Eine, die es wissen muss, seziert die toxischen Mechanismen der Entertainmentbranche. Ihr Roman: eine bitterböse Milieustudie, verkleidet als Krimi.

Berlin (dani) - Ein Buch nach seinem Einband beurteilen: selten eine schlaue Idee. "Die Plattenbossin" (Eigenpublikation, 344 Seiten, Taschenbuch, 11,99 Euro) führt das wieder frisch vor Augen. Allen, die die fragwürdige Verpackung nicht abschreckt, bietet Corie Emms Roman nämlich beste Unterhaltung auf gleich mehreren Ebenen. "Ist das Kunst oder kann das in die Charts?", erkundigt sich der Untertitel. Ja, gute Frage, eigentlich: Womit haben wir es hier überhaupt zu tun?

Vordergründig gaukelt einem dieses Buch vor, es handle sich um einen Krimi. Der zugrunde liegende Plot gerät allerdings recht dünn: Titelheldin Finnya Staiger, in leitender Position bei einem großen deutschen Musiklabel tätig, muss für einen Kollegen einspringen: Sie soll eine aufstrebende Newcomerin bei einem wichtigen Fernsehauftritt betreuen. Ein Routinejob, sollte man meinen, doch natürlich laufen die Dinge von Beginn an konsequent aus dem Ruder.

Erst verschwindet der Schoßhund des gehypten Sternchens, dann die Künstlerin selbst. Alle Versuche, ihre Abwesenheit zu verschleiern, führen von einer bescheuerten Situation in die nächste. Die Verkettung der Ereignisse strebt dermaßen unaufhaltsam ihrem hysterischen Höhepunkt entgegen, dass beinharten Genrefans die Handlung wahrscheinlich zu absehbar erscheint.

Jesses, was für ekelhafte Gestalten!

Die Story verkommt aber ohnehin zur Nebensache. Dieses Buch kreist in erster Linie um die Charaktere, die es bevölkern - und Jesses, was für ekelhafte Gestalten sind da dabei! Der großmäulige Aufsteiger, der sich beim Chef einschleimt, fließend Marketing spricht, die Drecksarbeit jedoch auf andere abwälzt. Der beflissene, noch nicht vollkommen desillusionierte Praktikant, der dem Ende seiner Probezeit entgegenzittert. Die ehrgeizige Karrierefrau, die ihren Idealismus zusammen mit ihrer Weiblichkeit im Wandschrank versteckt, um im testosterontriefenden Herrenwitzel-Club überhaupt mitspielen zu dürfen. Die unbedarfte, aber ambitionierte Newcomerin, die gnadenlos verheizt wird, und ihr aufgeblasener Wichtigtuer-Lover.

Der Manager, Typ hängengebliebener Hippie, der im Grunde für alle das Beste will, mit den modernen Zeiten aber nicht mehr so recht Schritt halten kann. Genau so abgehängt, aber ungleich unangenehmer: Der alternde Showmaster, dem die Stielaugen schier in die Dekolletees seiner weiblichen Gäste fallen. Noch widerlicher: Der Senderchef, der sich qua Position befugt fühlt, sich nicht aufs Gaffen zu beschränken. Obendrein die Mitarbeiter*innen, die aus Angst um ihren Job auch noch das mieseste Verhalten deckeln ... man weiß kaum, wem man zuerst auf die Schuhe kotzen möchte.

Der "High Fidelity"-Effekt

All dieses größtenteils wenig sympathische Personal kommt einem komplett überzeichnet vor, alle wirken wie wandelnde Klischees. Dieser Eindruck hält sich allerdings nur so lange, bis einem Nick Hornbys "High Fidelity" in den Sinn kommt. Da dachten auch alle, die Nerds, die dort im Plattenladen herumhängen, seien Karikaturen - mit Ausnahme von Menschen, die in Plattenläden arbeiten. Die nämlich wussten: Diese Sorte Typ ist GENAU SO.

"Die Plattenbossin" funktioniert sehr ähnlich: Wer je ins unglamouröse Backstage der Unterhaltungsindustrie geschaut hat, weiß, dass im stinkenden Sumpf hinter der glitzernden Fassade genau diese Typen wohnen. Sie mögen noch so sehr wie ihre eigenen Zerrbilder erscheinen, aber: Solche Leute, und davon nicht gerade wenige, gibt es in der Musikindustrie wirklich.

Ähnlichkeiten "rein zufällig"

Kaum jemand weiß das genauer als die Autorin - weil sie die Branche in- und auswendig kennt: Corie Emm arbeitete jahrelang für kleine, größere und ganz große Labels und betreute Künstler*innen bis hin zur Größenordnung von Moby und Depeche Mode. Der obligatorische Disclaimer im Buch kann gerne dreimal behaupten, Ähnlichkeiten der Charaktere mit real existierenden Personen seien rein zufällig. Ich wette dennoch, dass Corie Emm beim Schreiben zu jeder einzelnen ihrer Figuren eine Vorlage aus Fleisch und Blut im Sinn hatte und sich die eine oder andere Anekdote haargenau wie beschrieben zugetragen hat.

Sie hat ohnehin Glück, dass ihr Roman längst erschienen war, als die entsprechende "Wetten, Dass..?"-Folge über die Bildschirme flimmerte: Kein Mensch würde ihr anderenfalls glauben, dass sie für die Begegnung zwischen ihrem schmierigen Talkshowmoderator Thorsten Herrwitz und der jugendlichen Lady Gaga-Kopie Miss Plem Plem in ihrem Buch NICHT einfach die Realität kopiert hat.

Milieustudie im Krimi-Kostüm

Machen wir uns nichts vor: "Die Plattenbossin" tarnt sich vielleicht als Krimi. In Wirklichkeit handelt es sich nicht um eine Räuberpistole, noch nicht einmal um Mediensatire. Viel mehr haben wir es, ausstaffiert mit allerlei Klamauk, mit einer astreinen und zudem bitterbösen Milieustudie zu tun. Corie Emm beschreibt die Branche so klarsichtig, dass es schmerzt. Gnadenlos legt sie einen ekligen Zug nach dem anderen auf den Seziertisch. Es geht um prekäre Arbeitsbedingungen, um Einschüchterung, Übergriffe und Missbrauch. Es geht um Drogenkonsum. Es geht um erbarmungsloses Ausnutzen von Träumen und Abhängigkeiten.

Es geht um Druck, Stress und nackte Angst, um die toxischen Mechanismen, die beileibe nicht nur die kleinen Lichter, sondern auch die hohen Tiere im Geschäft fest im Würgegriff haben. Vor allem aber geht es um die alles durchdringende Misogynie und darum, wie viel Kraft, Nerven und Opferbereitschaft es Frauen kostet, in diesem Meer von Machismo nicht abzusaufen. Oder, wie die Protagonistin es treffend formuliert: "Ach, fuck off ... Das ist doch alles sexistische Kackscheiße, hier!"

Ein fieses trojanisches Pferd

Corie Emm gestattet Einblicke ins Entertainment-Business und offenbart es als genau den lächerlichen, seelenfressenden Affenzirkus, der es IST. Ihr größter Kunstgriff besteht darin, die Realität wie überkandideltes Kasperletheater aussehen zu lassen. Harsche Kritik an den herrschenden Zuständen verkleidet sie als leichteste Unterhaltungslektüre: ein wahrhaft fieses trojanisches Pferd. Wozu der schauderhafte Einband dann auch wieder perfekt passt.

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