"Berlin, Techno und der Easyjetset" lautet der Untertitel der Gegenwarts-Geschichte "Lost And Sound". Spex-Autor Tobias Rapp widmet sich in seinen Betrachtungen den "Ritualen des Verschwindens" im Club und betrachtet die ökonomischen Verzweigungen der Partykultur der Hauptstadt.

Berlin (mma) - Von A wie Afterhour zu E wie Easyjetset über M wie MediaSpree bis zum Minimal-Techno-Celebrity Ricardo Villalobos - die Tagcloud auf dem Klappentext zeigt, welch umfassenden Ansatz Tobias Rapp mit "Lost And Sound" verfolgt. Der Ex-taz-Musikredakteur sucht nach einer Fixierung der Zeitgenossenschaft eines urbanen Mythos. Sein Topic ist die Ausgeh- und Feierkultur im Berlin der nuller Jahre.

Zwischen Plattenladen und Dancefloor, zwischen Berghain-Warteschlange und drogensolidarischer Restrealität in der Bar 25 changiert Rapp mit unterhaltsamer Leichtigkeit. Ohne allerdings trotz spürbarer Begeisterung für das Thema in seichte, weil unreflektierte Werbetexterei zu verfallen.

Hedonistisches Utopia

Schon seit der Wende intimer Szenekenner, untersucht er sowohl im Reportagestil vor Ort als auch in Interviews und in subjektiver Reflektion die "größte und wichtigste musikalische Kultur, die Berlin in den letzten 25 Jahren hervorgebracht hat". Dabei geht es ihm explizit um zwei Dinge nicht: die Auflistung von Genre-Größen oder die Betonung einer exponierten Vorreiterstellung elektronischer Tanzmusik im Pop. Rapp richtet seinen Fokus stattdessen auf den subkulturellen Mikrokosmos von Weltrang, der in den letzten fünf Jahren im zentralen Berliner Osten neu gewachsen ist.

Zwischen Alexanderplatz und Oberbaumbrücke prägen heute Clubs wie das Weekend und das Watergate sowie die Afterhour-Institutionen Bar 25 und Club der Visionäre ein neues Bild der Hauptstadt. Auf nur wenigen Kilometern entlang der Spree ist den Clubbetreibern, Partyorganisatoren, DJs und dem Feierpublikum selbst gelungen, ein hedonistisches Utopia mit Strahlkraft für Gäste aus Europa und den USA zu erschaffen. Allen voran steht das in einem ehemaligen Heizkraftwerk untergebrachte Berghain am Ostbahnhof, "die Mitte der Welt".

Clubmeile als Touristenmagnet

Es seien zwei Faktoren, die das Berlin der nuller Jahre zum Epizentrum der weltweiten Techno-Kultur befördert haben: Zum einen habe das Informationspotenzial des Internet für einen Gebrauchstourismus gesorgt. Jeder kann sich mittlerweile in Foren oder Clubguides vorab über die Amüsierpotenziale informieren. Somit ist die selbsttätige Entdeckung der urbanen Möglichkeiten weniger denn je nötig. Zum anderen hat der Preisverfall auf dem europäischen Flugmarkt dafür gesorgt, dass Spanier, Engländer, Italiener und Franzosen für wenig Geld genau an diese In-Places reisen können.

Was genau Berlin nun für Partygänger so viel interessanter als vergleichbare Großstädte macht? Die selbstverschwenderische Kompromisslosigkeit, attestiert Rapp. Nirgendwo sonst sei es so konsequent möglich, vom Mittwochabend bis spät in den Montag hinein durchzufeiern. Nirgendwo sonst fänden günstige Mieten, die niemanden wirklich zum Arbeiten zwingen, liberale Behörden und die Erfüllung einer Sehnsucht, in der das Realitätsprinzip zugunsten des Lustprinzips zeitweilig ausgesetzt ist, an einem Ort zusammen.

Dieser parallelgesellschaftliche Charme hat die Clubs nach einer Erhebung der Berliner Tourismus Marketing GmbH auf Platz zwei der Touristenmagneten befördert – gleich hinter den Museen.

3 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    Da ich selbst als DJ und Clubgänger in dieser Scene aktiv bin habe ich schon ein paar Bücher dazu gelesen.

    Nach "Plus-Minus Acht" von Hans Nieswandt (meiner Meinung nach Enttäuschend weil leider zu oft von Arroganz geprägt) und "Rave" von Rainald Goetz (kultig aber teilweise etwas unverständlich) freue ich mich nach dieser Buchkritik nun auf dieses Buch und habe es mir auch gleich mal bestellt. Ich bin gespannt.

  • Vor 15 Jahren

    Und nicht zu vergessen Laurent Garniers "Elektroschock", das ist echt sehr aufschlussreich.

    Dem Rapp werd ich auch mal ne Chance geben.

  • Vor 15 Jahren

    Hey danke, das Laurent Garnier Buch werde ich mir dann auch mal zulegen.

    Der Mann ist immerhin sowas wie der französische Sven Väth.

    Aber jetzt kommt erstmal der Rapp.