"Ich bin noch nicht frei. In meiner Kreativität bin ich noch immer verklemmt und beschränkt. Ich sehe es als meine Aufgabe, das zu lösen."

Berlin (dill) - In seiner Reihe "Kunst & Kopfkrieg" spricht Laurens Dillmann mit großen und kleinen Größen im Biz über allerhand emotionale Themen von Selbstverwirklichung bis hin dazu, wie sich die Gefühlswelt in der Kunst widerspiegelt.

Laurens Dillmann: Was sind deine ersten Gedanken zum Thema mentale Gesundheit?

Megaloh: Vitalität. Eigene Umprogrammierung.

Welche Gefühle verbindest du mit dem Thema?

Glücksgefühle. Aber für mich ist das kein selbstverständlicher Zustand. Ich würde nicht so weit gehen und sagen, ich bin mental geschädigt. Aber ich mache auf jeden Fall emotionale und mentale Schwankungen durch. Deshalb ist mentale Gesundheit ein wertvolles Gut und bedingt sich gegenseitig mit körperlicher Gesundheit.

Bist du Bauch- oder Kopfmensch?

Meine Entscheidungen treffe ich aus dem Bauch. Ich fälle große Entscheidungen schnell. Bei den kleineren verzettele mich bis zum Geht-nicht-mehr. Erst dann wird es eine Kopfgeburt.

Stimmst du mir in der These zu, dass viele Menschen eher aus dem Kopf anstatt aus dem Bauch leben?

Interessante und schwierige Frage. Ich maße mir nicht an, einen Blick für den Querschnitt der Welt zu haben. Der Blick auf die Welt entsteht aus konsumierten Medien und im Austausch mit anderen Menschen. Eins zu eins würde ich deine These nicht unterschreiben. Aus meiner Sicht wird sich in der heutigen Generation viel mehr mit den eigenen Gefühlen auseinandergesetzt. Viel mehr, als es die Generation unserer Eltern getan hat. Ich glaube aber, dass die Ausdrucksform der Gefühle beziehungsweise der Umgang damit sehr kopflastig ist. Wir ordnen sie sofort ein, anstatt sie einfach auszuleben. Einfach seinen emotionalen Impulsen folgen, das gibt es in unserer Gesellschaft nicht.

Welche Rolle spielt die Kunst in diesem Thema?

Was ist Kunst? Für mich persönlich definiere ich sie als jeden individuellen Ausdruck von Kreativität. Der muss nicht unbedingt an feste Arbeitsstrukturen oder gesellschaftliche Prozesse gebunden sein. Es gibt eine Freiheit in der Form der Darstellung. Im Selbstzweck, in der Selbstverwirklichung. Was will ich damit sagen? Musik ist zum Beispiel Kunst, die auf Platte für immer festgehalten bleibt. Kunst kann aber auch ein gefaltetes Stück Papier oder eine kleine Notiz an irgendeiner Wand sein, die dich inspiriert. Es gibt so viele Formen von Kunst. Kreativer Ausdruck ist frei. Das ist die Definition von kreativem Schöpfen. Wenn du schöpfst, schöpfst du immer etwas Neues. Was zuvor nicht da war, wird geschöpft, erst dann ist es da. Kunst ist immer und überall. Ob wir sie überhaupt als Kunst wahrnehmen und welche Rolle sie dann für uns spielt, ist nochmal etwas anderes. Ich glaube, Kunst genießt nicht unbedingt den gesellschaftlichen Stellenwert für ihre eigentliche Wirkung, die sie auf uns hat.

Ich verstehe Kunst auch als kreatives Spielen. Ich denke, dass ein Glaubenssatz wie "Ich bin nicht kreativ" schon in der Kindheit entsteht, wenn deine Eltern deinen kreativen Ausdruck nicht fördern.

Stimmt. Man lernt als Kind schnell, sich einzuordnen. Was sind deine Stärken und Schwächen. Teilweise werden dir sogar Stärken als Schwächen ausgelegt. Teils von Eltern, Lehrern, Freunden, deinem Umfeld. Ein Beispiel: Ich war lange komplexbehaftet, weil ich als Kind auf eine Party getanzt habe und mir dann ein Mädchen gesagt hat, ich tanze wie eine Ente (lacht). Seitdem war ich im Kopf blockiert: Ich kann nicht tanzen, ich darf nicht tanzen, tanzen ist nicht mein Ding. Je älter ich wurde, habe ich gemerkt: Tanzen ist ein ganz selbstverständlicher körperlicher Ausdruck von Kreativität, der total viel Spaß und dich gesund macht.

Ich denke, jeder wird in seiner Kindheit oder als Teenager in irgendeiner Form in seiner Kindheit diskriminiert und trägt Traumata davon. Da gibt es einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Kommunikations- und Aufklärungsbedarf, wie man in dieser Gesellschaft heranwächst. Ob diese Prägungen helfen, das eigene Potenzial zu entfalten oder nicht.

Wie bist du damit sozialisiert, dein Innenleben zu zeigen? Warum kannst du deine Stimme erheben und mit ihr Kunst machen?

Auch eine gute und interessante Frage. Ich nehme es so wahr, dass ich als Kind in etwas gepfercht wurde, das meine Kreativität eingeschränkt hat. Ich bin der erstgeborene Sohn aus dem afrikanischen Teil meiner Familie. Meine Mutter ist aus Nigeria. Der erstgeborene Sohn muss in der Tradition als Vorbild für alle anderen funktionieren. Meine Mutter hatte es geschafft, durch herausragende Leistungen in der Schule ein Stipendium zu bekommen und in den USA zu studieren. Sie ist nach Deutschland gekommen, um meinem Vater, mir und meinem Bruder das Leben hier zu ermöglichen. Uns Kindern gegenüber gab es die große Erwartungshaltung, diesen vorgegangenen Weg weiterzugehen. Quasi von der Wiege in die akademische Laufbahn.

Das war meine Prägung. Ein sehr guter Schüler sein müssen. Meine Erinnerung an Ferien bestehen aus Hausaufgaben und Aufsätzen schreiben. Drei, vier Mal wiederholen, bis es gut genug ist. Ein richtiger Krampf, der mir überhaupt keinen Spaß gemacht hat. Das war aber auch irgendwo wichtig. Es hat mich einerseits beschränkt und andererseits viele Fähigkeiten gegeben. Irgendwann kam die Teenager-Zeit mit zwölf, dreizehn, als ich aufbegehrt und hinterfragt habe. Als ich realisiert habe, ich will überhaupt nicht das, was hier alles von mir erwartet wird.

Ganz viel zu meiner Befreiung hat tatsächlich das Kiffen beigetragen. Ich sage das nicht, um es zu verherrlichen. Aber es war meine erste bewusste Entscheidung, die ich gegen den Willen meiner Eltern getroffen habe. Meine Mutter hat es total verteufelt: der Einstieg in die kriminelle Unterwelt. Und trotzdem habe ich es mir mit fünfzehn, sechzehn besorgt und gemerkt, für mich ist es das Allertollste. Ich fühle mich frei. Diese ganzen Gedanken in meinem Kopf, die nicht meine sind – so und so musst du dich verhalten – sind plötzlich alle weggefallen. Ich habe nur noch den Moment genossen. Musik genossen. Und in diesem Zustand Musik nochmal neu für mich entdeckt,
Das hat einen krassen Impact gehabt. Bis heute schaffe ich es leider nicht, das Kiffen abzulegen. Es ist meine neue Begrenzung geworden. Die Freiheit von damals ist meine Begrenzung von heute. Jeder kreative Ausdruck von mir hat eine Kräuterwurzel (lacht).

Diese Malochermentalität - deine Pflicht erfüllen müssen - hast du 2013 auch auf dem "Endlich Unendlich"-Album verarbeitet. Hast du heute einen besseren Umgang damit gefunden?

Ich bin noch nicht frei. In meiner Kreativität bin ich noch immer verklemmt und beschränkt. Ich sehe es als meine Aufgabe und Verantwortung, das zu lösen. Über das Thema Schuld bin ich hinaus. Ich fand einiges in meiner Erziehung wirklich nicht cool und habe lange danach negative Empfindungen mit mir herumgetragen. Zum Teil denke ich jetzt noch: Ich trage unnötige Beschränkungen in mir, die nicht nötig sind und auf die ich verzichten will. Naja, jeder hat sein Päckchen zu tragen.
Und wenn ich schaue: In welcher Zeit sind meine Eltern geboren, in welchem erzieherischen Selbstverständnis sind sie aufgewachsen? Wie war da der Bezug zu Kreativität und Selbstentfaltung? Ihr Gefängnis war noch viel besser gesichert als meines. Es ist wichtig, anzuerkennen, dass es bei diesem Thema nicht um Schuld geht. Es geht um Eigenverantwortung und um das Bewusstsein, zu erkennen: An welchen Stellschrauben kann ich drehen, um mich in die gewünschte Richtung zu verändern?

Ich habe kein Selbstverständnis darin, dass mein kreativer Ausdruck eine Berechtigung hat. Es ist ein langer Weg, bis einer meiner Texte auf Platte landet, bis er zu einem fertigen Song wird. Grundsätzlich habe ich den kritischen Blick meiner Mutter auf meine Aufsätze verinnerlicht. Als ich mich damals in den Ferien mit diesen Bildergeschichten abgerackert habe. Egal, wie gut der Aufsatz war, er war nicht gut genug. "Der ist nicht schlecht, aber geh ihn nochmal komplett neu machen."

Das war wirklich eine traumatische Erfahrung. Ich finde es leider ganz schwer, Begeisterung über meine eigene Kunst zu empfinden. Ich sehe es immer kritisch, bei mir und bei anderen Leuten. Das hat dann nicht viel mit kreativer Freiheit zu tun. Ich habe gerade keine Spaß, Raptexte zu schreiben. Um da wirklich wieder Frieden zu finden, müsste ich mich weit von diesem Pflichtgefühl entfernen. Ich ernähre mittlerweile meine Familie mit der Musik, ich muss funktionieren.

Der Mensch schafft sich im besten Fall seine Wege, um sich trotzdem kreativ zu entfalten. Seit knapp zwei Jahren mache ich Beats und ich sehe den Unterschied. Rap ist the love of my life – ich rappe, weil ich es so sehr liebe. Ich bin Fan, aber habe zu meinem eigenen Rap ein so ambivalentes Verhältnis. Wenn ich Beats mache, ist es für mich einfach nur Freiheit. Es ist meditativ, ein Heilungsprozess, einfach nur schön. Während in den Beat mache, gibt es nur das Hier und Jetzt. Ich lasse den Beat auf mich wirken, denke nicht über Vergangenheit und Zukunft nach. Beim Beats machen bin ich nicht im Kopf und das liebe ich so sehr. Und wenn ich in diesen Flow komme, kann ich dann auch wieder leichter Texte über diese Beats schreiben.

Wie ist es für dich, wenn deine Kunst vermarktet wird? Wenn du Bewertungen und Kritik für dein Innenleben bekommst?

Da muss man mit umgehen lernen. Ich habe das Glück, fast durchweg positives Feedback zu bekommen. Zumindest von Fans und Hörern. Da habe ich das Gefühl, für sie ist Gewohnheit: "Megaloh hat wieder den Beat zerstört. Kennt man ja von ihm." Da bekomme ich teils auch das Gefühl, Qualität wird gar nicht so richtig anerkannt, eher von mir erwartet.

Ich erfülle nicht gerne Erwartungen. Ich bin stärker, wenn ich unterschätzt werde. Dann kann ich glänzen. Als den Medien plötzlich klar wurde, "Oh, der kann sich ja auch artikulieren", war das am Anfang ein schönes Kompliment. Ich würde gar nicht so viele Interviews geben, wenn ich diesen positiven Zuspruch nicht bekommen hätte. Es gab wirklich viele glückliche Situationen für mich, in denen ich so viel Zuspruch bekommen habe, dass ich davon getragen wurde. Entgegen meiner Erfahrungen von zuhause. Da gab es kein "Du bist aber ein toller Künstler". Als ich mit Rapmusik begonnen habe, hat nie jemand gesagt: "Du bist wack, hör mal auf zu rappen." Im Gegenteil: "Du bist dafür geboren. Das ist genau, was du immer machen solltest."

Ich glaube, bei allem, mit dem sich lange beschäftigt, lässt irgendwann die Sensibilität nach. Man kriegt ein dickes Fell. Manche Kommentare, gerade auf Rassismus bezogen, treffen mich extrem. Aus welcher Berechtigung und welchem Antrieb schreibt jemand sowas? Das wirft bei mir grundsätzliche Fragen über die Menschheit auf. Und ich bin kein Freund der Menschheit. Von der gesamten Ausdrucksform des Menschen auf diesem Planeten. Ich nehme mich da nicht raus. Ich bin nicht überheblich und besser als die anderen.

Dein Video "Zombiemodus" und auch das Video "Monoton" mit Majan und Schmyt zeichnen ein dystopisches Bild. Hast du Angst vor der Zukunft?

Ich lasse mich von dystopischen Gedanken nicht mehr runterziehen. Grundsätzlich betrachte ich die Menschheit einfach als fehlerhaft. Meiner Meinung nach ist grundsätzlich kaum etwas wirklich in Ordnung. Vielleicht haben wir die Möglichkeit, das zu klären. Wir werden sehen.

Mein großes Thema – es wird als Rassismus verkauft, aber eigentlich ist es gesellschaftliche, globale Ungerechtigkeit und ihre Zusammenhänge. Man muss versuchen, die Kontexte zu sehen. Die globale Ungerechtigkeit basiert auf der eurozentrischen Sicht der Dinge, der kolonialen Geschichte Europas und dem industriellen Erbe, das daraus erwachsen ist. In diesem großen, systematischen, ungerechten Stil, der globale Auswirkungen hat. Deswegen war für mich in diesem Sinne noch nie etwas in Ordnung. Ich sehe die ganzen Kulturen, die verloren gegangen sind. Ich sehe die ganzen Schändungen an afrikanischen Menschen. Die Entwurzelung. Die Entwicklung in Amerika. Früher habe ich all das nicht reflektiert, es kam erst in den letzten Jahren und mit den aktuellen Debatten.

Ich sage dir ganz ehrlich: Menschen sind Heuchler. Möchtegerns. Wir spielen uns wie Götter auf und behaupten, wir wären die Krone der Schöpfung. Stellen uns über Tiere, über Pflanzen, über die Natur. Wieso führen wir uns so auf, als stünde uns das zu? Patente auf Wasser. Ressourcen als Eigentum. Wie viele Tierarten rotten wir aus, wie viele Regenwälder holzen wir ab? Das ist jetzt ein hartes Bild, hat bestimmt auch mit mentaler Gesundheit zu tun: das Bild der Kakerlake. Ihh, eklig, denken wir erstmal. Aber sie ist sehr intelligent und resistent. Wir können uns als Menschen durchaus mal in Demut auf dieselbe Stufe stellen.

An der Stelle widerspreche ich dir: Ich halte es für wichtig, dass wir uns nicht kleiner machen als wir sind. Ich glaube, wir brauchen eine Kultur, in der wir uns gegenseitig aufbauen und in unseren Fähigkeiten bestärken.

Das große Geschenk, das wir haben, ist unser Bewusstsein und die Möglichkeit zur Reflektion. Es müssen einfach gesamtgesellschaftliche Diskurse in alle Richtungen passieren. Es gibt so viele Baustellen, ich kann nicht absehen, in welche Richtung es sich entwickelt.

Ich spreche von Demut. Wir nehmen am meisten Einfluss auf diesen Planeten. Aus der menschlich zentrierten Sicht sind wir der Wächter dieser Erde. Deswegen meine ich, wir sollten demütig gegenüber der Natur sein, von der wir ein Teil sind. Wir können uns nicht weiter wie ein extra-göttlicher Baustein betrachten. Wenn du gärtnerst und eine Pflanze pflanzt: Der Dünger spielt eine Rolle, der Boden, die Luft, die Sonne, all diese Faktoren sind auch für uns wichtig. Wachsen und erwachsen werden. Wir haben es nicht alleine in der Hand. Wir sind Teil des Organismus Erde und wir sollten unsere ursprüngliche Rolle wieder wahrnehmen. Wir brauchen eine Struktur, mit der wir uns verbunden fühlen. Warum nicht bei der Natur anfangen?

Was denkst du über den Placebo-Effekt? Wir müssen ja auch an eine lebenswerte Zukunft glauben, um dafür aktiv zu werden. Sonst macht alles keinen Sinn mehr.

Motivationstrainer und Gurus werden immer gefragter. Ich habe schon das Gefühl, dass immer mehr Menschen nach einer emotionalen Wahrheit suchen. Das geht mit der Beobachtung einher, dass vieles immer digitaler und damit unemotionaler wird. Dass immer mehr Leute spüren, dass ihnen etwas fehlt.

Der Glaube ist unsere große Spezialkraft. Deswegen funktioniert Religion auch so gut – leider auch als Kontrollorgan. Der Glaube ist die Ursache, die große Kraft und die große Krux des Menschen. Darin liegt alles. Wenn wir in der Lage sind, unseren Glauben zu programmieren und zu amplifyen. Dann können wir noch richtig viel Potential entfalten. Ohne, dass es zum Brainwash wird. Wenn wir das auch wissenschaftlich lernen und verstehen. Wenn es Knöpfe im Körper gibt, und man schon in der Grundschule lernt, sie zu drücken, sodass jeder sein Potential entfalten und kreativ schöpfen kann ... dann werden wir eines Tages auch fliegen können.

Also hast du doch Hoffnung für einen Wandel, für eine bessere Welt?

Vielleicht habe ich mich vorhin zu hart ausgedrückt: Ich meine nicht, dass wir uns klein machen sollten. Vielleicht ist Demut auch das falsche Wort. Dankbarkeit könnte es sein. Das ganze Bild der Krone der Schöpfung gefällt mir einfach nicht. Unser ganzes Vokabular. Wir herrschen nicht über die Natur, das ist Einbildung. Wir haben gelernt, vieles zu manipulieren und für uns zu nutzen, aber wir beherrschen die Natur nicht. Die Natur kann uns mit einem Fingerschnippen auslöschen. Die Natur ist nicht unser Untertan. Wir sollten zusammenarbeiten.

In Japan ist das Waldbaden fester Teil des Gesundheitssystems.

Bäume anfassen habe ich für mich auch mittlerweile entdeckt. Ich mache das oft. Komme mir immer noch etwas blöd dabei vor, aber tatsächlich habe ich ein starkes Bedürfnis, mich mich der Natur zu verbinden. Mein erstes Tattoo vor gut 15 Jahren war ein Baum. Ich bin schon immer auf der Suche nach dieser Verbindung.

Was ist diese Verbindung? Und wo findest du sie?

In der Natur. Und in Liebe. Da, wo ich nicht bewertet werde. Kein Runtermachen, kein Ausnutzen, keine Manipulation. Ein ganz normaler Ausdruck der eigenen Bedürfnisse und ein Miteinander ist immer eine Form von Liebe.

Hast du Tipps und Tricks für den Alltag, wenn es dir schlecht geht?

Meine neuste Übung ist, meine Gedanken in Richtung Dankbarkeit auszurichten. Es gelingt mir leider noch nicht gut, das ist ein Prozess. Weil auf der anderen Seite viel Selbstmitleid steht. Das will ich gar nicht bewerten, Selbstmitleid ist ja auch Teil eines Heilungsprozesses. Es hat einfach lange gedauert, für mich zu erkennen, dass ich diese schädigende Prägung erfahren haben. Dass ich auferlegte Bilder mit mir rumschleppe, die mein Denken krass beeinflussen. Wenn man das erstmal erkennt, denkt, sieht, fühlt, was das mit einem gemacht hat, wie es einen zurückwirft – da kommen erstmal viel Frust, Wut und eben auch Selbstmitleid.

Zur Zeit lebe ich nach der Erkenntnis: Diese Negativspirale verlässt du nur mit Dankbarkeit. Indem du den Blick fokussierst auf das, was gut ist. Glas halb voll, oder halb leer? Auch ein Spruch, den ich ganz lange nicht verstanden habe. Sei denkbar für das, was da ist, was du hast. Als Übung könnte man sagen: Jeden Morgen und Abend drei Dinge formulieren, für die man dankbar ist. Das wird auf jeden Fall etwas in dir öffnen und dein Selbstmitleid transformieren.

Selbstmitleid ist eine negative Schwingung, die dich herunterzieht. 2010 habe ich selbst mal gerappt "Scheiß auf die Sprüche der Esos", dabei bin ich sehr offen. Nicht für alles, aber für den Begriff der Energie und für die Lehren der Energie, die wissenschaftlich noch gar nicht richtig erfasst sind. Natur bleibt einfach unerforscht, und so auch das Potential unseres Gehirns.

Experiment: Ich nenne dir Gefühle und du sagst mir, welche Kunst du damit verbindest.
Traurigkeit.

(Überlegt) Ich selbst habe noch nie Trauer in meiner Musik verarbeitet. Wut ist über meiner Trauer gelagert. Jetzt kommt mir etwas, ist eher speziell: Emile Biayenda, ein kongolesischer Jazz-Musiker. Er hat zwei Kinderlieder-Platten gemacht. Meinem dreijährigen Sohn möchte ich gerne in Kontakt mit seinen afrikanischen Wurzeln halten. Also zeige ich ihm diese Lieder. Der Song heißt "Tojemba", es geht um Elefanten. Der Song ist gar nicht traurig, aber bei mir löst er das aus. Diese Melodie verbinde ich mit Traurigkeit, mit meinem allmählich älter werdenden Sohn und der Vergänglichkeit des Lebens. Ich erzähle dir davon und werde traurig.

Wut und Kunst.

Da gibt es Tausende Songs. Songs, die Haltung haben, die Wut und Stärke verbinden. Ich höre aber keine Songs, um meine Wut nochmal aufflammen zu lassen. Die Rapper, die für mich dieses Gefühl am stärksten vermitteln, sind M.O.P. - ich denke an "Handle Ur Bizness". Wut gegens Business, da kann ich mich gut mit identifizieren (lacht).

Freude und Kunst.

"Le 2 Juillet", der zweite Juli. Ein Song sowohl auf Französisch als auch Lingala, das ist eine kongolesische Sprache. Es geht nur darum, dass eine Familie einen Jahrmarkt besucht. Generell fällt mir bei afrikanischer Musik auf: In den Melodien, in den Gitarren ist viel Freude drin. Was manche mit Sunshine-Reggae verbinden, verbinde ich mit west- und zentralafrikanischer Gitarrenmusik. Einfache Melodien, die Lebensfreude ausstrahlen.

Angst und Kunst.

Als die WM 2006 hier stattfand, habe ich einen Song namens "Angst" gemacht, in dem ich das deutsche Nazi-Problem thematisiere. Auch zu dem Gefühl gibt es viele Songs. Die ganze Platte BSMG hat damit zu tun – "Dunkles Kapitel" zum Beispiel. Angst ist immer irgendwo mit dabei. Damals stand in der Bravo über Bone Thugs-n-Harmony, dass die mit Satanismus zu tun und ihre Seele an den Teufel verkauft haben. Ich bin auch katholisch geprägt, war als Kind Messdiener. Mit sehr klaren Auslegungen über Gut und Böse. Nachdem ich das in der Bravo gelesen habe, fand ich die zwar immer noch krass, aber hatte damals ein mulmiges Gefühl beim Hören der Musik. Zum Glück liegt diese Gott-Teufel-Prägung hinter mir. Dieses Ausschließende ist das Problem. Gibt es in der Natur auch nicht. Überall wo Materie ist, fällt Licht drauf, und dort gibt es auch einen Schatten. Es gibt keinen Menschen ohne Schatten. Je weniger du dich mit diesem Schatten auseinandersetzt, desto stärker lenkt er dich aus dem Hintergrund. Sehen wir zum Beispiel an Priestern, den "Dienern Gottes", die zu solchen Dingen wie Kindesmissbrauch fähig sind.

Liebe und Kunst.

Common - "I Used To Love H.E.R.". Wenn ich jemanden erklären will, was Hip Hop ist, zeige ich diesen Song. Über drei Strophen zeichnet er ein riesiges Bild über den 80/90er Jahre-Hip Hop in den USA. Als Metapher benutzt er die Beziehung mit einer Frau, erst am Ende des Songs löst er das Bild auf. Ich weiß noch, wie mir mein damaliger Produzent den Song gezeigt hat. Wir waren in einer sehr entspannten Stimmung, es gab gute Kräuter. Ich habe diesen Song nur gehört und habe jedes Wort in Echtzeit verstanden - und dann am Ende dieser Twist. Ich verbinde meine Liebe zu Hip Hop mit diesem Song. Natürlich gibt es noch einige mehr. "You Got Me" von The Roots und Erykah Badu war auch ein Song, mit dem ich den Herzschmerz einer Beziehung verarbeitet habe.

Wenn du heute dir selbst am Tiefpunkt deines Lebens einen Satz ins Ohr flüstern könntest:

Auch das geht vorbei. Das ist für mich auch der einzig valide Satz. Der hat eine Geschichte. Genau weiß ich sie nicht mehr. Ein König wollte einen Ring graviert haben mit der wertvollsten Botschaft, die es gibt. Er hat alle seine Gelehrten nach einem allgemein gültigen Satz gefragt. Dieser kam heraus.

Meine Tiefphase war 2010, als ich die "Monster EP" gemacht habe. Da ging es mir wirklich beschissen. Die sollte mein letztes Werk werden, die Karriere war gescheitert. Ich habe eine Flasche Whiskey am Tag getrunken und mich selbst fertig gemacht. Aber ich habe es geschafft, mich in Textform auszukotzen. Der Song "Was!?!" ist der letzte Song auf der Platte. Da sage ich an einer Stelle: "Selbstmord kann nur ein Feigling wählen, weil mehr an dir hängt als dein eigenes Leben." Das würde ich heute nie mehr so sagen, ist total anmaßend. Weil ich weiß, dass man in diesen Zustand kommen kann, wo man keinen Sinn mehr sieht. Ich bereue es, das aus meiner Position als Schwäche und Feigheit abgetan zu haben.

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