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Benjamin von Stuckrad-Barre - "Panikherz"

What's the story, Stuckrad-Barre? Wie aus dem Off knallte uns der Held der so genannten deutschen Popliteratur der ausgehenden 90er Jahre im Frühjahr sein neues Buch "Panikherz" vor den Latz. Thema: Udo Lindenberg und er. Der Deutschrocker mit Hut und Sonnenbrille und der Oasis-Die-Hard-Fan haben viel gemeinsam: Sie schwammen früh auf einer Welle des Erfolgs und wurden danach ordentlich von ihr durchgeschüttelt.

So ist "Panikherz" knapp 600 Seiten schonungslose Selbstabrechnung, rockstargerechte Einlieferung in Entzugskliniken inklusive. Eine präzise Beschreibung des Höllenritts, der wohl auf jeden wartet, der die unsichtbare Trennlinie aus sozial geduldetem Drogenkonsum und Sucht überschreitet. Es ist ein hässliches, schäbiges, bemitleidenswertes Leben, daran lässt Stuckrad-Barre keinerlei Zweifel. Er seziert die knallharte Logik der Sucht, wie sie einen vereinnahmt, zu täglich minutiöser Routine und den Abhängigen somit letztlich eben genau zu jenem Spießerleben zwingt, gegen das zu rebellieren man sie in erster Linie eingenommen hat.

Selbst wenn seine Droge nicht Heroin ist und obwohl er Stuckrad-Barre heißt und, das verwundert dann doch auch, mit der Kreditkarte tatsächlich über Jahre täglich ganz easy, wie Udo wohl sagen würde, Unsummen für die eigene Sucht aus dem Bankautomaten abzuheben imstande ist. Besonders des Autors Talent, absurde wie tragische Augenblicke mit viel Humor und Selbstironie zu erden, lässt einen auch unappetitliche Passagen locker überstehen.

Vor der Freundschaft zwischen den beiden steht eine gehässige Album-Rezension des damaligen Rolling Stone-Autors, für die Stuckrad-Barre erst nach einigen Jahren Vergebung erfährt. Dank seiner Lindenberg sicher schmeichelnden Udo-Werkkenntnis bekommt er bald Zutritt zum engeren Zirkel, der tatsächlich unter dem Terminus "Panikfamily" firmiert. In seiner Suite im Hotel Atlantic betrachtet der Sänger sein Gegenüber und weiß gleich Bescheid: "Und sonst so, liegst ziemlich in der Kurve im Moment, hm? Ganz schön speedy unterwegs, Schleuderkurs, kann jedem mal passieren. Alles schlucken, mehr so nach der Mengenlehre." Danach schleift er den Autor zu seinem persönlichen, der Panikfamily zugehörigen Arzt, dem "Panikdoktor": "Hier, das ist ein verlorener Sohn des Hauses, bisschen runter mit den Nerven und so, Vollgaslifestyle, der braucht mal ne Gelbe. Oder vielleicht auch gleich drei."

Doch alles wird gut, Stuckrad-Barre clean, er besucht mit Thomas Gottschalk ein Brian Wilson-Konzert und trifft Campino wieder, den er einst als "Robert Blanco des Bierdosenpunk" titulierte. Rammstein-Gitarrist Kruspe begegnet er am Strand von Malibu, um eine alte Drogengeschichte aus der Welt zu schaffen. Tolle Momente. Dann sieht er ein Noel Gallagher-Konzert in L.A. und vermisst den Druck der Jugend, das völlige Sich-Fallenlassen. Pop ist eben auch eine Altersfrage. Und weil der Rausch der Nacht für ihn vorbei ist, geht Stuckrad-Barre heute lieber zeitig ins Bett.

Benjamin von Stuckrad-Barre, "Panikherz", Kiepenheuer & Witsch, 576 Seiten, 22,90 Euro. Wertung: 5/5.

Wir verlosen drei Exemplare des Buches. Schreibt eine Mail mit dem Betreff "Exzessor" an gewinnen@laut.de.

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1 Kommentar

  • Vor 7 Jahren

    tja. ich mochte seine sendung. insbes wegen feldenkirchen und blome. Läuft die eigentlich noch? ich mag ihn eigentlich auch. Ich habe sogar die "rohstoff" fassung mit seinem sehr sehr gelungen abgesang auf den legendären jörg fauser. panikherz will ich eigentlich auch lesen... aber warum zur hölle lindenberg?? lindenberg hätte schon vor 26 jahren mehrere mit der baseball-keule verdient :damn: :frapp: