterstehe.

Um die überstrapazierten Worte "Authentizität" und "Realness" zu benutzen: Sind das Faktoren für dich?

"Der realste Rapper, den Deutschland je hatte", das kommt ja nicht von ungefähr. Das war mir damals auch gar nicht so bewusst. Ich hab' nur irgendwann immer öfter diese Analyse über mich gehört, dass es wohl so ehrlich und schonungslos und real sein soll, und dann hab' ich festgestellt: Eigentlich stimmt das schon. Ich hab' mir nie was ausgedacht oder Scheiße erzählt. Es ist einfach so.

Ist dir auch wichtig, dass du das Gefühl hast, dass du keinen Bullshit erzählt bekommst, wenn du Musik von anderen hörst? Müssen Künstler für dich aufrichtig sein?

Das kommt natürlich ganz auf die Art der Musik an. Wenn es um reines Entertainment geht, kann man mir erzählen, was man will, das ist klar. Aber gerade, wenn es um deepe Sachen geht: Wenn man da spürt, dass das da jemand so zusammengereimt hat oder krass ausgeschmückt, dann macht das für mich sofort den Zauber kaputt. Dann kann ich das auch nicht mehr ernst nehmen.

Kannst du Kunst und Künstler trennen?

Ja, absolut.

Ich hab' ja ernsthafte Schwierigkeiten, Musik von Leuten zu genießen, die ich für ausgemachte Arschlöcher halte. Du nicht?

Wenn ich jetzt frage: "Wer?", dann wirst du dich wahrscheinlich diplomatisch zurückhalten.

Meine Abneigungen sind ja eigentlich recht gut dokumentiert.

(Lacht) Es ist schon problematisch, wenn jemand jetzt starke Abneigungen gegen jemanden hat. Aber das ist eher, wenn es um persönliche Ebenen geht. Wenn mir jetzt das Image oder das, was jemand öffentlich von sich preisgibt, nicht gefällt, dann hab' ich eigentlich erst einmal kein Problem mit der Musik an sich.

Wobei das ja oft zusammenhängt: Wenn einer ein Scheiß-Image spazieren trägt, hab' ich halt meistens sowieso schon übersichtlich viel Bock auf die Musik.

Natürlich, klar. Aber wenn jemand jetzt ... ich weiß gar nicht genau, wie ich das sagen soll! (Überlegt) Grundsätzlich steht die Musik erstmal für sich. Das kann natürlich überschattet werden, wenn jemand superscheiße ist. Aber es steht in keinem absoluten Widerspruch.

Zu viel über einen Künstler zu wissen, ist vielleicht gar nicht gut.

Das ist sicherlich richtig, ja. Ich hab' schon viele Skandale miterlebt, wo irgendjemand irgendwas Falsches gesagt hat und dann ein Riesendrama draus gemacht wird. Es ist, glaub' ich, schon 'ne gute Sache, wenn man als Künstler versucht, sich nicht zu weit zu öffnen.

Lustig, dass ausgerechnet du das sagst. Bei dir hatte ich jetzt nie das Gefühl, dass besonders viele Ebenen die reale von der Künstlerperson trennen.

Nee, genau. Das ist ja bei mir auch was anderes. Wie du schon gesagt hast, weil das einfach so ist. Weil ich mir nichts ausdenke, weil meine "Künstlerpersönlichkeit" kein Image ist. Trotzdem kann es jederzeit sein, dass zum Beispiel irgendwelche Twitter-Aussagen von mir jemandem nicht passen und dadurch sofort der Unhörbar-Stempel draufkommt. Das kann jederlei Thema sein, und das muss einfach nicht sein. Natürlich kann man das machen, wenn einem das egal ist. Ich persönlich hab' kein Problem damit, auf Augenhöhe mit meinen Hörern zu interagieren. Aber dabei besteht eben immer die Gefahr, dass Leute es in den falschen Hals kriegen, wenn man irgendeine Meinung zu einem Thema hat. Und dass dann schnell die persönliche Differenz ausgeweitet wird auf das Gesamtprodukt.

Du überlegst dir also gut, was du öffentlich an Meinung preisgibst?

Ja, klar. Das muss man schon machen. Es gibt halt immer wieder Sachen, wo man sich denkt: Ja, gut, ich sag' jetzt mal lieber nix dazu, weil sonst ist das ein Riesendrama, und das muss einfach nicht sein. Ich hab' ja auch keine Privat-Accounts mehr auf irgendwelchen Social Media. Das ist alles die Künstlerperson, die da sichtbar ist. Ich schreib' viel privaten Scheiß da, aber ich will die Verbindung zu meiner Privatperson natürlich trotzdem gering halten.

Trotzdem breitest du in deinen Tracks dein Gefühlsleben, deinen Gemütszustand und auch deine Krankheitsgeschichten sehr offen aus. Hast du keine Angst davor, dich damit angreifbar zu machen?

Die hab' ich sehr lange gehabt. Hab' ich auch teilweise immer noch. Ich hab' schon öfter drüber nachgedacht, ich glaube, man kann es erklären mit diesem "8 Mile"-Effekt: Wenn man selber schon alles erzählt hat, was will dann noch jemand sagen? Im Endeffekt sind das ja auch keine offenen Wunden, die ich präsentiere, sondern fertige Geschichten. Außerdem ist das, was ich auf Tracks sage, ja auch intensiv durchdacht, die potentielle Außenwirkung eingeschätzt, nicht einfach ein besoffener Tweet Samstagnacht um 3 Uhr zu random Thema XY.

Es passiert also immer im Nachgang? Du schreibst nie aus der akuten Situation heraus?

Es kommt natürlich schon aus der Situation heraus. Aber es sind keine Sachen, bei denen ich mich angreifbar fühle.

Wir kennen uns schon eine ganze Weile, und ich fand dich immer sehr leicht erreichbar. Das gilt ja auch für deine Fans. Irgendwann sagtest du mal, du versuchst, jedem zu antworten. Ist das immer noch so?

Das ist immer noch so, und das hab' ich auch bis heute geschafft.

Ist das nicht eine Wahnsinnsbelastung, nicht nur zeitlich, sondern auch emotional?

Doch, absolut. Ich hab' auch schon öfter drüber nachgedacht, das auch mal zu lassen. Gerade in solchen Hochphasen wie nach "Statusbericht" ist das wirklich schwer machbar, weil du den ganzen Tag mit Sachen bombardiert wirst, die auch nicht alle die Zeit wert sind. Aber manche sinds halt schon. Es ist sehr schwer. Ich weiß auch nicht, ob das richtig ist, sich mit allen zu befassen. Es fühlt sich für mich richtig an, für jeden Hörer, der irgendwie was fühlt und sich angesprochen fühlt, irgendwie auch ansprechbar zu sein.

Es passiert ja schon in den Kommentaren, dass dir da teils Leute ihre eigenen Leidensgeschichten vor die Füße werfen. Wie weit kommt das an dich ran? Wie schützt du dich davor, dass dich das runterzieht?

Ja. Ich versuche, das alles auf einem nicht ganz distanzierten, aber schon nicht super tiefgehenden Level zu halten, damit das keine tagelangen Diskussionen oder Gespräche über heftige Themen werden. Ich hör' mir alles an. Wenn ich was dazu sagen kann und will, dann sag' ich auch was dazu. Ich versuch' aber, das relativ knapp zu halten. Weil es sonst auch allein von der Zeit her schon gar nicht möglich ist, irgendwie zu antworten. Ich sitz' manchmal stundenlang an Instagram und beantworte irgendwelchen Scheiß. Auf Twitter schreibt die ganze Zeit jemand. Mein YouTube ist sowieso voller Kommentare, Facebook auch. Dann kommen noch Leute über e-Mail ... Ich könnte den ganzen Tag mit Leuten über ihre Probleme quatschen und über meine Probleme, aber man muss es halt irgendwie begrenzen. Auch wenn ich trotzdem versuche, irgendwie ansprechbar zu bleiben.

Wenn Menschen einem ihre Probleme anvertrauen, hat man für diese Leute dann auch irgendwie eine Verantwortung?

(Zögert) ... jaaa. Verantwortung würde ich, glaub' ich, nicht sagen. Aber man fühlt sich schon irgendwo in der Pflicht, sich damit zumindest auseinanderzusetzen.

Um die Verantwortung des Künstlers geht es immer wieder, wenn jemand irgendeinen Blödsinn gemacht hat, angeblich "wegen der Musik", beliebig austauschbar gegen "wegen der Ballerspiele" oder "wegen der Horrorfilme", die derjenige konsumiert hat. Glaubst du, dass Künstler in irgendeiner Weise verantwortlich für ihre Fans sind?

Nein. Ich finde, Kunst und Musik sind im Endeffekt Manifestationen einer Ansicht oder einer Stimmungslage, die sowieso schon da ist. Wenn du ein Amokläufer bist, dann wirst du nicht durch die Musik zum Amokläufer, sondern du bist von vorneherein schon total durchgedreht. Die Musik spricht dich dadurch halt an. Nicht andersrum. Genau so ist das bei mir: Keiner wird, weil er meine Musik hört, auf einmal depressiv und vom Leben enttäuscht sein. Sondern andersrum: Leute, die vom Leben enttäuscht und depressiv sind, die suchen nach einer Musik, bei der sie sich verstanden und nicht allein fühlen. So geht es mir zumindest, und so bekomm' ich in 99 Prozent der Fälle erklärt, warum Leute meine Musik hören. Das ist im Endeffekt nur die Bestätigung des eigenen Gefühls, das sowieso schon da ist.

Im Grunde seh' ich das auch so. Wenn ich aber solche Zeilen höre wie "Immerhin geht es jetzt ohne die Tabletten, ich hab' sie irgendwann einfach weggelassen", dann mach' ich mir schon einen oder zwei Gedanken, ob das nicht jemanden inspirieren könnte, das einfach mal nachzumachen. Was ja tatsächlich verheerende Auswirkungen haben kann.

Das kann es, ja. Aber genau so gut kannste jedes andere Lied nehmen, wo es heißt "Ich hau' dir auf die Fresse" oder so. Da könnte man auch drüber nachdenken, ob das jetzt jemand als Problemlösung ansieht.

Manchmal ist es das ja. Manchmal helfen Schellen.

Das stimmt, ja. Diese Zeile, die du zitiert hast, war jetzt speziell aber nochmal besonders auf Realness bedacht, weil sie halt aus dem "Statusbericht" ist, und ich da einfach tatsächlich eins zu eins erzählen wollte, was passiert ist. Und weil ich schon in den vorigen immer wieder angeteasert hatte, wie meine Situation mit Antidepris und Alkohol und so weiter ist. Deswegen hab' ich da jetzt den Bogen geschlagen, dass ich durch dieses Absetzen der Tabletten diese innere Leere bekämpft habe, und eben auch die Schreibblockade.

Für dich zumindest scheint das ja funktioniert zu haben.

Das hat mehr oder weniger gut funktioniert, ja. Ich hab' zumindest das Lied und das Album fertig gekriegt.

"Freestyle-Battles schulen das Gehirn"

Stichwort: Album. Es heißt "DSEPR", was leider kein Etikettenschwindel ist: depressiv-suizidaler Emo-Punk-Rap, ist alles drin. Das Depressiv-Suizidale steckte bei dir ja schon immer drin, stand aber noch nie so prominent und explizit im Fokus.

Das find' ich sehr überraschend, eigentlich. Weil ich persönlich fand, dass das jetzt das umgänglichste Album bisher war.

Jesus. Deine Wahrnehmung ...

(Lacht) Gerade nach "Schwarzweißrot" hab' ich überlegt, dass es da vielleicht schon too much war. Mir persönlich nicht, aber auf Gesamtspieldauer eines Albums ist da halt nur tropfende Traurigkeit drauf. Ich dachte, ich will wieder zurück zu dem Feeling von "Emopunkrap 1", wo ich eben auch noch mal was Aggressiveres, mal was Lustigeres reingemischt habe. Einfach so ein bisschen Auflockerung. Das hab' ich versucht, hier zu tun.

In dem Zusammenhang drängt sich die Frage auf: Was ist eigentlich aus deiner zweiten (oder früheren) Künstlerpersona Kash geworden? Das Zeug, das du unter dem Namen veröffentlicht hast, war ja genau, was du hier beschreibst: mehr Haudrauf und Exzess, und damit nicht ganz so traurig.

Ich habe irgendwann festgestellt, dass das einfach ultraviel Zeit in Anspruch nimmt. Wie man jetzt schon gesehen hat, schaff' ich es ja gerade so, in fünf Jahren ein Private Paul-Album fertig zu machen. Wenn ich da noch ein zweites Album gleichzeitig machen würde, wird das ja nie fertig. Es ist nicht ausgeschlossen, dass da nochmal was gehen wird. Aber ich habe momentan versucht, dass wieder ein bisschen in dieses aktuelle Album einfließen zu lassen, damit es nicht so krass in die andere Richtung geht. Zum Beispiel gab es da diesen "Es Tut Mir Leid"-Track, und es waren noch zwei, drei drauf, die eher aggressiver waren. Das ist jetzt nicht eins zu eins Kash-Stil, aber schon eher diese Richtung.

Heißt, du sparst dir jetzt einfach die namentliche Trennung?

Aktuell versuche ich, die ein bisschen zu revidieren. An sich find' ich nach wie vor, das ist eigentlich 'ne gute Idee. Aber es ist einfach logistisch nicht mehr machbar, momentan. Vor allem hab' ich, als ich diese zwei Sachen gleichzeitig gemacht habe, studiert. Damals hab' ich den ganzen Tag nichts anderes gemacht als Musik, da war das noch gut möglich. Heutzutage ist das halt nicht mehr so.

Da erübrigt sich die Frage schon fast, was aus Dat Eve geworden ist. Hast du dann doch keinen Bock auf eine Karriere als Trap-Star und Flixbus-Galionsfigur gehabt?

Das ist auch noch schwebend. Bei diesen Spaßdingern ist es natürlich noch viel mehr so, dass ich meine Ressourcen einfach bündeln muss. Ich kann nicht die ganze Zeit irgendeinen Scheiß machen, wo nur ich mich drüber freue und der am Ende vielleicht 5.000 Klicks bei YouTube kriegt. Da freuen sich zwar auch alle drüber, aber das wars, und auf dessen Kosten kriegt dann das Zugpferd Private Paul keine Zeit mehr ab. Das bleibt einfach liegen, weil ich die ganze Zeit irgendeinen Unsinn mache. Ich mach' natürlich oft immer noch Unsinn, aber das ist jetzt alles sehr viel schwieriger zu managen. Weil einfach zeitmäßig nicht mehr so viel geht.

Du hast ja durchaus auch 'ne Battlerap-Vergangenheit. Reizt dich diese Duell-Situation noch?

Da ist es genau das gleiche. Reizen ... ich weiß nicht, Diese Battle-Zeit ist auch irgendwie vorbei. Gerade was das VBT oder sowas angeht, falls du darauf hinaus willst. Ich wurde auch schon gefragt, ob ich bei solchen Live-Battles mitmachen will. Das find' ich an sich auch nicht verkehrt. Aber das ist genau das gleiche Ding: Du schreibst da über Monate hinweg, und dann wars das. Dann hast du zwar mal ein Battle gemacht, aber das hat keine Substanz, und diese Zeit kannst du dann halt für nix anderes verwenden.

Du sprichst offensichtlich von vorbereiteten, gescripteten Battles.

Ja, klar. Freestylen, das kann man schon mal machen. Wobei ich auch nicht mehr freestylen kann. Ich konnte das früher mal ein bisschen. Ich war auch früher auf jedem Freestyle-Battle, das ich gekriegt hab', einfach so, zum Spaß. Hab' mich einfach vollgesoffen und mitgefreestylet, aus Gaudi. Das war auch cool, und ich glaube, ich war auch nicht der Schlechteste. Aber ich hab' jetzt einfach seit zehn, fünfzehn Jahren nicht mehr gefreestylet. Wenn ichs mal probiere, kommt irgendwie nix mehr raus. Vielleicht sollte ich das mal wieder machen.

Es gibt kaum was, vor dem ich mehr Ehrfurcht habe, als wenn einer freestylen kann. Ich bin halt schon beim Sprechen das Gegenteil von schlagfertig. Mir völlig unklar, wie einem da auf die Schnelle überhaupt irgendwas einfallen kann. Zwanzig Minuten später weiß ich immer genau, was ich hätte sagen sollen.

Hinterher dann, das ist bei mir genau gleich. Wir haben früher aber immer Vierzeiler-Battles gemacht, das ist 'ne coole Sache. Es schult vor allem auch das Gehirn zum Schreiben. Du gewöhnst dich sozusagen an die Denkmuster, wie man schnell und effektiv einen reimenden Satz zusammenbringt. Das ist schon 'ne sinnvolle Sache.

Vielleicht würde das dann mit dem Album auch wieder schneller gehen.

Ja, genau, das könnte sein. Ich hab' das auch schon zu einem Kollegen gesagt. Wir waren vor ein paar Monaten hier auf so einem Freestyle-Abend. Er war auf der Bühne und ich eben nicht, und dann hab' ich gesagt: Ich würd' eigentlich auch gern, aber ich kann das nicht mehr. Ich hab' dann im Nachhinein gesagt, ich würd' gern öfter mal einfach zu Hause mit ihm zusammen freestylen, damit ich da wieder reinkomm' - in der Hoffnung, dass das auch meinen Schreibe-Prozess positiv beeinflusst. Passiert ist das bisher natürlich noch nicht. (Lacht)

"Akkord- und Schichtarbeit waren meine Inspirationsquellen"

Wie das oft so ist, mit Vorsätzen. Stichwort: Von der Musik leben können. Bei einem Nischenkünstler deiner Größenordnung liegt ja auf der Hand, dass das nicht drin ist.

Utopisch!

Angenommen, die Wunschfee käme vorbei: Wäre das für dich überhaupt eine erstrebenswerte Situation?

Ja, klar! Ich wüsste nicht, was für Argumente es dagegen geben könnte.

Oh, ich hab' da schon einige gehört. Mir haben etliche Künstler erzählt, dass sie gar keine richtigen Vollzeitmusiker sein wollten. Weil die Musik dann automatisch Broterwerb wäre und damit ganz neuen Zwängen unterliegt. Wenn du damit dein Geld verdienst, musst du ja noch viel wirtschaftlicher denken.

Ja, gut, das ist klar. Wenn du es unter diesem Gesichtspunkt betrachtest, würde ich das natürlich auch nicht wollen. Das Problem ist genau dieses Mittel-Plateau, wo du gerade davon leben kannst. Wo du dann auch am Fließband arbeiten musst, damit du überlebst. Das ist natürlich scheiße. Der gute Zustand ist derjenige, wo du dir keine Sorgen mehr drum machen musst. Wo du die Freiheit hast, dann, wenn du Lust, die Muße und die Inspiration hast, was zu machen, dann aber jederzeit, immer, meinetwegen auch tage- und wochenlang. Wenn aber gerade nichts kommt und es nicht funktioniert, dass du es dann auch lassen kannst. Das ist so der Zustand, den ich mir wünsche.

Verstehe. Zustand "Richtig viel Asche".

Das muss noch nicht mal richtig viel sein. Aber es sollte halt schon genug sein, dass man sich erstmal nicht weiter drum sorgen muss, ob am Ende des Monats noch genug Miete für den nächsten Monat da ist.

Mir haben auch schon Leute erzählt, sie brauchen ihren Beruf, ihr "richtiges Leben", um überhaupt irgendwas zu erzählen zu haben. Oder auch, um sich zu erden. Manche steigern sich ja so in ihren künstlerischen Film rein, dass sie am Ende nur noch um sich selbst kreisen.

Das ist auch ein sehr gutes Argument und eine Aussage, die ich auch bestätigen kann. Allerdings habe ich im Rahmen meines Lebens auch schon festgestellt, dass es davon verschiedene Qualitäten gibt. Ich war mehrmals am Band, so Akkord- und Schichtarbeit, und das war für mich die Non-plus-ultra-Quelle für Ideen und Inspiration für Musik. Du stehst jeden Tag acht bis zehn Stunden in einer Umgebung, auf die du eigentlich keinen Bock hast und in der du ohne Kontakt und ohne Gehirnanstrengung auf dich allein gestellt bist. Meistens durfte ich da auch keine Musik hören. Du hast da einfach komplette Leere im Kopf, die sich quasi von selbst mit Kreativität füllt. Das ist wirklich supergeil. Das hat mich überrascht, weil eigentlich hab' ich Bandarbeiten immer gehasst. Aber ich hab' immer mein Handy dabei gehabt und hab' jede Nacht mindestens fünf Lines aufgeschrieben. Das waren meine produktivsten Zeiten, glaub' ich. Wenn du allerdings einen Job hast, wo du auch 'n bisschen intellektuell arbeiten musst, dann ist im Hirn oft einfach kein Platz mehr für Kreativität. Weil du dich tatsächlich die ganze Zeit auf was anderes konzentrierst. Das hat selbstverständlich den gegenteiligen Effekt: Du hast dann keine Idee mehr, weil du überhaupt nicht mehr die Freiheit hast, mit den Gedanken abzuschweifen oder überhaupt erst über Sachen nachzudenken. Du bist die ganze Zeit konzentriert auf irgendwas anderes.

Irgendwann ist man halt auch einfach mal müde. Man muss sich ja auch eingestehen, dass die Ressourcen halt doch begrenzt sind.

Ja, genau. Aber deswegen war das, als ich nächtelang alleine am Band war, ja die Quelle meiner Inspiration.

Ein Vorteil daran, in seiner eigenen Nische zu operieren, besteht auf jeden Fall darin, dass man - inhaltlich wie musikalisch - machen kann, was man will, ohne dass jemand reinredet. Gerade dann, wenn man, wie du, auch noch die Produktion alleine macht. Arbeitest du gern allein?

(Überlegt) Ich würde mal grundsätzlich sagen: ja. Ich finde, das hat schon sehr viele Vorteile, wenn man genau das machen kann, was man will, und das auch genau so, wie man es will. Es hat natürlich auch Nachteile. Wenn man zu mehreren arbeitet, mit verschiedenen Leuten, dann hat man viel mehr Einflüsse und größeren Abwechslungsreichtum. Wenn man alleine ist hingegen, ist es schwierig damit. Ich denke, man hört bei mir auch deutlich raus, dass das alles von einer Person gemacht worden ist. Das hätte man wahrscheinlich nicht, wenn man mit mehreren Leuten arbeitet. Das kann aber auch Vor- und Nachteil sein.

Sobald andere Leute mitarbeiten, bekommst du vor allem automatisch noch eine Kontrollinstanz. Holst du dir beim Entstehungsprozess eines Albums irgendwann irgendwo Feedback ein?

Ja, klar. Selbstverständlich zeigt man das mal ein paar Kollegen. Lass' mal kurz zählen ... das Album jetzt haben vorab insgesamt drei Leute gehört, aber alle immer nur im Nachhinein. Diese Kontrolle bei der Entstehung gab es nicht. Es ist eher so eine Art Zusammensitzen, wo ich dann auch meistens mehr Zweifel an den Sachen hab' als die anderen. So: Meinst du, das kann man so machen? Meinst du, das ist too much? Geht das so? Und dann hab' ich am Ende ein, zwei Sachen verworfen und nochmal ganz anders gemacht. Hooks hauptsächlich, weil es einfach nicht so ganz rund war. Aber ich würde mal sagen, der grobe Gesamtentstehungsprozess passiert schon komplett ohne Feedback. Ich find', das ist auch 'ne gute Sache so, weil so soll es im Endeffekt auch sein. Es ist ja mein Album, und ich mach' das erstmal so, wie ich das für richtig halte. Wenn dann Kritik kommt, von den ein, zwei, drei Leuten, denen ich das zeige, nehm' ich die auch an und denk' drüber nach. Das heißt aber noch nicht, dass ich das dann auch umsetze. Ich denk' drüber nach, ob man da noch was ändern kann oder ob ich es so, wie es ist, einfach für richtig halte. Dann bleibt das auch so.

Der, wenn man so will, Vorgänger von "DSEPR" war ein Kollabo-Album mit Rotten Monkey. Unterscheiden sich da die Arbeitsweisen sehr?

Ja. Ich find' schon. Kollabo-Album ist viel, viel mehr Kompromiss-Suche. Die ganze Zeit ging es hin und her ... Es gibt bestimmt auch andere, bei denen das alles irgendwie reibungslos geht, aber wir haben schon sehr viel von unseren Kernüberzeugungen abweichen müssen, bis wir am Ende ein stimmiges Konsensprodukt erzeugt hatten.

"Konsensprodukt" klingt ganz furchtbar.

Vor allem halt, was die Beats angeht. Ich hab' dafür viele, viele Beats gehabt. Die waren aber alle so in meinem Stil. Er mag halt eher solche boom-bappigeren Sachen, wovon ich eben nicht so viele habe. Dann hab' ich angefangen, 90-bpm-Beats zu bauen, für ihn. Die hatten natürlich trotzdem noch meinen Sound, waren aber nicht mehr das Ursprüngliche, was ich damals gemacht hatte. So verändert sich natürlich die ganze Herangehensweise. Auch, was Themen angeht: Über Textinhalte musste man öfter mal hin und her diskutieren. Sowas gibts halt einfach gar nicht, wenn du allein bist. Dann kannst du einfach komplett durchziehen, was die Vision ist. Am Ende hörst du es dir an, und wenn es cool ist, dann bleibt es so.

Klingt nicht danach, als ob du den Wunsch hättest, mal Mitstreiter um dich herum zu haben. 'Ne Crew oder eine Band.

Doch! Ich hab' ja sogar schon 'ne Liveband. Die verstaubt allerdings im Schrank, weil mich ja niemand bucht. An dieser Stelle: booking@emopunkrap.de ist offen! Das ist eine coole Sache. Ich hab' gern Bock auf Leute, die in die gleiche Richtung gehen. Ich hab' da nichts dagegen. Das war ursprünglich ja auch die Idee von dem Label Emopunkrap, dass sich da Gleichgesinnte versammeln können. Es hat sich nur bis jetzt kaum jemand gezeigt, der ... "passt".

Liegt möglicherweise an der Thematik. Leute, die das anspricht, sind vielleicht einfach nicht die Allergeselligsten.

Das kann gut sein, ja. Aber grundsätzlich spricht nichts dagegen. Es kann mir auch gern jeder immer Demos oder so 'n Scheiß schicken. Das machen auch viele. Die meisten sind scheiße, aber hin und wieder ist mal ein cooles dabei. Da spricht überhaupt nichts dagegen. Genauso spricht nichts gegen eine Band. Für live ist eine da, viel mehr ist da bis jetzt allerdings noch nicht passiert. Weil ich das, dumm gesagt, halt einfach gar nicht brauche. Weil ich selber eine Gitarre hab', einen Drum-Computer, Synthies und das alles. Ich bin halt selber die Band. Man könnte das noch cooler machen, wenn man wirklich den Weg geht und das alles mit einer Live-Band macht. Aber das ist ja doch wieder ein Riesenaufwand ... ob ich darauf Bock hab', wird sich spontan zeigen.

Mit Band wären ja doch auch ganz andere Sachen möglich als alleine. Man könnte vielleicht auch mal wirklich Metal machen, was sich alleine nicht ganz so gut realisieren lässt wie Hip Hop.

Das geht schon, natürlich! Halt nicht live, aber auf einem Album geht das.

Reizt dich das? Nicht so einflussweise, wie du es jetzt gemacht hast, sondern Metal auf Albumlänge?

Ja. Dazu noch eine kurze Anekdote: Ursprünglich war ja "DSEPR" sehr, sehr viel metaliger geplant. Ich wollte da fast auf jedem Track durchballern und schreien und Gitarrenwände haben. Das war tatsächlich der Plan. In der Entwicklungsphase ist mir dann aber irgendwie klar geworden, dass das erstens mehr Aufwand ist, als ich zu investieren im Stande bin und dass einfach mein Songwriting noch nicht so weit ausgereift ist, dass es auf mehr als zwei, drei Tracks nicht langweilig wird. Die Screams und mein Gitarrenspiel, einfach alles Handwerkliche war da noch überhaupt nicht ausgereift, weil die Idee erst ganz frisch war. Ich hab' da viel rumprobiert, und im Endeffekt hat es sich so entwickelt, dass ich dann irgendwann gesagt hab': Okay, dann bleibt es jetzt halt bei Metal-Einflüssen auf einem Rap-Album. Deswegen heißt es auch "DSEPR", weil es eigentlich schon ein sehr metaliges Crossover-Projekt werden sollte. Aber ist es nicht geworden.

Neben dem Metal hab' ich auch immer wieder Drum'n'Bass durchklingen hören, und hin und wieder ... Ambient? Wobei das auch schon wieder so ein schwammiger Begriff ist für alles, das irgendwie leise und flächig und mit viel Raum drin ist.

Hmmm, diese ganzen Synthie-Presets heißen ja auch "Ambient". Zu Drum'n'Bass und elektronischer Musik allgemein hab' ich auf jeden Fall einen starken Bezug. Ich würde auch sehr gern Hardstyle machen, wenn mir endlich jemand beibringt, wie man 'ne Kick baut. Drum'n'Bass mag ich auch sehr gern. Das ist jetzt nicht mein absoluter Favorit, aber das kann gerade mit diesen Drumloops sehr cool sein. Ich hab' viele Drum'n'Bass-Bässe drin, weil ich den Sound dieser dreckigen, brummenden, dröhnenden Synthiebässe sehr mag. Die kommen meistens aus irgendwelchen Drum'n'Bass-Presets, die ich ein bisschen verändert habe. Insgesamt hat das natürlich alles seine Einflüsse. Das, was du vermutlich mit "Ambient" meinst, kommt wahrscheinlich aus solchen Sachen wie IAMX oder auch aus DSBM, wo es auch öfter mal solche Ambient-Flächen gibt. Alles bisschen ruhiger, melancholischer ...

... und dann bringst du diese fluffige Cro-Style-Nummer, "Tut Mir Leid": Das konntest du ja offensichtlich selbst nicht aushalten, ohne diese brachialen Hooks reinzutrümmern.

(Lacht) Ähem. Das musste sein, damit das Lied an sich ein Statement ist. Die Message lautet ja im Endeffekt: Ich könnte, wenn ich wollte. Aber ich hab' keinen Bock drauf. So ist die Message dann ja auch verpackt: Die sanfte, luftige Cro-Gitarre, der Singsang-Unsinns-Text, ich kann das machen, aber das bockt nicht. Deswegen ist diese Hook da, die dann ja auch sagt: Ich werde das nicht machen.

Erwartungen zertrümmern ...

Ja!

... und sie gleichzeitig bedienen: Von dir erwarte ich schließlich ja wohl alles andere als so ein easy-locker-flockiges "Einmal Um Die Welt"-Ding.

Hmm. Aber das ist ja genau das Ding: Ich wollte schon, dass ein etwas lustigeres Lied drauf ist, in Anlehnung an "WS Lifestyle "oder "Mejicano Lifestyle", das diese Reihe so ein bisschen fortführt. Da passt es also schon ganz gut, wenn man mal ein Statement macht, von wegen: Diese poppige Musik, ich könnte das auch machen, aber: Ich will das nicht. Ich werde trotzdem weiter diese sperrige, unbequeme Musik machen, auch wenn das keinen interessiert.

Das nimmt die Antwort auf die letzte Frage eigentlich schon vorweg. Ich wollte noch einmal auf den "Statusbericht" zurückzukommen: So dermaßen nach "Ich hab' das alles satt" wie dieses Jahr klang es für mich einfach noch nie.

So war es auch noch nie.

Wird es trotz alledem weitergehen, mit Private Paul?

Musik an sich werde ich sicherlich nicht seinlassen können. Es wird höchstwahrscheinlich weiterhin Musik von mir geben. In welcher Form, das weiß ich jetzt noch gar nicht. Ich hab' nach diesem Album und dem "Statusbericht" jetzt erst einmal Abstand gebraucht. Das war alles ein Riesen-Hin-und-Her und Durcheinander, ich muss mich erstmal wieder sammeln. Was "Statusbericht" angeht: Ich will es nicht beschwören, aber es war schon mehr oder weniger als letzter Teil gedacht. Ich will, wie gesagt, nicht versprechen, dass es nicht doch noch einen geben wird, aber ich hab' das Gefühl, dass irgendwie die Luft raus ist und dass das ein würdiger Abschluss wäre. Ich will das nicht aus Zwang am Leben erhalten. Natürlich macht diese Entscheidung nicht leichter, dass ich jetzt mit dem "Statusbericht" in der Welt bin. Wer weiß, was das noch für Kreise ziehen wird. Das ist halt einfach wirklich traurig, dass dieses "Statusbericht"-Ding ein Riesenhit ist. Ich krieg' selber manchmal Gänsehaut, wenn ich sehe, wie viele Leute auf YouTube das covern und wie das anscheinend eine Art Instanz geworden ist. Zu Recht auch, wie ich finde. Das ist schon wirklich 'ne geile Idee gewesen, das muss ich mir mal neidlos selber sagen. (Lacht) Es ist halt krass, was für einen Wiedererkennungswert das hat. Ich will das eigentlich auch ungern verlieren. Trotzdem hab' ich gleichzeitig das Dilemma, dass ich es nicht unbedingt aus Zwang noch weiter auspressen will. Von daher: Ich will jetzt nicht versprechen, dass noch einer kommt. Ich will aber auch nicht versprechen, dass keiner mehr kommt. Ich muss mir darüber erst mal klar werden. Es kann sein. Es kann nicht sein. Ich weiß es nicht.

Schön unentschlossenes Schlusswort. Du hast ja noch elf Monate Zeit, um dir das zu überlegen. Da kann viel passieren. Hoffentlich mal was Gutes. Ich warte immer noch auf den Happy-happy-joy-joy-Jahresbericht.

Ach. Den will doch keiner hören.

Doch. Ich. Ich würde auch deine Fans nicht unterschätzen. Glaube, die würden dir schon gönnen, dass es mal besser läuft.

Ja, vielleicht. Ich glaube aber, es würde sich falsch anfühlen, da was Positives zu erzählen. Du kannst einfach mit positiver Musik nicht so viel emotionale Reaktion erzeugen wie mit negativer. Das ist für mich eigentlich ganz klar. Vielleicht könnte ich es tatsächlich, wenn ich jetzt nach einer Dekade voll tieftraurigem Schwarz mal was Schönes erzähle? Wer weiß? Vielleicht werd' ich demnächst einfach auch sagen, ich verkauf' mich jetzt und mach' nur noch Popmusik. Dann gröl' ich: Alles gut! Vielleicht wird auch wirklich alles cool und ich werde bald der glücklichste Mensch der Welt. Man wird sehen.

Ich würd' es dir wünschen.

(Lacht) Ich mir auch.

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