25. Februar 2013

"Ich fühlte mich wie Frankensteins Braut"

Interview geführt von

Charly Steinhauer, Sänger, Gitarrist und kreativer Kopf hinter Paradox muss in seinen letzten Leben vermutlich Diktator, Sklavenhändler oder ne Frau gewesen sein. Anders kann man sich wohl kaum erklären, warum es Gott, das Universum oder welche kosmische Kraft auch immer, dermaßen auf den sympathischen Franken abgesehen hat.Nachdem er jahrelang mit mehreren Darmoperationen und den daraus folgenden Komplikationen zu kämpfen hatte, kamen in jüngster Zeit noch Rückenschmerzen dazu, die sich letztendlich als Herzinfarkt heraus gestellt haben, der direkt an Heiligabend eine schwere Operation am offenen Herzen nach sich zog. Somit wird selbst eine ganz alltägliche und banale Frage wie "Wie geht's dir?" zu einer ernst gemeinten, interessierten Frage.

Aber lassen wir den Mann einfach selber zu Wort kommen.

Was soll ich darauf sagen? Ich hab halt mal wieder die Arschkarte gezogen (lacht ein wenig bitter) aber das kennen wir ja schon. Das gibt es eigentlich echt gar nicht, so was passiert doch nicht mal im Film. Aber ich muss da jetzt eben durch, jammern bringt ja auch nichts.

Da hast du schon Recht, aber was war das denn jetzt? Stand das im Zusammenhang mit deiner früherer OPs oder woran lag das?

Eigentlich nicht, aber du erinnerst dich doch, dass wir uns auf dem letztjährigen Bang Your Head nur 20 Minuten sahen, weil ich solche Rückenschmerzen hatte. Das hat sich insgesamt zwei Jahre lang hingezogen und am Ende stellte sich heraus, dass diese Schmerzen lediglich die Folge eines Herzinfarktes waren. Kein Arzt ist da drauf gekommen, bis ich letztens bei einem Kardiologen war, weil ich mehrere Male beinahe schon kollabiert bin vor Schmerzen. Deswegen wollte ich ein Belastungs-EKG machen, was der Mann aber direkt abgebrochen hat, weil er meinte, dass die Pumpleistung fast nicht vorhanden wäre. Ich wurde direkt ins Krankenhaus gefahren, wo sie mir einen Herzkatheter legten und feststellten, dass da mit Stands oder ähnlichen Hilfsmitteln nichts mehr zu machen ist, weil alle drei Hauptarterien bereits dicht waren. Außerdem war die Südspitze des Herzens bereits schwarz. Die mussten sie komplett entfernen. Ich hatte einen schweren Herzinfarkt, den ich aber gar nicht bewusst mitbekommen habe. Ich kann dir nicht mal sagen, wann der gewesen sein soll. Jedenfalls war der aber so schwer, dass sogar ein Teil meines Herzens abgestorben ist. Wäre ich nicht aus eigenem Antrieb zu einem Kardiologen gegangen, wäre es vermutlich jetzt schon vorbei mit mir. Das haben mir zumindest die Ärzte gesagt.

Was genau los war, konnte man aber erst sagen, nachdem der Brustkorb offen war und da ging die Splatterei dann richtig los (lacht). Ich hing an der Herz-Lungen-Maschine, mein Herz wurde sozusagen abgeschaltet und ich wurde sechs Stunden operiert. Um aber ans Herz zu kommen sägen die dir erst mal die Rippen auf und klappen das alles nach außen weg. Da ist eine Autopsie vermutlich noch zärtlicher. Als ich dann aufwachte, wurde mir erklärt, dass es wirklich kurz vor knapp war und dass es an ein Wunder grenzt, dass ich überhaupt noch in der Gegend rum laufen konnte. Es hätte mich buchstäblich jede Sekunde dahin raffen können. Ich leide an Koronarer Herzkrankheit und mein Körper wird sich von dieser Krankheit und diesem Eingriff vermutlich nie wieder ganz erholen. Mein Herz war und ist wenig mehr als ein ausgeklopftes Schnitzel (lacht). Als ich ins Krankenhaus bin, hatte mein Herz eine Leistung von etwa 25%.

Ach du liebe Scheiße und was genau wurde jetzt gemacht?

Ich hab jetzt vier Bypässe und der abgestorbene Teil des Herzens wurde entfernt und die Schnittwunden verödet. Wohin die Reise jetzt geht, ist eigentlich noch relativ offen, aber einen Zustand wie vor der Operation werde ich nie wieder erreichen. Konditionell muss ich deutlich Einbußen hinnehmen, also auf der Bühne rumflitzen kann ich mir erst mal abschminken. Was genau ich da durch Sport und Umstellung der Ernährung und Lebensweise wieder herstellen kann, muss sich erst noch zeigen. In einem halben Jahr muss ich wieder zur Kontrolle, um festzustellen, wie weit sich mein Herzleistung wieder aufgebaut hat. Für mich heißt das natürlich keine Zigaretten mehr, jeden Tag Ergometer-Training, vernünftige Nahrung, jede Menge Tabletten und Pillen und kein Alkohol. So viel zum Metal-Klischee (lacht). Mittlerweile könnte ich echt als Frankensteins Braut gehen, denn ich wurde vom Hals bis zum Fuß aufgeschnitten. Die haben mir aus meinem linken Bein vier Arterien geholt und im Herz neu verknüpft.

Alter, du kannst dir doch langsam echt nen Reißverschluss auf den Bauch machen.

Das kannst du aber laut sagen. Allein mein Bauch wurde ja schon drei Mal aufgeschnitten. Der Brustkorb war jetzt auch offen, das Bein, ich seh aus wie ne Landkarte. Aber damit nicht genug, kurz bevor ich entlassen wurde, meinte einer der Ärzte zu mir: Eigentlich könnten wir sie morgen entlassen, aber sie haben noch einen Liter Wasser in der linken Lunge. Das machen wir aber gleich. Und damit holt der Typ ne fast bleistiftdicke Nadel raus, bohrt mir das Ding in die Seite bis zur Lunge und pumpt mit ner Vakuumpumpe den Liter Wasser aus meiner Lunge. So ganz nebenbei – ohne Betäubung! Ich dachte echt, ich geh gleich drauf. Du kannst dich ja nicht anständig bewegen, weil dein Brustkorb quasi noch in Trümmern liegt. Da lässt sich ja nichts schienen, wie bei einem Beinbruch oder ähnlichem. Ich muss drei Monate ständig auf dem Rücken schlafen, damit sich da nichts verschiebt. Damit kommen zwar dann auch wieder Rückenschmerzen auf, aber die sind im Vergleich zu dem, was ich von 2010 bis 2012 hatte, fast schon erholsam (lacht). Außerdem kann ich da mit Sport dagegen angehen. Aber so langsam muss jetzt echt mal Ruhe sein. Jetzt hatte ich wirklich jeden üblen Scheiß!

Wäre da eigentlich nicht ne Herztransplantation eine bessere Lösung gewesen?

Anscheinend nicht. In den drei Wochen Reha hab ich einiges gelernt und die gängigen Verfahren gehört, die gemacht werden, bevor man über eine Herztransplantation nachdenkt. Man versucht ja erst mal, das mit einer Schweineherzklappe zu beheben, bevor man transplantiert. Außerdem komm ich da ohne private Krankenversicherung wahrscheinlich nicht allzu weit (lacht). Bei mir wurde auf jeden Fall die letztmögliche Notfall-OP gemacht und ich muss sehen, wie weit ich damit komme. Momentan habe ich noch leichte Herz-Rhythmus-Störungen, vielleicht bekomme ich auch irgendwann einen Herzschrittmacher. Das weiß man alles noch nicht, das muss die Zeit weisen. Aber – wer hätte das gedacht – dadurch, dass ich nicht auftreten kann, sitz ich natürlich schon wieder da und komponiere neue Songs. Warum soll ich damit auch aufhören? Dann kann ich ja gleich das Kämpfen und Atmen aufhören. So viele in der Reha waren psychisch total am Ende und hatten nur Angst vor dem nächsten Herzinfarkt. Aber damit machst du dich eigentlich nur kaputt. Na klar muss ich einiges umstellen und mein Leben umkrempeln, aber die Sachen die mir Spaß machen, die muss ich trotzdem irgendwie weiter machen. Ich mach Musik so lange, bis der Ofen aus ist!

"Wenn ich nicht mehr aufgewacht wäre, hätte alles gepasst."

Richtige Einstellung wie ich finde, dabei ist das alles andere als normal. Als du kurz vor Weihnachten mit dem Thema an die Öffentlichkeit bist hatten wir ja kurz gemailt und da warst du mental alles andere als zum Kämpfen aufgelegt. Zumal da noch privat ein großer Rückschlag dazu kam.

Ja, da kam echt alles zusammen. Gerade diese massive, menschliche Enttäuschung, die ich damals hinnehmen musste, die hat vermutlich einen weiteren Herzinfarkt ausgelöst. Aber auch die jahrelange Raucherei hat ihren Beitrag zu der ganzen Misere. Das will immer keiner wahr haben, aber die Arterien machen durch das Rauchen dicht. Ich will hier jetzt niemanden missionieren, aber die Beispiele von 90-Jährigen, die immer noch fröhlich rauchen und keine Beschwerden deswegen haben, das sind einfach absolute Ausnahmen. Irgendwann passiert was und wenn das mit 60 oder älter passiert, ist das ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt und dann ist es auch meist schnell vorbei. Mir fällt das gerade ziemlich schwer, mit dem Rauchen aufzuhören, weil du nach der OP eh schon kaum mehr was machen darfst. Wenn ich nicht so viel Angst vor dem Auswirkungen hätte, würde ich wahrscheinlich schon wieder am Glimmstängel hängen, aber da muss ich durch.

Ich kenn ein paar Leute, die mit Yoga oder autogenem Training sowohl in Sachen Rauchen, als auch natürlich Rückenbeschwerden einige Erfolge erzielt haben.

Ja, ich mach auch autogenes Training, was gerade auch bei Stressbewältigung sehr hilfreich sein kann und Stress ist in meinen Zustand der absolute Killer. Stress und auch genetische Vorbelastungen sind noch vor dem Rauchen Hauptauslöser. Aber im Endeffekt kann es an allem liegen, schließlich kippen ja auch perfekt austrainierte Fußballer auf dem Platz um und sind tot. Von daher ...

Ich kann zumindest ernsthaft behaupten, dass ich keine Angst mehr vor dem Tod habe. Der Tod ist nicht schlimm. Ich war drei Mal kurz davor abzutreten und das tut nicht weh. Das Schlimmste ist eigentlich die Angst, weil man noch nicht gehen will, weil man noch was erleben oder machen will. Oder auch die Angst vor der Art, wie man stirbt. Keiner will Schmerzen erleiden und/oder lange dahin siechen. Wenn ich jetzt bei der letzten OP gestorben wäre, hätte das ein zweijähriges Martyrium beendet. Kaum einer weiß, unter welchen Schmerzen ich die letzte Scheibe "Tales Of The Weird" aufgenommen und eingesungen habe. Die letzten Gesangsaufnahmen habe ich mit einem bestehenden Herzinfarkt gemacht. Wenn ich mir mit DEM Bewusstsein die Scheibe anhöre, dann bin ich echt verdammt stolz!

Wenn man solche Extrem-Erfahrungen durchmacht wie du, entwickelt man dann eine neue Spiritualität? Hast du einen Glauben, der dich in solchen Momenten tröstet? Oder entwickelt man da eher einen echten Hass, oder vielleicht einfach nur eine extrem sarkastische Ironie?

Puh, das ist eine richtig gute Frage. Aus der Kirche bin ich schon lange ausgetreten und ich glaube auch nicht an den Gott, den die Christen propagieren. Aber an irgendeine, kontrollierende Macht glaube ich dennoch, denn ganz ohne Führung ist dieses Universum nicht. Jedoch glaube ich nicht an einen Heiland, der uns alle retten will, sondern eher, dass diese Macht nichts wirklich Gutes im Sinn hat. Das behandeln auch sämtliche Songs auf dem neuen Album. Letztendlich läuft doch alles nur auf Zerstörung hinaus. Darin kann ich nichts Gutes erkennen. Auch nicht daran, dass Millionen von Kindern in Afrika an Hunger sterben. Wo soll da was Gutes sein? Wie kann ein gütiger Gott all die Grausamkeiten zulassen, die in seinem oder welchem Namen auch immer verübt wurden und werden? Wie kann man da von einem Guten Gott sprechen? Ich glaube nicht, dass mich irgendein Gott oder eine Macht gerettet hat. Ich frag mich eher, warum ich andauern Arschtritte bekomme? Ich mach meine Arbeit, ich versuche nichts falsch zu machen und anderen Menschen in meinen Möglichkeiten zu helfen. Und dennoch bekomme ich dauernd in die Fresse, lieg auf dem Boden und muss leiden. Was soll der Scheiß?!? Momentan bin ich eigentlich wirklich wütend, auch wenn sich nach und nach die Ironie schon wieder einstellt, weil das Ganze so lächerlich ist.

Ich denke, ohne eine gewisse Wut und ohne Ironie fällt es aber auch schwer zu kämpfen.

Auch jeden Fall. Wenn ich ganz ehrlich bin, wollte ich nach der zweiten OP, die ich damals wegen der Divertikulitis hatte, schon nicht mehr aufwachen. Was vermutlich aber auch damit zusammen hing, dass ich tatsächlich eine dieser immer wieder auftauchenden Nahtod-Erfahrungen hatte. Ich hab sozusagen das weiße Licht gesehen (lacht). Das stimmt wirklich und auch wenn das vielleicht bescheuert klingt, aber ich sah mich selbst aus der Vogelperspektive, wie ich mit meinem Hund über eine fantastisch grüne Alpenwiese spazieren ging. Irgendwann hab ich nach oben gesehen und mir selber zu gelächelt und so glücklich und zufrieden war ich noch nie zuvor in meinen Leben. Wenn ich da nicht mehr aufgewacht wäre, hätte alles gepasst. Ich wollte da gar nicht mehr weg und als ich aber im Krankenzimmer aufwachte, war ich erst einmal todunglücklich.

Um nochmal auf den Gedanken zu kommen, dass da eine Macht ist, die nichts Gutes im Sinn hat. Da lässt sich dann drüber streiten, ob diese Macht eher gleichgültig ist, oder explizit Böse.

Zumindest skrupellos, wenn man unsere menschlichen Maßstäbe anlegt. Du hast schon recht, wenn man einfach mal ein Experiment wie die Menschheit startet und dann komplett sich selbst überlässt, verhält man sich allem, was hier und um uns herum geschieht, natürlich primär gleichgültig. Wenn einem aber so viel geballte Scheiße passiert wie mir, dann kommt man irgendwann auf einen negativen Trichter und fragt sich dann auch, ob das was Persönliches ist (lacht). Aber von außen betrachtet ist natürlich eher Gleichgültigkeit. Aber scheiß drauf, so langsam wird ich echt sauer! (lacht).

Das glaub ich dir gern, muss dir aber auch sagen, dass ich echt froh bin, dass du den Spaziergang mit Hund jedes Mal wieder nach hinten verschiebst und weiter kämpfst.

Alles andere bringt ja nix. Ich muss es zumindest versuchen. In Sachen Paradox weiß ich nach wie vor noch nicht, ob ich jemals wieder Gigs spielen kann und wenn ja, in welcher Form. Zumindest in der Doppelrolle Gitarre und Gesang ist das mehr als fraglich. Ich will denen natürlich das Gegenteil beweisen, aber dass wir mit der Band irgendwelche Clubtouren fahren werden, ist absolut utopisch. Wir wollen auf jeden Fall diverse Exklusiv-Gigs für Festivals spielen, aber in Clubs werden Paradox mit ziemlicher Sicherheit leider nicht mehr auftreten. Wir hatten mal überlegt, dass ich den Gesangsposten eben abtrete, aber das haben wir schnell wieder verworfen. Selbst, wenn ich die Sachen im Studio nach wie vor alle einsingen würde und wir uns nur live mit einem externen Sänger verstärken ist das keine gute Option. Das haben Flotsam mal mit James Rivera versucht, aber das ist scheiße. Wenn ich schon auf der Bühne bin, dann will ich auch singen, aber wenn es wirklich gar nicht mehr geht, dann wäre ein Sängerwechsel zumindest die letzte Möglichkeit. Aber nach über 20 Jahren bei einer Band, die eh nur selten Live zu sehen war einen Sängerwechsel zu vollziehen ... ich weiß nicht.

Aber mit kleineren Touren wird das eh nichts. Der Markt ist so überfüttert, man blättert sich durch sechs Seiten voll mit Konzertankündigungen und Bands wie Vicious Rumors spielen vor 40 Nasen. Dann kommen noch Touren dazu mit sechs bis acht Bands pro Abend, wo bis auf den Headliner alle abgezockt werden, so was brauch ich mit 50 nicht mehr. Von daher wollen wir noch ein paar Festivals spielen und schauen, dass wir online so präsent wie möglich sind.

"Tot von der Bühne kippen - das überlass ich Lemmy!"

Das ist ja nicht nur in Sachen Konzerte und Festivals so, dass hier der Markt explodiert. Du würdest nicht glauben, wie viele CDs ich mittlerweile pro Woche an Veröffentlichungen vorliegen habe.

Doch, das glaub ich dir gern. Da muss man ja auch nur mal einen Blick bei euch auf die Seite werfen oder die Magazine durchblättern. Ich versteh die Mentalität der Labels, des Marktes und auch der Fans nicht mehr. Es werden tausend Bands unter Vertrag genommen, die gerade einem Trend entsprechen. Dass die stellenweise noch nicht mal ihre Instrumente anständig beherrschen, spielt dann erst mal keine Rolle, weil man im Studio ja alles drehen oder von anderen Leuten einspielen lassen kann. Aber auch Bands, die ihre Instrumente tatsächlich beherrschen müssen halt auch erst mal die Studiokosten aufbringen. Oft müssen die tatsächlich einen Kredit aufnehmen, um allein die Drumaufnahmen zu bezahlen, weil die einfach zeit- und kostspielig sind. Man bekommt ja vom Label kein Budget mehr und muss froh sein, wenn sie dir die fertige Produktion abkaufen. Dann kommen aber die Fans oder Journalisten und werfen denen vor, dass ihre Drums nach Computer klingen. So was sagt sich immer sehr leicht, aber habt ihr so was schon mal bezahlen müssen? Ich kanns verstehen, wenn da im Studio schon mal programmiert wird. Für was hab ich denn dann einen Plattenvertrag, wenn ich dennoch einen Kredit aufnehmen muss, um mein Album zu veröffentlichen? Dann kann ich auf das Label doch grad scheißen. Die sollen gefälligst mal 2000 Euro rausrücken, damit die Band das ordentlich aufnehmen kann und wenn sie das nicht wollen oder können, dann sollen sie die Band gefälligst nicht unter Vertrag nehmen. (Charly redet sich förmlich in Rage). Und die Leute, die dann kommen und labern die Drums klingen programmiert, die haben gleich am wenigsten Ahnung von irgendwas. Das geht mir echt auf den Sack! Ok, es gibt bestimmt von allem auch eine Kehrseite, ich hab die Weisheit auch nicht mit Löffeln gefressen, aber das ist meine Meinung eben als alter Hase im Metalbusiness. Ich bin ja schließlich fast seit Anfang an dabei. Die ersten beiden Ausgaben des Rock Hard Magazins hab ich noch hier in Würzburg persönlich in Plattenläden an den Mann gebracht, damit das verkauft wurde. Da kann man dann schon ein wenig mitreden.

Es sind ja nicht nur die CDs die in Masse veröffentlicht werden, es sind ja, wie du schon sagtest auch Hunderte an Touren und Festivals.

Ja und da geht es dann auch schon weiter. Pay to play wohin man schaut, viele Bands aus den USA oder auch dem europäischen Ausland müssen ja schon ihre Flüge und Anfahrtskosten selber zahlen, wenn sie auf Wacken oder wo auch immer spielen wollen. Wenn die da ein paar hochkarätige Headliner haben, dann bekommen die eine unfassbar hohe Gage und die wird natürlich bei den kleineren Bands wieder eingespart. Das kann doch nicht wahr sein. Die Attraktivität eines Festivals macht doch das Line-Up aus und das besteht nun mal aus vielen Bands und nicht nur aus einer oder zwei. Da gehören doch ALLE Bands vernünftig bezahlt und nicht nur die Headliner. Die haben ihre Schäfchen eh meist schon im Trockenen. Das waren nicht nur die ein oder zwei Bands, die dieses Festival groß gemacht haben, das waren alle, die da gespielt haben und noch spielen werden. Schau dir doch mal die großen Festivals an, die haben doch immer wieder die gleichen Bands am Start. Nach außen hin versuchen sie immer eine auf Helden der Metal-Community zu machen, aber letztendlich geht es denen doch nur um die Kohle. Die haben doch alle ihre Absprachen mit den großen Bands und Bookern. Das ist eine totale Abzocke gegenüber den Bands, die müssen für ihren Auftritt zahlen und dürfen dann – selbst etablierte Truppen – fröhlich im Zelt pennen. Da wird nicht mal für die Unterkunft gesorgt. Ich könnt da echt ...

Charly, ganz ruhig, du bist grad mal aus der Reha raus, nimm mal nen Schluck Baldrian zwischen rein, sonst kommt gleich der nächste Infarkt.

Hahaha, du hast ja recht, aber so was bringt mit wirklich in Rage. Vor allem, weil wir das mit Paradox ja selber am eigenen Leib erfahren und da packt mich dann doch die blanke Wut. Denn, ohne jetzt überheblich klingen zu wollen, wir sind ja keine daher gelaufene Popelband von der man noch nie gehört hätte und die keine Fans hat. Wir haben noch kein Album veröffentlicht, das in der Presse schlecht weggekommen wäre und ich bin wie gesagt von Anfang an in der Szene. Wo sind sie denn da die Helden der Metal-Community? Holen sich lieber Heino auf ihr Festival. Es spricht doch eigentlich schon für sich, wenn ein Festival schon fast 12 Monate im Voraus ausverkauft ist. Da KANN es doch eigentlich gar nicht mehr um die Bands gehen. Da geht’s dann um's Saufen und um die Party.

Ich versteh das ja auch nicht, vor allem, wenn da vier oder fünf Stehgeiger auf der Bühne stehen, mit einem Bewegungsradius einer Briefmarke. Da kommt null Energie dabei rüber. Da kann die auf CD noch so geil sein.

Meine Rede, das ist doch dann kein Grund aus dem Haus zu gehen oder Geld dafür auszugeben. Deswegen will ich doch als Musiker auf die Bühne, um selber ne geile Zeit zu haben und die Energie auf und vor der Bühne zu spüren. Oftmals denkt man, die werden gezwungen ihre Songs live zu spielen. Dann bleibt doch daheim und macht eure Musik am Computer und veröffentlicht sie auch da. Aber nehmt nicht den Platz auf der Bühne weg. Du fühlst dich da manchmal echt fast schon hilflos, wenn du merkst, wie du als Liveband quasi gar nicht wahrgenommen wirst. Klar, das hängt natürlich auch maßgeblich damit zusammen, dass wir immer wieder durch meine Krankheiten oder Besetzungswechsel zurück geworfen wurden und kaum live in Erscheinung getreten sind. Aber es gibt echt jede Menge Paradox-Fans, welche gerne die Chance hätten, uns live zu sehen und wenn darauf dann kein Festival reagiert, was willst du da machen?

Vielleicht muss euch auch mal Heino covern.

Ja, wahrscheinlich wär das dann unser Durchbruch (lacht). Oder ich muss selber so was wie "Schnappi" machen und damit Tausende an Euro verdienen. Aber für so einen Scheiß geb ich mich einfach nicht her. Von mir wird nie Musik erscheinen, hinter der ich nicht zu 100% stehen kann! Und das muss doch verdammt nochmal irgendwann honoriert werden. Im Endeffekt liegt es einfach an den Fans bei den Festivals zu sagen, dass sie uns mal auf der Bühne sehen wollen. Die haben da am ehesten Einfluss drauf, auch wenn die Veranstalter gerade jetzt bei uns natürlich erst mal zögerlich sind, ob das überhaupt mal wieder was wird mit mir auf der Bühne. Aber ich kann euch ein paar Sachen versichern: von Paradox wird es nie im Leben ein Scheißalbum geben und ich werde auf jeden Fall so lange kämpfen, bis wir wieder auf der Bühne stehen können.

Na siehste, so was will ich doch hören. Wie geht es denn jetzt erst mal weiter?

Ich werde auf jeden Fall daran arbeiten, wieder fit zu werden und hab auch schon die Gitarre wieder in der Hand. Ob ich direkt an einem neuen Album arbeite, wird sich dann zeigen. Vielleicht mach ich auch erst mal einen Song nach dem anderen, also einfach mal was online stellen. Da würde es sich auch vielleicht anbieten, mal was abseits von Paradox zu machen, schließlich hab ich mehr als genügen Fragmente oder ganze Songs auf Halde liegen, die einfach nicht bei Paradox reinpassen. Das könnte dann eigentlich gleich ne ganze CD werden, Ideen sind genügend da (lacht). Das wäre auf jeden Fall mal was anderes. Ich will zwar natürlich so schnell wie möglich wieder auf die Bühne, hab aber ehrlich gesagt auch noch n bisschen Angst, was das angeht. Ich will schließlich nicht irgendwann tot von der Bühne kippen. Das überlass ich dann doch lieber Lemmy (lacht).

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