Autor Jim Ruland über die 40-jährige Karriere der Punk-Legenden: Denken muss das Publikum noch selbst.

Los Angeles (rnk) - Regen, immer wieder Regen. Seit einer Woche. Die Stimmung im Pfadfinderlager 1992, irgendwo in der norddeutschen Pampa, könnte kaum schlechter ein. Das Essen, meist Nudeln mit einer undefinierbaren Sauce aus unbekannter Herkunft, schmeckt einfach nur ekelhaft, und die Zelte laufen bis zur Nase mit Schlamm voll. Wie ich diesen verdammten Ort hasse und mit Todesverachtung durch den aufgeweichten Boden zum Dixi-Klo stampfe. Vor dem ekelerregenden Ort, bei dem nicht klar ist, ob nun Fäkalien oder Matsch aus der Latrine fließen, blinzeln die Jugendlichen missmutig aus den übermüdeten Augen.

Was uns alle in diesem Moment eint: Die Band-Shirts. Neben dem üblichen Nirvana-Smiley und ein paar Metal-Motiven fällt mein Blick immer wieder auf ein durchgestrichenes Kreuz. Als elfjähriger Provinz-Trottel und gottesfürchtiger Messdiener aus Siegen frage ich allen Ernstes in die Runde, ob das irgendwas mit Satanismus zu tun hat und sorge damit bei allen anderen für den ersten großen Lacher auf meine Kosten. Besser wurde die Stimmung in diesem gottverdammten Lager nicht mehr.

Heute weiß ich natürlich, dass es sich um das Logo der kalifornischen Punk-Band Bad Religion handelt. Das ikonische und kontroverse Motiv landete am Schluss doch nicht auf dem Front-Cover von "Die Bad Religion Story" (Hannibal Verlag, broschiert, 352 Seiten, 25 Euro), aber immerhin auf der Rückseite taucht das wohl bekannteste Punk-Logo der Welt auf.

Das Kreuz mit dem Kreuz

Das durchgestrichene Kreuz erfährt bereits zu Anfang fast mehr Bekanntheit als die Musik selbst und erfreut sich gerade in der frühen 80er-Graffiti-Szene großer Beliebtheit. "Die Tiefsinnigkeit des Logos spricht die Leute auf eine intensive psychologische Art und Weise an. Es ist nur nicht nur einfach und eindringlich, sondern auch ein Weckruf", erklärt Sänger Greg Graffin.

Graffins philosophische Ansichten und der Instinkt von Gitarrist Brett Gurewitz prägen seit jeher das Geschick der kalifornischen Punks, denen substanzielle Gesellschaftskritik und Philosophie stets wichtiger als dumpfe Dosenbier-Hymnen waren. Oder wie es Autor Jim Ruland im allerletzten Satz des Buches schreibt: "Seit fast 40 Jahren fordern Bad Religion ihr Publikum dazu auf, für sich selber selber zu denken. Dadurch machen sie die Welt zu einem intelligenten Ort. Textzeile für Textzeile und Hörer für Hörer."

Progrock und Prügeleien

Die Abspaltung vom dumpfen Teil der Szene beginnt schon relativ früh zu Anfang der 80er. Wo die Hollywood-Punks im zentralen Teil von Los Angeles eher aus linken Künstlern besteht, trifft man in den Außenbezirken gewaltbereite Schläger. Nazi-Ideologie und zunehmende Homophobie unterwandert die Szene immer mehr, nicht selten kommt es zu Gewalt-Exzessen auch außerhalb der Konzerte.

Eine Attitüde, die den Bad Religion-Mitgliedern sehr missfällt und sie noch mehr darin bestärkt, nichts mit dumpfen Hardcore-Brutalos und ekligen Schwulenhassern gemein haben zu wollen. Auch der musikalische Background ist ein anderer, denn ganz unpunkmäßig sind die Musik-Nerds Brett und Greg große Fans von Progressive Rock. "Manchmal kamen Jungs zu uns rüber um über Punkrock zu labern und wir nickten nur mit dem Kopf. Sobald sie dann abgezogen waren, unterhielten wir uns wieder über Emerson, Lake und Palmer."

Hey sit down and listen...

Nach dem rauen Debüt "How Could Hell Be Any Worse?" und dem missglückten Nachfolger "Into the Unknown" bricht die Band allerdings erst einmal auseinander. Brett beschreibt den Anfang seiner Drogensucht in Kokain, während Greg für sein Studium zwar spannende Expeditonen nach Bolivien unternimmt, aber 3.000 Meter über dem Meeresspiegel nicht nur die Eingeweide rauskotzt, sondern in der Isolation wieder Lust auf seine inaktive Band bekommt.

Beide lernen aus ihrer Erfahrung. Drogen bleiben erst einmal passé und Greg Graffin kommt doch noch mit einer positiven Erkenntnis aus dem Südamerika-Trip nach Hause: "An der Uni begann ein neuer Abschnitt für mich und ich wollte keine Songs mehr ohne intellektuellen Anspruch schreiben."

Schon hier in der Mitte des Buches - die Anfangszeit bekommt einen langen Teil eingeräumt - kann man feststellen: Bad Religion sind keine prolligen Sauf-Punks wie The Exploited, sondern reflektierte Intellektuelle, die trotzdem großen Spaß an der Direktheit der Punkmusik haben.

In kurzer Zeit ist das dritte und wegweisende Album "Suffer" eingespielt und gibt der stagnierenden Punk-Szene der End-80er wieder den nötigen Energie-Stoß. Zu dieser Zeit entwickelt Brett auch ein Können an den Reglern, auf das später Bands wie NoFx, Rancid und Millencolin zurückgreifen.

Kurz vor der Veröffentlichung von "Suffer" spielen Bad Religion zusammen mit L7 nur vor einer Handvoll Menschen. Doch genau wie "Bleach" von Nirvana wirft es einen großen Schatten auf das kommende Jahrzehnt. Durch die guten, wenn auch nicht übertrieben hohen Verkäufe, nimmt die Karriere der Band, die schon als aufgelöst galt wieder an Fahrt auf. Brett erinnert sich: "Ich war trocken, clean und motiviert. 'Suffer' verkaufte sich gut und ich nahm kontinuierlich Bands unter Vertrag, von denen jede erfolgreicher war als die vergangene ..."

Groß in Germany

Den wohl besten Tipp ihrer Karriere bekommen Bad Religion von einem betrunkenen Mitglied der Band Scream: "Ihr müsst nach Europa!". Der Tipp ist später noch wortwörtlich Gold wert. Der besoffene Zukunftswissende, den die Band noch zuvor hackedicht auf die Bühne holen musste, hörte übrigens auf den Namen Dave Grohl und der weiß ja immer Bescheid.

Tatsächlich ist gerade die Resonanz in Deutschland besonders groß, wo Bad Religion schon lange vor dem Erfolg in den USA immer wieder in den vorderen Charts-Regionen auftauchen. Die Deutschlandtour erweist sich trotz der Sprachbarrieren als großer Erfolg. Hallen von bis zu 3.000 Menschen werden ausverkauft, viele Interviews gegeben und ein Kamerateam begleitet die Tour. "Wir wurden wie Könige hofiert. Die Leute dort gehören zu den besten Fans der Welt", erinnert sich die Band. Bassist Jay ist sich sogar sicher: "Das gab den Ausschlag! Wenn wir diesen Sommer nicht nach Europa geflogen wären, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir weiter gemacht hätten."

Die Kinder der Revolution

Der melodische Punk von Religion führt die Band selbst zu Achtungserfolgen und Chartsplatzierungen in Europa, aber ausgerechnet das Epitaph-Label von Brett bringt in den 90ern die noch erfolgreichen Nachfolger aus den eigenen Reihen hervor. The Offspring und Rancid sind gleichzeitig härter, aber noch melodiöser. "Dookie" von Green Day knackt mit Hits wie "Basket Case" endgültig weltweit den Mainstream. Den Grund für den Erfolg sieht der analytische Greg aber nicht bei den Bands, sondern in der zunehmenden Akzeptanz. "Es gab eine neue Generation an Kids, die sich aggressive Musik wünschte. Es gab einen kulturellen Umschwung, aus dem Bands Kapital schlagen konnten." Der intellektuelle Anspruch und komplexe Themen verschwinden in der neuen Form von poppigen Punk-Melodien, von denen Brett mit seinem Label profitiert und die zu einer Entfremdung mit der Band führt. "Epitaph war inzwischen irre erfolgreich. Ich musste also gar nicht mehr in einer Band spielen."

Das neue Amerika und der alte Sound

Der Status der Band ist trotz des Ausstiegs so groß, dass sie zu Zeiten von "The Gray Race" mit Pearl Jam vor 100.000 Menschen spielen und für mit Ric Ozarec, der zuvor das Debüt von Weezer produzierte, einen Star-Produzenten gewinnen können. In Deutschland landet der "Punk Rock Song" sogar auf Platz sechs in den Charts. Das alles, ohne von dem politischen Inhalt abzuweichen, oder - wie Kritiker eventuell nicht zu Unrecht feststellen - den Sound weiterzuentwickeln. Beides Faktoren, die dazu führen, dass der ganz große Reibach wie bei Green Day ausfällt, aber auch nicht deren zweifelhafter Weg zur Radio-Musik folgt. Das glatte Album "The New America" mag hingegen nicht einmal Edel-Fan Fat Mike von NoFX. Autor Jim Ruland beschreibt diese Phase, wie vieles in dem Buch, mit wohlgemeinten Worten und als Fan, aber hakt dieses Kapitel schnell ab.

Gottes Gewalt und Bretts Beitrag

"Sorrow", ein Song über den gottesfürchtigen Hiob aus dem Alten Testament, kündigt das Album "Process Of Belief" an. Der unglücksselige Frömmler, den ein bösartiger Gott ständigen Prüfungen aussetzt, ist der Mittelpunkt des Liedes, was für einen Punkrock-Song sehr spirituell daher kommt und von dem sich Brett eine Sogwirkung wie "Imagine" von John Lennon erhofft.

Der Track wird gerade final im Studio abgemischt, als der Terror-Anschlag am 11. September 2001 das neue Jahrzehnt frappierend verändert. Der eigentlich hoffnungsvolle Song inmitten des Schmerzes wird somit die Comeback-Single. Auch sonst steht alles im biblischen Gleichnis von Vergebung. Bad Religion kehren zurück zu Epitaph, der verlorene Sohn Brett nimmt die Gitarre wieder in die Hand.

Bassist Jay Bentley vergleicht in dem Buch die Arbeit an "Process of Belief" sogar mit "Suffer", das die Band schon einmal zurück auf die Landkarte brachte. Die Präsidentschaft von George Bush jr. und die zunehmende Politisierung nach dem Spaß-Jahrzehnt der 90er spielt der Band ebenfalls in die Karten. Auch der Spaß an dem Experiment ist da, so fügt Underground-Rapper Sage Francis einen Rap-Part zu "Let Them Eat War" hinzu.

Die Band ist mittlerweile längst eine Institution des Punkrock und hat mit wegweisenden Alben wie "Suffer" und energischen Spät-Alben wie "True North" ihren Platz unter den Legenden sicher. Da Bullshit in Politik, Gesellschaft wie auch in der Punk-Szene nie aus der Mode kommt, bleibt politischer Punk immer relevant. Fans bekommen hier fast schon zu viel Infos, die immer wieder den leichten Lesefluss stören. Aber wer verbindet mit Bad Religion schon einfache Messsages? Eben. Wer noch tiefer in die Gedankenwelt von Dr. Greg Graffin eintauchen möchte: Sein Buch "Anarchie und Evolution: Glaube und Wissenschaft in einer Welt ohne Gott" sollte jeder interessierte Fan gleich mitbestellen.

In diesen Tagen kommt "Faith Alone" von "Against The Grain" noch einmal neu raus. Dieses Album brachte mich damals als junger Teenie endgültig dazu, mit den Dogmen der Kirche zu brechen und einen selbstbestimmmten Weg einzuschlagen. Danke dafür, Bad Religion!

Die Bad Religion-Story*

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Fotos

Bad Religion

Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © laut.de (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen) Bad Religion,  | © Björn Jansen (Fotograf: Björn Jansen)

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