We can be Sheroes, not for just one day: Über rebellische Musikerinnen des Punk und eine vielfältige weibliche Musikszene.

London (ker) - Don't Look Back In Anger: Die britische Musikerin und Musikjournalistin Vivien Goldman blickt nicht im Zorn zurück auf eine männerdominierte Punk-Szene, sondern würdigt stattdessen die vielen grandiosen She-Punks, die eigentlich laut genug waren, um nicht überhört zu werden – mittlerweile aber wieder zu den angeblichen Randerscheinungen neben den Platzhirschen im Punk geschrieben werden. Goldman war selbst Teil der Szene als Mitgründerin der Post-Punk-Band The Flying Lizards.

Die Tochter aus einer orthodoxen jüdischen Familie, deren Eltern aus Nazi-Deutschland fliehen mussten, arbeitete 1976 in London für die damals wichtigen Musikmagazine Sounds, New Musical Express und Melody Maker, als sie und andere Frauen erkennen: "Wenn Frauen ein professionelles, hartes Rock-Set ohne Zugeständnisse an weibliche Stereotype hinlegen, werden sie automatisch als eine Bedrohung wahrgenommen. Sie sind eine Bedrohung für Männer, weil sie die männliche Vorherrschaft in einer Festung herausfordern, die niemals zuvor angegriffen wurde; und sie bedrohen Frauen, die sich eventuell nie eingestanden haben, dass auch SIE auf der Bühne und unter Strom stehen wollen, statt nur passiv ihren Freund dort oben zu bewundern".

Diese Worte schreibt sie in Sounds, es ist eine Art Manifest für die Musikerinnen des Undergrounds: "Unabhängig und streitlustig bis auf die Knochen: Das war die Grundeinstellung der britischen She-Punks, parallel zur angriffslustigen Haltung der Jungs". Über vier Jahrzehnte später erzählt Goldman nun, wie es in der Szene damals brodelte, nicht nur in Europa, sondern auch in den USA und Asien. So lesen wir Spannendes über und in ausführlichen Interviews auch von Mich Dulce aus Manila, die in The Male Gaze spielt, der ersten feministischen Punkband der Philippinen. Hang On the Box war hingegen Chinas erste rein weibliche Punk-Band, und in Japan spielten Bands wie Shonen Knife gegen Geschlechterklischees an.

Goldman schreibt aber auch über Musikerinnen wie Grace Jones, die zwar musikalisch nicht zum Punk gehört, aber wie kaum eine andere eine aggressive Weiblichkeit und Genderrebellion vertritt. In diesem Sinn ist auch sie ein She-Punk, genauso wie Patti Smith oder die New-Wave-Ikone Debbie Harry sowie Rock-Sängerin Chrissie Hynde, die mit ihrer trotzigen selbstbewussten Unangepasstheit Wegbereiterin für eine weibliche Musikszene war.

"Die Rache der She-Punks" ist so trotz sperrigem Untertitel – eine feministische Musikgeschichte von Poly Styrene bis Pussy Rio – weniger akademische Abhandlung, sondern cool erzählte Erinnerung sowie interessantes Kompendium geworden. Vor jedem Kapitel stellt Goldman nämlich eine kuratierte Playlist mit Songs weiblicher She-Punks von den Siebziger Jahren bis zur Gegenwart: Dabei sind bekannte Songs wie "Rip Her To Shreds" von Blondie, "Free Money" von Patti Smith oder "New Find" von Shonen Knife, aber auch deutsche Acts wie Malaria! mit "Geld" sowie unbekanntere Acts wie 7 Year Bitch oder Cherry Vanilla.

So ist das Buch nicht nur eine längst fällige Erweiterung des meist männlich geprägten Kanons und den Best-Of-Listen in der Musikpresse, sondern auch eine Entdeckungsreise in vielleicht bislang noch nicht gehörte Acts aus der weiblichen Underground-Szene, sowie eine Historie der empowernden Musikerinnen von der Riot-Grrrl-Bewegung hin zu Beyoncé mit ihrer Punk-Rolle als Sasha Fierce. Und es ist ein Ausblick wie Appell, die Zukunft der Musiklandschaft endlich weiblicher zu gestalten. So lauten die fast letzten Worte Vivien Goldmans im Buch: "Sisterhood aller Art wird auf jeden Fall helfen. Wirklich, Schwesternschaft rettet".

Vivien Goldmann - Die Rache der She-Punks*

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