Bereits im Mai diesen Jahres schauten Millionen Augen nach Stockholm, als die Endausscheidung des Grand Prix d'Eurovision de la Chanson in seiner sehr eigenen Form der musikalischen TV-Unterhaltung aus Schwedens Herzstück gesendet wurde. Wenn man genauer darüber nachdenkt, legten schon damals einige Beteiligten Wert auf Glanz und Glimmer, der Beitrag des Gastgeberlandes in Form eines kriegsbemalten Winnetou-Bullen ist aber mitnichten vergessen.

Stockholm (mis) - Solcherlei optische Entgleisungen suchte man bei den mit dem erwarteten Pomp aufgefahrenen MTV Europe Music Awards, erneut aus Stockholm, vergebens. Im Gegenteil: die Cardigans und Andreas Johnsson präsentierten sich schmuck und sexy als skandinavische Pop-Sternchen, die sogar beim Ankündigen von Awards eine gute Figur machten. Preisträger Moby (Best Video) darf nach dem gestrigen Abend als klarer Verfechter des Anti-Showbiz genannt werden, wie er so im grauen Woolworth-Pulli und Intellektuellenbrille durch die Gänge und gar auf die Bühne schritt.

Im Versuch, der noch gut in Erinnerung haftenden, sommerlichen US-Award-Veranstaltung in Aufwand und Aufgebot nach zu kommen, musste Stockholm scheitern. Dies wurde besonders dann deutlich, wenn Preisträger den weiten Weg in die Globe Arena erst gar nicht antraten. So ulkte Abräumer Eminem (Best Hip Hop Act, Best Album) in gewohnter Weise von riesigen Videoscreens herab und wenn man ihm so dabei zuhörte, gab es tatsächlich keine triftigen Gründe, ihn auch noch live einzuladen.

Auch die Vorzeige-Comebacker der Red Hot Chili Peppers blieben zu drei Vierteln zuhause: mit Drummer Chad Smith saß der Unbekannteste der Truppe im Publikum, der bei Ausrufung seiner Band als "Best Rock Act" einen ebenso überraschten Eindruck machte, wie die meisten, angesichts des Ausstechens starker Konkurrenz von Limp Bizkit, Bon Jovi, Korn bis hin zu den Foo Fighters. Sowohl ergriffen als auch ratlos wirkte Smith, als er vom Bühnenpodium aus in die Runde schaute und fragte, wie viele Musiker sich heute hier befänden, um fort zu fahren: "Do me a favour, go start a band, cause we need some more rock bands". Ein Statement, dass man im Bezug auf die dreistündige Veranstaltung gleich beidhändig unterschreiben müsste.

Denn ob das eine Mal die Backstreet Boys triumphierend ins Scheinwerferlicht traten (Best Group), anschließend eine Jennifer Lopez (Best R&B), oder ob die Spice Girls als Live-Act gefährlich dem Playback entgegen trällerten (was dank Victoria Beckhams betörendem Leder-Outfit weniger störte): was zunahm war weniger der Spaß an einem bunten Starabend, als vielmehr der Befall einer geistigen Leere, die sich beim Anblick der aufs Niedlichste geklonten Teenie-Starlets im Betrachterhirn manifestierte.

Als Gastgeber der glamourösen Zirkus-Show suchte sich der Musiksender übrigens mit Allroundtalent und Wort-Akrobat Wyclef Jean einen Moderator aus, der so exzellent in die Hipness-Manege passte, wie der von allen mit Spannung erwartete Auftritt Madonnas. Denn Music is her radar, das hatte sich inzwischen bis nach Stockholm herum gesprochen, und als sie schließlich kam, im knappen Oberteil mit "Kylie Minogue"-Aufschrift, stand die Halle Kopf.

Erst recht, als die Pop-Ikone noch zwei mal zum Podium schreiten durfte, um sich ihre Meriten in Award-Währung auszahlen zu lassen (Best Female, Best Dance Act) und so mit Eminem zu den Gewinnern gehörte. Die schönste Szene des Abends folgte prompt: Moby gratulierte dem neu gekleideten Material Girl mit Küsschen, als sich ihr mit Pailetten besetzter Cowboy-Dress in Mobys Fusselpulli verhedderte. Köstlich! Danke, Stockholm!

Robbie Williams bedankte sich anderweitig: anstatt standesgemäß bei Gott, Eltern oder Fans, meinte er zu seinem Award-Gewinn (Best Song) knapp: "I'd like to thank MTV for my three houses, my five cars and my supermodel girlfriend. Live the dream!" Womit alles über den Abend gesagt wäre.

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