laut.de-Kritik

Endlich frei: Reznors Labelabschied im Remix.

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Was war das für ein Trara, als Nine Inch Nails-Kopf Trent Reznor im Frühjahr sein "Year Zero" einläutete. Virales Marketing wörtlich nehmend versah er sein thematisch in einer totalitären Zukunft angesiedeltes Studioalbum mit einer kompletten Ideologie und irrwitziger Netzjagd. Im Vorfeld der Veröffentlichung wetterte er ausgiebig gegen sein Label Universal und ersehnte die Erfüllung seines Vertrags herbei. So stand relativ schnell der Plan, den Kontrakt mit einem Remixalbum von "Year Zero" zu erfüllen.

Das Artwork bemüht noch einmal die düstere Zukunft Amerikas, eine fade scheinende Sonne schafft es kaum, den Smog der wüsten Industrielandschaft zu erhellen. Und der Sound? Reznors Neu-Intimus Saul Williams begrüßt den Hörer mit seinem 1:43 Minuten langen Traktat "Guns By Computer", auf dem er einfach über den "Year Zero"-Opener spricht: "This song is my enemy, watch how I become it". Dass Williams sich für starke erste Eindrücke empfiehlt, demonstrierte er unlängst mit seinem "Black History Month", das sein "The Inevitable Rise And Liberation Of Niggy Tardust" eröffnet.

Modwheelmood (bei dem Alessandro Cortini, Reznors Live-Keyboarder Mitglied ist) zieht "The Great Destroyer" nur unwesentlich verändert ein wenig in die Länge, die zusätzlichen elektronischen Dissonanzen sorgen für weitere Verstörung. "My Violent Heart" im Pirate Robot Midget Remix treibt das von Reznor gerne praktizierte Bitcrushing auf die Spitze und groovt mit einem fiesen Beat schwerfällig vor sich hin. Auch Ladytron legen ein gewisses Augenmerk auf Tanzbarkeit bei ihrer Neuinterpretation von "The Beginning Of The End". Besonders schön hier: die bandtypischen kühlen female vocals, die über Reznors Refrain liegen.

Williams darf dann noch mal beim Singletrack "Survivalism" ran, er versieht die Nummer mit einem dumpfen Beat, eine Maßnahme, die der finsteren Vision Reznors eine weitere Lage Bedrohlichkeit verleiht. Deutlich elektroider geht der Epworth Phones Remix des britischen Produzenten und Remixers Paul Epworth von "Capital G" zur Sache. Monotone, aber dreckige Housebeats untermalen in gebührender Länge (fast siebeneinhalb Minuten) die zu Dada auseinandergeschnipselten Lyrics des Frontmanns. Funk-Basser Bill Laswell richtet "Vessel" richtig übel zu, diese Kakophonie greift weit zurück in die wütenden Tage des Trent Reznor.

Stefan Goodchild versucht mit seinem "The Warning"-Remix widerum, die für NIN typische Beklemmung auszulösen, was ihm zumindest ansatzweise gelingt. Nach den vorangegangenen beiden Brocken stellt der Track allerdings fast so etwas wie eine Verschnaufpause dar. Saddle Creeks Elektropioniere The Faint versehen "Meet Your Master" mit ihrem ganz eigenen Touch, dirty Dancefloor-Sounds made in Omaha, Nebraska. Es fiepst und piept an allen Ecken und Enden.

Der "God Given"-Remix von Stephen Morris und Gillian Gilbert (New Order) reüssiert dagegen auf fast schon antiken Industrial-Bassläufen, ein interessanter, und so auf diesem Album noch nicht gehörter Kontrast zu den anderen Überarbeitungen. Und dann kommts ganz dick. The Knifes Olof Dreijer walzt auf 14 Minuten "Me I'm Not" in einer monumentalen Minimal-Interpretation platt. Zu den stumpfen Beats gesellen sich Walgesänge aus den Synthesizern und gefälschte Höhepunkte, die im Nichts verpuffen.

Irgendwann bei 3:20 Minuten setzt der Bass ein. Unmerklich werden die Beats härter, drücken dem Hörer (bei entsprechender Lautstärke) schier die Schädeldecke ein, und bei 4:30 kommt dieses nicht enden wollende Gelenkknacken hinzu. Dank Stereo perfekt in der Mitte der Birne platziert. Bitte unbedingt mit Qualitätskopfhörern und sehr laut hören!

Nebenbei bemerkt ist diese Nummer, vielleicht der einzige Kritikpunkt an "Y34rRZ3R0R3M1X3D", die einzige auf dem Album, die einen wirklich bemerkenswerten Spannungsbogen aufweist. Alle anderen Remixe orientieren sich relativ nah am Original, so dass mitunter schnell das Gefühl entsteht, man kenne die Stücke bereits gut. Von dieser Kritik sei ausdrücklich auch der Kronos Quartett und Enrique Gonzalez Müller-Remix von "Another Version Of The Truth" ausgenommen. Die vier Streicher verleihen dem Stück zuerst etwas von atonaler Musik, später gesellt sich ein romantisches Element hinzu. Peitsche und Zuckerbrot, wie bei Reznor auch.

Das beatlose "In This Twilight" des Österreichers Christian Fennesz holt den Hörer dann langsam wieder herunter, "Zero-Sum", das noch einmal von Stephen Morris und Gillian Gilbert versorgt wird, entlässt ihn mit einer ruhigen Note. In seiner Gesamtheit ist Reznor sein Befreiungsschlag mit diesem hörenswerten Aufguss von "Year Zero" geglückt.

Ob es Auswirkungen auf seinen zukünftigen kreativen Output hat, wird sich zeigen. Wer sich selbst an den Originalversionen versuchen möchte, kann sich dank beiliegender CD betätigen. Sie enthält noch einmal alle Originaltracks, sowohl als Wave-Dateien als auch als Dateien für Ableton Live und Apples Garageband.

Trackliste

  1. 1. Gunshots By Computer (Saul Williams)
  2. 2. The Great Destroyer (Modwheelmood)
  3. 3. My Violent Heart (Pirate Robot Midget)
  4. 4. The Beginning Of The End (Ladytron)
  5. 5. Survivalism (Saul Williams)
  6. 6. Capital G (Epworth Phones)
  7. 7. Vessel (Bill Laswell)
  8. 8. The Warning (Stefand Goodchild Featuring Doudou N'Diaye Rose
  9. 9. Meet Your Master (The Faint)
  10. 10. God Given (Stephen Morris And Gillian Gilbert)
  11. 11. Me, I'm Not (Olof Dreijer)
  12. 12. Another Version Of The Truth (Kronos Quartet And Enrique Gonzalez Müller)
  13. 13. In This Twilight (Fennesz)
  14. 14. Zero Sum (Stephen Morris And Gillian Gilbert)

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8 Kommentare

  • Vor 16 Jahren

    Hab lange auf die Huldigung dieser Scheibe durch eure Majestät gewartet ^^ Gut, dass ihr den Grashüpfern den Kampf ansagt und den richtigen Riecher für gute Musik habt.
    Tolle CD-Kritik! Trifft den Nagel auf den Kopf.
    Ich selbst habe mir das Album direkt nach dem Release gekauft und war auch sehr überzeugt. Auch die Zugabe der WAVE- und Garageband- Dateien hielt ich für eine tolle Idee.
    Als heimlicher House-Hörer gehört für mich sogar der Epworth Phones Remix zu den besten Songs auf dem Album, aber nicht, weil die anderen Songs mir nicht gefallen, sondern einfach, weil die Beats so stimmungsvoll sind.

    Ansonsten nochmal ein dickes Lob! Ich freu mich schon auf eure nächste CD-Kritik des kommenden NIN-Albums!

  • Vor 16 Jahren

    Die Nine Inch Nails haben über die Jahre etwas nachgelassen. Hm, moment, Trent Reznor hat über die Jahre etwas nachgelassen. Allerdings hebt sich seine Musik noch immer meilenweit ab von den Wellen, die seit 10 Jahren im Musikbusiness bis zum Erbrechen geritten werden. Die Nine Inch Nails dürfen eigentlich in keiner Musiksammlung fehlen. Und selbst dieses Fremdwerk ist wirklich hörenswert.

  • Vor 16 Jahren

    Zitat (« Tolle CD-Kritik! Trifft den Nagel auf den Kopf. »):

    Kann ich nur zustimmen.

  • Vor 16 Jahren

    im sinne von: du hast keine lust auf electro-artiges oder gefällt dir bloss die formulierung nicht? sonderlich gut geschrieben ist sie nicht, da hast du recht. aber sie gibt trotzdem nen guten eindruck!

  • Vor 16 Jahren

    nene, die formulierung ist schwach. der satz ist quasi eine null-information. die herangehensweise, jeden song einzeln zu besprechen mit stimmen von mehreren leuten, ist schon okay.

  • Vor 16 Jahren

    null-information.. hmmm.. spekulation!

    um mein feedback zu relativieren, das laut-review ist schön geschrieben, es entspricht nur nicht meine meinung, aber geschmäcker und eindrücke sollten angeblich verschieden sein.. hab ich mal irgendwo gehört ^^ ;)

    year zero part 2 schon bald in den startlöchern! yeah :D