Seite 13 von 27

Heinz Rudolf Kunze "Schwebebalken: Tagebuchtage"

Öh ... ja. "Schwebebalken: Tagebuchtage" lässt komplett ratlos zurück, außerdem mit dem unerfreulichen Gefühl, dass Heinz Rudolf Kunze genau das im Sinn hatte: seinen Lesern den Gedanken einzuimpfen, dass sie möglicherweise schlicht zu doof sind, um seinen geistigen Höhenflügen folgen zu können. Ich habe jedenfalls nicht den Hauch einer Ahnung, was dieses Buch darstellen soll oder will. Soll das ein Roman sein? Eine Gedichtsammlung? Ein Traumjournal? Lyrische Fingerübungen, die - wenn man Glück hat - irgendwann in einen Songtext münden? Tatsächlich Tagebucheinträge? Ein bisschen von allem? Nichts von alledem?

Keinen Schimmer. Dieses Buch reiht, jeweils mit einem Datum versehen, kurze Texte unterschiedlichster Art aneinander. Handlung, Zusammenhang, auch nur die Fluse eines roten Fadens gibt es nicht. Einzige Konstante: Hier schreibt jemand, der sein Instrument, die Sprache, virtuos beherrscht. Kunze spielt mit Bedeutungen und Mehrdeutigkeiten, hinterfragt, verdreht und unterwandert Sprech- und Lesegewohnheiten ganz meisterhaft. Er lässt aber zugleich keinen Zweifel daran, dass er selbst selbstredend am allerbesten um sein Talent weiß und es entsprechend zur Schau stellen muss.

Das wirkt ein wenig anstrengend, ja, ließe sich aber aushalten, kennzeichnete dieses Buch nicht die völlige Abwesenheit von Liebe. Nirgends keimt auch nur der Hauch eines positiven Gefühls. Kunze schimpft, nölt und nörgelt sich durch seine Ergüsse, als hasse er nicht nur die Welt, die Dummheit der Menschen, Mitläufertum, Schlager, Hip Hop und Popmusik, Hitler, die AfD, Diedrich Diederichsen, Helene Fischer und alle anderen, sondern am erbittertsten sich selbst. Schade eigentlich, so schrieb schon Paulus an die Korinther: "Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle."

... und, ja, ich habe wohl bereits davon gehört, dass die Person des Autors mit den Gestalten, die seine Bücher bevölkern, nicht identisch sein muss. Hinter seinen Figuren kann man sich jedoch prima verstecken. Man kann Ansichten ausbreiten, die man heutzutage angeblich nicht mehr haben und schon gar nicht äußern darf. Wenn sich jemand - mit Recht oder ohne - aufregt, kann man gefahrlos zurückrudern: Haha. Alles nur Literatur, du Dummerchen! Trotzdem: "Selbstbildnis mit Lorbeerkranz"? "Ich bin ein privilegiertes bürgerliches Arschloch. Mit pseudolinkem Gehabe und reaktionärem Innenleben, das ich vor mir selbst als wahrhaft fortschrittlich im Sinne von wertkonservativ, also im positiven Sinne bewahrend maskiere." In diesem Ton fährt das Lamento noch eineinhalb Seiten lang fort und mündet dann in der süffisanten Frage: "Na? Wer fühlt sich angesprochen?" Na, ICH nicht! Vielleicht doch Sie selbst, Herr Kunze?

Heinz Rudolf Kunze, "Schwebebalken: Tagebuchtage", Aufbau Taschenbuch, 268 Seiten, 14,99 Euro. Wertung: 1/5.

Seite 13 von 27

Weiterlesen

Noch keine Kommentare