23. Dezember 2019

"Billigmerch anzubieten wäre bigott"

Interview geführt von

Gerade erst konnte sich das Refused-Publikum von der Power der Petrol Girls überzeugen. Bevor sie im Februar wieder auf Tour kommen, sprachen wir mit Sängerin Ren über die Ziele ihrer feministischen Band.

Mit ihrem Motto "Raging feminist post-hardcore" passen die britischen Petrol Girls natürlich perfekt zu Refused, den Punk-/Hardcore-Legenden der Neunziger. Wir sprechen mit Sängerin Ren Aldridge Anfang Dezember auf dem Weg zu einer weiteren Show über das Album "Cut & Stich", Feminismus, Kunst und wohin die Reise der Petrol Girls 2020 gehen wird.

Hey Ren, ihr wart gerade auf großer Tour mit Refused. Eure Wurzeln liegen aber in der DIY-Szene, in der ihr auch sehr gut verknüpft seid. Inwieweit wird der Brexit das beeinflussen?

Ren: Schwer zu sagen, da momentan nicht mal feststeht ob und wann der Brexit kommt. Für uns ist es nochmal eine Sonderform, da zwei von uns aus UK kommen und zwei aus Europa. Werden wir ein Visum brauchen um aus- oder einzureisen? Ich habe keine Ahnung und es macht auch alles gar keinen Sinn. Wir sind strikt gegen den Brexit. Zur DIY-Szene haben wir eine besondere Beziehung. Mittlerweile sind wir dem Ganzen ja entwachsen und spielen auch große Support-Touren, wollen aber dennoch auch weiterhin die DIY-Venues ansteuern. Die liegen uns nicht nur wegen der tollen Menschen, die dahinterstecken, am Herzen, sondern weil diese Nischenplätze auch politisch total wichtig sind. Darüber hinaus möchten wir unsere politischen und ideellen Ziele aber auch einer breiten Masse zugänglich machen, weswegen wir definitiv über die DIY-Szene hinaus präsent sein wollen und müssen.

Wie reagiert das Publikum bei den großen Shows auf euch? Ich könnte mir vorstellen, dass ihr dort mehr Gegenwind bekommt als in der Szene, in der die Fans denselben politischen und musikalischen Background haben.

Tatsächlich ist es genau andersrum. Ich muss mir auf den kleinen DIY-Shows eine Menge Mist anhören, gerade von männlichen Besuchern, die sich beflissen fühlen, mich wegen meiner feministischen Ansichten zu maßregeln. Ich sei eine Männerhasserin, meine Einstellung nicht tragbar und diese ganze vorhersehbare Scheiße. Bei den großen Shows bin ich nicht so angreifbar. Abgesehen davon hatten wir eine überwältigend positive Resonanz auf unsere Gigs mit Refused. Besonders über die sozialen Medien haben sich viele Frauen und Non-Binary-People bei uns bedankt, dass wir gerade Themen wie Feminismus, sexuelle Gewalt und auch Politik und ansprechen. Das ist wundervoll und motiviert uns auch, weiterzumachen.

Eure Slogans sind durchaus provokant, ich denke da nur an die Hook "Touch me again and I will fucking kill you" aus dem gleichnamigen Song, in dem es um sexuelle Gewalt geht. Ihr vertreibt das auch als Logo-Shirt und Jutetasche. Glaubst du, dass Provokation der einzige Weg ist, um den Tätern entgegenzutreten, weil sie eine subtile Botschaft nicht verstehen würden?

Der Song ist schon einige Jahre alt und es ist immer noch interessant, welche Reaktionen er hervorruft. Wahrscheinlich schreiben wir nie wieder einen Song, dessen Slogan so gut auf ein T-Shirt passt, haha. Aber es sagt aus, was es muss und ich hoffe, dass jemand, der das T-Shirt trägt, von niemandem angefasst wird. Ich denke, es gibt eine Zeit und einen Platz für Provokation, aber wenn es darum geht, den eigenen Körper und die Seele vor Übergriffen zu schützen, dann ist Aggressivität und Provokation definitiv angemessen. Denn genau diese physischen und psychischen Verletzungen sind extrem, naja, verletzend eben!

Ein weiterer Keyphrase lautet "Solidarity not silence". Was hat es damit auf sich?

Das ist ein Solidaritäts-Shirt für einen Rechtsstreit, den ich mit einigen anderen Frauen gegen einen bekannten Musiker führe. Wir wollen dafür kämpfen, dass sein missbräuchliches Verhalten gegenüber Frauen an die Öffentlichkeit gelangt. Er hat eine Verleumdungsklage gegen uns angeregt und wir sammeln nun Geld, um vor Gericht ziehen zu können. Weitere Informationen gibt es hier.

Gerechtigkeit ist euch sehr wichtig. Das zeigt auch euer Merch, der Fair Trade ist.

Richtig, unsere Shirts und Jutebeutel sind von der Fair Wear Foundation. Das sind Menschen, die selbst in ausbeuterischen Textilunternehmen gearbeitet haben und sich jetzt für faire Arbeitsbedingungen und Löhne einsetzt. Unter fairwear.org bekommt man Einblick in diese wichtige Arbeit. Für uns als eine feministische Band ist das wichtig, denn über 80% der Beschäftigten in der Textilindustrie sind Frauen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten müssen. Es gibt auch sehr viel sexuelle Übergriffe, was kaum bekannt ist. Deswegen ist uns sehr wichtig, Projekte wie die Fair Wear Foundation zu unterstützen, die das Leben der Arbeiter direkt positiv beeinflussen. Wir hoffen, dass zukünftig noch mehr Bands sich dieser Bewegung anschließen werden. Außerdem predigen wir Antikapitalismus, wie könnten wir dann mit uns vereinbaren, Billigmerch, der ohne Rücksicht auf Verluste hergestellt wird, anzubieten. Das geht gar nicht, das wäre bigott.

Glaubst du, dass Patriarchat, Kapitalismus und der Klimawechsel zusammenhängen?

Absolut. Es hat auch etwas mit Imperialismus und einer neo-kolonialistischen Einstellung zu tun. Ich habe auf unserem letzten Album darüber einen Song geschrieben, "Tangles Of Lives". Im Text heißt es: "They think they´re owed our labour, they think they´re owed our bodies, they think they´re owed the earth, they think they own the earth". Es sind nun mal vornehmlich reiche, patriarchische überwiegend weiße Männer, die glauben, ihnen gehört die Welt, ihre Ressourcen und die Menschen dir auf ihr leben. Das zu erkennen ist schon der erste Schritt, um sich dagegen wehren zu können.

Da du gerade euer aktuelles Album Cut & Stitch angesprochen hast- welcher Song darauf hat für dich die größte Bedeutung?

Puh, das ist eine schwere Frage. Vielleicht tatsächlich "Tangles Of Lives", weil es um Gerechtigkeit geht und der Text so stark ist. Es ist diffizil, weil man nicht so richtig unterscheiden kann. Manchmal singt man über etwas sehr Persönliches und manchmal über das große Ganze. Beides hat seine Daseinsberechtigung und ist wichtig. "Big Mouth" ist so ein persönlicher Song, in dem es im Speziellen um meinen Rechtsstreit geht und im Allgemeinen darüber, dass Menschen eine Stimme haben, die sie erheben dürfen, ohne von reichen und privilegierten Personen den Mund verboten zu bekommen. Und dann gibt es Songs wie "Skye", in dem es um den Tod unserer Familienhündin geht, das ist total persönlich. Trauer wiederum ist etwas sehr Universelles. Ebenso die Fähigkeit, Tiere genauso wie Menschen zu lieben. Es ist schier unmöglich, den EINEN Song rauszupicken, weil mich alle auf ihre Art bewegen.

Meine Lieblingszeile stammt aus "Monstrous" und lautet: "This is not all of me, I choose the parts you see." Bei euch passen Lyrics und Musik extrem gut zusammen, komponiert ihr beides zeitgleich im Proberaum?

Mit Ausnahme von "Burn" war auf dieser Platte zuerst die Musik da und ich habe die Texte nachträglich dazu verfasst. Früher war das anders, weil ich in einem anderen Land gelebt habe und alles getrennt voneinander passiert ist. In Zukunft werden wir wohl eine Mischung aus beidem machen. Ich finde die Vorgehensweise, Wörter über bereits bestehende Melodien zu legen, höchst interessant und herausfordernder, als andersherum. Man muss ja dazu tanzen können, also gilt es erstmal den Rhythmus zu finden. Ich platziere dann ein paar Schlagwörter und lasse mich von der Musik tragen, bis die Wörter Sinn ergeben. So bestimmt die Musik quasi, um was es in dem Song gehen soll. Ich summe dann vor mich hin und finde den Sound der Wörter, bevor ich diese selbst habe. Das kann einen therapeutischen Effekt haben, weil man in Verbindung mit seinem Unterbewusstsein tritt. Faszinierend. Manchmal beschließe ich aber auch einfach, über was ich schreiben möchte und schaue, ob es einigermaßen zur Musik passt.

Deine Texte sind sehr emotional und auch die Art, wie du sie live präsentierst. Fällt es dir schwer, vor so vielen Menschen quasi blankzuziehen?

Lustigerweise war das am Anfang leichter, als jetzt. Den Song, den du vorhin angesprochen hast, "Monstrous", handelt genau davon. Ich bestimme, welche Teile von mir das Publikum zu sehen bekommt. Ich stehe jetzt ich 21 bin auf der Bühne, das ist jetzt sieben Jahre her. Natürlich haben die Menschen, auch aufgrund unserer Art von Musik, ein gewisses Bild von mir. Sie erwarten eine starke, aggressive Bühnenpräsenz. Das kann ich auch sein und performen, denn mein Bühnen-Ich ist eine Version von mir, aber eben nicht die einzige. Ich habe auf der letzten Platte versucht, auch meine verletzliche Seite zu zeigen und andere Emotionen neben der Wut miteinzubeziehen. Man kann nicht nur wütend sein, sonst macht man sich kaputt. Ich bin in Wirklichkeit ziemlich schüchtern und nicht so sozialkompetent. Also eine Vieraugen-Situation ist absolut fein, aber eine Party mit vielen Menschen zu crashen, finde ich fürchterlich.

Die Menschen haben auch absolut unrealistische Erwartungen an uns als feministische Band. Niemand ist immer ein perfekter Feminist. Das hat mich, auch aus musikalischer Sicht, früher fertig gemacht. Nun habe ich gelernt, dass wir nicht nach Perfektion streben sollten und habe akzeptiert, dass wir diese auch nie erreichen werden. Der Kern, die Quintessenz, die wir ausdrücken möchten, das ist das Wichtigste. Wir sollten versuchen, soviel wie möglich zu bewegen, aber nicht in Agonie verfallen, wenn wir nicht alles geradebiegen können, was auf der Welt falsch läuft.

Du sagst selbst, niemand ist ein "perfekter Feminist", aber gerade in der heutigen Zeit scheinen Aktivisten oft auf ihre Fehler reduziert zu werden.

Ich finde das schlimm. Anstatt Menschen anzuklagen, sollte man ihnen neue Denkanstöße geben. Niemand kann alles können. Aber man sollte andere Personen darin bestärken, sich Gedanken um bestimmte Dinge zu machen. Das ist auch das Tolle am Touren. Man bekommt so viele neue Eindrücke, weil sich die Sichtweisen zu denselben politischen Themen doch sogar innerhalb der Szene unterscheiden. Wir könnten so viel voneinander lernen, wenn wir ein bisschen netter zueinander wären.

Hättest du Lust, mal einen Workshop für junge Mädchen zu geben und ihnen was über Songwriting und Musikmachen zu erzählen.

Sowas habe ich tatsächlich schon mal gemacht, aber nicht explizit nur für Mädchen, sondern für Jugendliche, die vorher nie in einer Band gespielt haben. Das hat tierischen Spaß gemacht.

Könntest du dir vorstellen, deine feministischen und politischen Ansichten auch in einer anderen Art von Musik auszudrücken, oder muss es Hardcorepunk sein?

Auf jeden Fall möchte ich das auch in Zukunft mal machen. Ich bin mit Punk aufgewachsen, finde es aber auch grandios, was in anderen Genres, z.B. Hip Hop, passiert. Ich persönlich tendiere aber zu Bikini Kill, die sind Wahnsinn.

Du hast auch ein Pamphlet für Rough Trade geschrieben.

Ich habe einige der Zwischen- und Nachgedanken aus dem Album zusammengefasst. Ich habe das zur gleichen Zeit geschrieben, als ich das Albumcover physisch ausgeschnitten und wieder zusammengeklebt habe. Dabei machte ich mir Gedanken um Dinge wie Gemeinschaft, Solidarität, wie ich Prekarität überlebt habe, dem Perfektionismus Widerstand geleistet habe und sowas. Es ist so, als würde ich zwischen den Songs auf der Bühne sprechen, aber schriftlich. Außerdem war ich noch an dem Sammelband "Nasty Women" beteiligt, zusammen mit 20 anderen Frauen, auch Transfrauen. Jede hat über einen anderen Aspekt geschrieben, was es im 21. Jahrhundert bedeutet, eine Frau zu sein. Ich habe etwas über Gender-Silence in der Punkrockszene verfasst. Es ist toll, Teil eines solchen Projekts zu sein.

Mir ist aufgefallen, dass euer Instagram-Account nicht primär auf Werbung, sondern auf gegenseitige Unterstützung, Dankbarkeit und Freundschaft ausgelegt ist. Wie ist dein Verhältnis zu Social Media?

Ich habe ein schreckliches Verhältnis zu Social Media, haha. Man kommt als Band aber nicht daran vorbei und es ist ja auch toll, abgesehen von den Live Gigs, in direktem Kontakt mit den Fans zu treten. Es ist uns aber auch wichtig, die Menschen zu erwähnen, die uns begeistern. Da wäre zum Beispiel unsere Fotografin Martin, also @gingerdope, die auch unser Video zu "No Love For A Nation" gedreht hat. Sie ist unfassbar talentiert. Abgesehen davon versuchen wir einfach ehrlich sein.

Ist sie also dafür verantwortlich, dass eure Seite so künstlerisch ist?

Ja, wobei es im Grunde genommen eine stetige Kooperation zwischen der Kunst und der Band ist. Diese Methode finde ich spannend, weil sie über das hinausgeht, was wir als Band machen. Es ist nicht wie bei einem Maler, dessen Einzelwerk mit dem letzten Pinselstrich beendet ist. Wir machen eine Platte, drehen dazu ein vielschichtiges Video und setzen somit den Kunstprozess fort. Alles greift ineinander.

Das erinnert mich etwas an Peaches und ihren kreativen Output. Ist sie vielleicht ein Vorbild für dich? Hast du überhaupt Vorbilder?

Mit Peaches kenne ich mich leider nicht aus. Im Allgemeinen bin ich popkulturell nicht besonders bewandert, weil mein Kopf so auf Punkrock programmiert ist. Die meisten meiner Vorbilder sind Schriftsteller. Und ich mag Menschen, die ehrlich sind, auch, wenn deren Ansichten konträr zu meinen stehen. Das schließt natürlich Faschisten und so einen Abschaum aus, haha. Die größten Helden für mich sind Menschen, die wirklich etwas bewegen und anderen Menschen, Tieren oder dem Planeten helfen wollen. Die Ehrenamtlichen, die Aktivisten, die ihre Zeit, ihr Geld und ihre Seele für den guten Zweck opfern.

Ihr habt gerade bekannt gegeben, dass eure Bassistin Liepa Kuraitė die Band leider verlassen wird. Wie geht es weiter?

Wir haben einige weibliche und non-binary Bassisten, die uns auf der kommenden Tour aushelfen wollen. Das Ziel ist aber natürlich, wieder ein volles Bandmitglied zu finden. Ich kann Liepas Entscheidung vollkommen nachvollziehen, unser Leben ist hart. Wir sind ständig unterwegs, machen nebenbei Bar- und Küchenjobs, um über die Runden zu kommen, vernachlässigen Familie, Freunde und Partner. Auch wenn ich Liepas Entscheidung respektiere und die Petrol Girls weitermachen, bin ich unendlich traurig, dass es ohne sie sein wird.

Letzte Frage: Was bedeutet Freiheit für dich?

Freiheit ... dass alle Lebewesen auf dieser Welt freien Zugang zu Ressourcen haben, die sie brauchen, um das Leben zu leben, das sie möchten. Und momentan leben wir in einer unglaublich unfreien Welt. Wir haben alle Bedürfnisse: einen festen Wohnsitz und zu wissen, woher unsere nächste Mahlzeit kommt. Wenn das gegeben ist, kann man individuell sein Leben gestalten.

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