31. Mai 2016

"Kostenloser Zugang zu Musik ist scheiße"

Interview geführt von

Die "Klassensprecher der Generation Y" haben sich Zeit gelassen mit dem schweren zweiten Album. Darauf besingt und berappt das Gießener Trio um Jonas Schubert, Moritz Rech und Raffael Kühle aber nicht mehr nur die Probleme orientierungsloser Anfangzwanziger. Die Band hat sich entwickelt und zeigt Haltung. Mit dem mittlerweile über eine Million Mal geklickten Video zu "Gute Menschen" setzten sie lange vor der Flüchtlingsdiskussion ein Statement, das heute aktueller denn je zu sein scheint. Zeit wird es also, mal nachzuhaken. Im Rahmen ihrer Tour zu "Zwei" treffe ich Ok Kid am frühen Mittag in Hannover, wo sie am Abend ein ausverkauftes Konzert spielen werden.

Verschlafene Gesichter, Filterkaffee und Wurststullen: Es ist zwar schon 13 Uhr, trotzdem störe ich Jonas und Moritz gerade beim Frühstück, als ich den Backstage-Bereich der Faust betrete. Der Dritte im Bunde, Raffael Kühle, liegt gar noch in der Nightliner-Koje. Das Tourleben kennt nun mal keine geregelten Tagesabläufe. Trotz der morgendlichen Müdigkeit stellen sich Ok Kid, professionell wie sie sind, meinen Fragen. Dabei entsteht eine lebhafte Diskussion über die Zukunft der Musikverwertung, die "Rattenfänger" von der AfD und die Bedeutung von Moneyboy für die hiesige Rapszene.

Welches Fazit zieht ihr nach den ersten Konzerten mit dem neuen Album?

Moritz: Das ist relativ krass gerade für uns, weil wir auf so einer Euphorie-Welle schweben. Wir sind einen großen Schritt weiter gegangen im Vergleich zu den Konzerten von 2013 und 2014. Es ist das erste Mal, dass wir in vielen Locations über 1.000 Leute haben. Es ist krass, wie die Leute das annehmen, dass wir wieder auf Tour sind und vor allen Dingen auch das neue Album. Das macht gerade total Spaß.

Jonas: Im Vergleich zur letzten Tour sind es mehr als doppelt so viele Leute. Und wir merken zum ersten Mal: Hey, wir sind doch nicht mehr so eine kleine Band. Es war uns ja nie wirklich wichtig, aber unser Album ist auf Platz 6 eingestiegen. In einer starken Woche, in der der Echo war und alle Alben von Xavier Naidoo, über Sarah Connor, Beatrice Egli und Andrea Berg gleichzeitig kamen, und wir sind da oben mit drin. Es ist verrückt für uns, da jetzt mitzuspielen.

Ist das für euch ein Beweis, dass es auch ohne Radiosingle und sonstige Verbiegungen gegenüber der Industrie funktionieren kann?

Jonas: Ja, genau darüber freuen wir uns! Das merken wir auch bei der Tour, dass die Leute kommen, weil sie uns kennengelernt haben, über Freunde, durch Mundpropaganda, durch Festivalauftritte. Die kennen jeden einzelnen Text. Wir sind froh, dass wir eine Band sind, die nicht so eine krasse Hit-Single hatte, damit alle Leute nur wegen diesem einen Song kommen.

Hattet ihr Bedenken, wie die Fans das zweite Album aufnehmen würden? Stilistisch unterscheidet es sich ja schon sehr vom Vorgänger.

Moritz: Überhaupt nicht. Weil wir uns keinen Kopf darüber machen, wie das draußen ankommt. Ich glaube, wenn man Musik macht, um irgendwie zu gefallen, würde das für uns nicht funktionieren. Wichtiger ist, dass wir uns selbst zufrieden stellen.

Was war denn für euch die geilste, oder vielleicht auch schlimmste Reaktion auf "Zwei"?

Jonas: Die geilste war einfach der ganze Tag, als das Album rausgekommen ist. Da ging es einfach nur ab, wie krass die Leute das Album feiern. Da zeigt sich, dass die Fans auch ein Spiegel von dir selbst sind, dass sie mit dir zusammen wachsen. Dass sie Themen, die wir ansprechen, annehmen, dass sie diesen Schritt mit uns gehen. Und dann ist irgendwie auch nicht mehr wichtig, was jemand in einer Kritik schreibt. Die Kritiken waren meistens gut und wir ziehen uns das aus Spaß rein. Aber es gab ein paar Kritiken, wo du dich einfach drüber ärgerst. In einem großen deutschen Musikmagazin stand drin: 'Nach der Remmidemmi-Halligalli-Party-Platte werden sie jetzt nachdenklich'. Und ich denk mir dann, ey, du hast uns nicht gehört, du hast es nicht verstanden, weil das erste Album alles andere, als eine Party-Platte war. Und dann nimmst du es nicht mehr ernst und scheißt drauf, egal, wer das schreibt.

Seid ihr auf der zweiten Platte erwachsen geworden?

Jonas: Nee, ich würde es gar nicht mit erwachsen und reif gleichtun. Aber das Bewusstsein, dass sich was verändert hat, und dass dieses Bewusstsein sich auch in der Musik widerspiegelt, das ist spannend zu sehen.

Auf mich macht das erste Album einen persönlicheren Eindruck, da ging es mehr um alltäglichere, kleinere Probleme.

Jonas: Ja, es war persönlich, es drehte sich sehr viel um einen selbst, es war durchaus egozentrisch. Ich habe mich selbst in den Mittelpunkt der Texte gestellt. Damals hatten wir ja auch nichts, wir wussten nicht, wo es hingeht mit der Musik. Wir haben alle was aufgegeben, um das zu machen. Und dass wir damit Geld verdienen, war Anfang 2013 noch gar nicht abzusehen. Die Grundvoraussetzung war eine ganz andere, du hast halt damals nicht gewusst, wie du deine Miete reinkriegst. Diese Grundfragen stellen wir uns gerade nicht mehr, weil wir wirklich sicherer geworden sind. Wir haben dann gemerkt, dass wir, wenn es nicht mehr nur um einen selbst geht, auch viel mehr Sachen wieder von außen betrachten können. Eine neue Haltung zu Sachen entwickeln. Ich hatte bestimmt so zehn Jahre lang, nach meiner Teenagerwut, nicht wirklich eine Einstellung zu politischen Themen. Ich war so sehr mit mir selbst beschäftigt, dass ich gar keine Zeit mehr hatte, politisch zu denken.

(Raffael kommt rein)

Jonas: Der Herr Kühle! Moin.

Raffi: Servus.

Moin. Willst du dich zu uns setzen? Du kannst auch gerne erst mal wach werden.

Raffi: Ich versuche mal im Interview wach zu werden.

Jonas sprach gerade von Haltung. Ihr habt das wahrscheinlich in jeden Interview durchgekaut, müsst es jetzt aber eben nochmal. Wie ist die Idee zu "Gute Menschen" entstanden?

Moritz: Das fing an, Ende 2014. Mit den ganzen Pegida-Sachen. Wir fanden es krass, dass Leute auf die Straße gehen und sich nicht unbedingt dazu bekennen, ausländerfeindlich zu sein, aber sehr viele rassistische Argumente frei heraus in irgendwelche Fernsehkameras sprechen. 2014 war die Flüchtlingsdiskussion ja noch gar kein so krasses Thema, obwohl man das 'Gute Menschen'-Thema natürlich damit verknüpfen kann, so wie wir es auch im Video gemacht haben. War krass, dass es noch so an Aktualität gewinnt und auch jetzt noch Thema ist. Aber bei 'Gute Menschen' geht es ja eigentlich darum, dass man diese Doppelmoral anprangert, von Menschen, die nach außen was anderes repräsentieren, als das, was sie eigentlich denken.

Solche Songs sind immer ein Ritt auf der Rasierklinge, weil Haltung zeigen auch schnell nach hinten losgehen kann. Wie nervös wart ihr denn, als ihr das Video hochgeladen habt?

Raffi: Wir haben eigentlich damit gerechnet, dass da mehr Gegenwind kommt. Wir haben erwartet, dass viel mehr Leute den Song anders verstehen, als er eigentlich gemeint ist. Es hat uns dann selbst auch ein bisschen überrascht, dass den eigentlich alle in den richtigen Hals bekommen haben. Unsere Fans sowieso. Aber der hat ja dann auch ein bisschen größere Wellen geschlagen und es gab trotzdem keinen Hate. Kommt vielleicht auch deshalb, dass sich dadurch niemand direkt angesprochen fühlt.

Aber man will doch mit so einem Song schon eine Wirkung erzielen. Verpufft die dann in so einem Fall nicht einfach, wenn Menschen, die den Song eigentlich hören sollten, ihn nicht hören?

Jonas: Gute Frage. Aber wir haben den Song ja nicht gemacht, um zu provozieren. Sondern wir haben den Song einfach raus gehauen und gemerkt: Krass, wir werden verstanden. Und das ist doch super. Wir wären jetzt auch nicht glücklicher, wenn wir einen Mob von 100.000 Rechten gegen uns hätten. Das ist ja auch kein Song, der klassisch gegen rechts geht, sondern dass Leute sich vielleicht auch hinterfragen, was sie tun und was sie eigentlich verkörpern, wie sie sich geben. Ich glaube, da kann sich auch jeder an die eigene Nase packen. Ich kenne auch in meinem Umfeld Leute, die komisch gucken, wenn ein Mann mit langem Bart neben ihnen ins Flugzeug steigt. Das sind Ängste, die man Leuten nehmen muss.

Ich denke, es gibt einfach viele Menschen, die mit der Situation nicht klar kommen und dann gar nicht merken, was sie für Aussagen tätigen.

Jonas: Man darf auch nicht jeden, der Angst hat und darüber nachdenkt, wo es mit Deutschland hingeht, als rechts abtun. Weil dann wird der Nährboden für die AfD um so größer, die dann die Leute bei sich reinholen, die sich missverstanden fühlen. Da muss man wirklich aufpassen und immer den Dialog suchen. Die Angst vor Anschlägen ist nun mal da und die Übergriffe in Köln ... das ist extrem scheiße, was da abgegangen ist. So was kann ein Volk spalten, aber ich glaube, wenn wir irgendwas dazu beitragen können, ist es, zu versuchen darüber zu reden und aufzupassen, dass man keinen Rattenfängern hinterher rennt, die das für ihre perfiden Ziele ausnutzen.

Findet ihr in der deutschen Musiklandschaft machen zu wenige den Mund auf?

Raffi: Ich sehe es nicht so, dass jetzt zwangsläufig ein Künstler dazu Stellung beziehen muss. Man kann als Künstler auch unpolitisch sein und das ist vollkommen okay. Wir waren gestern in Rostock und haben da eine Stadtführung von Monchi von Feine Sahne Fischfilet bekommen. Bei denen weiß man ja, dass die das nicht aus einem Promo-Grund machen, sondern einfach ein Statement in sich sind. Ich finde es dann eher whack, wenn auf einmal Künstler kommen und ein Statement dazu abgeben, die sich nie in so eine Richtung geäußert haben, oder bei denen man einfach merkt, dass die auf einen Zug aufspringen wollen.

Jonas: Ich wüsste auch nicht, ob wir einen Song, wie 'Gute Menschen' jetzt neu schreiben würden. Zu der Zeit hatte das noch keiner gemacht. Deswegen haben wir auch gesagt, lass uns den ganz früh rausbringen, damit man nicht erst so ein Statement raus haut, wenn es eh schon jeder gemacht hat. Es ist immer schwierig, wenn man sich politisch äußert, aber das dann zu eigenen Promozwecken nutzt. Das ist ist ja die gleiche Doppelmoral, die wir in dem Song anprangern.

"Bei uns läuft immer 'Wie Kann Man Sich Nur So Hart Gönnen' im Tourbus."

Eko Freshs "Domplattenmassaker" ist da für mich ein gutes Beispiel. Da hat man schon gemerkt, mit welchen Hintergedanken dieser Song geschrieben wurde.

Jonas: Über die Umsetzung, wie er das gemacht hat, kann man sich sicherlich streiten. Es dient auch bestimmt zur Promo und man kann das auch ziemlich gezielt einsetzen. Aber vielleicht fühlen sich trotzdem ein paar Leute davon angesprochen und können damit was anfangen. Ich finde es nicht ultrawhack, muss ich sagen. Wenn es ein paar Leute anspricht, dann kann man das schon machen. Auch dieses Live Aid-Ding, das ist jetzt nicht das stylischste und künstlerisch wertvollste Produkt, aber wenn es Leute dazu bringt zu spenden, dann ist es an sich auch schon nicht scheiße.

Von euch hätte ich das zum Beispiel auch nicht erwartet. Aber das zeigt ja nur, dass man auch als Künstler, der vielleicht vorher unpolitisch war, Statements setzen kann, sofern diese gut gemacht sind.

Jonas: Klar. Aber wir hätten es auch nicht raus gebracht, wenn es whack wäre. Und ich glaube so eine Abstraktionsgabe einzuschätzen, ob das jetzt ein Thema ist, was zu uns passt, haben wir schon. Wenn wir jetzt sagen 'Nazis raus, Nazis raus' und 'What happened to Willkommenskultur?', so flache Parolen, das würde nicht funktionieren für uns.

In "Fünftes Rad Am Wagen" heißt es: "Nie mehr Songs über mein Leben in Moll". Sind dir alte Texte manchmal unangenehm?

Jonas: Nö. Ich kann mich da immer wieder sehr gut rein fühlen. Ich finde das alte Album für die Zeit absolut gerechtfertigt und es war wichtig, diese Themen zu verarbeiten. Das hatte ja damals auch durchaus einen Einfluss auf andere Künstler oder Rapper, die dann ähnliche Themen bearbeitet haben.

Zum Beispiel?

Jonas: Ich will jetzt keine Namen nennen, aber wir haben das Album Anfang 2013 rausgebracht, und danach hast du halt sehr viele Leute gehört, die über ähnliche Themen reden, was dann nach außen hin Generation Y genannt wurde. Wir wurden dann auf einmal als Klassensprecher dieser Generation tituliert, obwohl wir, als wir das Album rausgebracht haben, nicht mal wussten, was diese Generation Y überhaupt sein soll.

Der Featuregast ist mit Megaloh wieder ein sehr klassischer, oldschooliger MC. Wie tief seid ihr noch in der Deutschrap-Szene und könntet ihr euch auch vorstellen, was mit Leuten aus einer ganz anderen Richtung, wie LGoony & Co. zu machen?

Raffi: Ich weiß ja nicht, wie tief man drin sein kann, aber wir verfolgen Deutschrap schon sehr stark. Was in dem Bereich mit LGoony und so abgeht, finde ich sehr interessant. Finde ich zum Teil auch sehr lustig. Bei uns läuft auch immer 'Wie Kann Man Sich Nur So Hart Gönnen' im Tourbus.

Einer der Mitbegründer dieser neuen Strömung ist Moneyboy. Ihr wart damals eine der ersten Künstler, die ihn gepusht haben.

Jonas: Genau, wir haben ihn extra für unseren Soundclash gegen Ronny Trettmann auf dem Splash! 2014 aus Wien einfliegen lassen. Das war so ein Soundsystem-Livebattle. Er hatte dann Megaloh gegen uns live auf der Bühne und wir haben halt Moneyboy geholt und mit ihm einen Track geschrieben, den wir da performt haben. Das war das erste Mal, dass Moneyboy auf dem Splash! war.

Verfolgt ihr den Boy denn noch?

Jonas: Auf jeden Fall, es ist krass, was für einen Hype Moneyboy immer noch hat. Ich glaube, die Faszination kommt daher, dass bei ihm Sachen ablaufen, die einen immer wieder überraschen und nie greifbar sind. Er wurde früher von der ganzen Rapszene ausgelacht, für das was er macht. Mittlerweile ist er ein Künstler, der eine krasse Szene um sich herum hat, der ein Movement losgetreten hat und von vielen einfach ernst genommen wird. Die Wahrnehmung hat sich verschoben. Weg von diesem kompletten Trash-Ding. Teilweise reden die Feuilletons von dem Avantgarde-Scheiß aus Österreich, es ist verrückt.

Raffi: Er hat auch einfach das krass lustigste Social Media-Game überhaupt.

Er hat definitiv eine enorme Zugkraft. Ich kann das ja nur von der Medienseite aus beurteilen, aber wenn einer unserer Tweets von Moneyboy retweetet wird, geht der durch die Decke. Ich habe aber mittlerweile die Befürchtung, dass er auf seinem Drogenfilm hängen geblieben ist und solche Dinge wie sein Konzert-Ausraster gehen halt gar nicht.

Jonas: Aber er ist jetzt gerade wieder healthy, er trinkt wieder mehr Smoothis, hat er gemeint.

Raffi: Da geht's halt gar nicht mehr um die Mucke, was ich schade finde. Ich höre mir die Tracks meistens gar nicht mehr an. Bei so Leuten wie Crack Ignaz habe ich mehr das Gefühl, dass das richtige Künstler sind, bei Moneyboy ist das eher so ein Comedy-Ding.

Man muss ja auch einfach sagen, dass die Musik nicht so eine hohe Qualität hat. Kann sie ja auch gar nicht haben, wenn du jede Woche ein neues Mixtape raus haust.

Jonas: Obwohl auch die besser geworden sind. Also er kann mittlerweile rappen. Da gibt's auch teilweise Vergleiche und Reimketten, die echt lustig sind.

Raffi: Das zielt ja auch eher auf Quantität, als auf Qualität ab. Ist halt eine andere Herangehensweise.

Das ist mehr die Herangehensweise mancher US-Rapper.

Jonas: Genau. Ist halt mehr wie Lil B oder Gucci Mane, der bringt doch auch jede zweite Woche ein Mixtape raus. Ist ja auch krass, wie so eine Kultur gerade immer mehr nach Deutschland rüber schwappt. Ich glaube, das wird auch in den nächsten Jahren im Deutschrap richtig groß werden.

Man kann von Leuten wie Yung Hurn, was die musikalische Qualität angeht, halten was man will, aber er ist Teil einer Bewegung, die das ganze Genre weiterbringen kann. Wenn jeder immer nur dasselbe macht, kann sich eine Szene ja auch nicht weiterentwickeln.

Jonas: Ich finde spannend, dass es scheißegal ist, was du sagst. Da reden Leute über Cash, Autos und Bitches, die alle Kids mit Mittelstandshintergrund sind. Die sind normal aufgewachsen, sind unscheinbar und rappen über so was. Und dass das in der Rapszene Anklang findet, ist für mich komplett neu, weil das eigentlich immer komplett gehatet wurde. Das ist nicht real, was er sagt, du musst in deinen Songs verkörpern, was du wirklich bist. Und darauf wird jetzt halt geschissen und das finde ich cool, weil es neu und frisch ist.

Ein gängiges Tool im Deutschrap sind Deluxe-Boxen. Das habt ihr jetzt auch gemacht. Es gibt aber bei euch bandintern die Debatte, ob das sinnvoll ist oder nicht. Habt ihr euch mittlerweile geeinigt, ob ihr das beim nächsten Album wieder macht?

Moritz: Das ist ein großer Streitpunkt.

(Gelächter)

Raffi: Ich hoffe, dass bis dahin die Charts geändert sind. Merch-Charts fände ich zum Beispiel geil.

Immerhin war in eurer Box ja noch musikalisches Bonusmaterial dabei. Ich habe mich aber gewundert, weil es das ja auch auf Spotify gibt. Macht es denn Sinn, die Bonussachen, wegen denen die Leute ja eigentlich die Deluxe-Box kaufen sollen, sozusagen for free auch auf Spotify zu veröffentlichen?

Jonas: Das hat mehr mit der Label-Politik und Vertrieb auf Plattformen, wie Spotify und iTunes zu tun. Spotify möchte das gleiche haben, was iTunes bekommt und iTunes möchte kein schlechteres Paket, als Amazon. Das heißt, wenn du Musik in eine Box packst, die nur da drin ist, fühlen sich iTunes und Spotify angepisst. Und du willst ja den Support von allen haben, wenn du ein Album rausbringst.

"Musik ist kein Selbstbedienungsladen."

Stört euch diese Durchkommerzialisierung, dass man zum Beispiel von Labelseite gezwungen ist, eine Box rauszubringen?

Jonas: Ne, wir hätten das nicht machen müssen. Aber wenn du den Leuten eine geile Box anbieten kannst, wieso nicht? Die Gürteltasche ist ein Qualitätsding von einer Marke, die wir selbst kennen. Die heißen Hektik und produzieren fair diese Sachen, extra für uns. Dann haben wir Holztäfelchen mit Siebdruck beigelegt, statt einfach ein Poster. Zusammen mit drei Bonus-CDs war das dann für uns ne coole Box. Wenn das Fans kaufen wollen, dann sollen sie die Chance dazu haben. Das ist für mich keine Kommerzialisierung. Das wäre es eher, wenn wir VIP-Tickets für 50 Euro verkaufen würden, mit denen uns die Leute dann eine halbe Stunde backstage treffen dürfen. Andere machen das, was ich so ekelhaft abartig finde. So etwas ist für mich Kommerzialisierung, aber nicht Boxen. Selbst die Künstler des links-lastigen Labels Audiolith haben Boxen, jeder hat Boxen.

Das ist heutzutage wohl auch der einzige Weg noch CDs zu verkaufen.

Jonas: Ja, dann hast du vielleicht einen Mehrwert für dich, um sie ins Regal zu stellen. Die Box sieht ja auch cool aus.

Glaubt ihr, die Wege mit Musik Geld zu verdienen werden sich in Zukunft stark verändern? Der Trend mit den Streamingdiensten geht ja schon in eine Richtung, bei der die Künstler am Ende wenig profitieren.

Raffi: Ja, da muss sich auf jeden Fall noch was tun. Ich finde das Konzept Streaming an sich schon cool. Dass man mit einem Spotify Premium-Account für zehn Euro theoretisch auf alle Musik zugreifen kann, ist zwar krass, aber wenn die zehn Euro richtig verteilt werden würden, wäre es eigentlich cool. Es ist ja schon lange so, dass man mit CDs nichts mehr verdient und die Haupteinnahmequelle Live-Auftritte sind. Das ist bei uns auch so. Und ich glaube, dieser Trend wird sich jetzt auch erst mal nicht ändern.

Für den Nutzer ist es natürlich komfortabel. Ich als Student kann es mir zum Beispiel auch einfach nicht leisten, so viel Musik im Monat zu kaufen, wie ich hören will.

Jonas: Aber so eine Einstellung ist ja eigentlich whack! So nach dem Motto: Ich kann nicht so viele Döner essen, weil ich nicht so viel Geld habe, aber trotzdem ziehe ich sie mir rein. Musik ist ja kein Selbstbedienungsladen. Die Grundeinstellung, dass man für Musik nichts bezahlen will, stört mich. Du machst was, du fertigst etwas an, das ist wie ein Handwerk, das du verkaufst. Und diese Grundeinstellung, dass man zu jeder Musik kostenlosen Zugang haben möchte, finde ich scheiße. Da steckt viel Arbeit drin, und dafür soll man eigentlich auch gut entlohnt werden.

Klar, das kann ich nachvollziehen. Wenn in so einem Album über ein Jahr Arbeit steckt, will man ja auch was zurückbekommen. Und bei Spotify sind das dann am Ende Cent-Beträge. Aber ich glaube, das ist ein ziemlich allgemeines Problem, das auch viele andere Bereiche betrifft, gerade Medien. Ihr wart letztens bei Rocketbeans TV. Das ist ein Konzept, das funktioniert, ohne dass die Konsumenten gezwungen sind, dafür zu bezahlen. Die produzieren 24 Stunden am Tag Content und finanzieren das hauptsächlich über freiwillige Spenden und Werbung. Ich bin gespannt, wo solche Wege in Zukunft hinführen.

Raffi: Ja, geht mir genauso. Aber ich finde das Spotify-Modell schon mal nicht schlecht. Ich glaube, der Punkt, an dem man noch diskutieren kann, ob der Zugriff auf alle Musik berechtigt ist oder nicht, ist schon längst überschritten. Weil es einfach so ist, es bringt nichts darüber noch zu reden. Aber das Verwertungsmodell von Spotify finde ich schon mal nicht schlecht. Mit einem Premium-Account könntest du dir zwölf CDs im Jahr kaufen und das ist schon relativ viel. Wenn das dann noch richtig verteilt werden würde und auch bei den Künstlern ankommen würde, wäre es eigentlich ein cooles Konzept.

Aber wo hakt es denn? Man könnte ja zum Beispiel sagen am Label. Weil diese Zwischenstation heutzutage eigentlich nicht mehr notwendig ist.

Moritz: Ich glaube, das ist sogar die Verteilung direkt von Spotify. Ich hab das nur mal am Rande erfahren, dass größere Acts auch ordentlich entlohnt werden und kleinere eben nicht. Wenn du Major bist, hast du auf jeden Fall bessere Chancen, dafür Kohle zu bekommen. Deshalb gab es auch mal so einen Silent-Indie-Day, an dem alle Menschen auf der Welt dazu aufgerufen wurden, Spotify stumm zu schalten und die ganze Zeit irgendwelche Indie-Bands anzuklicken, damit die eben auf größere Klickzahlen kommen. Das ist einfach eine ungerechte Verteilung.

Aber zum Beispiel hat Taylor Swift, die von den Klickzahlen momentan eine der größten Künstlerinnen sein dürfte, ihre Musik aus Spotify entfernt, mit der Begründung der Dienst zahle zu wenig.

Jonas: Ist doch cool. Es gibt auch keine Clueso-Songs auf Spotify. Du findest viele nicht drauf. Ist ja auch das Recht eines jeden Künstlers, das für sich zu entscheiden.

Moritz: Darüber so krass zu haten, fällt mir auch ein bisschen schwer, weil ich selbst hardcore Premium-Nutzer bin. Klar, was der Jonas sagt, ist total richtig, ich denke auch so, aber selber handele ich halt nicht so.

Jonas: Aber was Raffi vorhin meinte, zehn Euro zu zahlen, ist ja schon ein Schritt in die richtige Richtung. Aber diese Grundeinstellung zu sagen, ich habe gar nicht so viel Geld, wie ich Musik konsumieren will, das ist ne Einstellung, die ich irgendwie komisch finde.

Moritz: Ja finde ich ja auch, aber ich konsumiere gerade auf jeden Fall mehr Musik, als ich dafür zahle.

Raffi: Es ist ja völlig okay, dass Clueso seine Sachen nicht auf Spotify tut, aber die Alternative dazu ist Raubkopie. Er hat über Spotify die Möglichkeit, noch eine Verwertung stattfinden zu lassen, während die Alternative dazu ist, dass er gar kein Geld bekommt. Das ist natürlich ne scheiß Wahl, aber dann würde ich im Zweifel eher Spotify wählen, statt gar nichts davon zu haben.

Das hat man gut an Kanye West gesehen. "The Life Of Pablo" erschien ja zunächst exklusiv auf Tidal und schon nach den ersten paar Tagen wurde das Album eine halbe Million Mal illegal gedownloaded.

Jonas: Aber das wäre ja dann doch ein Argument für eine Box. Dass man sagt, okay, dieses klassische CD-Ding ist eh weg, die Musik ist frei zugänglich, aber du hast halt die Möglichkeit, einen Künstler, den du feierst, in die Charts zu kaufen, oder Sachen zu haben, die mehr sind als nur die Songs.

Raffi: Aber dann sollten es keine Musik-, sondern Box-Charts sein.

Jonas: Die gibt's ja auch bald bei Amazon.

Raffi: Die normalen Musik-Charts sind eben mittlerweile Box-Charts.

Jonas: Aber kannst du dann Streaming als Charts anrechnen? Ist auch wieder so ne Sache.

Raffi: Naja, theoretisch von Premium-Nutzern schon. Weil du dafür ja bezahlst.

Jonas: Es ist geil, du musst gar keine Fragen mehr stellen, das läuft von selbst.

(Gelächter)

Könnt ihr euch denn so ein Finanzierungsmodell wie das der Rocketbeans vorstellen? Also dass alles crowdgefundet läuft? Oder braucht es immer ein Label im Hintergrund?

Raffi: Ne, ich glaube, du brauchst heutzutage kein Label mehr. Je nachdem, was du eben machen willst. Für uns ist es gut, ein Label zu haben, aber man braucht das nicht mehr zwangsläufig. Das kannst du eigentlich alles selbst machen.

Und profitierst vielleicht am Ende sogar mehr davon.

Raffi: Ja, wenn du eine krasse Nischen-Band bist und in deinem Lager groß genug bist, um da abseits jeglicher Mainstream-Medien zu funktionieren, dann kann das funktionieren. Gibt es ja schon, die ganze Metalszene wird zum Beispiel gar nicht abgebildet im Mainstream. Eine Band wie Bilderbuch hat auch kein Label.

Abschließende Frage: Ihr wart letztens beim SWR Gamecheck und habt Fifa gezockt. Wer von euch ist denn der beste Fifa-Spieler?

Moritz: Das bin ich.

Jonas: Moritz, ganz klar.

(Gelächter)

Raffi: Also der Moritz ist schon ganz gut, aber...

Moritz: Du bist besser (lacht).

Raffi: ...ich bin besser. Ne, ich würde auch sagen, Moritz ist der Beste, aber manchmal gewinne ich trotzdem.

Moritz: Also das letzte Mal haben wir ja zusammen gezockt und wir sind auf jeden Fall ein unschlagbares Team. Wenn Raffi und ich zusammen spielen, gewinnt eigentlich keiner.

Raffi: Aber das war auch asi. Zocken und reden gleichzeitig und das auch noch um halb acht morgens, das ging gar nicht.

Moritz: Mit Gin auch noch.

Den habt ihr beim Interview-Marathon bestimmt oft trinken müssen, oder?

Jonas: Das war der Running Gag von Interviewern. Komm, wir trinken morgens um 10 Uhr einen Gin Tonic. Und natürlich haben wir mitgemacht und hatten dann oft bei anderen Interviews eine Gin-Fahne, was dann wiederum unser Image als Gin-Band weiter gestärkt hat (lacht).

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