Zwischen Rap, Rassismus und Rockerclubs: Seine Biografie steckt voller Ungereimtheiten, erklärt aber ganz gut, warum er tickt, wie er (aus)tickt.

Mülheim (dani) - Wer sich dafür interessiert, wie Manuellsen tickt und warum er regelmäßig derart aus-tickt, dem liefert "König im Schatten" (Droemer Verlag, 264 Seiten, Hardcover, 20 Euro) tatsächlich Erklärungsansätze. Das Buch entpuppt sich dabei als mindestens so widersprüchlich wie seine Hauptfigur. 250 Seiten lang breitet Manuel Twellmann mit Hilfe seiner Co-Autorin Nina Damsch seinen Werdegang aus.

Der Rückblick beginnt vor dem Gerichtsgebäude, in dem über das Strafmaß für drei Watschen entschieden werden soll, die Manuellsen zuvor seinem Kollegen Animus angedeihen ließ. Er endet in der gleichen Szenerie, von der aus der Hauptdarsteller nach der Verhandlung auf seiner roten Harley in den metaphorischen Sonnenuntergang reitet. Dazwischen steckt ein halbes Leben, das reichlich Erzählstoff zu bieten hat.

Im Krieg mit allem und jedem

Manuellsen sorgt auch dafür: Er möchte seine Existenz offenbar mit aller Gewalt im Ausnahmezustand halten. Die Vokabel, die dieses Buch mit weitem Abstand am häufigsten strapaziert, lautet weder "Rap" noch "Rassismus", sie lautet "Krieg". Kaum drei Seiten weit kommt man, ohne dass irgendjemand mit irgendeinem anderen aneinander gerät, und dann: Krieg. Im Ruhrgebiet herrscht Krieg. Zwischen konkurrierenden Rappern, rivalisierenden Rockerclubs, widerstreitenden Geschäftsinteressen, verfeindeten Städten: Krieg. Krieg zwischen einem Mann und seiner Ex, Krieg zwischen einem Mann und dem Stalker seiner Flamme, Krieg auf der Straße, Krieg im Musikbusiness. Krieg, Krieg, Krieg. Dazwischen: "Der wahre König des Deutschrap", so die bescheidene Selbstbeschreibung in der Produktinformation, ein "Krieger", versteht sich. Stets "angeschnallt" (also bewaffnet, die dämlichste Übersetzung von "strapped", die ich je gelesen habe - sagt man das in entsprechenden Kreisen wirklich so?). Allzeit "war-ready". Uff.

Das einzige schwarze Kind weit und breit

Außer von seinen Schritten im Musikgeschäft, seinen Händeln mit Bushido, Animus, Abou-Chaker und diversen anderen unterschiedlich dubiosen Gestalten, seinem Weg zum Glauben, seinen Beziehungen und seiner Verbindung mit den Hells Angels erzählt Manuellsen vor allem von alltäglichem Rassismus. Mit dem sieht er sich schon sein ganzes Leben lang konfrontiert. Seine Erfahrungen als einziges schwarzes Kind weit und breit, adoptiert von einer weißen Familie und (sehr) groß geworden in einem durch und durch weißen Umfeld, entschuldigen die gewalttätige Unbeherrschtheit, für die Manuellsen berüchtigt ist, zwar nicht. Sie erklären aber ganz gut, warum die Lunte dieses menschlichen Pulverfasses gar so kurz ist. Wer wieder und wieder seiner Hautfarbe wegen Türen vor der Nase zugeschlagen bekommt, nicht mitspielen darf und sich zudem noch diffamierend beleidigen lassen muss, der hat tatsächlich jedes Recht der Welt, für sich zu beschließen, sich das nicht länger bieten zu lassen.

Trotzdem erscheint alles sehr schnell äußerst fragwürdig, wenn diese persönliche Grenze, das eigene Urteil darüber, wann es reicht und welche Gegenreaktionen angemessen sind, das Maß aller Dinge sein soll. Egal, welchen "Krieg" Manuellsen da auch zu führen glaubt: Mit Selbstjustiz dürfte er seiner im Grunde ja uneingeschränkt guten Sache, dem entschlossenen Kampf gegen Rassismus, bestenfalls einen Bärendienst erweisen. Um das nicht zu erkennen, wirkt der Mann eigentlich um Welten zu reflektiert.

Die Suche nach Zugehörigkeit

Wer sich allzu oft ausgegrenzt fühlt, sucht nach Gemeinschaft, Rückendeckung, einer Ersatzfamilie, nach Halt. Manuellsen führt das erst in eine jugendliche Straßengang, die "Menace 2 Society" im echten Leben nachspielen wollte. Später findet er zum Islam und - schrägerweise parallel dazu - in die Reihen eines gewalttätigen, rechtsoffenen Motorradrockerclubs. Der Weg erscheint menschlich wie logisch absolut verständlich.

In keinster Weise nachvollziehbar dagegen gerät, dass Manuellsen, um seine widersprüchlichen Aussagen und Entscheidungen für sein Weltbild irgendwie passend zu machen, ganz offensichtlich zweierlei Maß anlegt. Das zeigt sich am deutlichsten in der Beschreibung seines Hells Angels-Lifestyles: Wie eigentlich immer bei reaktionären Männerbünden, geht es da inflationär um "Ehre", um "Treue" und um "Loyalität" unter "Brüdern", für die man "alles" tut, "bis zum Tod". Himmel, hilf!

"Hier kommt das wichtigste, das oberste Gebot der Rockerszene", versucht Manuellsen den Kodex seiner Hells Angels zu erklären. "Die Bruderschaft steht über allem. Es ist eine Mentalitätssache, die die Leute von außen vielleicht nicht verstehen können. Ich kann es auch schwer erklären. Am besten erklärt es vielleicht die zweite Rockerweisheit, von der ich euch bereits erzählte: Die Leute, die diesen Weg nicht gehen, denen kann man nicht erklären, warum man das macht. Und denjenigen, die ihn gehen, denen muss man es nicht erklären."

"Kann man nicht erklären." Stimmt.

Damit macht man es sich ganz schön einfach. Falls dieses Buch trotzdem einen Erklärungsversuch darstellen sollte, ist er grandios gescheitert. Betrachten wir das Ganze von außen - von wo aus auch sonst?

In erster Linie, lerne ich zunächst, geht es bei diesen Motorradclubs angeblich ums Motorradfahren. Dass Manuellsen zum Zeitpunkt seines Einstiegs weder ein Motorrad noch einen Motorradführerschein hatte, sondern gerade mal ein Mofa: Passt - von außen betrachtet - schon nicht wirklich zusammen.

Von außen betrachtet wirkt darüber hinaus das große Gerede von Ehre, Treue und Loyalität in dieser Rockerszene ganz schön dünn. Seiner eigenen Geschichte nach flirtete Manuellsen nämlich erst mit den Angels, fuhr hernach eine Weile bei den mit ihnen verfeindeten Bandidos mit - und wechselte dann (zusammen mit einem ganzen Schwung anderer) wieder Fronten und Farben. Ey, egal, wie gut der Grund dafür gewesen sein mag: unter "Treue bis zum Tod" stell' ich mir etwas anderes vor, als dass man, wenn einem irgendetwas im eigenen Laden nicht passt, halt doch die Jacke vom anderen anzieht.

Einschüchterung und Drohgebaren

Wie genau es einem angeschossenen "Bruder" helfen soll, wenn der ganze Verein im Krankenhaus aufmarschiert und dort wahrscheinlich allen Anwesenden eine Heidenangst einjagt und Ärzt*innen und Pflegepersonal bei der Arbeit stört, erschließt sich - von außen betrachtet - wahrscheinlich niemandem.

Sich stärker fühlen, weil man entweder größer und stärker ist, bewaffnet oder besser bewaffnet als der andere, in der Überzahl, oder weil man sich bei Bedarf jederzeit ein Rudel Schläger zusammentrommeln kann: Von außen betrachtet hat das recht wenig mit Überlegenheit zu tun. Bloß mit Einschüchterung und Drohgebaren. Wirksam? Zweifellos. Sympathisch? Eher nicht. Ehrenvoll? Am Arsch.

In etwa so nahe an Ehre bewegen sich die unentwegt geäußerten Drohungen, diese oder jene Mutter zu ficken. Im übertragenen Sinne gemeint oder nicht, haben die so ins Fadenkreuz genommenen Mamas mit der Sache, um die es geht (meist irgendein nebulöses "Prinzip", schätze ich), in der Regel ja rein gar nichts zu schaffen. So von außen betrachtet.

Wenn der Leitwolf eines Rockerclubs an der Warteschlange eines Schnellrestaurants vorbei hinter die Theke latscht, um sich und seine Jungs (von Mädels ist in diesem Kontext selbstredend weit und breit keine Spur) dort selbst zu bedienen, und keiner traut sich, etwas dagegen zu sagen: Ernsthaft, das wirkt - von außen betrachtet - doch nicht überlegen. Das wirkt wie ganz erbärmliches breitbeiniges Mackertum. Wie nötig müssen die es haben, dass sie sich nicht für ihren Drecksburger und ihre Fritten anstellen können wie jeder anständige Mensch? Solchen Hunger? Die armen Jungs.

Lektion gelernt?

Andere Geschichte, ähnliche Wirkung: Manuellsen fühlte sich - möglicherweise sogar zurecht - von einem Festivalveranstalter unfair behandelt. Der wollte ihn zunächst nicht buchen, weil er den drohenden Ärger fürchtete. (Ach!) Manuellsen quatschte ihn trotzdem breit. Um auftreten zu dürfen, stimmte er sogar für ihn ungünstigen Konditionen zu. Zum Festival rückte er dann mit 200 Rockerfreunden im Schlepptau an (die natürlich niemand zu kontrollieren oder gar abzukassieren wagte) - und bestätigte damit alle Befürchtungen.

"Es sollte einfach ein Statement sein. Dass ein Manuellsen sich nicht für dumm verkaufen lässt, und wer versuchen sollte, mich auszunutzen, der wird schon seine Lektion daraus ziehen." Aus Veranstalterperspektive sag' ich: Jeder Veranstalter, der halbwegs bei Trost ist, sollte seine Lektion daraus ziehen - und Manuellsen halt wirklich nicht mehr einladen.

Zweierlei Maß

Inkonsequent und schwammig wirkt auch die ausschweifende Erklärung, warum sich Manuellsen zwar als Hells Angel durch und durch fühlt, aber trotzdem kein Vollmitglied ist. Darauf komme es nicht an, lese ich, "sondern darauf, was der Mann neben dir bereit ist, für dich zu tun". Wenn es aber wirklich nicht wichtig ist, warum gibt es dann überhaupt eine Unterscheidung in Voll- und andere Mitgliedschaften? Und wenn alle diese "Brüder" wirklich füreinander in die Hölle und zurück gehen, und Manuellsen ist einer von ihnen, warum ist er dann kein Vollmitglied? Überall sonst lautete seine Schlussfolgerung wahrscheinlich: "Weil ich schwarz bin." In sehr, sehr vielen Fällen hätte er damit vermutlich Recht.

Ausgerechnet seine Nicht-Mitgliedschaft in einem Verein, zu dessen Maximen zumindest früher einmal "Keine Affen im Club" gehörte, soll nun keine rassistischen Hintergründe haben? Bei einem Haufen, dessen "Pressesprecher" vor laufenden Kameras von einem "Migrantenproblem" in den eigenen Reihen spricht, und von "denen", bei denen man "anders draufkucken" müsse "als bei deutschen Anwärtern"? Natürlich kann es sein, dass Manuellsen Recht hat und er nicht deswegen kein "richtiges" Mitglied ist, weil andere glauben, bei ihm vielleicht "anders draufkucken" zu müssen. Es wirkt allerdings sehr, sehr zurechtgebogen, damit es nicht seinen eigenen Grundsatz sprengt, sich bloß nichts gefallen zu lassen - und seltsam inkonsequent bei jemandem, dem sonst der kleinste Funke Rassismusverdacht genügt, um aus der Haut zu fahren.

Ein Fall fürs Anti-Aggressionstraining

Dass er eigene Fehler zugibt und sein Verhalten an vielen Stellen durchaus kritisch hinterfragt, ehrt Manuellsen, genau wie seine Offenheit. Es gehört ja doch einiges dazu, zuzugeben, die hochschwangere Freundin um ein Haar mit einem Staubsauger verdroschen und danach kurzzeitig im Wald ausgesetzt zu haben. Ganz egal aber, wie ihn diese Frau vorher getrietzt haben mag: Ein derart unbeherrschter Mann möge sich doch bittebitte nicht zur moralischen Instanz über Gut und Böse aufschwingen und selbstherrlich entscheiden, was vertretbar ist und was nicht. So ein Mann sollte nicht, schlimmstenfalls auch noch bewaffnet, herumlaufen und Recht und Gesetz in die eigenen Hände nehmen. So ein Mann sollte kein König sein, sorry, weder im Schatten noch sonstwo. Für solche Leute wurde Anti-Aggressionstraining erfunden.

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