Mit dem schwachen David Guetta-Abklatsch "Perfect Life" fährt Levina nach Kiew. Viel Glück!

Köln (kil) - Die gute Nachricht zuerst: So schlecht wie befürchtet gestaltete sich der gestrige ESC-Vorentscheid "Unser Song" in Köln gar nicht mal. Die ARD macht zwar auf Privatfernsehen, die Mischung aus biederer Institution und den Entertainment-Qualitäten eines Stefan Raab kommt aber durchaus unterhaltsam.

Dabei beginnt die abendfüllende Veranstaltung mit technischen Problemen sowie einer absurd gekleideten und unaufgewärmten Barbara Schöneberger. Dass sich gleich in der ersten Runde Levina als Favoritin heraus kristallisiert, ist der Spannung auch nicht zuträglich.

Levina und Helene

Die gebürtige Bonnerin meistert eine Coverversion von Adeles "When We Were Young". Die anderen Kandidaten wirken hingegen deplatziert, lediglich die 20-jährige Helene begeistert mit ihrem Johnny Cash-Opener das Publikum. Die Jury, bestehend aus Tim Bendzko, Lena und Florian Silbereisen, ist ebenfalls angetan. Der Stadl-Gott lässt sich - hört, hört - gar zu einem "Ich steh' auf Helene" hinreißen.

Die Jury gibt überhaupt ein durchwachsenes Bild ab. Flori schwingt kurz die Sexismus-Keule: Das Auge isst ja bekanntlich mit!". Lena flüchtet sich in Nebensächlichkeiten: "Ich mag, dass du auf dem Hocker saßt". Die letzte deutsche ESC-Heldin wirkt generell eher fragil. Nur Tim Bendzko nimmt seinen Job ernst und liefert sachliche Kritik. Barbara Schöneberger will dafür auch gleich mal seinen "Pferdeschwanz" sehen. Die Moderatorin mimt ansonsten die souveräne Gastgeberin und wahrt einen wohltuend ironischen Abstand zum ESC-Abend.

Aus fünf mach drei

Nach der Vorstellungsrunde bleibt der Eindruck, dass nicht alle Kandidaten den passenden Song am Start haben. Die quirlige Josefine reißt mit ihrem unbekannten Beyoncé-Titel weder das Publikum mit, noch zeigt sie wirklich, was sie drauf hat. Felicia Lu, die kühle Elektro-Pop-Göre trifft nur schwerlich den Ton. Daher kommen verdientermaßen Axel, Helene und Levina weiter.

Danach präsentiert das Trio den ersten Song fürs Finale in Kiew. "Wildfire" ist ein großer Pop-Moment und bleibt es in jedem der drei Vorträge: Helene macht auf Country, Axel auf Pop und Levina die Ballade.

Auch wenn dem Zuschauer das Gefühl vermittelt werden soll, dass die Darbietungen auf die Kandidaten zugeschnitten sind, hat vor allem Axel Probleme, er wirkt den ganzen Abend über abwesend und uninspiriert. Trotzdem wählt das Publikum ihn und Favoritin Levina weiter. Es folgen die Interpretationen von "Perfect Life", einem unverholenen Abklatsch des Sia- und David Guetta-Gassenhauers "Titanium".

In dieser Runde werden die Rollen getauscht: Axel kommt mit der Ballade um die Ecke, und Levina macht auf Gute-Laune-Pop. Gegen die mitreißende Sängerin hat der wie blockiert wirkende junge Mann keine Chance. So steht schon vor dem Finale fest, wer für Deutschland nach Kiew fährt. Bleibt lediglich noch die Frage, welchen Song Levina vortragen soll.

Keine Macht dem Publikum

Zwischendurch darf im Rahmenprogramm noch Matthias Schweighöfer sein Album promoten, Tim Bendzko dudelt ein bisschen und zum krönenden Abschluss gibts die volle ESC-Dröhnung mit Conchita Wurst, Nicole und Ruslana. Das schauderhafte Jahrzehnte-Medley endet in einer Pseudo-Lena-Hommage.

Das Ende der Show zeigt dann, dass man sich heutzutage auf gar nichts mehr verlassen kann: Entgegen den Erwartungen des Studiopublikums, der Moderatorin und der Jury fährt Levina nicht mit "Wildfire", sondern mit der schwächeren Nummer "Perfect Life" nach Kiew. Die Überraschung in Köln ist groß, erschien "Wildfire" doch als gesetzt. Der Siegertitel grüßt dagegen direkt aus der Discofox-Hölle und zeichnet sich nicht gerade durch Einzigartigkeit aus. Dennoch: Levina und der ESC, zumindest die beiden passen zusammen.

Fotos

Tim Bendzko

Tim Bendzko,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Tim Bendzko,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Tim Bendzko,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Tim Bendzko,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Tim Bendzko,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Tim Bendzko,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Tim Bendzko,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Tim Bendzko,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Tim Bendzko,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Tim Bendzko,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen) Tim Bendzko,  | © laut.de (Fotograf: Bjørn Jansen)

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12 Kommentare mit 16 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    sehe da jetzt nicht wirklich eine Seximuskeule dahinter, aber okay.

    Ich denke, dass es mit dieser Aufstellung kein Problem sein dürfte den letzten Platz zu verteidigen

  • Vor 7 Jahren

    Mal eine Frage: Haben wir in Deutschland einen Mangelware an Moderatoren oder warum führt diese Nervbratze Schöneberger durch jede 2. Show?

  • Vor 7 Jahren

    Ein Artikel, der den Abend perfekt beschreibt. Sehr gut.
    Jedoch denke ich, dass der Song zu Unrecht "DavidGuetta-Abklatsch" genannt wird, sondern -da es ja die gleiche Komponistin ist- eher eine "Nummer im DavidGuetta-Style" besser formuliert und beschrieben wäre.
    Und es bleibt vor allem die Frage: "Ist das -international gesehen- nicht eher ein Vorteil, als ein Nachteil?"

    • Vor 7 Jahren

      Solche Geschichten fragt man sich jedes Jahr und am Ende stehen zero points

    • Vor 7 Jahren

      @DirkJes:
      Ich glaube nicht, daß das internationale Publikum auf das Abziehbild eines erfolgreichen Titels euphorischer reagiert als das nationale.
      Wie glaubwürdig ist eine Aussage wie
      "Boah, das klingt ja voll so, als ob du das dem David Guetta aus'm Arsch genuckelt hättest - echt, voll krass! Toll, daß du dich nicht um einen eigenen Stil bemüht hast, ich bewunder' das ohne Ende! Ich feier' jedes Abziehbild von David Guetta, ehrlich. Vielleicht kannst du ja für's nächste Mal eine Kopie von Adele nachschieben. Zwölf uneingeschränkte Punkte von mir! Endlich mal jemand, der sich konsequent an erfolgreichen Titeln orientiert, dafür sorgt, daß die Musik hartnäckig auf der Stelle tritt und der mit dem Mindestmaß an Eigenleistung zu einem Wettbewerb antritt. Diese Chuzpe gehört belohnt."
      Wer so was hören will, sollte beim Echo antreten, nicht beim ESC.
      Gruß
      Skywise