Der Metal-Hero über sein Coming Out, Judas Priest und eine kuriose Begegnung mit Königin Elisabeth.

Birmingham (giu) - Schon erstaunlich, wie viele erfolgreiche Musiker Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre aus der englischen Großstadt Birmingham kamen. Oder besser aus dem Umkreis, bekannt als Black Country, schwarz durch den Rauch, der durch die Schlote der unzähligen Industrieanlagen Umwelt und Lungen verpestete. Auch wenn sich Robert Plant eher in die grüne Fantasy-Welt Tolkiens flüchtete, inspirierten der Stahl und die Klänge, die bei dessen Erzeugung entstanden, zwei Bands zu einem neuen Genre: Heavy Metal. Die eine war Black Sabbath, die andere Judas Priest.

Letztere definierten nicht nur den Sound, sondern auch den Look des typischen Metal-Fans, mit Denim, Leder und Anleihen aus der Sado-Maso-Szene. Unter dem Kostüm steckten aber bodenständige Typen, die stolz auf ihre unspektakuläre Herkunft waren. Eine Villa in den USA mag eine schöne Sache sein, doch am wohlsten fühlt man sich letztlich doch in seinem eigenen Kiez. Und im Pub, in dem einst alles begann.

Das gilt auch für Rob Halford, der Judas Priest zwar nicht gründete, aber fast von Anfang an mit dabei war, nachdem er den erfolglosen ersten Sänger ersetzte. Sein Stimmumfang ist ebenso legendär wie einige seiner Texte, etwa der zu "Breaking The Law" über einen verzweifelten jugendlichen Arbeitslosen oder die Ballade "Beyond The Realms Of Death" über Depression. Vor allem aber ist er dafür bekannt, der erste schwule Metal-Sänger zu sein. Oder zumindest der erste, der sich dazu bekannte.

Dass dies erst geschah, als er bereits ein Vierteljahrhundert im Business war, ist das Hauptthema seiner vorliegenden Autobiographie "Ich bekenne" (Heyne, Hardcover, 528 Seiten, 24 Euro), die mit dem Namen seiner Band kokettiert. Im Original lautet der Titel "Confess", was sich auch als "Beichte" übersetzen lässt. Und genau darum geht es: Obwohl das Coming Out 1998 stattfand, entsteht beim Lesen immer wieder der Eindruck, dass Halford immer noch ein schlechtes Gewissen hat, "anders" zu sein. Obwohl er sich wie die meisten anderen Menschen doch nur nach Erfolg, Liebe und Geborgenheit sehnt.

Das mag am konservativen Umfeld liegen, in dem Halford aufgewachsen ist und seine Brötchen verdient hat, denn trotz Schminke und Dauerwellen war Metal von Beginn an eine Macho-Welt - und ist es weitgehend immer noch. Während sich seine Kumpanen mit Groupies vergnügten, nahm er in den USA in der Hoffnung auf ein Toiletten-Techtelmechtel ein Taxi zum nächsten Truckstopp. Oder besuchte anderswo öffentliche Klos, immer mit der Sorge, erwischt zu werden. Was würden seine Familie, die Bandmitglieder, gar die Fans von ihm denken? Sie würden ihn bestimmt verstoßen und die Band verschmähen, so die Gedanken, die viel zu lange in seinem Kopf festsaßen.

Hatte er mal einen festen Partner, hielt die Beziehung selten länger. Einer davon, der im Buch nur Brad heißt, zog ihn in eine Spirale aus Drogen, Alkohol und Gewalt. Während Halford nach einem Selbstmordversuch 1986 noch die Kurve kriegte, erschoss sich Brad in der Folge eines Streits 1987 mit einer Pistole. Ein Trauma, das Halford bis heute nicht überwunden hat. Wie auch? Die schönste Passage des Buchs hat jedenfalls mit Brad zu tun. Nach seiner Entziehungskur ging Halford mit Judas Priest mal wieder auf Tour, rief aber jeden Abend seinen Partner an, um ihm als Schlaflied das Traditional "Swing Low, Sweet Chariot" vorzusingen. "Minuten zuvor hatte ich noch für zehntausende headbangende Metal-Maniacs 'Turbo Lover' oder 'Freewheel Burning' gekreischt. Und im nächsten Moment saß ich in einem ruhigen Zimmer hinter der Bühne und schnurrte eine sanfte Gospel-Melodie für einen schlaftrunkenen jungen Mann, der in seinem Bett in Philly lag ... Jedes einzelne Mal freute ich mich darauf. Es war ein süßer, zarter und sehr intimer Moment".

Wer im Buch eher nach Anekdoten, Interpretationen, Gegendarstellungen und dem einen oder anderen Diss sucht, wird fündig, auch wenn andere Biografien in dieser Hinsicht mehr hergeben, etwa die von seinem Kumpel Ozzy. Er habe Konflikte immer gescheut, außerdem spreche man im Black Country typischerweise nicht viel. Sein Coming-Out habe nur zu Achselzucken und Sprüchen wie 'Alter, das haben wir doch schon immer gewusst' geführt. Thema erledigt. Streit kommt nur selten vor. Sein vorübergehender Ausstieg von Judas Priest sei nur ein Missverständnis gewesen, der Ärger mit dem Management auch. Und der Prozess, den die Eltern zweier Jugendlicher 1990 anstrengten, nachdem diese sich umgebracht und in ihrem Abschiedsbrief eines ihrer Lieder zitiert hatten, sowieso. Ein für alle aufwühlendes Verfahren, das mit einem Freispruch endete.

Mit 70 ist Halford immer noch voller Energie, wie auch die Band, die ihre Abschiedstour von 2011 nicht allzu wörtlich nahmen. Auch das übrigens ein Missverständnis. Ausschlaggebend sei der Dauerstreit zwischen den Gitarristen Glenn Tipton und K.K. Downing gewesen, die ab 1974 gemeinsam den Sound der Band prägten. Ein Clinch, der die bandinterne Stimmung vergiftete. Als die Termine schon gebucht waren, verkündete Downing plötzlich seinen Ausstieg. Der auf die Schnelle verpflichtete Ersatz Richie Faulkner erwies sich als die benötigte Verjüngungskur, der auch die Parkinson-Erkrankung Tiptons kein Ende gesetzt hat. Live spielt er gesundheitsbedingt nur noch gelegentliche Zugaben, er sei aber immer noch ein festes Mitglied der Band.

Auch in der Liebe war Halford schließlich erfolgreich, denn nach Brads Tod lernte er Thomas kennen, mit dem er heute noch zusammen ist. Zu den schönsten Momenten seines Lebens gehörte 2005 der Empfang im Buckingham Palace bei der Queen, die er seit seiner Kindheit verehrt. "Was für eine Art Musik spielen Sie?", fragte sie Halford, als er an der Reihe war. "Heavy Metal, Eure Majestät", so seine Antwort, worauf die Königin leicht schmerzerfüllt blickte: "'Oh, Heavy Metal. Warum muss der eigentlich immer so laut sein?' Alter! Die Queen hat gerade 'Heavy Metal' gesagt. Wahrscheinlich zum ersten Mal in ihrem Leben. Aber ... wie soll ich denn bitte DIESE Frage beantworten? 'Damit wir dazu headbangen können, Eure Majestät', erklärte ich".

Daraufhin erntete er einen Stoß in die Rippen - von Cilla Black, eine der erfolgreichsten britischen Sängerinnen der 1960er Jahre, die neben ihm stand. Vermutlich hörte er in seinen Gedanken aber den tosenden Applaus der Millionen Fans, die immer noch regelmäßig seine Konzerte besuchen.

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Judas Priest

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