Die Redaktionskolumne: Heute mit Kim Wilde, Talk Talk, Boy sowie Wolf Gang im 5-Fragen-Check.

Inside The Shit (mis) - Mag sein, dass sich der ein oder andere nicht mehr an die knuffigen Synthie-Boys Erasure um Botox-Bachstelze Andy Bell erinnert, aber das wird sich bald mit einem neuen Album ändern. Und falls es so erbärmlich klingt wie das letzte von 2007, gibts ja immer noch Kim Wilde (Foto), die Nena Großbritanniens.

Kim, give a little respect!

Aus unerfindlichen Gründen ist die ausgebildete Gartenbau-Expertin wieder in ihren alten Job zurück gekehrt, also ins Musikbusiness, wo sie allerdings seit Jahren zum musikalischen Unkraut gehört. Ihre "Schwäche für Herausforderungen" sei nun dafür verantwortlich, dass sie sich an ein Coveralbum wagte, an "eine aufrichtige Verbeugung vor der zeitlosen Magie des Pop" (Pressemitteilung).

Schön zeitlos findet die Sängerin neben Erasure ("A Little Respect") auch The Cure ("Inbetween Days"), David Bowie ("Kooks") und Suede ("Beautiful Ones") sowie hirnlose Partybeats, weshalb Kim, diese schlaue Natter, einfach beides zusammen führte.

Hilfe, das Internet ist bald voll!

Doch auch so war es im Redaktionsalltag selten schwieriger, sich der Nostalgie entgegen zu stellen. Von Amy Winehouses überraschendem Tod abgesehen, herrschte in der Mailbox Endlos-Stau vor lauter Pressemitteilungen über den 20. Jahrestag von "Nevermind" und "Ten", wobei letzteres Jubiläum witzigerweise unter dem Titel "Twenty" zelebriert wird. Wären wir CDU-Granden, müssten wir fürchten: Das Internet ist bald voll.

Stattdessen blickten wir mal wieder voller Neid auf Kollege Dobler, der einfach nur jede zehnte E-Mail liest und angesichts des grassierenden Grunge-Hypes wie gewohnt eine ungemein schlagkräftige Parole ausrief: C wie "Blood Sugar Sex Magik". We dig it!

Happy Birthday: "I Believe In You" (Talk Talk)

Ziemlich genau 23 Jahre ist der Song "I Believe In You" alt, der im Pop-Jahrzehnt der 80er die Gemüter erhitzte. Allen voran jene des Labels EMI, die nicht glauben wollten, dass ihre "Such A Shame"-Cashcow Talk Talk - anstatt Duran Duran den Kampf anzusagen - plötzlich Selbstfindungsmucke fabrizierte.

Dass der genialische Songwriter Mark Hollis sich gegen Ende des Videos das Lachen kaum verkneifen kann, täuscht eklatant über das damalige Binnenverhältnis zwischen Band und Label hinweg. Talk Talk erschufen in 14 Monaten Studioarbeit das jazzartige Epos "Spirit Of Eden", dessen ambiente Vielschichtigkeit eine Single-Veröffentlichung von vornherein ausschloss.

Der Geldgeber EMI kochte vor Wut und koppelte ohne Rücksprache mit der Band eine überarbeitete Version von "I Believe In You" als Single aus, was eine Reihe Gerichtstermine zur Folge hatte. Die Single floppte natürlich trotzdem. Heute steht "Spirit Of Eden" sowie das offiziell letzte Talk Talk-Album "Laughing Stock" von 1991 für eine der atemberaubendsten Sound-Neuerfindungen der Popgeschichte.

Ihrer Zeit weit voraus, schätzt man Talk Talks "Spirit Of Eden" heute als Wegbereiter des Post Rock-Genres und als gewaltigen Einfluss auf die Musik von Radiohead, DJ Shadow, Unkle, Antony And The Johnsons und natürlich Portishead, deren Sängerin Beth Gibbons sich 2003 mit Talk Talk-Bassist Paul Webb zusammentat ("Out Of Season", Beth Gibbons & Rustin Man).

Hollis' Grinsen im Video könnte auch auf die Entstehung des Clips zurück zu führen sein: Anstatt den vom Label erhofften quietschbunten Clip abzuliefern, ließ sich der Songwriter von Tim Pope gitarrespielend auf einem Hocker in Szene setzen. Ein bildgewordenes "Fuck You".

5 Fragen an ... Wolf Gang

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Welche Platte hast du dir zuletzt gekauft?

Als ich neulich in Glasgow war, habe ich eine alte Platte von der schottischen Band Blue Nile aus den 80ern gefunden: "A Walk Across The Rooftops". Die Musik hat einen netten Upbeat trotz melancholischem Grundton.

Zitiere eine Zeile deines Lieblingssongs.

"She's the tear that hangs inside my soul forever" (Jeff Buckley, "Lover You Should've Come Over").

Dein wertvollster materieller Besitz?

Ich führe nicht gerade eine enge Beziehung mit meinen Besitztümern, was damit zusammenhängen könnte, dass ich sie häufig verliere. Toll fände ich allerdings ein Luftkissenboot, mit dem man über den Menschen durch London navigieren könnte. Darauf würde ich dann gut aufpassen.

Wovon bist du abhängig?

Klavierspielen und gelegentlich eine Zigarette.

Welche Berühmtheit, die du persönlich getroffen hast, machte einen großen Eindruck auf dich?

Ich hatte einmal das große Glück, sehr kurz mit Natalie Portman zu tanzen. Ich habe sie nur einmal gedreht und kein Wort gesagt. Wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich eine hübschere Person als sie treffen werde. Ansonsten hinterlassen Celebritys keinen Eindruck bei mir. Die Menschen scheinen mit zunehmender Popularität ihren Charme zu verlieren.

Das Debütalbum "Suego Faults" von Max McElligott alias Wolf Gang ist soeben erschienen.

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Lieblingssong der Woche: Boy, "Little Numbers"

Es kommt selten vor, dass Künstler Lust verspüren, ihre Musik zu kategorisieren. Noch seltener jedoch, dass eine Beschreibung so ins Schwarze trifft, wie jene, die Boy über sich zu Papier brachten. Demnach klinge man wie eine "Mischung aus der rockenden Eleganz von Phoenix, der quirligen Musikalität von Feist und der emotionalen Tiefe eines Bon Iver".

Besser kann ich es aus dem Stand jetzt auch nicht sagen. Bis das Debütalbum "Mutual Friends" am 2. September auf Grönland erscheint, laden uns Valeska Steiner und Sonja Glass ein, "Little Numbers" gern zu haben, was ungefähr so lange dauert, wie man das Duo nach Ansicht des lebensbejahenden Videoclips ins Herz schließt. Was bleibt zu sagen? Danke, Herbert!

Michael Schuh hört Musik, beobachtet Kollegen und schreibt dann drüber. Personen, Orte und Handlung sind definitiv nicht erfunden. Der nächste "Schuh-Plattler" erscheint im September.

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4 Kommentare

  • Vor 12 Jahren

    "Genialisch" in Bezug auf Mark Hollis finde ich nicht einen Funken übertrieben. Was hätte da noch großartiges Material folgen können. Weiß jemand, was er heute macht?

  • Vor 12 Jahren

    Na, na, Selbstfindungsmucke ist die Spirit Of Eden ja nicht, sondern ein ausdifferenziertes Meisterstück einer Band, die sich den Mechanismen des damaligen Musikmarktes zugunsten künstlerischer Freiheit entgegengestellt hat, obwohl ich ihren Vorgänger The Colour Of Spring aufgrund seiner warmen, euphorischen, noch richtigen Songs für das bessere und auch wichtigere Album halte. Das war für damalige Verhältnisse schon intelligente, ausdifferenzierte Popmusik, die sich kaum weiter aus den Fenster lehnen konnte. Der Schritt zu Spirit Of Eden und den minimalistischen, noch fantastischeren Laughing Stock war nur allzu konsequent.

  • Vor 12 Jahren

    Hab auch leider keine Ahnung, ob er musikalisch überhaupt noch was geplant hat. Gute Frage.

  • Vor 12 Jahren

    Ja - Mark Hollis hat sich leider komplett aus der Musikwelt verabschiedet. Auch die anderen beiden tauchen kaum noch auf. Paul Webb eher mal als Produzent. Einzig das ewige Nicht-Mitglied Tim Friese - Greene veröffentlicht immer mal was, z.T. unter dem Namen Heligoland.
    Allerdings verdichten sich Gerüchte, dass ein Tribute-Sampler inkl. Buch erscheinen soll. Maßgeblich daran beteiligt ist wohl James Marsh, der Illustrator der Band. Bands die dabei genannt werden, sind Alan Wilder (Inheritance) und! Recoil, The Electric Soft Parade (Candy), King Creosote (Give it Up), Chris Walla von Death Cab ...(John Cope)!!!! sowie The Lovetones und Turin Brakes. Auch Antony, was wohl nicht stimmte, und Elbow, was irgendwie logisch wäre, werden genannt.
    Die Uhr steht dabei derzeit auf "early 2012"
    Ich freu mich schon mal ...