laut.de-Kritik

Verspulte Elektronik zwischen Yello und Mad Professor.

Review von

"Logic Chaos", die erste Platte des Schweizer IT-Spezialisten Philipp Greter überrascht, weil sie aus der Dub-Szene kommt und doch ein ganz anderes Genre, ein verblasstes der 90er-Jahre bedient: dasjenige von Kruder & Dorfmeister, Tosca und Amon Tobin. Greter nennt es Urban Dance.

Advanced Drum'n'Bass könnte man auch dazu sagen, denn diese Musik fordert. Urban Dance bedeutet jedoch heute etwas Leichtes, ist zu einem anderen Begriff für flockigen R'n'B geworden, und damit hat das hier nichts zu tun. Obendrein bricht Greter mit Kompositions-Gewohnheiten der heutigen elektronischen Stile, und zwar mit denen, die in geradlinigem Ambient, dekonstruierendem Minimal Techhouse und smoother elektronischer Tanzmusik (EDM) vorherrschen. Hier entstand also etwas sehr Eigenartiges, das weder in eine Reggae/Dub-Schublade, noch in die Techno-Abteilung passt. Das ist gut so, mal was Neues!

Der 47-jährige Soundtüftler hat zwar einen logisch-mathematisch geprägten Hauptjob und sagt, er philosophiere gerne über die Chaostheorie - doch das sind nicht die Gründe dafür, dass er die CD "Logic Chaos" nannte. Die Scheibe heißt vor allem so, weil er die Musik mit einer Software namens Logic und einem Effektgerät namens Chaos Pad angefertigt hat. Das Chaos-Pad sorgt für Überraschungen, wie er erklärt: "Das Lustige an diesem Teil ist, das hat so'n Touchscreen vorne drauf. Ein Multi-Effektgerät, das man mit dem Finger steuern kann. Wenn man mit einem Finger auf einem Pad rumfährt, werden da verschiedene Parameter verstellt".

"Volplane" bedient sich an der elektronischen Musik der Jahrtausendwende und folgt dem Soundstyle der Österreicher Kruder & Dorfmeister noch recht konsequent. Der Titel "Urban" treibt einen noch weiter auf der Zeitachse in den Acid House der späten 80er, frühen 90er zurück, pulsiert aber auf etwas gedrosseltem Tempo.

Spät-90er-Elektronik klingt in "Below Zero" an, als würde hier das Erbe DJ Quicksilvers angetreten. Es entsteht der Eindruck, hier würden große Platten Wellblech schnell auf und ab schwingen, ziemlich experimentell. Auch der Rhythmus weicht von handelsüblichem Four to the floor ab und riskiert zeitversetzte, verschobene Beats. "Cosmos" nimmt ebenfalls Bezug auf die 90er und erinnert an die sonische Klarheit seiner Schweizer Kollegen von Yello.

"Fire" führt durch stark digitalisierte Klanglandschaften: Stromstoß-artig klingende Effekte fügt Philipp Greter hinzu. Leise Zusatzgeräusche prasseln in die Klangstruktur und werden vom dominanten Roland-Synthesizer wieder zur Seite gestoßen. Nach 7:45 Minuten wirkt es, als beruhigt sich plötzlich ein aufgepeitschtes Wellenmeer.

Mit ihren vielen Kurven und Wendungen hat die Platte etwas Konzentrationsförderndes an sich. Diese Art elektronischer Musik passt weniger auf den Dancefloor, eher ins Wohnzimmer. Etliche Sequenzen könnte man ganz gut für DJ-Sets sampeln, aber wohl kaum komplette Songs zum Tanzen verwenden.

"Am Rande ist das vielleicht etwas für die Dub-Szene, für Leute, die etwas Experimentelles wollen", überlegt Philipp Greter selbst im Interview. Doch mit Dub überschneidet sich diese Platte so gut wie gar nicht, so sehr es auch zu erwarten wäre: Bei der im Dub aktiven Luzerner Band Dub Spencer & Trance Hill steht Greter an den Keyboards, und der gefragte Dub-Mixer Umberto Echo bringt die Platte auf seinem Münchner Label Hybrid heraus. Was auf "Logic Chaos" abweicht, sind zum Beispiel die Dramaturgien. Die vertrackten Kompositionen haben klare Anfänge und Schlüsse. "In dieser Dub-Szene ist das ja sehr verbreitet, dass man den Song irgendwo ausblendet", gibt Greter zu.

Das spacige Cover-Bild versinnbildlicht die Gefühlslage der computerisierten Platte: Das große Weltall da draußen umfasst größere Dimensionen als wir sie uns in unserem Alltag tagsüber, abgelenkt vom Smartphone, vorstellen können. Die Idee des Urknalls als Entstehung der Erde sprengt sowieso jedes Vorstellungsvermögen, und bislang kam den Details kein Mensch mit wissenschaftlichen Mitteln auf die Spur. Während Greter von seinem Studio aus in den Nachthimmel schaute, dachte er über solche Fragen nach. Gerade weil wir ohnehin nicht alles logisch klären können, können wir uns – mit Hilfe dieser CD – aufs Wesentliche fokussieren.

Noch etwas weicht vom gängigen Dub ab - die Instrumentierung. Nur Mad Professor würde sich so etwas trauen: Greter setzt zwar auch die üblichen Stimmen- und Geräuschsamples ein und bedient sich an Halleffekten. Darüber hinaus wagt er sich ins Psychedelische wie auf "Sofa Sounds". Magnetisch und künstlich erscheinende Synthie-Klanggebilde wechseln mit natürlichen Geräuschen, die sich wie klirrendes Glas anhören. Der Einfallsreichtum ist für ein Instrumentalalbum groß, weil die Synthie-Töne zum Sprechen gebracht werden. Eine Melodica kommt ab und an zum Einsatz. Punktuell nutzt Greter perkussive Gegenstände. Am Ende redigiert er die Schnipsel aus der realen Tonwelt am Computer. So überzeugt er mit einer charmanten digital-analogen Mischproduktion und stößt eine Nische in einem noch nicht benannten Marktsegment zwischen Marie Davidson, David Sylvian und Throbbing Gristle auf.

Trackliste

  1. 1. Voplane
  2. 2. Urbab
  3. 3. Cosmos
  4. 4. Fire
  5. 5. Below Zero
  6. 6. Sofasounds
  7. 7. What?
  8. 8. Forrest Groove

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