Am Ende einer spannungsarmen Veranstaltung sichert sich Michael Schulte mit "You Let Me Walk Alone" das Ticket nach Lissabon.

Berlin (mrk) - Die Bühne hüllt sich noch in dunkel, als Michael Schultes "You Let Me Walk Alone" mit den ersten Pianoklängen den Saal belebt. Lediglich mit einfacher Jeans und schwarzem Shirt steht der Flensburger allein am Mikro und beginnt mit "I'm a dreamer" seine Power-Ballade. Dabei singt er über seinen Vater, der vor 13 Jahren starb. Die persönliche Message mit dem emotionalen Gesang scheint ihre Wirkung bei "Experten" wie TV-Publikum nicht zu verfehlen. Auch wenn das Bühnenbild aus privaten Vater-Kind-Fotos von Schultes Fans doch etwas dick aufgetragen erscheint. Am Ende gewinnt der 27-Jährige und erhält von allen drei Jury-Instanzen die Höchstwertung: Douze Points!

Gestern entschied die Sendung "Unser Song für Lissabon", wer Deutschland am 12. Mai beim Eurovision Songcontest 2018 in Lissabon vertreten wird. Dabei gab sich die Lieder-Suchmaschine zum gemütlichen Halbplayback innovativ und locker, wirkte zuweilen jedoch monoton und gekünstelt.

Leichte Moderation, "komplexe" Jurys

Das Moderatoren-Team aus Linda Zervakis und Elton sollte leichtfüßig rüberkommen, verhedderte sich aber oft in eingeübten Lachern (Auf der "Pimmel-Bühne" suchen wir "Unser Glied für Lissabon"!?). Während der ehemalige Raab-Sidekick in seinem Grundoptimismus sympathisch wirkte, pendelte die Tagesschausprecherin irgendwo zwischen gewollt komisch und (un-)seriös. Nebenbei wärmte sich auch Kult-Kommentator Peter Urban schon mal darin auf, die Kandidaten über den grünen Klee zu loben.

Das komplett überarbeitete und möglichst globale Auswahlverfahren erwies sich dagegen als weniger spektakulär. Die dreiteilige Jury bestand aus einer 100-köpfigen Gruppe deutscher ESC-Fans (den "Edelohren"), 20 internationalen Musik- und ESC-Experten sowie natürlich dem obligatorischen TV-Publikum. Letztlich fielen die Urteile der drei Gruppen jedoch relativ ähnlich aus.

Magere Musikauswahl

Wo zunächst die frischgebackene TVOG-Siegerin Natia Todua mit rumfuchtelndem Arm ihr inhaltsleeres Liedchen präsentierte, setzte sich anschließend Ryk an die Tasten und schmetterte seine leicht kitschigen Tremolos auch live in ordentlicher Manier heraus. Mit seiner musikalisch komplexeren Ballade erzielte der studierte Popmusiker immerhin den dritten Platz - vielleicht hätte es ohne die sich verbiegende Akrobatin auf dem Flügel auch für mehr gereicht.

Dann verlagerte sich die Bühne eher in Richtung Bierzelt: Die Schlagersänger von voXXclub tanzten, schunkelten und spragen sich mit Dauergrinsen durch musikalische Einfachheiten, was das TV-Publikum gar mit der zweithöchsten Wertung honorierte.

Mit "Jonah" schwang daraufhin der authentische Xavier Darcy seine Gitarre und riss das Publikum mit Riffsport, Raubeinstimme und weit aufgerissenen Augen mitunter gut mit. Bock hatte er auf jeden Fall, am Ende freut er sich über den zweiten Rang. Dagegen überzeugte Ivy Quainoo, die für den Vorentscheid gnädigerweise extra von New York nach Berlin gezogen war, mit ihrem völlig banalen Beitrag wenig bis gar nicht. Da bleibt höchstens die kompensatorische Feuerkulisse in Erinnerung.

Wartezeit stellt Zuschauer auf die Probe

Nach nicht mal einer Stunde hatten alle Künstler ihre Lieder brav vorgetragen. Und nun? Auch wenn dem Zuschauer glücklicherweise ein finales Stechen oder Ähnliches erspart blieb, gestaltete sich die Zeit bis zur Ergebnisverkündung als anstrengend.

In dem belanglosem Geplänkel, das mehrere Schnelldurchläufe flankierte, war sicherlich der Lückenfüller-Auftritt von Mike Singer der Tiefpunkt. Seine Darbietung von "Deja Vu" aus dem gleichnamigen Album ließ das Fernsehgerät winseln und den Ausschalteknopf rot anlaufen. Durchhalten hieß hier die Devise. Am Ende wünschte der gerade 18-jährige Teenie-Star dem Sieger in Lissabon einen Top 10-Platz - ein echter Medienprofi eben.

Schließlich nahm Michael Schulte, der die Veranstaltung deutlich vor den Underdogs Xavier Darcy und Ryk für sich entschied, die Wahl dankenswerterweise an - der Andreas Kümmert-Eklat von 2015 steckte den Veranstaltern dabei noch sichtlich in den Knochen.

Der 27-Jährige Gewinner gab sich nach seinem Sieg bodenständig: "Ich hatte ein gutes Gefühl und das habe ich mit auf die Bühne genommen." Jetzt warten auf den deutschen ESC-Vertreter erstmal eine Menge Termine. "Ich mach alles mit!". Das muss er jetzt auch.

Fotos

Michael Schulte

Michael Schulte,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Michael Schulte,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Michael Schulte,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Michael Schulte,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Michael Schulte,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Michael Schulte,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Michael Schulte,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Michael Schulte,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Michael Schulte,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Michael Schulte,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Michael Schulte,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Michael Schulte,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof)

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5 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Letztendlich schieben sich die Verantwortlichen die Auswahl (und quasi damit auch den "Gewinner") zurecht. Echte Bands nerven da eh nur, ne Gitarre oder Klavier geht gerade noch so... soll Authentizität schaffen. Und wenn dann fast alles nur Pathos und Drama ist, denke ich an die im Vergleich schon liebevoll komponierten Beiträge von Guildo Horn oder Stefan Raab.
    Wer da noch Begeisterung entwickeln kann, hat meinen Respekt... ich kann das nicht mehr ertragen... Sülze gefolgt von Sülze, während ein anderes Land bestimmt schon mit einem Despacito-Clon auftrumphen wird (warum schicken wir eigentlich nicht Kay One hin?)... oder das Rennen machen wieder die Skandinavier, weil die ein Händchen für simplen Pop haben - mit vielleicht wenig Kanten und dafür viel Eingängigkeit.
    Sorry, aber ich sehe da nur wieder einen junger Musiker, der gnadenlos verheizt wird.

    • Vor 6 Jahren

      Sorry, aber ich sehe da nur wieder einen junger Musiker, der gnadenlos verheizt wird.
      Ja der Arme..er wurde unter Waffengewalt gezwungen mit zu machen. Und ab jetzt steht die ganze Zeit jemand neben ihm und hält ihm eine Waffe an Kopf. Und daneben steht dann der Heizer..der dafür sorgt das er auch wirklich verheizt wird .
      Sorry..aber das musste sein nachdem ich diesen Schwachsinn gelesen habe. Oder meint @fm014 das alle anderen Länder ihre Teilnehmer nicht verheizen ?? Und falls ja..wie er darauf kommt ??? Oder hat es etwa die Portugiesen interessiert das Salvador Sobral schwere Herzprobleme hatte. Nü..er musste da durch..gesundheitliche Probleme hin oder her. Das er jetzt noch lebt hat er einer Herztransplantation und guten Ärzten (Nierenversagen danach) zu verdanken. Aber bestimmt nicht den Organisatoren aus Portugal.
      So viel zu verheizen.

    • Vor 6 Jahren

      Natürlich wird er nicht mit Waffe gezwungen. Aber sein Talent (sofern er denn welches hat, hab mir diesen lächerlichen Mist natürlich nicht angeschaut) wird instrumentalisiert und unter das Jury-Diktat gestellt. Da kann man schon von "verheizen" sprechen - ein Tropfen auf den heißen Stein der Entertainment-Maschinerie.

    • Vor 6 Jahren

      Wie kann man denn Talent verheizen? Wenn er der neue Prince sein sollte, wird er sich schon durchsetzen können (trotz ESC), wenn er nur ein weiteres bescheiden begabtes Sternchen ist, wird er nach seinen 15 Minuten Ruhm wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Auch trotz ESC.

  • Vor 6 Jahren

    Einfach aus neugier hab ich das sogar grade mal angehört. Klingt wie ein Möchtegern James Blunt in schlechter. Das trieft ja sowohl musikalisch als auch textlich nur vor Kitsch.

  • Vor 6 Jahren

    was hat er da eigentlich für ein nudelgericht auf dem wirsing?

  • Vor 6 Jahren

    Belgien machts vor: Die trauen sich, gute Songs hinzuschicken. Songs, die sich soundtechnisch von der Einheitsgrütze abheben. Songs, die man sich sogar freiwillig anhört. Schulte ist ein guter Sänger, der Song ist aber stumpfes Kalkül nach dem Motto: "Sobral war ja auch sooo emotional, wir kombinieren das jetzt mit Adele-Akkordfolgen und viel Seife, dann wird alles gut." Der Wettbewerbskram ist mir btw herzlich egal, ich mag Musik. Und die deutschen ESC-Beiträge sind mut- und kraftlos. Das macht einfach keinen Spaß, sich den Quark anzuhören. Aber einige waren ja gestern doch sehr ergriffen. Wie gesagt, ist Schulte ein guter Sänger und die Motivation für den Song nehme ich ihm auch ab. Aber muss gleich so dick aufgetragen werden?

    Ich rege mich schon wieder auf, das ist schlecht für meinen Blutdruck. Bin mal belgisches Bier saufen.

  • Vor 6 Jahren

    Peinlichster Betroffenheits-Rotz!

    Ralph Siegel rotiert ganz sicher in seinem kalten Grab ...

    Was, der alte große Mann des ESC ist noch gar nicht tot?
    Diese deutsche Schmonzette 2018 ist es vom Start weg!

    Germany: Zero Points / Allemagne: zéro points ...