X-Mas Jam: Absolute Beginner, Der Tobi & Das Bo u.a. live

X-Mas Jam 2025: ein Wiedersehen mit Easy Business, Doppelkopf etc. – und die Fans eskalieren.

Hamburg (kluk) - "Echte Musik." "Rettung des Deutschraps." "Besser als der ganze neue Scheiß." Während ich nach sechs Stunden Autofahrt mühsam aus meinen Barfußschuhen in semiausgelatschte Nikes wechsele, gehe ich mental schon mal die schlimmsten Plattitüden durch, mit denen ich einen Bericht über die X-Mas Jam 2025 anfangen könnte.

Natürlich ist das alles Quatsch. Das, was hier am Wochenende in der ausverkauften Hamburger Markthalle steigt, ist eine Zelebrierung der alten Tage, ein Wiedersehen von alten Freundinnen und Freunden. Das, was hier geht, will zu keiner Sekunde mehr sein, als es ist.

Auslöser der grundbescheidenen Vergangenheitsbesoffenheit war das Projekt "Eine Stadt wird bunt" – ein Rückblick auf die Hamburger Hip Hop- und Graffiti-Szene als Buch, Ausstellung, App und schlussendlich Vinyl-Sampler.

Bisschen eingerostet?

Ein Vorverkaufs-Drama und 200 dubiose Kleinanzeigen-Angebote und 'Biete 200 Euro für Ticket'-Gesuche später ist der Tag gekommen. Durch den Abend führt Überzeugungstäter Sleepwalker, der den Eindruck vermittelt, er könne Bio- und Diskografien der Auftretenden problemlos im Schlaf runterrappen. Damit bricht er schon mal das Eis für Skunk Funk, die sich zwar selbst als "bisschen eingerostet" beschreiben, sich aber Stück für Stück aus der Komfortzone rausarbeiten.

Bei Schlechta Umgang regieren im Anschluss die Bässe, die auch die letzten Ecken der stattlich gefüllten Markthalle fluten. Auf der Nebenbühne gibts die ersten Breakdance-Battles, die ein Herr mit Nikolausmütze für sich entscheidet. Ich bin zwar zu jung, um mich zu erinnern, aber während ich beobachte, wie jemand einen Zettel mit der Aufschrift "21 Uhr: Cypher" an der Türe befestigt, meine ich aus dem Raum zu lesen: Ja, genauso war das hier früher auch schon. Meine Nikes fangen das erste Mal an, auf die Fersen zu drücken.

Hamburger Schule

90er-Lokalpionierin Selma Montana huldigt nicht nur den Fugees, sondern verteilt auch erste Shoutouts gen Eimsbüttel. Sie eröffnet mit einer Ode an Beginner, Ferris, Bo, an alle, die da sind, die fehlen, an ihre Hamburger Schule. Zum Schluss ihres 15-Minuten-Slots gibts noch mal legeres Doubletime-Namedropping über Reggae-Riddims – die Crowd ist wach, da sitzt dann wirklich alles.

Apropos 15 Minuten: Das Programm ist streng durchgetaktet. MCs und DJs meistern ihre fliegenden Wechsel – bei denen allerdings teils mehr MacBooks als Platten geswitcht werden. Als Nächstes zelebrieren die seit 1984 aktiven R.A.F. ihren Britcore-Sound gegen Umweltzerstörung und soziale Ungleichheit, bevor City Nord um DJ Oliver Herbst zum Bouncen lädt.

Doppelkopf: Rapz vom Mond

Wirklich intensiv wirds dann bei einem der meisterwarteten Auftritte des Abends: Doppelkopf sind zurück vom Mond. Das Kollektiv um Rapper Falk (nicht Schacht, der aber natürlich auch da ist) wird nach mehr als zwei Dekaden Bühnenabstinenz mit großem Jubel empfangen. Die düsteren Atmo-Beats "Von Abseits" – das vielleicht eigenständigste und -willigste Album der späten 90er-Szene – scheppern und Falks gerappte Comicwelten klingen noch immer, als sei die Kapsel gerade erst gelandet. Nach "Rapz Vom Mond" und zwei unreleasten Tracks folgt das klare Versprechen: "Wir sehen uns im nächsten Jahr!"

In der Folge wirbeln die Poets Of Peeze (u. a. Dokter Renz (Fettes Brot) und Tobi Tobsen (Fünf Sterne Deluxe) mit weitgehend englischsprachigen Texten über die Bühne, fordern Peace-Zeichen ein und geben den Ring im Anschluss für Easy Business frei: Die in den 80ern gegründete Legendenformation bringt den wohl US-lastigsten Sound des Abends und obendrein noch 16-jährigen Nachwuchs ans Mic. Das Publikum beklatscht die neue Generation ohne falsches Grinsen oder Gönnerhaftigkeit. Andersrum: Auf die im Laufe des Abends immer mal wieder gestellte Frage "Wer war in den 90ern schon hier?" gibt es tatsächlich nur verhaltenes Händeheben.

Der Tobi & Das Bo mit dem Fisch an der Wand

Nach Digger Dance (Ex-Direkt Action) und dem Doppel aus Sleepwalker und Eimsbush-Tape-Legende Mr. Schnabel ist Headliner-Zeit – heute Abend sind zwar alle gleich, doch für Der Tobi & Das Bo sind zumindest zehn Minuten zusätzliche Spielzeit eingeplant. Ohne DJ Coolmann, der gefühlt die Hälfte der Anwesenden bereits produziert hat, stellen die beiden ihrem gewohnten Fünf-Sterne-Set tatsächlich die Oldschool-Blödel-Classics "Mitdemfischanderwandindenputz" und "Morgen Geht Die Bombe Hoch" (beide von 1995!) voran. "Dein Herz Schlägt Schneller" und "Türlich, Türlich" machen den Sack zu und die beiden Grinsekatzen ziehen als Tagessieger von dannen – Stand jetzt.

Die Beginner sind wieder absolut

Headliner und womöglich auch Zugpferd der X-Mas Jam bleiben aber klar die Absoluten Beginner, die mit angekündigter Beteiligung von Ursprungsmitglied Platin Martin heute auch wieder Wert auf ihr vorangestelltes Adjektiv legen. Mit dem wenig Freund-und-Helfer-freundlichen "K.E.I.N.E" wagen Martin, Eizi Eiz, Denyo und DJ Mad auch direkt den Sprung zurück nach 1992 und legen mit weiteren Prä-"Bambule"-Tracks nach.

Die symbolische Kettensäge thront dabei neben dem DJ-Pult als Erinnerung an Zeiten, an den die deutschen Republikaner dramatische fünf Prozent erreichten und Asylunterkünfte im Land brannten. Jan Delay (heute wieder Eizi Eiz) spricht: "Heute werden die Asylheime live im Fernsehen bei Markus Lanz angezündet!"

Learning des Abends: Die Kettensäge bleibt liegen, wir brauchen Peace und Liebe. Und die flutet endgültig den Raum, nach dem die aufgepeitschte Markthalle nach "Hammerhart" und "Füchse" noch immer nach mehr dürstet. Und dann wird eingezählt: Een, twej, een twej drej!

Nordisch by nature

Die sich den ganzen Abend mal mehr, mal weniger unerkannt durchs Publikum bewegenden König Boris und Björn Beton gesellen sich zu ihrem alten Kollegen Schiffmeister auf die Bühne, und plötzlich stehen da zwei Jahre nach ihrer Auflösung Fettes Brot auf der Bühne und bringen gemeinsam mit Gaze Matratze, Der Tobi & Das Bo, MK Cram und Eißfeld den Großteil der "Nordisch By Nature"-Long-Version auf die Bühne – mit rund fünfzig ausgelassen tanzenden Backgroundrappern und eskalierendem Publikum.

Ich wische mir die Träne der Nostalgie an Zeiten, die ich nie erlebt habe, aus dem Auge und tingele zurück zu meinem Transportmittel – oder liegt es doch an den Fußschmerzen? Ich wechsele wieder die Schuhe und wünsche heute jedem Einzelnen einen so kathartischen Moment. Zurück im weichen Bett der Barfußschuhe denke ich: Alt werden ist nichts für Feiglinge. Applaus an alle, die sich dem heute Abend so würdig gestellt haben.

Text und Fotos: Alex Klug.