laut.de-Kritik

Träumst du noch, oder lebst du schon?

Review von

Bielefeld, Chemnitz, Landau – junge, aufstrebende deutsche Künstler müssen nicht mehr zwingend aus den hippen Metropolen unseres Landes kommen. Das dachten sich auch Jonas Schubert, Raffael Kühle und Moritz Rech alias Ok Kid aus Gießen. Mittlerweile leben die drei Jungs zwar alle in Köln – immerhin haben sie dort den Vertrag mit Four Music an Land ziehen können – aber die Stadt an der Lahn ist noch immer ein wichtiger Teil der Band.

Gießen ist nicht nur Heimat und Ursprungsort vieler ihrer Texte, hier sind auch die musikalischen Anfänge tief verwurzelt: Als Jona:S fand die Band 2006, damals noch zu sechst, den Einstieg ins Musikgeschäft und eignete sich eine große regionale Fangemeinde an. Genügend Gründe, um die triste Stadt an der Lahn mit einem ganzen Song wertzuschätzen: "In dem Song geht es darum, wo wir herkommen", so Jonas, Sänger und Kopf der Band, über "Stadt Ohne Meer". "Ich meine, dass wir die Fahne für Gießen überall hochhalten, ist eh klar. Weil wir da groß geworden sind und da die erste Fanbase hatten, ist das unsere wichtigste Stadt."

Der Song kursierte schon seit Monaten im Internet und ist nicht nur eine Hommage an die Herkunft der Band, sondern auch mit einer der temporeichsten, gitarrenlastigsten auf dem Debütalbum. Man könnte meinen, Ok Kid besingen Gießen wie eine geliebte Frau: "Du riechst immer noch nach gestern/ nicht gewaschen, nicht poliert/ ohne Glanz und ohne Stil, doch ich will dich nicht verbessern/ denn niemand passt besser zu mir, als du."

Auch "Alles Oder Nichts Mehr" gehört der rockigeren Ecke auf dem Album an. "So wird es kommen, so wird es sein", prophezeit Jonas in dem leicht verträumten Stück, das sich mit Handclaps zu einem gewaltigen Indie-Pop-Stück aufbaut. Die wenige Hoffnung, die hier durchschimmert, wird dafür im gesamten Rest des Albums weitgehend aufrecht erhalten.

Denn das ist es, was Ok Kid wirklich gut können: Sich mit dem Leben auseinandersetzen, ohne im Selbstmitleid zu versinken. So auch in "Am Ende", denn da "wird alles wieder gut/ und so lange es uns nicht gut geht, können wir das Ende nicht sehen." Oder im Klartext: Das Leben ist eigentlich gar nicht so schwer, wie wir immer tun. Man muss es nur mal in die Hand nehmen!

Kritische Beobachtungen ihres Alltags relativieren sie immer wieder durch die darauf folgende Selbstironie, den Wortwitz und die nötigen Portion Lässigkeit. Es dreht sich alles ums Älter werden, sich Loslösen und aus starren Denkmustern Befreien. "Schneid' den roten Faden ab, wenn er sich nicht verbinden lässt": Schon im Opener "Allein, Zu Zweit, Zu Dritt ..." manifestiert sich eine Haltung, die ein breites Publikum ansprechen dürfte.

"Mehr, Mehr" ist dann wohl die absolute musikalische Vertonung der rastlosen Generation Y. In der pianolastigen Ballade, die sich auch schon auf alten Jona:S-Alben finden lässt, singen Ok Kid von der stetigen Unzufriedenheit, obwohl man im Herzen weiß, dass man eigentlich schon alles hat, was man braucht. Wieso haben die nur so Recht?!, fragt man sich da als nachdenklich zurückbleibender Hörer.

Dass Ok Kid bei Four Music gelandet sind, hat auch zur Folge, dass sie sich gleich zwei namenhafte Gäste ins Boot holen konnten: Auf "Heile Welt" steuerte Olli Banjo einige Rap-Parts bei. Außerdem wird "Wenn Der Tag Abreist" vom ehemaligen MC Gerard unterstützt: "Uns war es bei den Features wichtig, dass wir uns zusammen Zeit nehmen, um an den Songs zu arbeiten und 100 % auf der gleichen Wellenlänge sind, was Thematik und Ästhetik des Songs angeht. Gerade bei Gerard hat sich aus diesem Song heraus eine richtige Freundschaft und eine eigene Soundvision entwickelt." Dennoch muss man ihnen unterstellen, dass gerade die beiden Songs mit den gefeierten Rappern vor Melancholie und Pessimismus nur so triefen.

Zum Glück vereinen die drei Gießener auf ihrem Album den bitteren Weltschmerz mit allerlei positiven Stimmungen. Auch musikalisch lassen sie sich nicht in eine Schublade stecken, bringen sie doch gekonnt Hip Hop mit poppigen und elektronischen Elementen unter einen Hut – teils sehr düster und traurig, teils hoffnungsvoll und treibend, aber immer, wie sie sagen, progressiv: "Das heißt für uns, Musik zu machen, die auf der einen Seite angenehm ins Ohr geht, ohne sich dem Hörer anzubiedern, aber auch viele Subebenen hat – sei es in den Texten oder den Sounds."

Produzent Robot Koch sagte in einem Interview mal, man könne musikalisch heutzutage nichts Neues mehr erfinden, nur noch neu kombinieren, womit es Ok Kid ziemlich gut auf den Punkt treffen. Selten hat jemand schöner zu abgehackten Synthies gerappt als Jonas bei "Kaffe Warm", selten war mehr Pathos im Spiel als bei den Piano- und Paukenschlägen im Intro zum Deutschrap-Song "Verschwende Mich". Auch wenn Jonas gesanglich manchmal an Clueso erinnert und seine Texte an die Poesie der Hamburger Schule, haben Ok Kid ihren ganz eigenen Stil erfunden, der hoffentlich eine erfolgsverheißende Zukunft für sie bereit hält.

Trackliste

  1. 1. Allein, Zu Zweit, Zu Dritt ...
  2. 2. Hellwach
  3. 3. Stadt Ohne Meer
  4. 4. Einsatz
  5. 5. Verschwende Mich
  6. 6. Heile Welt (feat. Olli Wunderkynd Banjo)
  7. 7. Am Ende
  8. 8. Intro
  9. 9. Wenn Der Tag Abreist (feat. Gerard)
  10. 10. Alles Oder Nichts Mehr
  11. 11. Schlaf
  12. 12. Kaffee Warm
  13. 13. Mehr Mehr

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5 Kommentare

  • Vor 10 Jahren

    ein richtig, richtig gutes album. da kommt was großes auf uns zu...

  • Vor 10 Jahren

    Man wandelt halt immer auf dem schmalen Grad zwischen Kitsch und Cool wenn man solche Musik macht. Die hier sind für mich ganz weit links. Hab das Album durchgehört und finde es furchtbar langweilig. Mir fehlen da die Sachen, die sich herausheben. Ist sicherlich gut produzierte Popmusik, so für 10-16 Jährige gemacht. Jona:S fand ich besser.

  • Vor 10 Jahren

    Bin selber von Gerard auf diese Band gekommen, habe bis jetzt aber nur den Song "Verschwende mich" gehört, welchen ich richtig gut fand. Das Album lege ich mir demnächst auf jeden Fall zu.

  • Vor 10 Jahren

    hab mir ein paar lieder auf yt angehört, kann ich mir gar nicht geben und was zum teufel macht diese mukke im bereich hip-hop/rap ????

  • Vor 10 Jahren

    Das Album ist klasse, aber ich teile da auch die Meinung von FvNking. Keine Ahnung warum die Band immer wieder fast hauptsächlich mit Hip-Hop/Rap in Verbindung gebracht wird. Bei Casper/Cro etc. liegt das noch Recht nahe, aber hier zeigen sich für mich wenige bis keine Überschneidungen zum Genre. Wenn dann eher zum Elektronischen. Aber für mich ist das Pop im guten Sinne. Naja war bei Kraftklub auch nicht anders und folgt man dieser Logik wäre Lou Reed auch Rap. Leuchtet mir nicht ganz ein.