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Vultures-Nachtrag

Der Diskurs um "Vultures" verhärtete sich nämlich und lief zunehmend auf eine von zwei Positionen hinaus: Leute, die das Album schlecht finden, tun das nur aufgrund ihrer Antipathie gegenüber Kanyes Person, und Leute, die das Album gut oder zumindest nicht komplett scheiße finden, tun das, weil sie entweder selbst Kanyes Ansichten teilen oder schlichtweg dumme Fanschafe sind, die alles fressen, das ihnen ihr Messias vorsetzt.

Auch Anthony Fantano, der sich seit Kanyes antisemitischen Ausfällen sehr lautstark gegen ihn positionierte, machte sich nicht einmal die Mühe, so zu tun, als interessiere er sich für die Musik auf diesem Album. In seiner Review rantet er sechs Minuten über Kanyes toxische Fanbase und bezeichnet das Album als Müll. Er gibt selbst offen zu, es nicht unbefangen beurteilen zu können. Gerade angesichts seiner täglichen anstrengenden Interaktion mit den schlimmsten Bazillen der Stan-Kultur erscheint dieser Standpunkt durchaus nachvollziehbar und fair.

Allerdings sei auch hier die Frage erlaubt, inwieweit es ein besserer Umgang damit ist, das Album zwar zu verteufeln, aber es nur noch fester im öffentlichen Diskurs zu verankern, indem man jede neue News mit einem Video ausschlachtet und bewusst so auf Social Media agiert, dass man aus den Kanye-Kiddies eine noch wildere Reaktion herauskitzelt. Gefühlt ist jeder Take zu diesem Album, außer dass man es am besten links liegen lassen sollte, der falsche. Nur muss man das dann eben auch tun.

Ein Argument, das ich allerdings nicht gelten lasse, besagt, dass dieses Album als Ganzes inherent antisemitsich sei oder Kanyes abscheuliche Politik sich offensichtlich darin spiegele. Das ist kein Tom MacDonald- oder Jay Electronica-Album. Die ganze Platte enthält zwei absolut unterirdische Lines, die Bezug darauf nehmen, und diese Songs sind in der Folge auch nur schwer auszuhalten. Aber der Rest ist dumme, oft provokative und juvenlie Club-Musik, die sich nur darin von Kanyes Texten auf älteren Alben unterscheidet, dass sie schlechter geschrieben ist und im aktuellen Kontext nochmals geschmackloser wirkt.

Ich hab' selbst in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, ob ich die Review hätte schreiben sollen, und bin bisher zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis gekommen. Auf der einen Seite existiert das Album eben nicht in einem Vakuum, und Kanye hat es wahrscheinlich wirklich nicht mehr verdient, dass man seine Musik überhaupt noch ernst nimmt. Auf der anderen Seite müsste ich lügen, wenn ich sagen würde, dass ich dem Album nichts Positives abgewinnen könne, und die Musik eben Hauptbestandteil einer Review sein sollte. Wenn ich mich dazu entschließe, eine Review zu einem Album zu machen, gilt eben nicht "ungehört 1/5", so sehr es hier auch angebracht erschiene.

Am Ende des Tages ist das Projekt aber auch einfach nicht gut genug, als dass ich bereit wäre, noch mehr Energie in eine Brandrede zu seiner Verteidigung zu investiere. Im Gegenteil: Aus diesem ganzen Diskurs um das Album, mit Kanye-Fans auf der einen Seite, die es wieder zum absoluten Meisterwerk verklären, und dem Rest des Internets auf der anderen, die es als das schlimmste musikalische Machwerk der Neuzeit darstellen, entwickelt sich zunehmend eine Indifferenz und Müdigkeit gegenüber dem Projekt in mir. Eine Stimme, die sich wünscht, das Teil hätte nie das Licht der Welt gesehen und wir könnten uns alle weiterhin darauf einigen, was für unglaublicher Loser dieser Typ doch eigentlich geworden ist.

Wer dafür noch einmal einen Reminder aus der letzten Woche braucht, bitteschön:

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1 Kommentar

  • Vor 2 Monaten

    "Allerdings sei auch hier die Frage erlaubt, inwieweit es ein besserer Umgang damit ist, das Album zwar zu verteufeln, aber es nur noch fester im öffentlichen Diskurs zu verankern, indem man jede neue News mit einem Video ausschlachtet und bewusst so auf Social Media agiert, dass man aus den Kanye-Kiddies eine noch wildere Reaktion herauskitzelt."

    Weil die Verteidiger des Albums und ihre Argumente wirklich, wirklich dumm sind. Und es sich dabei um den Grad von Dummheit handelt, der allein schon instinktiv eine korrektive Reaktion hervorruft.