2. November 2018

"Es sind ziemlich wenige Muschis an den Wänden"

Interview geführt von

Neonschwarz setzen mit ihrem dritten Album "Clash" ein Zeichen gegen den erstarkten Rechtspopulismus und für mehr Weiblichkeit - auch an Toilettenwänden.

Während die Mehrheit im Herbst 2014 noch in wohliger Erinnerung an den erfolgreichen, bunten WM-Sommer schwelgte, riss die rechtspopulistische AfD bereits in Sachsen, Thüringen und Brandenburg die Fünfprozenthürde. Neonschwarz hielten die Entwicklung fest im Blick und veröffentlichten mit "2014" eine erste Bestandsaufnahme der Verhältnisse auf ihrem Album "Fliegende Fische".

Vier Jahre später entert die selbsterklärte Alternative mit den Wahlen in Bayern und Hessen auch die letzten beiden Länderparlamente. Mit ihrem dritten Album "Clash" verpflichtet sich die Hamburger Band zur Gegenwehr. Anlässlich der Veröffentlichung stehen Marie Curry und Johnny Mauser Mitte Oktober für ein telefonisches Interview bereit, um über den politischen Status Quo Deutschlands, Dendemann und Kollegah, Feminismus und ihrem Wunsch nach gesellschaftlichem Widerstand Rede und Antwort zu stehen.

Die Landtagswahl in Bayern liefert einen passenden Aufhänger. Überwiegt bei euch die Freude über das CSU- oder der Ärger über das AfD-Ergebnis?

Johnny Mauser: Grundsätzlich ist das natürlich kein Grund zur Freude, weil die CSU-Positionen teilweise AfD-nah sind. Wenn man dann zusammenrechnet, sind es schon relativ viele Menschen, die sehr rückwärtsgewandten Positionen zustimmen.

Marie Curry: Schön wäre es ja, wenn das dazu führt, dass Horst Seehofer endlich zurücktritt, aber der bleibt weiter stur, wo er ist. Ich weiß auch nicht, was passieren muss, damit er zurücktritt. Im Vorfeld wurde auch befürchtet, dass die AfD noch mehr Prozente kriegt, als sie dann tatsächlich bekommen hat. Deswegen kann man fast schon erleichtert sein, aber 10,2 Prozent sind natürlich trotzdem skandalös.

Als junge, alternative Großstädter würden euch Beobachter politisch in der Nähe der Grünen verorten. Auf "Ananasland" heißt es jedoch: "Grüne wählen und die CDU im Herzen." Welche Sicht habt ihr auf die Partei?

Curry: Natürlich ist es in Zeiten des krassen Klimawandels wichtig, dass es noch eine Partei gibt, die das als erste Priorität auf ihrer Agenda hat und damit so gut abschneidet.

Mauser: Parteipolitisch sind wir ohnehin nicht verankert, aber natürlich stehen uns die Grünen deutlich näher als die CSU. Wenn die Grünen allerdings wie in Hamburg in Regierungskonstellationen am Start waren, haben sie nichts Linkes gezeigt, sondern viele krass konservative Sachen durchgewinkt. Boris Palmer von den Grünen zum Beispiel, der in Tübingen regiert, würde sich mit seinen Positionen, etwa in der Migrationsfrage, eher in der CDU zu Hause fühlen.

In "Ananasland" geht es um die Gentrifizierung. Würdet ihr Sigmar Gabriel zustimmen, der letztes Jahr die Diskussion mit angeschoben hat, dass in den vergangenen Jahren die soziale Frage zu sehr zugunsten "grüner Themen" wie Bürgerrechte und Umweltschutz in den Hintergrund getreten ist?

Curry: Ehrlich gesagt, finde ich gar nicht, dass Umweltschutz ein so großes Thema ist. Es reden einfach alle über Migration, obwohl es viele Leute in ihrem Alltag gar nicht betrifft. Themen wie hohe Mietpreise, die Leute unmittelbar viel stärker betreffen, sind voll klein geworden. Die soziale Frage sollte immer groß geschrieben werden.

Mauser: Wir werden definitiv perspektivisch unter dem Klimawandel mehr zu leiden haben, als darunter, dass Geflüchtete in einer Wohnunterkunft nebenan leben.

Der Feminismus ist auch ein Thema, bei dem ihr tendenziell auf grüner Wellenlänge liegt. Marie, du rufst auch auf Facebook dazu auf, Vaginas an Wände zu zeichnen und dir die Fotos zu schicken.

Curry: [lacht] Ich habe das irgendwann mal gestartet, doch dann ist es ein bisschen eingeschlafen. Jetzt habe ich es wieder aufgewärmt. Im Gegensatz zu Pimmeln sind da ziemlich wenige Muschis an den Wänden. Es gibt ja nicht mal ein Wort dafür, das nicht komisch klingt. Das sagt natürlich viel über die Gesellschaft aus. Es ist ja schon spannend, dass Typen überall Pimmel hinmalen und die Mädels meistens nicht auf die Idee kommen, irgendwo eine Muschi hinzumalen. Da wollte ich mal ein kleines Gegengewicht an den Wänden schaffen.

Mauser: Es hat auch viel mit unserem subkulturellen Umfeld zu tun. Gerade in Backstage-Räumen findet man das männliche Geschlechtsteil erstaunlich viel hingekritzelt. Wir rappen natürlich auch sehr viel darüber, dass gerade im Hip Hop dieses ganze Macker-Ding extrem vertreten ist. In der Hardcore-Punk-Szene ist das nicht viel anders.

Woran liegt es denn, dass das weibliche Geschlecht dem Penis gegenüber unterrepräsentiert ist?

Mauser: Wenn wir es jetzt mal auf den Hip Hop herunterbrechen, hat das vielleicht mit dem Selbstbewusstsein und der Attitüde zu tun. Männer denken wirklich, eine Vormachtstellung zu haben. Frauen haben da nun mal nicht viel zu melden. Deswegen fällt es ihnen auch nicht so leicht, mit dem Rappen oder DJing anzufangen. Dabei ist es ja erstmal egal, welches Geschlecht man hat.

Curry: Ich meine, wie viele Männer rappen über ihren Pimmel? Von Frauen habe ich das glaube ich noch kein einziges Mal gehört. Es ist schon erstaunlich und sagt ganz viel darüber aus, wie man erzogen wird. Männer haben einen selbstbewussten Zugang zu ihrem Geschlecht und Frauen anscheinend nicht.

Aber tut sich in dem Bereich nicht viel? In den USA gibt es CupcakKe, in Deutschland SXTN.

Curry: Da tut sich auf jeden Fall etwas, aber es geht halt langsam voran. Es gibt auch viele Bücher über das Thema wie "The Vagina Monologues" und Graphic Novels. Natürlich gibt es gerade feministische Bewegungen, die das alles pushen, aber die Diskussion ist noch nicht richtig groß im Mainstream angekommen. Wenn man das überall an die Wände malt, werden die Leute ein bisschen mehr darauf gestoßen. Das finde ich eigentlich ganz gut.

Mauser: Die Gegenstimmen sind ja auch nicht ohne. Gerade bei diesen Themen gibt es immer Internet-Hetze und Kommentare, die sehr in eine antifeministische Richtung gehen. In unterschiedlichen subkulturellen Milieus fasst man sich an den Kopf, wie rückständig die sind. Erfolgreiche Rapper in Deutschland schreiben Bücher darüber, der Alpha zu sein.

Konntet ihr euch bei Kollegah bereits einlesen?

Curry: Also, ich habe das noch nicht gelesen, sondern nur in einem Beitrag ein paar Zitate gehört. Da stand etwas davon, die Frau wolle dominiert werden und solche Geschichten. Ich dachte: Wow, in was für einem Jahrhundert lebst du denn? Es ist schon ganz schön erschreckend, dass so etwas das neue Buch von Thilo Sarrazin von Platz eins gekickt hat. Da denkt man echt: Was ist da gerade in den Bestsellerlisten unterwegs?

Mauser: Es ist schwer, Hoffnung zu schöpfen und zu sagen: Es geht gerade total viel, weil es ein paar feministische Künstlerinnen oder eine #metoo-Debatte gibt. Natürlich ist das gut, aber man darf auch nicht denken, dass jetzt plötzlich so ein Drive da reinkommt. Ganz so zuversichtlich bin ich da nicht.

Ihr habt früher bemängelt, dass sich in der Männer-Domäne Rap so wenige Frauen einfinden. Unabhängig von weiblicher Selbstermächtigung hat sich die Sichtbarkeit ja schon verändert.

Curry: Ja, auf jeden Fall, aber trotzdem sind es vor allem auf dem oberen Level immer noch sehr, sehr wenige. Ich bin gespannt, wie das nachwächst, weil ich das Gefühl habe, dass gerade viele Mädels anfangen zu rappen. Es kann sein, dass es in fünf bis zehn Jahren einen richtig hohen Anteil von Rapperinnen gibt. Aber es ist natürlich immer noch schwer, wenn man sieht, was Sookee oder Schwesta Ewa in den Kommentarspalten entgegenschlägt. Wenn man gleich weiß, dass man gegen eine Wand von Kommentaren rennt, ist es als Rapperin natürlich nicht so spaßig, ein Musikvideo online zu stellen. Um sich da durchzubeißen, muss man ein ganz schön dickes Fell haben.

"Du kannst nicht alles als Meinung gelten lassen"

Marie, du meintest einmal, dein allgemeiner Einstieg in den deutschen Rap sei damals über Dendemann erfolgt. Euer Song "Der Opi aus dem 2. Stock" baut musikalisch auf "Die Omi aus dem 1. Stock" von Eins Zwo auf. Was ist das Besondere an Dendemann und warum habt ihr diesen Song von Eins Zwo neu aufgelegt?

Curry: Ich habe auf jeden Fall sehr gerne Dendemann gehört und fand seinen Wortwitz immer besonders. Der war einfach unglaublich lustig und hatte eine viel komplexere Art, mit Sprache umzugehen, als viele andere in der Zeit. Das fand ich besonders stark. Dieses Bild, mit einer Oma, oder in unserem Fall einem Opa, unter einem Dach zu leben, ist bei beiden Songs gleich, aber sonst ist es inhaltlich sehr anders. Auch musikalisch ist es weniger leicht und der ruhigste und schwerste Song auf unserem Album.

Mauser: Diese Songidee liegt tatsächlich seit vier, fünf Jahren auf unserem neonschwarzen Schreibtisch. Für uns war es natürlich schwierig, einen Holocaust-Überlebenden in einem Rap-Song darzustellen. Wie vermessen ist das? Dürfen wir das? Wie machen wir das? Das hat ziemlich lange gedauert, und wir haben es für das Album zum ersten Mal geschafft.

Ist die Solidarisierung mit älteren Menschen in der Gesellschaft allgemein wichtig?

Curry: Auf jeden Fall, ich glaube, dass Einsamkeit ein großes Thema bei alten Leuten ist. Es gibt immer mehr gute Ideen, alte Leute oder Generationen in Alters-WGs zusammenzubringen. Bei unserem Pre-Listening-Abend gab es erst eine Graffiti-Aktion, bei der Teenies mit Johnny Mauser und Captain Gips ein Bild gemalt haben. Danach haben wir mit einer Gruppe des Vereins Oll Inclusiv, der mit alten Leuten auf Konzerte fährt und subkulturelle Veranstaltungen besucht, Bingo gespielt. Es war sehr lustig, mit vier Senioren und Señoritas, wie sie da heißen, zu spielen. Das war eine ziemlich spezielle und schöne Atmosphäre, mit Leuten von drei bis 80 Jahren. Generell ist die Solidarität zwischen den Generationen sehr wichtig.

Mauser: Speziell mit der Generation ist Solidarität wichtig, die Opfer des Holocaust war und den überlebt hat. Davon gibt es natürlich nicht so viele. Ein Freund von uns aus Berlin hat mal eine Broschüre mit herausgebracht, in der mit den letzten Überlebenden Interviews geführt wurden. Das macht nochmal deutlich, dass es nicht mehr viele Chancen gibt, die Menschen zu hören. Im Song ist es jetzt basierend auf einzelnen Erzählungen fiktiv von uns verarbeitet worden. Aber es ist natürlich sehr wichtig, es auf eine gewisse Art weiter zu transportieren, bevor es in Vergessenheit gerät.

Die Generation stirbt aus und es gibt viel weniger Opfer als Täter. Würdet ihr sagen, dass die Täter in der öffentlichen Wahrnehmung zu sehr im Fokus stehen?

Mauser: Ich glaube eher, dass viele Täter nicht als solche benannt wurden, wegen der Kontinuität danach. Wirtschaftsunternehmen konnten sich weiterentwickeln, Richter waren weiter Richter. Es war eher das Problem, dass so vieles totgeschwiegen wurde. Ich würde nicht sagen, dass deutsche Kriegsveteranen heroisiert wurden, aber es hat sehr lange gedauert, bis die Opferperspektive eingenommen wurde. Da waren diese Menschen schon sehr alt. Auch wenn der Vergleich natürlich immer schwierig ist, sieht man aber auch, dass es immer dauert, die Opferperspektive der Menschen einzunehmen, die heute unter rassistischer Gewalt leiden, weil die Majorität der weißen Mehrheit und damit dem Tätervolk zugehörig ist.

Im Song heißt es recht verbittert: "Er würde gerne lachen, doch der Schatten ist zu groß. Und die Urenkel der Mörder seiner Eltern spielen im Hof." In gewisser Weise stellt ihr ja das Recht der Kinder in Frage, dort zu spielen. Wieso stellt ihr diesen Zusammenhang zu den Nachfahren her?

Mauser: Wir können soweit für Captain Gips sprechen, dass er den Kindern keine Schuld zuschiebt. Es hat etwas damit zu tun, dass, wie gesagt, die Kontinuität nicht in Frage gestellt wurde und dass diese Familien normal weitergelebt haben. Man muss ein Kind nicht so aufziehen, dass es sich wegen der Taten der Großeltern schlecht fühlt, aber das Bewusstsein muss schon dafür da sein, was deine Vorfahren getan haben. Das hat aber nichts mit den Kindern zu tun, sondern mit ihren Eltern.

Vor zwei Jahren meinte Captain Gips noch, ihr wüsstet nicht wie ihr nach "2014" und "2015" eure Songreihe fortsetzen solltet, da es nicht in Worte zu fassen sei, wie schlimm es geworden ist. Wie ist es euch nun doch gelungen die Serie mit "2018" fortzusetzen?

Mauser: Drei Jahre nachgedacht. [lachen] Die unterscheiden sich ein bisschen. Am Anfang haben wir noch davor gewarnt, dass der Rechtsruck langsam spürbar ist. Mittlerweile sind wir natürlich in einer Situation, in der der Rechtsruck sowohl in Deutschland als auch international total präsent ist. Man darf auch nicht vergessen, dass sich keiner wünscht, in Verhältnissen wie der Türkei zu leben. Als Musiker schreibt man impulsiv über das, was einen gerade bewegt. 2016 und 2017 haben wir gedacht, es gehe so weiter, also gehen wir eher auf eine Demo, als dass wir einen Song schreiben. Jetzt hat sich 2018 so viel angesammelt, dass es rausmusste.

Curry: Es ist auch ein anderer Schwerpunkt, da dass Thema jetzt gerade Mainstream wird und eine andere Dramatik kriegt. Der Diskurs ist auch dadurch, dass die AfD im Bundestag sitzt und in Talkshows auftritt, nach rechts gerutscht. Alexander Gauland hat gerade eine FAZ-Kolumne geschrieben. Es ist schockierend, dass sowas inzwischen normal ist.

Zumindest gibt es nun auch eine Gegenbewegung wie die #Unteilbar-Demo in Berlin.

Curry: Genau, das ist ganz schön beeindruckend. Ich glaube, die Veranstalter haben von 242.000 Teilnehmer gesprochen. Das ist schon eine krasse Zahl, sehr gut zu sehen bei #wirsindmehr, bei Welcome United in Hamburg, bei #Unteilbar und auch in München gab es etwas Großes. Viele Leute sehen, dass es gerade Zeit ist, auf die Straße zu gehen und Haltung zu zeigen.

Marie, du wirfst in dem Song die Gretchenfrage zum Umgang mit AfD und Co. auf: "Willst du dich einmal zu oft für Dialoge opfern, wird dein Kommunikationsversuch zur Werbeplattform für die, die scheinbar das Tabu brechen. [...] Aber die Strategie, ja, die führt leider weit. Das Dementi verhallt und die Schlagzeile bleibt. Welche Lösung hast du für dieses Dilemma gefunden?

Curry: Es ist nicht immer so leicht, eine Lösung zu finden. Grundsätzlich bin ich sehr dafür, den Diskurs mit so vielen Leuten wie möglich aufrecht zu erhalten. Aber wenn jemand ein richtig geschlossenes rechtes Weltbild hat und der grundlegenden Meinung ist, dass Menschen unterschiedlich viel wert sind, bestimmte Menschenrechte nur für uns hier gelten oder das Recht auf Asyl in Frage gestellt werden sollte, existiert keine Diskussionsgrundlage. Die Strophe habe ich auch im Kontext der Buchmesse letztes Jahr geschrieben. Ich fand es ganz schön krass, dass der Antaios Verlag einen Stand bei der offiziellen Buchmesse haben durfte. Dann haben sie der Amadeu Antonio Stiftung den Schwarzen Peter zugeschoben, indem sie sie daneben gesetzt haben, weil sie dann doch dachten, den Verlag irgendwie einpferchen zu müssen.

Mauser: Die Crux ist ja auch, dass die sich schnell in eine Opferposition bringen, von Lügenpresse reden und behaupten, die Öffentlich-Rechtlichen seien von der Antifa unterwandert und sie werden mundtot gemacht. Damit kommen die schnell, wenn man ihnen nicht die Plattform bietet. Ich glaube, es ist schlimmer, ihnen ständig die Plattform zu bieten, als sie in diese Opferrolle zu lassen. Es gibt ja diesen alten Slogan: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Du kannst nicht alles als Meinung gelten lassen. Und wenn es Normalität wird wie zuletzt und du jeden Tag in Talkshows und in der Zeitung das siehst, dann gewöhnt man sich daran. Deswegen ist es extrem wichtig, auf verschiedensten Ebenen ganz klar und deutlich dagegen anzugehen, was nun mal nicht heißt, sich nur an den Tisch zu setzen und beim Käffchen darüber zu diskutieren. Es muss schon etwas mehr sein, als nur Meinungen und Argumente auszutauschen. Das ist total wichtig, sonst werden uns unsere Kinder und Kindeskinder echt fragen, wieso wir damals unser Maul nicht aufgemacht oder Aktionen gestartet haben.

"In den Law-and-Order-Bereichen erkämpfen sich die Anhänger autoritärer Gesellschaftsbilder die Positionen"

Während du sagst, Faschismus sei keine Meinung, fragt der Bild-Chef Julian Reichelt diese Woche, worin der Unterschied zwischen Pegida und #Unteilbar bestehe. Das sei doch praktisch dasselbe.

Mauser: Reichelt hat ja auch bewusst das Gerücht aufrecht erhalten, dass unser Freund Monchi von Feine Sahne Fischfilet den Hitlergruß gezeigt hätte. Anscheinend hat er wirklich rechtsnahe Intentionen.

Ihr habt auch die Erfahrung gemacht, dass wegen des Titels "Nazifreie Zone" gegen euch wegen Volksverhetzung ermittelt wurde. Wie habt ihr das damals erlebt?

Mauser: Das Komische war, dass das zwei Jahre nach dem Release dieses Songs war. Wir haben darin eigentlich nur dazu aufgerufen, sich organisierten rechtsextremen Kameradschaften, die durch Hamburg gezogen sind, in den Weg zu stellen und für eine offene Gesellschaft einzustehen. Zeitverzögert kam es dann durch Anzeigen dazu, dass gegen uns ermittelt wurde. Das war ein absurder Vorwurf, und ebenso absurd war, dass meine Identität nicht richtig festgestellt werden konnte. Deswegen wurde versucht, bei unserem Label Audiolith eine Razzia zu machen. Der zuständige Richter hat das in letzter Sekunde verhindert. Wir haben dann Recht bekommen, dass es nichts mit Volksverhetzung zu tun hat, etwas gegen Faschisten zu sagen, weil es keine gesellschaftliche Minderheit ist. Die Ermittlung hatte auch etwas damit zu tun, dass zu der Zeit die Rote Flora in der Kritik stand und eher linke Bands kriminalisiert wurden. In Hamburg kommt es wellenartig auf, dass man als Linker Probleme hat und an den Pranger gestellt wird. Dass es gesellschaftlich gerade andere Probleme gibt, als ob Zecken gerade etwas in der Flora machen, ist, glaube ich, recht offensichtlich.

Aber woran liegt es denn, dass gegen euch ermittelt wird oder die Polizei im Hambacher Forst mit großem Aufgebot anrückt, während die rechten Demos in Sachsen vergleichsweise unbehelligt blieben?

Mauser: Die Prozente für diese rechten Parteien müssen ja irgendwo herkommen. Dass bei der Polizei eine höhere Wahlbereitschaft für rechte Parteien existiert, ist erwiesen. Oder dass der Verfassungsschutzchef in Hamburg, ziemlich nahen Kontakt zur rechtsextremen Merkel-muss-weg-Demo pflegt. In diesen ganzen Law-and-Order-Bereichen erkämpfen sich eher die Anhänger von autoritären Gesellschaftsbildern die Positionen. Herr Maaßen ist natürlich das bekannteste Beispiel. Das sind nicht immer nur Ermittlungsfehler, sondern durchaus gewollt.

Trotz der deprimierenden politischen Zustände tretet ihr als grundsympathische Gruppe auf und bleibt in eurer Musik frei von Zynismus. Warum geht ihr nicht zum Beispiel mit satirisch geschärfter Klinge vor, um auf Missstände hinzuweisen?

Mauser: Wir sind vielleicht einfach nicht solche Typen. An und für sich bin ich ein froher Mensch und nicht besonders zynisch. Deswegen würde ich das nicht auf dieser Schiene verarbeiten. Das würde mir wahrscheinlich selbst nicht gut tun. Wir haben als Band immer Bock gehabt, positive Musik zu machen. Auf Konzerten erleben wir es auch, dass es den Leuten etwas gibt und wir cool mit ihnen sind. Ich finde es gar nicht schlecht, diesen Weg zu gehen.

Curry: Es ist schön zu sehen, was das bei Konzerten für eine positive Energie freisetzt. Die Leute fühlen sich nach dem Konzert eher bestärkt und fröhlich. Ein paar Sachen sind schon ein bisschen sarkastisch, aber ich finde, dass das fast schon ein Zeichen für Resignation ist, wenn man sich in Sarkasmus zurückzieht. Damit lässt man sich immer eine Hintertür offen, um sagen zu können, das sei gar nicht so gemeint gewesen. Haltung heißt ja gerade, sich nicht wegzuflüchten. Gerade bei politischen Sachen wollen wir gar nicht so doppeldeutig sein, sondern relativ klar.

In "Verrückt" heißt es: "Bleib', wer du bist oder finde es heraus und lass' dir von niemand was sagen." Was empfehlt ihr jemanden, der sich selbst als skrupelloser Turbokapitalist definiert?

Curry: [lachen] Vielleicht ein bisschen Empathie entdecken und sich mal mehr mit Menschen beschäftigen als mit Zahlen. Alle alten Leute, die man kurz vor dem Sterben fragt, was sie in ihrem Leben bereuen oder anders machen würden, geben als häufigste Antwort, dass sie mehr Zeit mit ihrer Familie und ihren Freunden und weniger mit ihrer Arbeit verbringen würden. Ganz viele setzen während ihres Lebens also offensichtlich den Fokus nicht richtig und merken nicht, dass sie sich mit Sachen beschäftigen, die sie gar nicht glücklich machen.

Mauser: Anknüpfend an unseren Song "67" sollte er überlegen, was er für ein Leben hat. Turbokapitalisten – ein komisches Wort -, die vierzehn Stunden am Tag arbeiten, krassen wirtschaftlichen Erfolg haben und sich rücksichtslos durchsetzen, um auf der Karriereleiter nach oben zu kommen, haben dann am Ende zwei Mercedes, aber sie sollten sich bewusst machen, was sie vom Leben haben.

Das ist völlig legitim, aber ich wollte eher darauf hinaus, dass ihr für den Individualismus einsteht, der in seiner radikalen Ausprägung Baustein des Neoliberalismus ist und die soziale Ungleichheit und Umweltverschmutzung mit befördert.

Mauser: Eine individuelle Entfaltung, die zu Ungunsten anderer läuft, oder eine krasse Ellenbogengesellschaft meinen wir damit nicht.

Curry: Wir stehen auch für Solidarität ein und nicht nur für Individualismus. Du sollst dich nicht von diesen gesellschaftlichen Zwängen einengen und dir nicht sagen lassen, du seist komisch, falsch oder zu dick, sondern gut, wie du bist.

Wenn ihr jetzt schon festlegen könntet, wie euer musikalischer Jahresrückblick "2020" einmal klingen wird, was würdet ihr euch wünschen?

Mauser: Wir reden ja nicht von utopischen Gesellschaftsbildern, die vielleicht in hundert Jahren umgesetzt werden, sondern hoffen, ganz kurz gedacht, dass Bewegungen wie #Unteilbar oder Welcome United so viel Power entwickeln, dass Leute wirklich für eine zivilgesellschaftliche gute Welt kämpfen. Dabei muss ein Drive rauskommen, dass es überall Stadtteilzentren gibt, wo die Leute gute Arbeit leisten und Integration auf Augenhöhe abläuft. Wenn es bis 2020 in eine solche Richtung ginge, wäre es theoretisch machbar.

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