Seite 16 von 23

Nick Cave "Mercy On Me"

Worum geht's?

Wo endet die Kunstfigur und beginnt der Mensch? Eine Frage, die bei Nick Cave besonders interessant ausfällt, macht sie einen wesentlichen Teil seiner Musik, oder besser, seiner Kunst, aus. Schwierig, sie zu beantworten, hat sich diese Grenze im Laufe seiner Karriere immer wieder verschoben. Diese Graphic Novel macht sich auf die Suche. Konsequent in Schwarzweiß gehalten, steht Cave immer wieder den Opfern seiner Gewaltphantasien gegenüber, ob Elisa Day (Kylie Minogue), die er bei den wild wachsenden Rosen am Fluss erschlägt, dem arg misshandelten Euchrid Eucrow aus seinem ersten Roman "Und Die Eselin Sah Den Engel" (1989) oder dem Namenlosen, der in "Mercy Seat" die Todesstrafe erlebt.

Dazwischen erfährt man Biographisches, die Jugendjahre im australischen Kaff Warracknabeal, der Umzug mit seiner Band The Birthday Party nach London Ende der 1970er Jahre, der Erfolg mit seinen Bad Seeds ab 1984 und Caves Jahre im geteilten Berlin, wo er mit Blixa Bargeld von Einstürzende Neubauten seinen ersten genialen musikalischen Partner fand. Den gelungenen Schluss bietet eine wilde Fahrt nach Genf (bzw. in die Apokalypse) an der Seite des Blues-Musikers Robert Johnson, frei nach dem Song "Biggs Boson Blues" (2014). Der furchtbare Tod von Caves Sohn im Sommer 2015 kommt nicht zur Sprache, was durchaus verständlich ist: Die Brutalität des Ereignisses liegt weit jenseits der Grenze zwischen Kunstfigur und Mensch.

Wer hat's geschrieben?

Ein Meister seines Fachs. Der Wahlberliner hatte schon 2006 mit "Cash – I See A Darkness" ein beeindruckend bebildertes Werk vorgelegt. Diesmal übertrifft er sich selbst. Die Story funktioniert auch ohne Zeichnungen, doch würde ein wesentliches Element fehlen. Ein Buch, das man sich immer wieder vornehmen kann. Mit der Gewissheit, jedes Mal etwas Neues zu entdecken, wie auch bei den Platten Caves.

Wer soll's lesen?

Fans des Australiers, zweifellos. Freunde herausragend gestalteter Graphic Novels. Alle, die ein Interesse an Kreuzberg und dessen Szene vor dem Mauerfall haben. Und Cave selbst: Bei seinen Konzerten im Herbst 2017 lag das Buch am Merchandising-Stand aus.

Das beste Zitat:

Ist in diesem Fall eine Sequenz. Cave hämmert im Zimmer seiner Berliner WG auf seine Schreibmaschine ein, die ein monotones "Tac Tac Tac" von sich gibt. Das Geräusch bildet die Verbindung zur trostlosen Phantasiewelt, in der Euchrid Euchrow, das degenerierte Ergebnis mehrerer Generationen von Inzucht, leidet. "Willst du den Sound einfangen, der in deinem Kopf tobt? Die Kakofonie zähmen und in Musik verwandeln?", fragt Euchrow seinen Peiniger Cave. Und erklärt somit das Wesen seines Schaffens.

Nick Cave: Mercy On Me*, Reinhard Kleist, Carlsen, 328 Seiten, 24,99 Euro.

Wertung: 5/5. Text von Giuliano Benassi

Wer ein Exemplar gewinnen will, schreibt mit dem Subject "Mercy On Me" und der vollständigen Postadresse an gewinnen@laut.de.

Wenn du über diesen Link etwas bei amazon.de bestellst, unterstützt du laut.de mit ein paar Cent. Dankeschön!

Seite 16 von 23

Weiterlesen

1 Kommentar mit 5 Antworten