Zwei Jahre ist es her, das Emo-Trap-Rapper Lil Peep auf Tour verstorben ist. Sein Erbe und seine Fans halten ihn dennoch in Erinnerung.

München (ynk) - Es ist ein Bild, das die letzten Jahre zusammenfast. München, Isartor, Cinemaxx: In Kinosaal fünf drängen sich Reihen um Reihen an Kids mit bunten Haaren, Punk-Klamotten, Piercings und "Crybaby"-Shirts. Nach einem kurzen Vorwort läuft ein 240 Pixel-Musikvideo von 2014 auf der großen Leinwand. "Keep My Coo" ist ein achtzehnjähriger Lil Peep, der sich mit seiner Katze neben sechs Schnapsflaschen beim Kiffen selbst filmt, während er offenkundige Unwahrheiten über seine Härte in die Welt predigt. Das Instrumental klingt nach Memphis-Trap, die Bilder sind amateurhaft, der Stil noch lange nicht ausgereift. Und das Publikum den Tränen nahe.

Lil Peep ist eine Figur, die man entweder versteht oder nicht. Von außen betrachtet war Gustav Åhr ein musikalisch durchschnittlich begabter Pretty-Boy, der mit Emo-Samples und griffigen Refrains eine kleine Welle durch das ohnehin vogelwilde Soundcloud-Dickicht ritt. Für die Fans ist Lil Peep das Symbol allen Zeitgeistes, den es zwischen 2015 und 2020 je wahrzunehmen lohnte.

Der filmische Tribut "Everybody's Everything" steht mit einem Fuß in beiden Realitäten. Zum einen basiert er – so formuliert es schon Peeps Mutter im Vorwort – eine Arbeit der Liebe. Eine Arbeit der Liebe, die das Erbe und das Gute aufrecht erhalten will, das den Fans einen Einblick in die Person und Geschichte von Lil Peep geben soll. Gleichzeitig ist es ein Film, der sich dem irrsinnigen Nihilismus der tatsächlichen Ereignisse stellen muss. Ein junger Mann geht nach Los Angeles, findet die falschen richtigen Freunde und geht mit Ansage am Rausch der eigenen Freiheit, der eigenen Schönheit und des eigenen Erfolges zugrunde.

Es sind diese schweren Momente, in denen auch der Film keine Antworten weiß. Es gibt diese Antworten möglicherweise auch gar nicht. Warum musste Gustav Åhr sterben? Das fragt sich gegen Ende der Dokumentation Peeps zuckersüßer Großvater, seine Kollaboratuere, seine Freunde, selbst seine Promoter. Es ist eine Zäsur, auf die auch die Filmemacher sich nicht vorbereiten können. Denn wenn irgendwann Aufstieg und Talent und Charisma auserzählt sind, muss man sich mit dem Tod auseinandersetzen.

Das ist der Moment, in dem auch der Film in einer chaotischen Drehung kurz fassungslos dasteht. Die Interviews mit nebensächlichen Wegbereitern, die den Raum einnehmen, klingen konspirativ und verwirrt, fast schon irritierend gegen die Stimmung geschnitten, die gerade noch durch die hoffnungsvollen Worte des Großvaters aufgebaut wurde.

Peep sei "Beyond the Blue", formuliert Jack Woyzack es, dessen Briefe an seinen Enkel die einzige grobe Struktur sind, die "Everybody's Everything" wirklich aufweist. Es ist eine Dokumentation, die von Chaos getrieben und von fehlenden Antworten gestaltet ist. Aber gerade diese chaotische Dringlichkeit macht sie ihrem tragischen Protagonisten gerecht. Peep selbst lebte ein Leben, das nicht gerade enge Strukturen aufwies.

Da fühlt es sich würdevoll, fast heroisch an, wie der Film den Wahnsinn seiner LA-Zeit nacherzählt. Von der ersten Crew mit Ghostemane als Talent ausgelotet, begibt sich Peep in einen Loft nach Los Angeles, landet auf der Straße, findet Kollaborateure und Freunde und sucht immerzu nur die nächste Gelegenheit, einen Song aufzunehmen. Man hört Einblicke der Musiker, die man sowieso aus seiner Umgebung kannte. Lil Tracy spricht ein paar Takte. Produzent Smokeasac. IloveMakonnen. Und aus jedem einzelnen klingt endloses Wohlwollen.

Ein Wohlwollen, das sich erschließt, denn die Ausschnitte und Bilder, die Geschichten zeigen Lil Peep als einen warmen, liebenswerten Menschen. Als jemanden, der mit dem eigenen Potential und den Möglichkeiten ringt. Der niemandem nein sagen kann, weswegen er nach seinem ersten Deal plötzlich Dutzende neue Freunde in seiner Wohnung unterbringt, die partout nicht mehr gehen wollen. Der den Druck genießt und doch kaum aushält, das Zentrum all dieser frigiden Gebilde zu sein. Es geht unter die Haut, wenn Freunde beschreiben, wie der gerade einmal neunzehnjährige Peep spät in der Nacht in seinem eigenen Kleiderschrank Zuflucht sucht, weil seine restliche Wohnung mit allem zwischen Freund und Nutznießer aufgefüllt ist.

Das ist am Ende eben auch die Krux der Hilflosigkeit. Es gibt keinen wirklichen Schuldigen in der Geschichte von Lil Peep. Keine blutdurstigen Manager, keine herzlosen Freunde. Auch wenn bestimmt nicht jeder zu jeder Zeit fehlerfrei handelte, tat es jeder mit besten Intentionen im Herzen. Das Auge des Sturms ist ein Guy, der die Kontrolle nicht nur verliert, sondern nie behalten wollte. Seine Selbstzerstörung war seine Entscheidung. Aber das ist ein Fazit, das schwer zu formulieren ist.

"Everybody's Everything" endet mit einer akustischen Version von "Walk Away As The Door Slams". Ein Ende, das unter die Haut geht, einfach nur, indem es die Tragik und Absurdität dieser Geschichte wortlos auslaufen lässt. Ohne Fazit. Ohne Antwort. Aber mit einer ehrlichen, von Herzen kommenden Anerkennung an das Leben eines Mannes, der jederzeit für seine Freunde, Familie und Liebhaber das Beste wollten. Man spürt die Wertschätzung und Bewunderung eines Menschen, der den Menschen, die in diesem Film auftreten, viel bedeutet haben muss. Ja, es ist ein chaotischer, teilweise eigenwillig fokussierter Film, aber er wird dem Vorwort gerecht. Er fühlt sich wie ein Werk der Liebe an.

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