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Joachim Hentschel: Zu geil für diese Welt - Die 90er

Worum geht's?

Die 90er-Show auf RTL, 90er-Partys mit Whigfield und die 90er-Hymne von Jan Böhmermann. Uff! Höchste Zeit für die Beantwortung der Frage: Warum sollen wir uns heute überhaupt noch mit den 90er-Jahren beschäftigen? Joachim Hentschel beantwortet diese Frage sehr ausführlich. Das Ende des Jahrzehnts fand nach seiner Meinung am 11. September 2001 statt. Das Ende der gefühlten totalen Sicherheit und auch das Ende einer großen Party, die interessanterweise genau spiegelverkehrt zum Datum des World Trade Center-Attentats am 9.11. mit dem Fall der Berliner Mauer in Deutschland und viel Optimismus beginnt.

Auch wenn das Buch-Cover so quietschig bunt wie das Jahrzehnt selbst aussieht, findet sich darin keine schrille Schreibe, sondern eine wirklich fundierte und unterhaltsame Chronik. Joachim Hentschel war mittendrin in den damals noch noch so wichtigen Print-Redaktionen und den Rave-Partys in Berlin. Auch die große Zeit des Musikfernsehens wird gewürdigt. Wer damals die Call-In-Sendung "Interaktiv" auf Viva schaute wird sich noch an das ständig surrende Faxgerät und die schüchternen Anrufer bei ihren ungelenken Flirt-Versuchen erinnern. Eine naive und bunte Spaßgesellschaft, die in der Person Jasmin Wagner, den meisten als Sängerin Blümchen bekannt, kulminiert.

Den hässlichen Mob vor Flüchtlingsheimen und andere unschöne gesellschaftliche Zustände beschreibt Hentschel ebenso detailliert wie sehr lustige bis schaurige Trash-Momente. Am Ende schließt sich der Kreis, wenn er auf die frühere Viva-Moderatorin Isabel Dziobek trifft, heute Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin. Als sie in New York ihre Doktorarbeit schreibt, ruft ihre Schwester an. Kurz darauf schaut Dziobek auf das keine 500 Meter entfernte World Trade Center, in das gerade ein Flugzeug hinein fliegt. Willkommen im 21. Jahrhundert.

Wer hat's geschrieben

Joachim Hentschel, Jahrgang 1969, der nach eigener Aussage dem Sänger Beck ("Loser") ähnlich sah. Er arbeitete später als Journalist für die Süddeutsche Zeitung, GQ, Rolling Stone, Wired und Business Punk und führte Interviews mit u.a. Robbie Williams, den Fantastischen Vier und Ewan McGregor .

Wer soll's lesen?

Hentschels Jugendfreund Constantin beschreibt die 90er so: "In den 90ern hat man das Neue gefeiert. Seit der Jahrtausendwende wird ständig das Ende von irgendwas beklagt." Frustrierte Ü-30er stimmen nach der Lektüre vielleicht zu und schaffen zusammen mit ihren Kindern eine hoffnungsvollere Zukunft oder lernen zumindest aus den Fehlern der Vergangenheit.

Das beste Zitat:

"2010 erzählte mir ein Hamburger Musikproduzent bei einer Tasse Kaffee, Jasmin Wagner habe auf keiner einzigen Blümchen-Studioaufnahme selbst gesungen. Ein Gerücht, das falsch oder wahr sein kann. Das Schönste daran: Es macht keinen Unterschied. Im Gegenteil: Wenn Blümchen wirklich auf keiner ihrer Platten gesungen hätte, wäre ihre Geschichte als virtuelle, multifunktionale Popkulturblume sogar noch ein bisschen perfekter."

Wertung: 4/5. Text von Rinko Heidrich

Zu Geil Für Diese Welt: Die 90er - Euphorie und Drama eines Jahrzehnts, Joachim Hentschel Verlag Piper, 320 Seiten, 15 Euro

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