laut.de-Kritik

My Disturbing Dark Twisted Fantasy.

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Um es gleich vorweg zu nehmen: Prezident ist kein gewöhnlicher Rapper. Und Prezident liefert mit "Kunst Ist Eine Besitzergreifende Geliebte" – übrigens eine Anlehnung an ein Zitat eines amerikanischen Poeten - eines der besten Deutschrap-Alben der letzten Jahre ab. Die Platte reißt einen mit in die Untiefen der Gedanken und Beobachtungen des Viktor Bertermann und spuckt einen ungläubig, schockiert und doch vor allem beeindruckt wieder aus. Und das wieder und wieder. "Du wusstest nicht, was Whiskeyrap ist?"

Prezident ist Student der Germanistik und der Geschichte. Seine durchdachten, detailverliebten und präzisen Texte strotzen nur so von lyrischen Anspielungen, Zitaten und Querverweisen. Seine Referenzen reichen von Goethe oder Hemmingway über Bukowski bis hin zu Horror-Mythen. Die Devise lautet: "Gute Rapper unterhalten – ich verstör' lieber".

Obwohl sich im Laufe der Spielzeit verschiedenste Themen aufdrängen, zieht sich ein roter Faden durch die ganze Platte. Das mag zum einen an den Produktionen direkt aus Prezidents Umfeld liegen. Dazu gehört allen voran Epic Infantry, aber auch Bojanglez und Jay Baez. "Ohne großes Vorgeplänkel, sturer Loop, monotones Sample" beschreibt Prezident das Klangbild selbst und bringt es damit, abgesehen von diversen Cuts und Scratches, auf den Punkt. Dieses dunkle Soundgerüst wird durch den – wie man bei ungenauem Hinhören feststellen könnte – abwechslungslosen Vortrag Prezidents nicht gerade zugänglicher. Ist man jedoch hinter die Sache gestiegen, merkt man, dass Prezident an den genau richtigen Stellen pointierte Ausrufezeichen setzt oder über einen kompletten Song eine unheimliche Spannung aufbaut ("Sechs Kammern").

Doch nicht nur sein Stimmeinsatz ist dafür verantwortlich, in erster Linie sind es seine Texte. Wenn Prezident feststellt, er sei überragend auf Konzept-Songs, hat das nichts mit rapstereotypem Geprotze zu tun, sondern ist vielmehr eine korrekte Auffassung der eigenen Fähigkeiten. So gräbt er in "Schlingpflanzen" stellvertretend für seine überfüllte Gefühlswelt im verstopften Abfluss und wird in Form einer großen Schuld fündig. Die ekelhaft-widerliche Atmosphäre spiegelt das Überthema des Songs – einen toten Fötus – so dermaßen passend wider, dass sich einem die Haare sträuben. "Schön verdrängt, wird versenkt im Klo / ... / Ich drück fünf, sechs Mal die Spülung".

Mit seiner "ungelenken Kunst" geht der Wuppertaler den Weg des größten Widerstands. "Man sagt ich sollte mal mehr Werbung machen, aber mir ist Kunst lieber", sträubt er sich so in seinem "Antimärchen" gegen die Vermarktungsmaschinerie. Seine unbeständige Beziehung zur Kunst thematisiert er im metaphorischen "Succubus". Ein Succubus ist eine weibliche Dämonin, die im Schlaf den Samen eines Mannes stiehlt. Und doch ist sie die einzige Konstante in Prezidents Leben. Das hat aber keineswegs etwas mit dem oft bemängelten 'Rap über Rap' zu tun. Vielmehr handelt es sich hier um 'Kunst über Kunst'. "Du stehst da, ausgezehrt vor deiner einsamen Liebe / Kunst ist eine reich verzierte, gierig, dich zerfleischende Geliebte", beschreibt er vielsagend das symbiotische Verhältnis.

Der vor allem in Deutschland verbreitete Anspruch, erwachsene Alben zu produzieren, scheint Prezident mächtig gegen den Strich zu gehen. So kommt es dazu, dass er in "Classic Coke" berechtigte und mitunter längst überfällige Fragen stellt: "Als würdet ihr nicht angepasst meinen, wenn ihr erwachsen sagt". Wieso zur Hölle sollte man mit 30 eigentlich keinen Grund mehr haben, wütend zu sein? Und "was soll das Klingeltoncharts schielende Indiegehabe"?

Prezident ist keiner dieser "VBT-Kinderraper, Maske-hier-Pullunder-da-Gimmickrapper, Dünpfiffrapper", denn er beschränkt sich auf die Essenz. "Was ich mach ist Classic Coke, was ihr macht ist Pepsi Light". Und so hat er auch den sportlichen Wettkampfgedanken, eine der Grundideen des Raps, nicht vergessen. Wenn er im Zuge dessen feststellt: "Im Rahmen deiner Möglichkeiten wär ich klaustrophobisch", ist das wohl in Bezug auf 98% der deutschen Rapperkollegen Fakt.

Rasierklingenscharf beobachtet Prezident in "Menschenpyramiden" die Vorgänge in der Welt und bringt sie mindestens genauso genau so gestochen scharf zu Blatt, beschreibt die Alltagsmechanismen, die den Menschen nur noch als funktionierendes Zahnrädchen im alles umfassenden System werden lassen. Wie schnell sich dieser monotone Mechanismus in das Leben vieler einschleichen kann, beweist Prezident stilistisch wunderbar anschaulich: "Wie von selbst, dein Kiefer kaut - wie von selbst / Du machst 'n bisschen Geld, gibst es aus - wie von selbst / Du rauchst 'n Kopf auf der Ikeacouch - wie von selbst / Und schläfst dann schließlich ein vorm TV - wie von selbst"

Im derzeit in alle Richtungen florierenden Deutschrap hat es vielleicht genau dieses Album gebraucht. Ein Beat, ein MC – manchmal kann auch das schon ausreichen, um ein Meisterwerk zu schaffen, in dem es ergreifend ehrlich steil hinab in die Abgründe der Gedanken und Ideen eines knapp 30-Jährigen geht. Ist zwar ziemlich anspruchsvoll, dafür aber um so besser. "Wenn Prezident das Mic anwirft/ passieren Dinge, die ein Savas nie begreifen wird".

Trackliste

  1. 1. Shub Niggurath
  2. 2. Schlingpflanzen
  3. 3. Succubus
  4. 4. Chancenverwertung
  5. 5. Signatur
  6. 6. Napposchokolade
  7. 7. Menschenpyramiden
  8. 8. Sechs Kammern
  9. 9. Antimärchen
  10. 10. Tag Des Zornes
  11. 11. Zuviel Gewusst
  12. 12. Classik Coke
  13. 13. Einerseits Gleich (Mit Kamikazes)

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