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Von den Kids, für die Kids

Diese erste Generation entsteht, wenn sonst niemand über ein Thema spricht. Aus einer Notwendigkeit heraus. Natürlich gibt es für diese Entwicklungen kein Patentrezept und ich möchte mich hier nicht zum großen Durchschauer von Communitys aufschwingen, aber gewisse Muster offenbaren sich doch. Der Knackpunkt ist eben, dass diese Arbeit irgendwann auch Geld einbringen kann. Sogar eine ganze Stange: Teilweise produziert die Verarbeitung der Szene selbst einen nicht geringen Teil der Aufmerksamkeit in der Szene.

Konsequenz sind größere, spezialisiertere Einrichtungen, die sich mit dem Kram beschäftigen, Budget aufbauen, Events schmeißen und Leute einstellen. Wenn es jemals diese goldenen Zeiten gab, dann wären sie wohl in dem Moment zu finden, in denen Kids der ersten Generation zu den Journalisten der zweiten Generation digitieren. Auf einmal ist Budget da, es zeigen sich Erfolgsrezepte und Formeln, der Blödsinn bekommt System und wird Kult.

Das Ding ist eben, das nichts für immer ist, Irgendwann überholt die Szene diese Strukturen. Erfolgsrezepte verjähren, Tricks werden alt und ranzig, und die neuen Institutionen müssen um ihre Relevanz kämpfen. Das ist für uns der Moment, den Jan Wehn in seinem ALL GOOD-Text als Reaktion auf den Digitalisierungs-Schock bezeichnet hat. Ich behaupte: Meh, die Leute sind einfach nur gealtert. Alle. Soll vorkommen. Das sind nun Magazine, die nicht mehr aus einer Szene-Notwendigkeit heraus passieren wie die erste Generation, sondern deren Notwendigkeit ihr eigener Tran ist, ihre Abhängigkeit davon, Geld zu verdienen.

Deswegen ist auch 2015 erst mit dem Notruf, man müsse doch wieder kritischer berichten, eine ganz neue Turbulenz aufgekommen. Magazine, an der der Zahn der Zeit genagt hat und die ihre Felle davonschwimmen sehen, schwingen sich zu Problematisierern und kritischen Stimmen einer Szene auf. Ehrenwert, und ich würde lügen, wenn ich nicht sagte, dass ich genau so einer bin. Es wäre unfair, all diesen Leuten Profit-Interesse zu unterstellen. Diese Ära der neuen Wokeness kam eigentlich durchgehend aus aufrichtigen Herzen. Das Ding ist nur: Die problematischen Künstler, die Antonia Baum auch im Zeit-Artikel angesprochen hat, finden schon lange kaum noch auf diesen Seiten statt.

Das ist recht leicht daran zu erkennen, dass sich unter den Krusten von den Trends hinterher hechelnden Magazinen schon wieder eine neue erste Generation von Musik-Talkern gebildet hat. YouTuber mit Reaction-Videos, Gossip-Blogger auf Instagram, Influencer auf Snapchat. Es mag schwer verdaulich erscheinen, aber die Kids, die Capital Bra hören, interessieren sich nicht dafür, ob Hiphop.de sein Frauenbild in einem eloquenten und brillant recherchierten Leitartikel zerlegt. Genauso braucht es einen Miami Yacine einen feuchten Kehricht zu jucken, ob sein neues Tape in der Juice eine, drei oder fünfhundert Kronen bekommt. Seine Fans stillen ihren Bedarf nach Legitimation, Identifikation und Community bei Mois, Adlerson Review und Konsorten.

Solche Leute sind Tastemaker geworden, weil sie auf den richtigen Medien stattfinden, den richtigen Rhythmus und den richtigen Vibe ausstrahlen, und weil die drei oben genannten Faktoren wichtiger und süffisanter runtergehen als das Bedürfnis nach Szene-interner Kritik. Nicht zuletzt ist Hip Hop eine Jugendkultur, und Jugendkultur lebt nun einmal von Abgrenzung und Darstellung dessen, das in der Jugend gerade real existiert und ästhetisch ist. Hier spielt auch der Uralt-Satz, dass das "Medium die Message" sei, mit hinein. Wer also will, dass Kollegahs und Haftbefehle keinen antisemitischen Blödsinn mehr verzapfen oder dass all die Miami Yacines und Bausas netter zu den Frauen sind, sollte sich eher fragen, warum diese Sentiments den jugendlichen Zeitgeist in diesem Land so fruchtbar spiegeln. Täten sie das nämlich nicht, würden die Kids sich schnell genug wieder davon entfernen. Was das angeht, sind der Hype und die öffentliche Aufmerksamkeit nämlich schonungslos ehrlich.

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2 Kommentare

  • Vor 5 Jahren

    Sehr wichtiger und richtiger Text. Ich selbst bin 19 Jahre alt und bekomme immer mehr mit, wie sich Leute in meinem Alter ihren Musikgeschmack diktieren lassen durch Playlists, insta- Müll und YouTube Videos. Aber, was ich sagen möchte, ist , dass es nicht angehen kann, dass ein Capital mit seinem 10ten recycelten Song der auf die 1 geht so gut wie keinen Gegenwind verspürt. IHR seid die Medien und müsst jetzt langsam mal in die Puschen kommen. Wenn jemand Drecksmusik macht, liegt es an euch diese Drecksmusik zu entlarven und zu (tut mir leid für die Wortwahl) zerficken. Gleiches gilt für diese meros feros enos seros Opfer.
    Schöne Grüße aus Berlin

  • Vor 5 Jahren

    Sehr wichtiger und richtiger Text. Ich selbst bin 19 Jahre alt und bekomme immer mehr mit, wie sich Leute in meinem Alter ihren Musikgeschmack diktieren lassen durch Playlists, insta- Müll und YouTube Videos. Aber, was ich sagen möchte, ist , dass es nicht angehen kann, dass ein Capital mit seinem 10ten recycelten Song der auf die 1 geht so gut wie keinen Gegenwind verspürt. IHR seid die Medien und müsst jetzt langsam mal in die Puschen kommen. Wenn jemand Drecksmusik macht, liegt es an euch diese Drecksmusik zu entlarven und zu (tut mir leid für die Wortwahl) zerficken. Gleiches gilt für diese meros feros enos seros Opfer.
    Schöne Grüße aus Berlin