Nirvana räumten ab, was Dinosaur Jr. ins Rollen brachten: Ein Rollercoaster-Ride über die Ups and Downs der Band. Mit Betonung auf den Downs.

Amherst (mis) - Irrwitzige Gitarrensoli, hämmernde Drums, Nuschelgesang: Dinosaur Jr. sind Mitte der 80er Jahre ihrer Zeit voraus. Und 2021 als eine der wenigen Bands, die damals das Genre Alternative Rock prägten, noch bzw. wieder in ihrer Originalbesetzung aktiv. Ein klarer Fall für eine karriereumspannende Film-Doku, wie es sie beispielsweise über ähnlich visionäre Kollegen wie die Pixies längst gibt ("Loudquietloud").

Wie bei der Band aus Boston sind alte Animositäten und Zerwürfnisse längst beigelegt. Mitte der Nullerjahre beendeten Dinosaur Jr. ihre Eiszeit und schätzen einander seither in beinahe verdächtiger Harmonie. Einziges Problem hinsichtlich etwaigen Documentary-Plänen: Der Ruf von Songwriter und Gitarrist J Mascis als wortkarger bis stummer Eigenbrötler eilt ihm selbst im exzentrisch veranlagten Rockbusiness meilenweit voraus. Der deutsche Regisseur Philipp Reichenheim hat diese harte Nuss nun geknackt: "Freakscene" ist ein spannender Rollercoaster-Ride, der einen ins spannungsgeladene Innenleben dieses Trios mitnimmt und einen ebenso schnell wieder heraus katapultiert.

Eine Meisterleistung, auch wenn Reichenheim wohl weniger aufgrund seiner Arbeiten für Atari Teenage Riot oder Iggy & The Stooges an den Job kam, sondern weil er der Bruder von J. Mascis' Ehefrau ist. Seit gut 20 Jahren pflegt Reichenheim daher engste Kontakte zu Mascis und kitzelte als Freund der Familie einige Anekdoten aus dem Musiker und seinen Kollegen heraus.

"Freakscene" arbeitet sich in erster Linie an der oftmals schwer kommunizierbaren Chemie innerhalb einer Rock-Band ab, was aufgrund des extrem dysfunktionalen Gebildes Dinosaur Jr. für hohen Unterhaltungswert sorgt. Unterfüttert mit massig großartigem Archivmaterial führt uns Reichenheim zurück ins Jahr 1985 nach Amherst, Massachusetts, wo sich Mascis, Drummer Murph und Bassist Lou Barlow zunächst zur Band Deep Wound zusammen schließen, damals eine der härtesten und jüngsten Hardcore-Bands der USA. Der junge Birthday Party-Fan Mascis fiel damals schon auf, was man als Zuschauer leicht anhand des folgenden Satzes nachvollziehen kann: "Ich war schon in der Mittelschule schräg drauf und wollte aus der Gesellschaft aussteigen."

Ihr unverkennbarer Sound, der später als Grunge zum weltweiten Erfolgszug ansetzte, findet zunächst nur vor Spezialistenpublikum statt. Das Label SST findet Gefallen an dem rohen Soundwall, der das Gitarrensolo aus der Poser-Peinlichkeit des Heavy Metal herauslöst und es im schrammligen Indie-Rock etabliert. Auf großen Zuspruch stößt das Trio auch nach dem Debütalbum "Dinosaur" selten. Doch der Plan geht trotzdem auf: "Es war uns egal, ob jemand zuhörte. Wir waren da, um Menschen zu attackieren", erinnert sich Mascis lakonisch. "Keine Ahnung warum alle denken, dass Musik machen Spaß ist. Bei uns ging es nicht um Spaß. Musik war uns sehr wichtig, darum haben wir es gemacht."

War der Spaßpegel schon meistens überschaubar, so klappte anfangs wenigstens noch die interne Kommunikation. Spätestens beim Album "Bug" kochten die internen Spannungen zwischen Mascis und Barlow dann über. Mit der Gelassenheit des Alters reflektieren die Musiker diese für die Band unglückliche Zeit - Mascis feuerte zuerst Barlow, in den 90ern dann auch Murph. Auf boulevardeske Details wie Kurt Cobains Bitte, Mascis möge als Drummer bei Nirvana einsteigen, verzichtet Reichenheim aus naheliegenden Gründen, was dem Fokus des Films zugute kommt.

Bereichernd für das Verständnis der speziellen Bandchemie sind auch die befreundeten Musiker, die Reichenheim in Szene setzt: Henry Rollins, Bob Mould und Thurston Moore teilen ihre Eindrücke der drei Dinos als Wegbegleiter. Sonic Youth-Chanteuse Kim Gordon bringt es wahrscheinlich auf den Punkt: "Dinosaur Jr. strahlten immer aus, dass man sich sehr nahe steht, sich aber nie berührt."

"Freakscene", Autor und Regie: Philipp Reichenheim. Mit J Mascis, Lou Barlow, Murph, Henry Rollins, Kim Gordon etc., 80 Minuten, Englisch mit deutschen Untertiteln, Verleih: Rapid Eye Movies.

Fotos

Dinosaur Jr.

Dinosaur Jr.,  | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Dinosaur Jr.,  | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Dinosaur Jr.,  | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Dinosaur Jr.,  | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Dinosaur Jr.,  | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Dinosaur Jr.,  | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Dinosaur Jr.,  | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Dinosaur Jr.,  | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Dinosaur Jr.,  | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Dinosaur Jr.,  | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Dinosaur Jr.,  | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Dinosaur Jr.,  | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Dinosaur Jr.,  | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann) Dinosaur Jr.,  | © laut.de (Fotograf: Simon Langemann)

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