Beim Vorentscheid für den Eurovision Song Contest 2008 standen am Donnerstag Abend fünf Titel zur Wahl. Die No Angels entschieden das Voting für sich: Unser Song für Belgrad heißt damit "Disappear".

Hamburg (dani) - Das Leben ist doch stets für eine Überraschung gut. Hätte ich vorher Wetten abgeschlossen, Haus und Hof hätte ich darauf gesetzt, dass bei einer Telefonabstimmung die Knaben von Cinema Bizarre das Rennen machen. Sind es doch erfahrungsgemäß eher kleine Mädchen, die bei derartigen Anlässen die nicht mehr vorhandenen Drähte ihrer Handys heißlaufen lassen.

Ich lag komplett daneben. Cinema Bizarre zogen noch nicht einmal in die Endabstimmung ein. Das Stechen trugen die teilnehmenden Damen unter sich aus.

Als gegen 22 Uhr die No Angels als Siegerinnen bekannt gegeben wurden, war mir das Resultat allerdings bereits herzlich gleichgültig. Erschüttert ob der durchwegs jämmerlichen gezeigten Gesangsleistungen erscheint mir der Siegertitel plötzlich seltsam passend.

"Disappear". Stimmt. Wenn das die Krone der inländischen Sangeskunst sein soll, dann möchte man beim Gedanken an die 100 Millionen Fernsehzuschauer, die das Spektakel am 24. Mai verfolgen werden, im Erdboden versinken.

Deutschland hatte also die Wahl, womit die diesjährige Niederlage beim Schlager-Grand Prix eingefahren werden soll. In einer schon fast traditionell von Thomas Hermanns moderierten Show wetteiferten Marquess, Tommy Reeve, Cinema Bizarre, Carolin Fortenbacher und die No Angels darum, Deutschland beim großen Schlagerzirkus vertreten zu dürfen.

Möchten "wir" uns von einem (immerhin sympathischen) Quartett junger Herren und deren spanisch vorgetragener Nummer vertreten lassen? Marquess präsentierten ihr "La Histeria" ohne großes Tamtam. Jungs mit Instrumenten, dafür ohne Pomp, ohne Choreografie, ohne Kostüme, ohne Trommeln, Pyrotechnik, halbnackte Tänzerinnen: völlig chancenlos.

Tommy Reeve stellte da schon eher einen Typus, der zuweilen Erfolge einfährt: der einsame, singende Schönling am Flügel. Von Pop, Soul und Rock, wie er seine Musik selbst in seinem Vorstellungsfilmchen bezeichnete, allerdings keine Spur. Sein "Just One Woman" entpuppte sich als Pianoballade der stinknormalsten Sorte. Thomas Hermanns bissiger Kommentar "Ganz schön schwere Noten!" bescherte mir einen der dünn gesäten herzlichen Lacher der Veranstaltung, lenkte die Bemerkung doch einen unbarmherzigen Scheinwerfer auf die aufgezeigten stimmlichen Schwächen.

Cinema Bizarre sorgten erstaunlicherweise einmal nicht für tokiohoteleske Kreischkonzerte. Das Publikum im Hamburger Schauspielhaus trug den Auftritt der fünf jüngsten Teilnehmer, die sich die Rettung des Glam auf die Fahnen geschrieben haben, mit Fassung. Mit Synthieklängen, Rockgitarre und einem unüberhörbar angeknacksten Leadsänger reichte "Forever Or Never" zur angestrebten Rettungstat allerdings ebenso wenig aus wie die derzeit angesagte Visual Kei-Maskerade.

Die Halle tobte dagegen erstaunlicherweise bei jeder, aber auch jeder Nennung des Namens der Lokalmatadorin: Carolin Fortenbacher, Darstellerin aus dem ABBA-Musical "Mama Mia", genoss ihr Heimspiel und inszenierte sich in der von Pe Werner verbrochenen zweiten Piano-Schnulze des Abends, "Hinterm Ozean", als große Drama-Queen. Fazit: Lustige Interpretin, schrecklich absehbarer Song. Das reichte fürs Finale.

Dann kamen sie, unsere 'Engel für Deutschland'. Mit Hebebühne, Windmaschine, wehenden Schleppen und einer seit 'Popstars'-Castingzeiten eingeschliffenen Choreografie präsentierten die No Angels ihr bocklangweiliges Disco-Pop-Liedchen "Disappear", mit dem sie den Sieg einfuhren. Tolle Wurst: Bei der Wahl zwischen Pest und Cholera fährt nun also die Schwindsucht nach Belgrad. Roger Ciceros 19. Platz vom Vorjahr ist zu toppen: Wenigstens das sollte nicht allzu schwierig werden.

Der durfte seinen erfolglosen Beitrag "Frau'n Regiern Die Welt" natürlich auch noch einmal aufgießen. Die Auftritte von Gewinnerinnen aus dem Vorjahr, darunter Marija Serifovic, die den Contest mit "Molitva" nach Belgrad holte, retteten die höhepunkslose Veranstaltung ebenso wenig wie die Wartezeiten überbrückenden Darbietungen der als "Paten" geladenen Gäste, die nicht ohne Grund größtenteils ihr Brot NICHT mit Singen verdienen.

Deutschland wird also wieder gediegen abkacken. Sehr schade, aus einem einzigen Grund: Einmal im Leben nicht nur den popeligen Vorentscheid, sondern den "richtigen" Songcontest moderieren - das würde ich Thomas Hermanns aus tiefsten Herzen gönnen.

Fotos

No Angels und Cinema Bizarre

No Angels und Cinema Bizarre,  | © Polydor (Fotograf: Mathias Bothor) No Angels und Cinema Bizarre,  | © Polydor (Fotograf: Mathias Bothor) No Angels und Cinema Bizarre,  | © Polydor (Fotograf: Mathias Bothor) No Angels und Cinema Bizarre,  | © Polydor (Fotograf: Mathias Bothor) No Angels und Cinema Bizarre,  | © Polydor (Fotograf: Mathias Bothor) No Angels und Cinema Bizarre,  | © Polydor (Fotograf: Mathias Bothor) No Angels und Cinema Bizarre,  | © Polydor (Fotograf: Mathias Bothor) No Angels und Cinema Bizarre,  | © Polydor (Fotograf: Mathias Bothor) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) No Angels und Cinema Bizarre,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig)

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45 Kommentare

  • Vor 16 Jahren

    Ein Lied langweiliger als das andere. Die No Angels werden sich wunderbar in den Pop-Einheitsbrei einreihen, der beim ESC regelmäßig geboten wird und punktemäßig wieder auf den hinteren Plätzen landen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass sie, nur weil eine von ihnen aus Bulgarien (?) stammt, plötzlich mit Punkten aus Osteuropa überschüttet werden. Vielleicht sollten wir es mal mit einem weniger braven Auftritt versuchen?

  • Vor 16 Jahren

    @kajsa747 (« Ein Lied langweiliger als das andere. Die No Angels werden sich wunderbar in den Pop-Einheitsbrei einreihen, der beim ESC regelmäßig geboten wird und punktemäßig wieder auf den hinteren Plätzen landen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass sie, nur weil eine von ihnen aus Bulgarien (?) stammt, plötzlich mit Punkten aus Osteuropa überschüttet werden. Vielleicht sollten wir es mal mit einem weniger braven Auftritt versuchen? »):

    Von den No Angels stammen sogar zwei Damen aus einem osteuropäischen Land! :eek:

    Naja vielleicht schaffen wir es ja diesmal doch . . . . Die Hoffnung sollte man nie aufgeben :D

  • Vor 16 Jahren

    Pff... Platz 16 bestenfalls. Stimme dem Fazit des Artikels zu!